Allen, die mit Handschriften arbeiten, wird das Problem wohl bekannt sein: Manche Wörter lassen sich einfach nicht entziffern oder wollen keinen Sinn ergeben. Selbst wenn man sie förmlich mikroskopiert, sind sie noch mit einem Fragezeichen versehen. Bei der Transkription von Fließtexten ist es oft möglich, einzelne Wörter aus dem Kontext zu erschließen. Bei der Arbeit mit Kirchenbüchern sind die Herausforderungen jedoch andere. Ständig begegnen einem Namen, die sich für uns heute ungewöhnlich oder gestelzt anhören. Von der bloßen Menge an Vornamen der Brautpaare ganz zu schweigen. Erfahrungsgemäß sind es jedoch die Berufsbezeichnungen, die am häufigsten Probleme bereiten. Berufe wie Tischler oder Kaufmann sind uns noch heute geläufig und tippen sich fast von alleine ein. Manchmal stößt man jedoch auch auf Berufe, von denen man noch nie gehört hat oder die für ortsunkundige ungewöhnlich klingen. Glücklicherweise steht für solche Fälle ein einfach zugängliches und gut handhabbares Hilfsmittel bereit: Die Stadtadressbücher.
Bereits im 19. Jahrhundert publizierten private Verleger für eine Vielzahl deutscher Städte und Ortschaften Stadtadressbücher und listeten dort unter anderem alle Einwohner einer Stadt auf. Die meisten Stadtadressbücher stammen somit zwar nicht aus Verwaltungshand, dennoch ist ihr Wert für die Genealogie groß. Deswegen ist auch der Verein für Computergenealogie immer wieder darum bemüht, die deutschen Stadtadressbücher aus dem 19. Jahrhundert möglichst flächendeckend zu verdaten. Stadtadressbücher sind aber nicht nur eine wertvolle Quelle für die Erhebung von Massendaten. Sie können auch ein nützliches Hilfsmittel bei der Transkription einzelner Kirchenbucheinträge sein.
1861 heiratete in Halle der ortsansässige Handelsmann Friedrich August Holzmacher die Hallenserin Friederike Augusta Emilie Lorenz. Doch welchen Beruf übte ihr Vater Karl Friedrich Lorenz aus?
Im Kirchenbuch scheint Oebster zu stehen. Oebster, war das wirklich der Beruf von Karl Friedrich Lorenz Beruf, oder hat sich hier doch ein Lesefehler eingeschlichen? Dem Kirchenbucheintrag nach lebte Karl Friedrich Lorenz in Halle (in der Quelle: hier.). Es lohnt sich also, einen Blick in die hallischen Stadtadressbücher zu werfen. Sie können dabei helfen, die vermutete Berufsbezeichnung zu vergleichen:
Den schwarz umrandeten Einträgen aus dem Stadtadressbuch zufolge wohnte im Jahr 1861 tatsächlich ein Oebster namens K. Lorenz in Halle. Zwar lässt sich nicht eindeutig belegen, dass es sich bei dem Oebster K. Lorenz aus dem Stadtadressbuch und dem Oebster Karl Friedrich Lorenz aus dem Kirchenbuch der Mariengemeinde um dieselbe Person handelt. Die anfängliche Vermutung, dass der im Kirchenbuch stehende Beruf Oebster heißen soll, scheint im Lichte der zweiten Quelle aber plausibel. Und es ist auch recht naheliegend, dass man es in den beiden Quellen mit derselben Person zu tun hat.
Womit verdiente der Oebster Karl Friedrich Lorenz sein Geld und welche weiteren Informationen lassen sich über ihn aus dem Stadtadressbuch gewinnen? Oebster bezeichnete gleichsam Obsthändler und Obstbauern. Ob Karl Friedrich Lorenz nun zu den Obsthändlern oder Obstbauern zählte, lässt sich anhand der Stadtadressbücher nicht weiter erhellen. Das für Eigentümer stehende E hinter dem Straßennamen lässt aber erkennen, dass der Beruf des Oebsters K. Lorenz zumindest den Besitz eines Hauses ermöglichte. Vermutlich kam seine Tochter, die Braut Friederike Augusta Emilie Lorenz, also nicht aus einer allzu armen Familie.
Mit den folgenden Blogeinträgen wollen wir solchen Vermutungen nachgehen und die Ehe zwischen Friedrich August Holzmacher und Friederike Augusta Emilie Lorenz genauer unter die Lupe nehmen. Wir wollen sehen, ob sich aus den Stadtadressbüchern und anderen Quellen noch weitere Informationen über die Familien des Brautpaares gewinnen lassen? Wohnte das Brautpaar Holzmacher/Lorenz eventuell in der Nähe voneinander? Lässt sich etwas über den Wohlstand der Familien des Brautpaares herausfinden?
Bis dahin wünschen wir viel Spaß beim Durchstöbern der hallischen Stadtadressbücher. Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen Anhalt stellt die hallischen Stadtadressbücher als frei zugängliche PDF-Dateien hinter folgendem Link zur Verfügung:
http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/nav/classification/2523884