Sitzung 9 – Antijudaismus, Israel im Joh-Ev und im Lichte einer Kirche in Eisenach in der NS-Zeit

Karl Hollerung:

Susannah Heschel The Aryan Jesus – Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany

Kapitel II

Das „„Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“

So, hier kommt noch meine leider sehr verspätete Zusammenfassung des zweiten Kapitels aus dem Buch „The Aryian Jesus“ von Frau Heschel. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem in Eisenach ansässigen Institut „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ (im Folgenden einfach „das Institut“ genannt), welches bereits Gegenstand unseres Seminars gewesen ist.

Das Kapitel beginnt mit der Situation, in der sich die Deutschen Christen – bzw. deren führende Mitglieder – Mitte der 30er Jahre befanden. Sie hofften auf Teilhabe an der Macht im nationalsozialistischen Staat – was ihnen jedoch seitens des Regimes verwehrt wurde. Dies zeigt sich in symbolhaften Maßregelungen, mit denen sich das NS-Regime gegen die Anbiederungsversuche der Deutschen Christen verwahrte. So musste eine Zeitschrift der Deutschen Christen namens „Christenkreuz und Hakenkreuz“ ihren Namen in „Deutsche Frömmigkeit“ ändern. Auch die Thüringer Sektion der Deutschen Christen, die sich „Kirchenbewegung deutsche Christen“ nannte, musste ihren Namen ändern, und zwar in „Nationalkirchliche Einigung Deutscher Christen“. Das Wort „Bewegung“ sollte innerhalb der misstrauisch beäugten Kirche keine Verwendung finden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass führende Nationalsozialisten das Christentum häufig als eine Unterart des Judentums betrachteten, als „Judentum für Nichtjuden“. Die Deutschen Christen wollten derartige Vorbehalte nicht stehen lassen und strebten nach einem Christentum, das mit der germanischen Urreligion vereinbar wäre. Dabei gingen führende Vertreter der Deutschen Christen schon früh sehr weit. So sprach sich Reinhold Krause bereits im November 1933 für die Abschaffung des Alten Testaments und auch der paulinischen Schriften aus, da sich Paulus bekanntlich eindeutig als Juden bekennt. Auf einer Tagung führender Deutscher Christen in Godesberg Mitte März 1939 wurde beschlossen, dass das Christentum stets eine nationale Religion wäre und mit dem Judentum nichts zu tun hätte.

Seitens der Bekennenden Kirche und „neutraler“ Theologen wurden derartige Vorstöße entschieden zurückgewiesen. Man war sich zwar in einer negativen Betrachtung des Judentums weitgehend einig. Dennoch wurde z.B. die negative Beurteilung der paulinischen Schriften mit dem aus lutherischer Sicht nahezu zwingenden Argument ihrer zentralen Bedeutung für Luthers Theologie verworfen. Auch das Alte Testament als zentrale Schrift des Christentums verteidigt. Ein weiteres Konfliktfeld waren „nichtarische“ Christen, sprich, getaufte Christen jüdischer Herkunft. Gerade Vertreter der Bekennenden Kirche sahen in ihnen vollwertige Mitchristen und wollten die christliche Mission unter Juden keinesfalls einstellen. Gerhard Hahn, ein Pfarrer der Deutschen Christen in Thüringen, schlug dagegen vor, dass Juden nur noch von jüdischen Pfarrern getauft werden sollten. Auch sollte es keine gemeinsamen Gemeinden zwischen Christen jüdischer und „arischer“ Herkunft mehr geben.

Bemerkenswert finde ich auch die Reaktion des NT-Professors an der Universität Marburg, Hans von Sodem. Er warf den Deutschen Christen im Allgemeinen und der Deklaration von Godesberg im Besonderen vor, das Christentum gerade zu judaisieren. Das Christentum richte sich gegen den Anspruch sowohl des jüdischen als auch jedes anderen Volkes, eine auserwählte Nation zu sein und reiße die Barrieren zwischen den Nationen nieder. Die Deutschen Christen wiederum wollen diese Barrieren wieder errichten und damit die Verhältnisse wiederherstellen, die vor Jesu Kreuzestod geherrscht haben.

So, nach dieser Darstellung der Vorgeschichte jetzt soll es wirklich um das Institut gehen. Die Idee zur Gründung eines Forschungsinstituts mit dem Ziel der „Entjudung“ der Kirche stammt von Walter Grundmann. Er wollte das Institut an der Universität Jena ansiedeln und schlug einen ehemaligen Kommilitonen von sich, Erich Wilkens, als dessen Leiter vor. Dieses Institut sollte ein akademisches Journal herausgeben, von der Evangelischen Kirch gefördert werden und Kontakte sowohl zur NS-Regierung als auch u.a. zu Julius Streicher unterhalten, dem Herausgeber des „Stürmers“.

Das Institut kam zunächst nicht so voran, wie Grundmann es sich erhofft hatte: Weder gab es eine Anerkennung durch die Universität Jena noch Büros innerhalb der Kirche. Der damalige Rektor der Universität, Karl Astel, war ein überzeugter Rassentheoretiker und sah im Christentum eine vom Judentum beeinflusste Religion. Dementsprechend geringschätzte er auch die Theologie und stand Grundmanns Vorschlag daher ablehnend gegenüber.

Dennoch fuhr Grundmann mit den Planungen für sein Institut fort und formulierte dafür zwei Kriterien, die Mitarbeiter des Instituts erfüllen müssten: Erstens sollten sie Experten in Rassenkunde sein und zweitens der Überzeugung sein, dass Juden- und Christentum nichts miteinander zu tun hätten. Innerhalb der Deutschen Christen gewann die Idee zur Gründung des Instituts schnell Anhänger.

Am 6. Mai 1939 schließlich war es soweit: Das Institut wurde auf der Wartburg feierlich eröffnet. Bemerkenswert ist, dass die Lieder, die dabei gespielt wurden, ausnahmslos einen säkularen Hintergrund hatten und keinerlei Bezug zu christlichen Themen erkennbar war. Grundmann verwarf in seiner Eröffnungsrede sämtliche Verheißungen des Alten Testamentes, forderte die Unterbindung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben und warf allen Christen, die anderer Ansicht seien, vor, jüdisch beeinflusst zu sein.

Interessant ist, dass Grundmann seitens extrem nationalsozialistischer Zeitungen wie „Nordland“ Hohn und Spott für sein Institut erntete: Entnehme man dem Christentum alles jüdische, bleibe vom Christentum leider nichts mehr übrig. Grundmann verteidigte sich gegen diese Stellungnahmen: Wenn dem so sei, warum haben die Juden dann Jesus gekreuzigt und seien immer die größten Verfolger des Christentums gewesen? Außerdem sei eine Verleumdung des Christentums auch eine Verleumdung des deutschen Volkes und seiner Geschichte, denn die Deutschen seien während des Großteils ihrer Geschichte immer fromme Christen gewesen.

Eine interessante Randnotiz ist, dass es in Hermannstadt in Rumänien eine Zweigstelle des Instituts gab, das innerhalb der dortigen Evangelischen Kirche als Helfer bei der Vollendung der wahren Reformation gefeiert wurde.

Nach dem Krieg sollte sich Grundmann damit herausreden, das Institut sei ein rein akademisches Projekt gewesen und habe keine festen ideologischen Ziele gehabt. Dass das Gegenteil der Fall war, lässt schon der Titel erahnen, der im Folgenden noch einmal genannt sei: „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Dennoch forderte Grundmann 1940 tatsächlich die Tilgung des Begriffs „Beseitigung“ aus dem Namen des Instituts, da zu seriöser Wissenschaft gehöre, dass deren Ziele nicht von Anfang an feststehen. Das änderte jedoch nichts daran, dass dieser Begriff von 1940-3 immer wieder in Veröffentlichungen des Instituts auftauchte. In späteren Veröffentlichungen wurde der Begriff „Beseitigung“ durch „Entjudung“ ersetzt, was meines Erachtens nicht wirklich dazu beiträgt, Grundmann zu entlasten.

