Philipp: Gelb, zweimal blau, rot und weiße Sterne

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Schon die An- und Abreise war nicht nur wegen ihrer Länge von 13 Stunden, die wir insgesamt in Bus und Bahn verbrachten, bemerkenswert. Auch das mitternächtliche Passieren der europäischen Außengrenze war nach all den Jahren persönlicher innereuropäischer „quasi“ grenzenloser Reisefreiheit für mich wieder neu. Grenzpolizisten mit gelb-blauen Wappen auf ihren Uniformen kontrastierten mit der rot-blau-weißen Flagge, die ich gleich nach der Überfahrt der Grenze neben einer Kirche entdeckte. Es dauert kurz, aber dann erinnerte ich mich, dass wir in der Vorbereitung in Halle darüber gesprochen haben: zwei Flaggen, ein Land, wir sind in Bosnien und Herzegowina.

Der erste Gang ins Innere der Hauptstadt Sarajevo ist für mich wie eine kleine Zeitreise. Eindrücklich zeigt sich das an den Gebäuden die wir auf unserem Weg sehen. Von denen der sozialistischen Zeit, die heute vereinzelt eine Krone mit der Aufschrift „Oracle“ oder „Samsung“ tragen, geht es über in die Zeit der österreich-ungarischen Monarchie, bis man im Zentrum in der Zeit des osmanischen Reiches angekommen zu sein scheint. Auf der Fußgängerzone wird selbstgepresster Granatapfelsaft verkauft, zahlreiche Muezzins rufen zum Gebet. Was für eine dicke Luft in dieser Stadt ist, kriege ich erst durch den Kontrast mit den Eindrücken mit, die ich während unserer Reisen nach Jajce und Banja Luka bekomme.

Besonders eindrucksvoll ist mir dabei der Weg nach Jajce in Erinnerung geblieben. Rechts aus dem Fenster sehe ich smaragd-grünes Wasser, links eine schroffe Felswand. Vor der Frontscheibe des Buses entfaltet sich Stück für Stück eine Straße, die sich synchron zum Lauf des Flusses dicht an den Berg schmiegt. Die Berge, die sich einfach aus dem Wasser in solche Höhen erheben, dass ich selbst bei noch weit entfernten Exemplaren, ganz nah an die Scheibe des Busses heran muss, um hinter ihnen noch den Horizont zu erkennen, sind von dichtem saftigen Grün bedeckt – ein undurchdringlich scheinender Urwald.

Zurück in Sarajevo erscheint mir diese Stadt noch urbaner, mit noch mehr Menschen, noch mehr Autos! und noch mehr Stadtgeräuschen. Am heißesten Tag, es ist gleichzeitig der Letzte unserer Reise, wandern wir auf nahezu lückenlosen Graffitis den Trebević hinab, an dem 1984 die Olympioniken der verschiedensten Nationen um die begehrten Medaillen rangen. Unter ihnen war auch die damalige Gastgebernation, damals noch mit einer Flagge aber ohne Bobmannschaft. Intensiv wurde nach Freiwilligen gesucht, die sich dieser Herausforderung stellen würden. Sie fanden sich. Einer davon, so berichtet mir eine Kommilitonin aus Bosnien, war ihr Vater, der sich gemeinsam mit einem Freund auf das Abenteuer einließ. Beide haben vorher noch nie in einem Bob gesessen. Sie kommen nicht über die ersten Meter hinaus.

 

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