10:08 Uhr vormittags. Die Glocken von Taizé beginnen langsam lauter werdend neben meinem Kopfkissen, zu läuten. Im Urlaub klingen die irgendwie doch besser. Mein Hirn fühlt sich mindest so verklebt wie meine Augen an. Fünf Stunden Schlaf bleiben nunmal fünf Stunden Schlaf, auch mit teurem Schlafrhythmuswecker. Zum Glück gibt’s die Snoozefunktion. Es folgen sechs Schlummerphasen à 10 Minuten. Die durchs Fenster scheinende Mittagssonne vermiest mir die siebte. Alles klar, dann heißt es wohl aufstehen. Ich greife meine Smartphone und wische durch die üblichen Apps. Dabei fällt mein Blick auf den Kalender. Anfang September schon?!
Mich plagt das Problem, von dem viele Studenten ein Lied singen können: Prokrastination. Das Gefühl, das Aufgaben und Deadlines noch unvorstellbar weit in der Zukunft liegen und die Freizeit ewig währt. Doch nichts währt ewig und gerade die Freizeit hat die unangenehme Nebenwirkung, dass sie schneller vorbeizieht als ein Saturnmitarbeiter, wenn man eine Frage hat. Man redet sich ein, dass man unter Druck besser arbeiten könne und das bis jetzt immer so funktioniert hat. Doch jeder praktizierende Prokrastinator weiß, dass es ein Glücksspiel ist. Das Schwert des Damokles hängt über uns und mit jedem neu arrangierten und noch engeren Zeitplan hängt es ein Stück tiefer. Irgendwann fällt jeder mit dieser Taktik mal auf die Nase. Es ist nur eine Frage des Wann, nie eine Frage des Ob.
Ich hatte vor Kurzem ein Projekt für Journalistisches Schreiben, das ein sehr interessantes Interview mit Dr. Lars-Eric Petersen, Professor für Psychologie an unserer Uni, beinhaltete. Das Thema des Interviews war eine seiner Studien aus dem Jahr 2013. Er untersuchte die Zusammenhänge zwischen faszinierenden psychologischen Konzepten, genannt Selfcompassion und Selfesteem, und ihren Methoden, Selfhandicapping und Sandbagging. Selfesteem ist kurz gesagt die Selbstachtung. Diese versucht man in der Regel mit diesen beiden Methoden vor Schäden durch selbstverschuldetes Scheitern zu schützen. Sandbagging bedeutet, man stapelt absichtlich tief und geht zum Beispiel von einer gescheiterten Prüfung aus, obwohl man eigentlich gut vorbereitet war. Selfhandicapping nennt man das absichtliche Sabotieren der eigenen Leistung, z.B. durch Prokrastination, sodass man danach eine Ausrede für ein mögliches schlechtes Ergebnis hat. Beide Methoden können bei exzessiver Nutzung auch negative Auswirkungen auf das Sozialleben und die Karriere haben. Ich selbst habe mich mehr im Selfhandicapping wiedererkannt. Das andere Konzept, Selfcompassion, hat mein Interesse allerdings mehr geweckt. Es beschreibt das verständnisvolle Umgehen mit sich selbst. Man begegnet seinem Scheitern mit Verständnis und ist sich seinem eigenem Potential realistisch bewusst. Das macht die Methoden zum Selbstschutz überflüssig, da man sich selbst keine Vorwürfe macht. Das ist ein Weg, den jeder lernen sollte, zu finden.