Grundmann war erwartungsgemäß der Ansicht, dass Jesus Arier gewesen sei. Dies untermauerte er mit den Schriften „Jesus der Galiläer“ und, als in einfacherer Sprache geschriebene Zusammenfassung dessen, „Wer ist Jesus von Nazareth?“. Ein großes Problem sah Grundmann in Paulus, an dessen jüdischer Herkunft leider kein Zweifel bestehen könne. Auch Grundmann forderte daher die Entfernung der paulinischen Briefe aus dem Neuen Testament. Allerdings müssen derart radikale Maßnahmen mit Bedacht angegangen werden, denn die Paulinischen Briefe seien zentral in der lutherischen Theologie und es brauche Zeit, die Mehrheit der lutherischen Theologen von dieser Notwendigkeit zu überzeugen.

Das Institut blieb innerhalb der Evangelischen Kirche stets umstritten und genoss die Unterstützung von lediglich sechs der elf Bischöfe, die die Godesberger Deklaration unterschrieben hatten. U.a. die Unterschrift von Friedrich Werner, dem Präsidenten der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, fehlte. Werner unterstützte das Institut zwar und ließ ihm mehrfach beträchtliche Geldzahlungen zukommen, vermied eine Unterschrift jedoch mit dem Hinweis darauf, wie umstritten das Institut innerhalb der Kirche sei. Er wolle keine Kirchenspaltung riskieren.

Ab dem Frühjahr 1940 wurde das Institut auch durch die Reichsregierung finanziell unterstützt und erwirtschaftete ab da sogar Gewinn. Tagungen des Instituts konnten reichsweit in noblen Hotels abgehalten werden und namhafte Mitarbeiter gewinnen, u.a. Rudi Paret, der später der Verfasser der bis heute maßgeblichen Koranübersetzung ins Deutsche werden sollte. Neben ihm gehörten bis zu 180 Mitglieder dem Institut an, darunter Theologen aller Disziplinen sowie Bischöfe und Pfarrer aus dem ganzen Reich.

Das Institut war auf drei Ebenen tätig: 1. Es hielt öffentliche Tagungen ab, 2. Es führte Arbeitsgruppen durch, 3. Es veröffentlichte Publikationen. Auf diese Weise entstanden u.a. ein „entjudaisiertes“ Neues Testament, ein neuer Katechismus und ein neues Gesangbuch. Die Jahre bis 1942 waren diesbezüglich am produktivsten. Anschließend, nach weitgehendem Abschluss der großen Massendeportationen der deutschen Juden nach Osteuropa, feierte man im Institut die „Entjudung“ Deutschlands und beschränkte sich auf Forschungen über die Synthese des Christentums mit der germanischen Urreligion.

Auch das Institut konnte jedoch nichts daran ändern, dass die antichristliche Einstellung radikaler Nazis blieb. 1941 skandierten deutsche Soldaten in Zakopane (Polen) z.B., der Friede werde kommen, wenn der letzte Jude an den Eingeweiden des letzten Pfarrers aufgehängt werde.

Im darauf folgenden dritten Kapitel wird die Arbeit des Instituts näher erläutert – u.a. anhand von deutschem Quellenmaterial.

Marcus Kobert:

Susannah Heschel The Aryan Jesus – Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany

Kapitel I

Reinigung Jesu vom Jüdischen/Jüdischsein – Erfinden des arischen Jesus

Susanna Henschel zeichnet im ersten Kapitel ihres Buches verschiedene historische Linien, in ihren unterschiedlichsten Facetten hin zum antijudaischen „arischen Jesus“ nach, die u.a. vom „Entjudaisierungsinstitut“ um Walter Grundmann aufgriffen, weiter verarbeitet und tradiert wurden.

Vorbemerkung“

Das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben hat sich in seiner Arbeit auf etwas gründen können, was bereits vor seiner Gründung ein legitimer Teil der kirchlichen Diskussion geworden war, nämlich, dass Jesus kein Jude, sondern ein Gegner „des Judentums“ war und das Alte Testament ein jüdisches Buch ist, das keine Teil der christlichen Bibel sein soll. Nach Robert Younh war dies die heimliche Hoffnung eines bestimmten Strangs der Theologie seit dem 2. Jh., sodass eine „Historische Weiterschreibungen“ der Antijüdischen und Antisemitischen Tradition im Christentum von Marcion bis Grundmann zu beobachten ist. Dabei konnte sich ein Christentum entwickeln, dass mit der Ideologie der Nazis, wie Grundmann kompatibel wurde. So verkündete dieser u.a: (hier übersetzt nach Heschel) „Unser Volk, dass im Kampf gegen die Satanische Macht des Weltjudentums über allen anderen für die Ordnung und das Leben dieser Welt steht, lehnt Jesus ab, weil es nicht einerseits gegen die Juden kämpfen und andererseits sein Herz dem König der Juden öffnen kann.“ (Offensichtliche Verknüpfung zu Joh. 8,44)

Allerdings, so Heschel ist die Perspektive auf dieses Phänomen der Arisierung des Juden Jesus zu erweitern und steht in einer „allgemeineren“ westlichen Tradition des vor allem auch kolonialen Rassismus in der christlichen Theologie.

Philologie, Religion und Rassentheorie

Die Ablehnung der Autorität der Schrift und damit die In-Frage-Stellung der Monogenese im 17. Jh. eröffnete einen ideologischen Raum für die Akademische Beschäftigung mit „Rasse“, von der die Theologie nicht ausgenommen war. Hinzu kam in diesem Zusammenhang die romantische Suche nach einer „Urheimat“,als ursprüngliche Heimat von Nation, Kultur und Volk, die seit Beginn die deutschen Literatur über „Menschen-Rassen“ dominierte und eine Alternative zum biblischen Eden bot. Dieses wurde, so zeichnet es Heschel nach, statt in Mesopotamien in Indien als neuer geografischer Front des Westens lokalisiert, sodass Sanskrit das biblische Hebräisch in den Schriften von u.a. Friedrich und Wilhelm Schlegel ersetzte.

Auch Buddhismus und Zoroastrismus wurden Teil dieser Rezeption. Heschel stellt heraus, dass linguistische Studien proto-nationalistische Überzeugungen, dass ein Volk nicht nur von einem Land und einer Sprache begründet wird, sondern auch von Mythos und Ritual, also Kultur und Religion, verstärkten. Die am häufigsten präsenten Antinomien waren dabei „Arisch“ und „Semitisch“, ersteres verbunden mit „dem Christentum“ und letzteres mit „Judentum und Islam“.

Ernest Renan und die Rassifizierung der christlichen Ursprünge

Das Vokabular für die Rassifizierung Jesu lieferte als einer der ersten der französische katholische Theoretiker Ernest Renan. Er gewann für seine Studien zur Semitischen Sprache einen Preis und vertrat u.a. die Theorie, dass der Monotheismus dem „semitischen Instinkt“ entstammt, während die Indoeuropäer eher Polytheisten waren. Der Monotheismus war seiner Meinung nach der Grund für den Absolutismus und behinderte die Kreativität und Imagination, die daher dem Judentum und Islam fern wären. In seiner wissenschaftlichen Kariere verstärkte sich sein Antisemitismus und er unterschied zwischen „arischen“ Indern, Griechen und Deutschen und „semitischen“ Arabern und Juden und trug dies in den Diskurs um die Unterscheidung zwischen Hellenismus und Hebraismus in der Sprachwissenschaft seiner Zeit ein. 1863 publizierte er „Das Leben Jesu“ und beschrieb darin Jesus als einen Galliläer, der sich einer Wandlung vom Judentum zum Christentum unterzog und beschrieb das aufkommende Christentum als vom Judentum „gereinigt“. Dabei trug er den Diskurs um „Menschen-Rassen“ in das „Herz des Christentums“ ein. Allerdings war der Jesus Renans noch eine romantische, feminine Figur, so Heschel. Im Vorwort seiner Arbeit zitierte er sogar die Jesus Beschreibung des jüdischen Historikers Abraham Geiger, wobei seine Beschreibung des Judentums sich diametral von der Geigers unterschied, der Jesus mit den Pharisäern seiner Zeit identifizierte und Jesu Erfolg in der Überlegenheit seiner religiösen Ausbildung gegenüber seinem galiläischen Umfeld begründet sah. Im Unterschied zu Renan war sich dessen Zeitgenosse, der deutsche Philologe Paul de Lagarde sicher, dass Jesus kein Jude war und argumentierte in seiner Kritik am Christentum, dass erst Paulus und seine Apostel das Christentum „judaisiert“ hätten, sodass es wiederum einer „Befreiung des Christentums“ vom Jüdischen bedürfe. Diese Argumentation, so macht es Heschel deutlich, wurde dann im 19. und 20. Jh. von der Völkischen Bewegung, der er Lagarde angehörte und nationalistischen Protestanten weiter aufgegriffen. In Renans Schriften wurden früh Verbindungen zu dem „Rassentheoretiker“ Albert Gobineau gesehen, der ihm, so Heschel, sogar vorwarf ihn plagiiert zu haben.

Das Wichtigste ist dabei aber, dass Renan ein Vokabular und eine Logik, „gehüllt in die Sprache der romantischen Pietisten“ bereit stellte, die Jesus von einem Kritiker des Judentums seiner Zeit zu einem machte, dessen Religiosität in seiner „arischen Identität“ begründet war, die er fand als er sich vom Judentum befreite, so Heschel.

Der buddhistische Jesus

Eine weitere alternative Annäherung an den „arischen Jesus“, war es ihn gänzlich außerhalb des antiken Judentums im Buddhismus zu verorten. Bereits 1880, so vermerkt es Heschel unter Verweis auf die Historikerin Eva-Maria Kaffanke an, wurden deutsche Jesus-Darstellungen als „zu jüdisch“ kritisiert, sodass Künstler_innen Bemühungen unternahmen „orientalischere“ Modelle zu nutzen, zuerst Muslime und dann Deutsche. In der gleichen Zeit, so Heschel, begann u.a. der Religionshistoriker Robert Seydel aus Leipzig den Religionen, die als Buddhismus und Hinduismus bezeichnet wurden, eine geistige Verwandtschaft mit den Lehren Jesu zu attestieren, indem er die Kindheitsgeschichten Jesu und Buddhas verglich.

Seine Arbeit wurde häufig zitiert, um die angebliche „Indogermanische Natur Jesu“ zu belegen. Auch Arthur Schopenhauer und der unter dessen Einfluss stehende Richard Wagner rezipierten und verarbeiteten derartige Vorstellungen eines „buddhistischen“ und „arischen Jesus“ in ihren Werken. Während andererseits Nietzsche beispielsweise das Christentum nicht als „Gegenteil des Judentums“, sondern dessen radikale Form und somit definitiv aus dem Judentum stammend, identifizierte und daher weniger von Befürwortern eines „arischen Jesus“ zitiert wurde. Allerdings, so Heschel, findet sich auch bei Nietzsche eine buddhistisch beeinflusster Jesus und ein Hang zu Zarathustra, dem wiederum einige völkische Theologen den selben Rang wie Jesus zusprachen.

Es bedurfte aber eines weiteren Schritts, um aus dem „zu einem indischen Buddha stilisierten Jesus“ einen Symbol der militaristischen und nationalen Interessen Deutschlands zu machen, so Heschel. Eine wichtige Rolle spielte dabei, die Fokussierung auf die „immanente religöse Erfahrung“.

Der Theologe Arthur Bonus sah in der Verinnerlichung des transzendenten Gottes im Menschen, also der Immanenz Gottes „in uns“ den Schlüssel zur „germanischen Identität Jesu“, mit dem es möglich wurde die Tür zur Identifikation Hitlers und des Deutschen Volkes mit dem Göttlichen oder sogar der Personifikation Christi zu öffnen, so Henschel.

Der germanische Jesus

Huston Steward Chamberlain, ein begeisterter Anhänger des „Bayreuther Kreises“ und Schwiegersohn von Richard Wagner, konnte das Argument des „arischen Jesus“ in seinem „Best-Seller“: „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“, der 1899 erschien, weit verbreiten. Trotz des Mangels einer theologischen Ausbildung konnte er darin mit theologischen Argumenten aufwarten und identifizierte Jesus und dessen Lehre als zum größten Teil „arisch“ , im Unterschied zu dem „rassisch jüdischen“ Paulus, der nach Chamberlain eine pagane Prägung durch Hellenistische Mysterienkulte hatte, wodurch er wiederum auch eine Verbindung zu „indo-arischen Lehren“ hatte. Heshel fürt dazu aus, dass in Chamberlains Logik die „Indische Religion“ auch nicht frei von „semitischen Einflüssen“ war, aber den „germanischen Impuls“ der „reinen innerlichen religiösen Erfahrung“ bewahrt hätte.

Er berief sich bezüglich der Herkunft Jesu auf das „Argument“, nach dem im Galiläa des 1. Jh. nach Christus, aufgrund der assyrischen Invasion, die wohlgemerkt im 8. Jh. vor Christus erfolge, nur wenige Juden gelebt hätten, welche eine „laxe religiöse Praxis“ gehabt hätten und dem Hebräischen gegenüber „ignorant“ waren. Jesus war, so Chamberlain, seiner religiösen Erziehung nach „zweifellos jüdisch“, aber seiner „Rasse“ nach, als der eigentlichen Bedeutung von jüdisch, sehr wahrscheinlich nach nicht. Er hätte nach Chamberlain sehr wahrscheinlich „keinen tropfen jüdischen Blutes“ in sich gehabt. Chamberlain sah die „zerstörerische Bedrohung des Judentums“ u.a. im römischen Katholizismus „verborgen fortwirken“ und identifizierte im Gegenzug den Protestantismus mit dem „indogermanischen Genius“. Wobei Heschel anmerkt, dass er sich in seiner „Kritik“ des Katholizismus nicht wesentlich von der aus den protestantischen Reihen jener Zeit unterschied. Trotz der Kritik des Buches in theologischen Kreisen, hatte es eine breite Leser_innenschaft in der Bevölkerung und Kaiser Wilhelm der II war teilweise von den Chamberlains Bemühungen den deutschen Nationalismus in einem Christentum zu verankern, das von „jüdischem Unrat“ „gereinigt“ wurde, so beeindruckt war, dass er 10.000 Reichsmark dafür aufwendete, um dieses Buch landesweit in den deutschen Bibliotheken zu platzieren. Es gelang Chamberlain, so Heschel, mit seiner Schrift die „externen“ antisemitischen Kritiker_innen des Christentums aufgrund des jüdischen Einflusses auf es, mit den Christen Deutschlands zu vereinen, indem er Jesus als „nicht jüdisch“ und in seiner Religiosität als „Indo-europäisch“ charakterisierte. Seine Agenda der religiösen Erneuerung „ispirierte“ den Autor Gustav Frenssen zu seinem erfolgreichen „theologischen“ Roman „Hilligenlei“, in dem er die Evangelien als Allegorie zu Deutschland „rekonzeptualisierte“ und aus Jesus einen „Erlöser aus Schleswig-Holstein“ machte und von dem zwischen 1905 und 1944 250,000 Kopien verkauft wurden.. Heschel hält angesichts der Popularität dieser Bücher und der damit verbundenen Diskurse fest, dass es „unmöglich sei, dass viele der gebildeten Deutsche am Vorabend des I Weltkrieges nichts davon wussten, dass es die Behauptungen „Jesus sei kein Jude gewesen“, gab“.

Völkische Bewegungen und ihr Jesus

Völkische Bewegungen gab es sowohl außerhalb, als auch innerhalb der protestantischen Kirche. Eine Zentrale Frage der völkischen Christ_innen war die Tauglichkeit des Christentums für Deutschland. Einer ihrer Hauptideologen war Adolf Bartels, der später ein Mitglied des Eisenacher Instituts wurde und den Slogan vertrat: „Mehr Deutsches Christentum, weniger jüdisches Christentum.“. Henschel beschreibt weiter, dass es vor allem Pfarrer waren, die die völkische Bewegung mit ihren Ideen eines „germanisierten Christentums“, der Forderung nach Ausschluss des Alten Testaments und einem „arischen Jesus“, der gegen das Judentum kämpfte, in die Kirchen brachten und verweist dabei insbesondere auf den sehr umtriebigen, stark von Chamberlain beeinflussten, schleswig-holsteinischen Pfarrer Friedrich Andersen, welcher bereits 1907 das antisemitische Traktat „Anticlericus“ veröffentliche, in dem er den Ausschluss des Alten Testaments forderte. Dieser wurde von seiner Kirche daraufhin für sein Schrift „disziplinarisch gerügt“, allerdings nicht aufgrund des Inhalts, wie Heschel betont, sondern weil er sie ohne Genehmigung veröffentlichte. Im Zuge des ersten Weltkrieges radikalisierte er seinen Antisemitismus und machte „die Juden“ für selbigen verantwortlich. Im Jahr 1917 veröffentlichte er ohne einen Protest der Kirchenoberen zusammen mit drei anderen völkischen Autoren 95 Thesen zur Reform der Kirche und gründete vier Jahre später mit ihnen den Bund für deutsche Kirche, als erste formale Organisation in der Kirche, die für ein „deutsches Christentum“ warb. Die Völkische Bewegung, so Heschel, war beides eine Rebellion gegen die Kirche, ihre Autoritäten und Dogmen und ein Begeisterung dafür die neue Theologische Avantgarde zu sein. Andersen brachte 1921 das Buch „Der deutsche Heiland“ heraus, in welchem er eine „Erlösung ohne jüdische Trübung“ verkündete und 1923 unter Verweis auf ein Zitat Adolf von Harnacks, der selbst schrieb, dass die Elimination des Alten Testaments aus dem christlichen Kanon Luthers Reformation vervollständigen würde, rechtfertigte. Somit war Andersen, nach Heschel nicht mehr nur ein „verrückter Außenseiter“. Dies zeige u.a. auch der Ausdruck von „Meinungsverschiedenheit“ mit Andersen im moderat leisen Ton seitens des Kieler Theologieprofessors Otto Baumgarten in seinem Buch: „Kreuz und Hakenkreuz“.

Der Bund für deutsche Kirche in der Weimarer Zeit

Andersen setzte sich auf verschiedenen Ebenen für die Unterbindung des „zersetzenden jüdischen Einflusses“ auf die Kirche ein, so forderte er neben der Veränderung von Schrift und Liturgie auch die Unterbindung der Mission von Jüd_innen.

Juden jener Zeit beobachteten diese Tendenzen der Arisierung Jesu und reagieren darauf teils polemisch, indem sie die Abgrenzung Jesu vom Judentum ironisch „guthießen“, gleichzeitig aber in der Abgrenzung der völkischen Bewegung um Ludendorff von Jesus als Juden auch die Gefahr erkannten und vor einem möglichen weiteren Weltkrieg, den diese Gruppen auslösen könnten, warnten, so Heschel. Sie führt auch an, dass ein Gesuch des Pastoren Johannes Kunz auf der Synode in Brandenburg 1932, die zum Ziel hatte „alttestamentliche/hebräische/jüdische Elemente“, wie „zeva´ot“, „Zion“ oder „Amen“ aus der Liturgie zu entfernen, mit 180 zu 6 Stimmen abgelehnt wurde. Heschel macht deutlich, dass die Führer der Völkischen Christen am Christentum jener Zeit grundlegend kritisierten, dass es eigentlich um die Errichtung des Gottesreichs auf Erden gehen müsse und die Heiligkeit des Gottesreiches nur durch „rassischen Säuberung“ sichergestellt werden könne. Nach Ansicht der Deutschen Christen waren Charakter, Persönlichkeit, Kultur und Spiritualität nur Produkte der „rassisch imprägnierten Seele“. Umgekehrt seien nach dderen Ansicht nach an den Ausdrücken der Seele auch die „rassische Identität“ abzulesen, wie am Torso oder Kopf, so Heschel.

Die neue Ethik

Nach Heschel bot der arische Jesus als „politisches Symbol“ den Deutschen eine Identifikationsmöglichkeit für die eigene kulturelle Herkunft, während er als „ethisches Symbol“ eine Rechtfertigung für die Gräueltaten der Deutschen lieferte. Dies begann nach dem I WK. So konnte die Situation, die mit der Niederlage Deutschlands nach dem I. WK bestand, als eine „Kreuzigung Deutschlands durch seine Gegner“ interpretiert werden und Hitler konnte so wiederum Deutschland seine eigene „Auferstehung“ offenbaren. Statt selbstkritisch mit den kriegerischen und kolonialen Gräueltaten der Deutschen umzugehen, so Heschel, drehen die deutschen Theologen das ganze um und machen aus den Deutschen Soldaten „Opfer der Russischen Rache“. Sie identifizieren die Deutschen mit Christus und für „die Rache“ war im Gegenzug der alttestamentarische Gott verantwortlich, dem es an Mitgefühl mangelt und der „dem Massensterben gleichgültig gegenüberstand“. So wurden, wie Heschel zeigt, aus dem Alten und Neuen Testament zwei unterschiedliche Religionen, die zueinander in Opposition stehen. U.a. wurde „die Rache“ mit Verweis auf Jos. 6,21 als „alttestamentarische“ und somit „semitische“ Verhaltensweisen klassifiziert. Gleichzeitig unterdrückte die Identifikation Deutschlands mit Christus eine Verantwortung für die Gräueltaten der Deutschen im Zuge des Kolonialismus und des I. Weltkriegs. Die Gewalt gegenüber Jüd_innen im Deutschland der Weimarer Zeit stieg nach Heschel analog zu ihrer Etikettierung als „gewalttätig“ durch den Bund für deutsch Kirche.

Theologen wie Kurd Niedlich bemühten sich sogar, bspw. das Märchen der Gebrüder Grimm „12 Brüder“ als eine „Schweseterevangelium“, das Gott den Deutschen gegeben hat zu identifizieren und das sich besser zum Militarismus und Mord passte.

In der Theologie des „Eisenacher Instituts“ wurde der Antisemitismus genauso wie eine radikal überarbeitete Geschichte und Theologie des Christentums zur Basis für eine neue Ethik.

Dabei fand die Auseinandersetzung um die „arische Identität Jesu“ auch ihren Ausdruck im Diskurs um bildliche/künstlerische Darstellungen vor allem des Leidens Jesu. Während gerade nach dem 1. WK der Isenheimer Altar mit seiner einzigartigen Leidens-Darstellung der Kreuzigung Jesu für die leidenden Kriegsversehrten Veteranen eine Identifikationsmöglichkeit bildete, und dementsprechend als „verblüffende ähnliche Repräsentation der Nachkriegsqualen“, und vermeintlich „als nur für die Deutschen, die die „nordische Botschaft“ des mittelalterlichen Künstlers Matthias Grünewald bedeutend, verstanden“, gedeutet wurde, wurden der Todeskampf und die Kreuzigung ansonsten als „unheroisch“ und der Nationalsozialistischen Bewegung nicht entsprechend aufgenommen. Beispielsweise wurden Kreuzesdarstellung zeitgenössischer expressionistischer Künstler, die das Leiden stärker thematisierten als inakzeptabel und „entartet“ gekennzeichnet. Heschel führt hier u.a. die Kreuzigungsdarstellung Emil Noldes in dessen Polyptychon „Das Leben Christi“ an, dass physische Qualen Jesu am Kreuz zeigt, und bei der Femeausstellung „Entarte Kunst“ ausgestellt wurde. Wichtig ist aber dabei zu bedenken, dass Emil Nolde trotz seines Berufsverbots durch die Nazis ein bekennendes NSDAP Mitglied und Verfechter der NS-Ideologie war. Beachtenswert finde ich, dass auch in Noldes Bildfolge ein blondes Jesuskind, bzw. ein rothaariger Jesus von seinem dunkelhaarigen Umfeld abgegrenzt wird, das m. E. stellenweise ebenso Ähnlichkeiten zu den Judendarstellung aus dem Stürmer aufweisen könnte und nicht zwingend auf seine expressionistische Farbverwendung und Darstellungsweise zurückzuführen ist. Siehe u.a. der 12-Jährige Christus 1911.Siehe dazu u.a.: https://blog.staedelmuseum.de/keine-schwarz-weis-malerei-emil-nolde-im-nationalsozialismus/

Im Gegenzug so Heschel musste Jesus in seinen bildlichen und literarischen Darstellungen zu einem „heroischen, aggressiven, männlichen Krieger“ werden, dessen Leben und nicht sein Tod im Vordergrund stand. Am Ende sollte sein Tod, als direkter Auftakt zu seiner großartigen Auferstehung verstanden werden, wie es Grundmanns Interpretation des Iseneimer Altars von 1940 vorgab. Im Jahr 1935 wurde in einem der wenigen Kirchenbauten des dritten Reichs ein dem Christusbild der Nazis entsprechendes Wandgemälde der Kreuzigung und einer Auferstehung geschaffen. Die Kreuzigung zeigt einen blonden, muskulösen, und gutaussehenden Jesus, der aufwärts starrt, und zu seiner linken von einem Centurio zu Pferd flankiert wird und zu seiner rechten von einem „abscheulichen“ Juden mit langem schwarzen Haar und einer hervorstehenden Nase am Kreuz, der stark an die antisemitischen Darstellung von Juden in der Zeitung „Der Stürmer“ erinnert. Heschel merkt an, dass in einer thüringischen Kirchen wurden sogar das Kruzifix zur Seite bewegt und durch Bilder von Hitler und Luther ersetzt wurde.

Umstritten war die Stellung von Paulus in Bezug auf die vermeintliche Verdunkelung der arischen Identität Jesu. So wurde Paulus, wie „den Juden“ , die Schuld an der Verfälschung des Evangeliums und eine jüdische Uminterpretation der Christlichen Theologie zugeschrieben, und von andere Seite wurde Paulus u.a. durch den damals sehr prominenten Theologen Ernst Hirsch als der größte Gegner des Judentums verstanden, der nach Otto Borchert um ihre Menschenfeindschaft und Gottlosigkeit wusste. Hier hört man meines Erachtens die antijudaistische Interpretation von 1. Thessalonicher 2,14-16 heraus.

Heschel stellt heraus, dass sich das Bild der Zärtlichkeit Jesu, die zuvor bei Renan Merkmal seiner erhabene spirituelle Größe war und „Weiblichkeit“ erlaubte, sich in den 20er und 30er Jahren zu einer harten Männlichkeit wandelte, die keine Schwäche duldete und u.a. in der „germanisierten Variante“ der Bergpredigt von Reichsbischof Ludwig Müller 1936, als einem militaristischen Krieger-haften Traktat ihren Ausdruck fand.

Juden wurde die Konversion zum Christentum mit Rassistischen Begründungen untersagt, die Mission ihnen gegenüber eingestellt und nichtarische Kirchenangestellte wurden entlassen, und die Teilnahme am kirchlichen Dienst untersagt, sowie getauften Juden die Seelsorge verwehrt.

Das Judentum wurde im Unterschied zur „Herzensreigion“ Christentum, welches sich durch seine Innigkeit mit Gott als von diesem differenzierte als amoralische und gewalttätige Religion identifiziert, indem Grundmann den ersten Makkabäerbrief in einer bestimmten Tendenz über das Verhalten von Juden gegenüber Nicht-Juden las.

Assyriologie und Galiläa

Als ein weiteres, weniger beachtetes Bezugsfeld das half aus dem Juden Jesus einen „Arier“ zu machen, stellt Heschel die Assyriologie heraus. So war es vor allem die Arbeit des deutsch-jüdischen Historikers Heinrich Graetz, die Houston Steward Chamberlain bei seiner Darstellung Galiläas nutze, wobei dieser selbst keine „arische Identität“ der galiläischen Bevölkerung behauptete.

Nach Graetz unterschieden sich die Galiläischen Juden begründet durch ihren Minoritätsstatus in der Region Galiläa vor allem in ihrer laxen religiösen Haltung und ihrer geringen theologischen Bildung von den Juden in Judäa, was sie empfänglich für vermeintliche Messiasse wie Jesus machte und auch ihre Opposition zum Judäischen Judentum begründete.

Die Theorie der Arischen Identität Jesu übernahm Chamberlain hingegen maßgeblich von dem Assyriologen Paul Haupt, der 1908 Direktor des Orientalischen Seminars an der John´s Hopkins Universität war und behauptete Jesus sei ein Nachkomme von „arischen“ (Iranern/Persern) Kolonisten in Galiläa, die während der Assyrischen Besatzung an Stelle der Juden, die nach Babylon entführt wurden, dort angesiedelt worden wären. Allerdings geben dies die Primären Quellen 1. Makkabäer nicht wieder, so Heschel. Andere Assyriologen so schreibt sie, gingen sogar soweit die Jesusgeschichten in den Evangelien sowie die Mosesgeschichte und die von Paulus als „veränderte Abschriften des Gilgamesh Epos“ zu deuten und weiteten diese Theorie sogar auf die gesamte Literatur von des ATs, des Islams, Ägyptens, Indiens und der Teutonen aus, oder assoziierten den „Jesus-Mythos“ mit dem Babylonischen Gott Bel-Merodach.

Jesus als Galiläischer Menschensohn, nicht Messias

Für die Ideologen um Grundmann war, wie für die meisten Theologen jener Zeit, die an den Universitäten ausgebildet wurden, das methodische Arbeiten der sog. Religionsgeschichtliche Schule maßgebend. Ihre Grundannahme war es, die biblischen Texte im Kontext der religiösen Überzeugungen ihrer jeweiligen Zeit und unabhängig von ihrer Kanonizität zu betrachten.

Dementsprechend wurde zwischen dem Glauben und der Verkündigung Jesu und der Botschaft der Evangelien unterschieden. Da dementsprechend die Annahmen bestanden, dass die Autoren der Evangelien einem „jüdischen Milieu“ entstammten oder selbst „Juden“ waren, konnten Grundmann und andere für eine vermeintliche „jüdische Verzerrung“ der Evangelien argumentieren. So wurde es mittels des religionsgeschichtlichen Arbeitens einerseits möglich, dass Theologen sich historisch kritisch gegenüber Dogmen mit der Persönlichkeit Jesu und den Schichten der Evangelien auseinandersetzten aber andererseits auch, dass sie Jesus Auseinandersetzung mit „den Juden“ als Allegorie zur sog. „Judenfrage“ ihrer Zeit zu interpretieren.

Eine weitere wichtige Unterscheidung zwischen Judentum und „arisch-jesuanischem“ Christentum erfolgte auf Grundlage der Unterscheidung zwischen den Titeln „Sohn Gottes“, „Messias“ und „Menschensohn“. Zunächst war die Annahme in der Religionshistorischen Schule sehr verbreitet, dass Jesus nicht der in den jüdischen Schriften versprochene Messias war. Im Gegenteil ordnete man den Titel Menschensohn, obwohl er zuerst im AT vorkommt, so Heschel, dem Kontext des Hellenismus und einem „Gemisch aus indischen, persischen und griechischen, aber nicht jüdischen Vorstellungen“ zu. Maßgeblich nennt Heschel hier Wilhelm Bousset, der Professor für Neues Testament an der Universität Göttingen war.

Entscheidend ist dabei aber auch, dass dieses „Gemisch“ an Vorstellungen verschiedenster Kulturen, Heschel spricht hier polemisch von einem „Hexentrank“, als „orientalisch“ identifiziert wurde. Damit wurde „der Orient“ vom Judentum abgegrenzt und wurde als „Unterbrechung“ der direkten Übertragung des Judentums ins Christentum in Stellung gebracht, die eine Genealogie für die Deutschen und ihre reinen „arischen Wurzeln“ lieferte. Die Originalität von Jesu Glauben wurde dadurch „wiederhergestellt“, so Heschel, dass man ihn vom Judentum, seinen Propheten und Rabbis entfernte und anstelle dessen als eine „heroische Figur mit einem mutigen Glauben an Gott“, der ihn unversöhnlich gegen die falsche Frömmigkeit seiner Zeit aufstehen lies, inszenierte. Dazu gesellte sich die ebenfalls von einem Göttinger Neutestamentler Walter Bauer vertretene These, dass Jesus ein Galiläer, „in Opposition zum judäischen Judentum“ war, der aber keine Gemeinschaften in Galiläa hinterließ, da die dortigen hellenisierten Juden ihn auch nur als Prophet, Zeichenwirker und nicht als Menschensohn verstanden hätten. Bedingt durch die Assyrische Invasion im Jahr 734 und 722 v. Chr. sei die Bevölkerung in Galiläa, wie bereits von Assyriologen behauptet zum größten Teil „arisch“ gewesen, sodass der Theologe Emanuel Hirsch, als Nazisympatisant ohne Beleg behaupten konnte, dass im Jesu Blut „kein Tropfen jüdischen Blutes gewesen sei“.

Als ein anderes Rezeptionsgeschichtlich wichtiges Beispiel nennt Heschel den Breslauer Neutestamentler Ernst Lohmeyer, der selbst nach ihrer Aussage nach „weder Nazi noch Rassist war“ und Probleme wegen der Unterstützung jüdischer Kollegen bekam. Jedoch wurde seine Unterscheidung zwischen einer Kritik des messianischen Verständnis Jesu durch die „Judenchristen“ in Judäa/Jerusalem, die wussten dass Jesus ein Galiläer war und nicht aus Bethlehem, als prophezeitem Herkunftsort des Messias, stammte und einem Heidenchristlichen Verständnis Jesu in Galiläa von den völkischen Christen aufgenommen und weiterverarbeitet. Er selbst entnahm diese Dichotomie der grundlegenden Unterscheidung Ferdinand Christian Bauers in Juden- und Heidenchristliche Gemeinden und „verortete“ diese geografisch. Sein Ausgangspunkt war dabei die Frage nach der Messianität Jesu in Joh. 7:41 und er argumentierte für eine zweigeteilte Eschatologie der frühen Christen.

Diese Theorie wurde von den antisemitischen Theologen seiner Zeit als Belege für einen nicht-jüdische galiläische Identität Jesu „ausgenutzt“, so Heschel. Obwohl Lohmeyer selber die Galiläer nur als „Heiden“ und nicht als „Arier“ identifizierte, konnte Johannes Leipoldt ein Professor der Universität Leipzig, der später dem Institut in Eisenach beitrat und einen Jesus in Opposition zum jüdischen Messianismus präsentierte, sich auf ihn berufen und die religiöse Differenz „rassistisch füllen“. Auch wenn über Jesus Herkunft aus dem Judentum debattiert wurde, schreibt Heschel, war man sich bezüglich der Bewegung um ihn herum ziemlich einig, dass sie eher im „griechisch römischen Bereich“ anzusiedeln war, als im „jüdischen“. So stellt Heschel abschließend heraus, dass sogar Adolf von Harnack, als einer der größten Historiker des Christentums es als Fakt verbuchte, dass die Religion Jesu keinerlei Wurzeln im Judentum oder auf semitischen Boden schlagen konnte. Denn, da muss etwas in dieser Religion gewesen sein, dass mit dem „freien griechischen Geist“ verbunden war. Er war sich sicher, so zitiert ihn Heschel, dass das Christentum bis „heute“ griechisch geblieben ist.

Schlussfolgerung

„Verschiedene Pfade“ führen nach Heschel auf „den Berg, der geschaffen wurde, um den „arischen Jesus“ zu belegen“. In der Zeit in der Grundmann und seine Kollegen vom Institut begannen die „Entjudaisierung“ der Kirche zu fordern, konnten sie einfach die Argumente benutzen, die bereits von verschiedensten vorhergehenden Generationen von Theologen, Philosophen, Intellektuellen und Demagogen vorgebracht wurden und darauf verweisen und beharren, dass Jesus kein Jude war, dass Galiläa von Nicht-Juden bevölkert war und das „Judentum“ ein gewalttätige Religion ist, die alle Christen unterdrückt. Für einige fungierte die Abtrennung Jesu vom Judentum als „Bestätigung der deutschen Identität“, oder als bloße Abwertung der Juden, während es für andere in einer Ära der neuen Begeisterung für den Orient, eine echter Versuch war „neue intellektuelle Genealogien der Religion zu entdecken“, so Heschel. Christliche Theologen, die lange nach eine klaren Unterscheidung zwischen Jesus und den anderen Juden seiner Zeit suchten, waren dankbar für Möglichkeiten Jesus Einzigartigkeit ungeachtet der historischen Kontextualisierung bewahren zu können.“ (frei übersetzt nach Heschel 64) „Der jüdische Jesus mit seiner Botschaft für die ganze Menschheit (so formuliert sie es sehr treffend) wurde ersetzt durch einen „germanischen Jesus“ mit einer Botschaft in Übereinstimmung mit Deutschlands militärischen und rassischen Ziel der Vorherrschaft über Europa.“

„Antisemitismus vereinte die verschiedenen theologischen Methoden und Impulse und brachte Leidenschaft zur Religion. Wie der Deutsche Christ Christian Friedrich Wienecke sagte: „Nicht was wir denken, sondern was Gott will ist entscheidend.“, das Problem war, dass sie dabei scheiterten zwischen Gott und Hitler zu unterscheiden.“ (Henschel, 66.)

Eigene Bemerkungen zu dem Thema und dem Ersten Kapitel Heschels:

1. Ich bin durch die Recherche zu Frau Susannah Heschel auf einen Vortrag von ihr, der auf Youtube hochgeladen wurde, aufmerksam geworden, in dem sie den Inhalt ihres Buches sehr knapp und verständlich zusammen fasst: https://www.youtube.com/watch?v=hnnggA-mIJI Darüber hinaus bin auf über sie auf ihren Vater den interessanten Rabbiner Abraham Joshua Heschel aufmerksam geworden, der u.a. gemeinsam mit Martin Luther King für die Gleichberechtigung und gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit stritt und sich dabei vor allem auf die Propheten der hebräischen Bibel berief. (Evtl. in der derzeitigen Situation in den USA und weltweit noch einmal besonders interessant)

2. Versatzstücke derartiger antisemitische und „arischer“ Jesusbilder, wie sie Frau Heschel nachzeichnet, existieren so absurd sie „uns“ teilweise auch erscheinen mögen meiner Meinung und Erfahrung nach in unterschiedlichen Schattierungen und auf unterschiedlichen Ebenen immer noch, bzw. bieten selbst vermeintlich neutrale „Erkenntnisse“, wie sie im Fall Lohmeyers zeigte, das Potential für derartige Auslegungen. Ich denke es ist daher die beständige Aufgabe der Theolog_innen und der Kirchen selbstkritisch an diesen zu arbeiten.

Ein Beispiel dafür ist sicherlich auch die immer wieder einmal aufkommende Debatte um die sog. „Judenmission“, die von der EKD, wie ich finde aus gutem Grund abgelehnt wird.

3. Dass es bezüglich des Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben weiterer Aufarbeitung und der Etablierung einer Erinnerungskultur bedarf, ist unbestreitbar und längst überfällig. Allerdings denke ich auch, dass es dabei nicht stehen bleiben darf sondern, wenn es wirklich ernst genommen wird, sollten gerade auch immer wieder die antisemitischen Verstrickungen bspw. Adolf von Harnacks bei Gedenktagen o.ä. thematisiert werden, ohne sie lediglich durch historische Kontextualisierungen „man muss es in seiner Zeit sehen“ zu „entschuldigen“.

4. Darüber hinaus sensibilisieren mich die Betrachtungen Heschels zu bildlichen Darstellungen zum einen für antisemitische Stereotype, wie Sie bspw. bei einem AfD Post gegen Martin Schulz Anwendung fanden, andererseits sind damit auch immer wieder die Darstellungen von Jesus Christus, Heiligen oder Propheten und Aposteln der Kirchen kritisch zu hinterfragen, die weiterhin präsent und prägend sind und in Schule, Uni oder Kirche immer wieder thematisiert werden sollte. Auch sollte dabei die Bedeutung dieser Bilder im kolonialen Zusammenhang, was Heschel nur andeutet, thematisiert werden.

Eine weitere Anregung, die ich vor allem aus Heschels Vortrag und Äußerungen ihres Vaters entnehme, ist es sich als Christ mit jüdischem Leben, auseinanderzusetzen.

Hannah Mälck:
Zusammenfassung: Martin Leutzsch: Umgang mit Antijudaismus im Neuen Testament nach der Shoah: Am Beispiel von Joh 8,44

Leutzsch behandelt in seinem Beitrag die Frage, welche Konsequenzen in Bezug auf antijudaistische Bibelstellen heute gezogen werden müssen. Dabei stellt er einige Methoden vor, wie mit Antijudaismus in der Bibel verfahren werden kann.

Zum Einen wird die Kategorie des Vorwortes zum jeweiligen biblischen Buch vorgestellt. Diese Methode wird bereits verwendet, z.B. beim Bibelübersetzungsprojekt „The People´s Bible“. Durch Vorbemerkungen oder ein Vorwort können begründete Distanzierungen von antijudaistischen Äußerungen in der Bibel erfolgen und der historische Kontext wird erklärt. Dies setzt jedoch einen verantwortungsbewussten Umgang mit solchen Versen voraus, denn konsequenterweise müssten dann alle Bibelstellen kontextualisiert werden und nicht nur diejenigen, die „einem nicht zusagen“ (vgl. Gerd Theißen). Es würde dann ein „unzulässiger opportunistischer Gebrauch historischer Methodik“ (vgl. Gerd Theißen) ausgeführt werden.

Zum Anderen besteht die Möglichkeit, dass Anmerkungen, Sacherläuterungen oder ein Glossar erstellt werden. Solch ein Verfahren wandte bereits Luther an, indem er Randbemerkungen an Bücher (Hebr, Jak) schrieb, die aus seiner Sicht irrtümlich sind. Dabei können Querverweise am Rand oder im textkritischen Apparat vermerkt werden. Beispielsweise würde Joh 4,22 als Randbemerkung zu Joh 8,44 eine klare Relativierung erzeugen und deutlich machen, dass es sich hierbei nicht um eine ausdrücklich antijudaistische Aussage eines Christen gegen das jüdische Volk handelt, sondern dass darin eine innerjüdische Debatte zu lesen ist.

Des Weiteren stellt Leutzsch diejenige Methode vor, die „die Juden“ in Anführungszeichen setzt. Damit tritt erneut eine Distanzierung ein. Dieses Vorgehen weist auf die Kontexte hin, in denen der biblische Text gelesen und interpretiert werden muss. Denn die damalige jüdische Realität muss klar von der heutigen differenziert und darf nicht instrumentalisiert werden (wie im Nationalsozialismus).

Daneben können Zwischenüberschriften der Klärung dienen. Mit diesem Verfahren muss jedoch vorsichtig umgegangen werden aufgrund der starken Lenkkraft des Lesers. Sie veranlassen den Leser den Text in der vom Übersetzer her gedachten Interpretation zu deuten.

Schließlich kann der Einsatz von Klammern erfolgen, die kontroverse Bibelstellen analysieren und dem Laien eine differenzierte Sicht ermöglichen.

Auch Auslassungen solcher oder die in der ursprünglichen Form gehaltenen Verse sind möglich, verbergen jedoch Schwierigkeiten. Einerseits können ungeübte Leser diese Bibelstelle nicht übersetzen und sie bleibt ihnen unzugänglich, was das Wort Gottes keinesfalls sein darf. Andererseits wird durch Auslassungen zensiert, was dem Menschen nicht im Zusammenhang mit der Heiligen Schrift obliegt.

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Überblick: „Anti-Judaism and the Fourth Gospel” von R. Bieringer (zusammengefasst von Luise Maidowski)

Der Autor beschreibt in seinem Aufsatz die wissenschaftliche Arbeit des Leuen Kolloquiums, das sich in mehreren Arbeitsphasen von 1998 an mit der Frage des Anti-Judaism im Johannesevangelium auseinandergesetzt hat. Neben einer kurzen Beschreibung der verwendeten Methoden, werden Erkenntnisse der neuen Johannesforschung, die eng mit der New Perspective of Paul verbunden ist, vorgestellt und die Frage nach der Wirksamkeit und dem Einfluss der wissenschaftlichen Arbeit 50 Jahre später untersucht. Es erscheint ihm als wichtig, dass das Leuen Kolloquium interdisziplinär gearbeitet und interreligiöse und ökumenische Dimensionen aufgenommen hat. Die Antworten der gestellten Frage (S. 262f) zu dem Thema der Untersuchung fallen divers und vielschichtig aus und zeigen die Komplexität der Thematik auf. Bieringer selbst schreibt dem Johannesevangelium anti-judaistische Elemente zu (wie er zwischen anti-judaistischen und anti-jüdischen Elementen unterscheidet, beschreibt er in diesem Aufsatz nicht genauer) und betont, dass diese für die Theologie des JohEvg ein gefährliches Potenzial innehaben, das über den Konflikt im 1 Jh n Chr hinaus bis in unsere Zeit reicht. In einem hermeneutischen Zugang könne dieses Potenzial, so Biering, verkleinert werde; wichtig hierbei ist die (exegetische und theologische) Betrachtung des Textes in seinem Kontext.

Als Beispiel für die neue Johannesforschung steht die Interpretation des Begriffes οἵ ἰουδαῖοι: Johannes nutzt nach Biering dieses Wort in seinen Texten in einer beispiellosen Polemik, die sich allerdings nicht gegen Juden als Ethnie oder als Glauben richtet, sondern vielmehr gegen Menschen, die in der gleichen Ethnie/im gleichen Glauben wie Johannes sind, allerdings nicht an Jesus als Christus und Sohn Gottes glauben. Diese Unterscheidung, so die neue Johannesforschung, birgt ein durchaus gefährlicheres Potential, da es zwischen den „Guten“ und „Schlechten“ unterteilt und keinen Raum für Nicht-Jesus-Anhänger*innen lässt. Die anti-jüdischen Elementen des Johannesevangeliums stehen in einer Spannung mit der inklusiven Zukunft des Heils und diese Spannung, so bemängelt Bieringer, wird bis heute nicht genügend in einem interreligiösen und interdisziplinären Dialog untersucht.

[Kurze Anmerkung zu Joh 8,31-59: Bieringer verweist auf Reinhartz, der diese Stelle aus der jüdischen Perspektive untersucht und dabei den Versuch der Bewahrung des monotheistischen Glaubens nach innen und eine nach außen sich als Glaubensgemeinschaft konsolidierende Gruppe sieht. (S. 253)]

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Karl Hollerung

Noch einige Gedanken zu Bieringer

Im zweiten Abschnitt des Textes von Reimund Bieringer beschäftigt sich dieser mit der Forschung, die seit dem Kolloquium in Leuven (Belgien) stattgefunden hat, das im Jahre 2000 zum Thema Antijudaismus im Johannesevangelium stattfand. Da Frau Maidowski den Text bereits sehr gut zusammengefasst hat, werde ich im Folgenden lediglich zentrale Ergebnisse dieser Forschung kurz zusammenfassen und kommentieren.

Eine wichtiges Ergebnis, das bereits von Frau Maidowski genannt wurde, ist, dass der Evangelist Johannes mit „Juden“ nicht Angehörige eines fremden Volkes gemeint habe, sondern Angehörige seines Volkes, die nicht wie er Jesus als Messias anerkannt haben. Die gegen Juden gerichteten Stellen richten sich also nicht gegen Juden allgemein und verurteilen auch nicht pauschal die jüdische Religion, greifen aber sehr wohl alle Juden an, die die Messianität Jesu nicht anerkennen. Dies stelle für den jüdisch-christlichen Dialog natürlich ein Problem dar, da das Johannesevangelium Juden keine Möglichkeit biete, Jesus als Messias abzulehnen und trotzdem gute Juden oder überhaupt gute Menschen zu sein. Dieses Problem lasse sich dadurch lösen, indem die zentrale Botschaft des Johannesevangeliums betont werde, nämlich die Liebe Gottes zu allen Menschen. In der heutigen Zeit müsse aber besonders betont werden, dass diese Liebe allen Menschen gelte und nicht nur den Christen (251-254).

Ich persönlich denke und glaube, dass es einen großen Unterschied mache, ob man den historischen Jesus und sein Wirken in seinem historischen Umfeld erlebt hat und ihn dennoch ablehnt, oder ob man ihn ablehnt, weil man ihn nie persönlich erlebt hat und entweder in eine nichtchristliche Familie hineingeboren wurde oder durch schlechte Vorbilder dem Glauben entfremdet wurde.

Ich denke auch, dass zu berücksichtigen sei, dass in der jüdischen Überlieferung vielfach sehr negativ über Jesus berichtet wird und seine Hinrichtung mehrfach als legitim nach halachischem Recht und von Juden durchgeführt beschrieben wird (u.a. Talmud, Maimonides, Toledot Jeschu). Dies ändert nichts daran, dass Juden viel zu oft durch die Hand von Christen schweres Unrecht und noch schlimmeres erlitten haben. Das jüdisch-christliche Verhältnis ist kein einfaches und ein Dialog eine größere Herausforderung, als man es gerne hätte. Dies liegt auch daran, dass es meiner Meinung nach eine hundertprozentig eindeutige Trennung zwischen Juden- und Christentum nicht gibt, auch wenn überzeugte Vertreter beider Religionen das nicht wahrhaben wollen. Man kann auch heute als Jude an Jesus als Messias glauben und trotzdem Jude bleiben, genauso wie die ersten Christen dies auch taten. Zu berücksichtigen ist beim jüdisch-christlichen Verhältnis natürlich auch, dass das jüdische Volk Gottes auserwähltes Volk ist und bleiben wird, unabhängig davon, wie die Mehrheit der Juden von Jesus denkt.

Frau Tack geht in ihrer 2015 geschriebenen Dissertation nochmals speziell auf Johannes 14, 6 ein („niemand kommt zum Vater denn durch mich“) (258). Sie kritisiert darin den Absolutheitsanspruch der Stelle und das Fehlen des Heiligen Geistes darin. Gerade die Dreifaltigkeit zeige doch, dass Einhalt in Vielfalt möglich sei. Meines Erachtens ist dies ein sehr kreativer, aber keineswegs befriedigender Ansatz, um das Grundproblem der Vereinbarkeit des Neuen Testamentes mit den Toleranzvorstellungen unserer Zeit zu lösen. Ein anderer Ansatz von ihr ist der Gedanke, Johannes 14, 6 mit den Versen 2 und 3 desselben Kapitels zu relativieren („Im Hause meines Vaters befinden sich viele Wohnungen [ff]“) (258). Aber auch das greift letztlich zu kurz, da damit offensichtlich gemeint ist, dass jeder Mensch die Möglichkeit habe, an Jesus als seinen Retter zu glauben und so erlöst zu werden. Das von ihr gestellte Grundproblem wird damit in keiner Weise gelöst. Auch ihr Argument, mit den „ich bin“-Sätzen sei nicht gemeint, dass Jesus identisch mit dem Licht, der Wahrheit und dem Leben sei, sondern dies einen literarischen Vergleich bedeute, überzeugt mich nicht wirklich, aber vielleicht verstehe ich schlicht nicht genug von altgriechischen Stilmitteln, um dieses Argument angemessen zu würdigen. Das meine ich im Übrigen ganz ohne Ironie.

Zusammenfassung: De Jonge, Jan: “The Jews” in the Gospel of John (Charlotte Wagner)

In seiner Exegese „‘The Jews‘ in the Gospel of John“ behandelt Jan de Jonge Johannes 5-12 und zeigt, wie die johanneische Erzählung zugleich eine literarische und narrative Ebene bedient, von der aus er eine eigene, radikale Christologie innerhalb seines Lebenskontextes vertritt und nach außen hin vor allem Kritik an seinen innerchristlichen Gegnern übt.

Das Johannesevangelium zeichnet sich auf den ersten Blick durch eine deutliche anti-judaistische Polemik aus. Jedoch, so möchte der Autor zeigen, sind die polemischen Beschreibungen und Streitgespräche zwischen Jesus und „den Juden“ Teil eines Kommunikationsgeschehens, welches sich vom Autor des Johannesevangeliums gegen die innerchristlichen Gegner seiner eigenen johanneischen Gemeinde am Ende des ersten Jahrhunderts richtet (S. 122).

Da der Evangelist seine Version des Lebens und der Passion Jesu darstellen möchte, muss er in seinem Text auf aktuelle Situationen antworten, das heißt aktuelle Gegenargumente und Streitpunkte mit der Lebensgeschichte Jesu verbinden, um seinen eigenen theologischen Standpunkt zu unterstreichen. Die Gegner seiner Gemeinde werden also im übertragenen Sinne als „Juden“ bezeichnet, um die von ihm empfundene Parallelität zur Situation Jesu aufzuzeigen (S. 122).

De Jonge unterstreicht seine Argumentation anhand von zwei Textbefunden.

Zum einen sind die Streitpunkte zwischen „den Juden“ und Jesus in den Kapiteln 5-12 stets theologischer Natur und behandeln die johanneische Theologie der Gemeinde des 1. Jahrhunderts, Jesus sei als Gesandter und Sohn Gottes dem Vater gleich (vgl. Joh 10,13).

Obwohl die implizite Betonung der Transzendenz des irdischen Jesus zu theologischen Brüchen führt, verstehen sich die Gegner des Johannes selbstverständlich als Christen, jedoch mit einem unterschiedlichen Verständnis der Person und Rolle Christi (S. 122f.). Die göttliche Sendung Jesu an sich wird auf der Textebene nicht hinterfragt – etwas, das im Gespräch mit „echten“ Juden innerhalb der Erzählung des Evangeliums durchaus dringender wäre (S. 123).

Daran anknüpfend argumentiert De Jonge, dass Jesu Reden als Reaktion auf die ablehnende Haltung der „Juden“ ihm gegenüber auf einem positiven grundlegenden Interesse an ihm und seiner Person basieren. Hierdurch greift Johannes die theologischen Diskussionen seiner Zeit auf und thematisiert einen innerchristlichen Diskurs. Authentische jüdische Positionen finden hier keinen Platz, da der Autor selbst nicht in Kontakt zu Juden steht, was sich an seiner verzerrten und nur sehr oberflächlichen Beschreibung der jüdischen Gesellschaft zeigt (vgl. Joh 18/19).

Es zeigt sich also ein doppelter Bedeutungshorizont der Aussagen des Johannesevangeliums. Der hermeneutische Bezug zu der Lebensrealität des Autors beeinflusst maßgeblich den Argumentationsverlauf und richtet sich vor allem gegen innerchristliche Gegner der johanneischen Gemeinde seiner Zeit: “[…] the Jews can refer to the characters in the biographical story of Jesus and at the same time represent a group of non-Johannine Christians with whom the author is engaged in a dispute.” (S. 125)

Im Folgenden sei auf biblische Befunde De Jonges hinzuweisen.

Joh 5 eröffnet Jesu Wirken in Jerusalem durch die Wunderheilung des Gelähmten am Teich Betesda. Da diese am Sabbat geschieht und sich Jesus im Anschluss als ebenmäßig mit „dem Vater“, durch dessen Sendung er wirke, beschreibt, erwirkt sie harsche Kritik durch traditionelle Juden, die schließlich dessen Tod ersehnen (Joh 5,18).

Es sei aber nicht die wundersame Heilung durch Jesus selbst, die Unmut provoziere, sondern dessen unmittelbarer Bezug zu Gott, in dessen Vollmacht und Namen er vorgibt zu wirken – ein zentraler theologischer Streitpunkt zwischen der johanneischen Gemeinde und anderen Christ*innen seiner Zeit (S. 126).

Jesu Rede in Joh 5,19-47 unterstreicht dies; die Selbstbezeichnungen als „Sohn“ (Joh 5,19), der das eschatologische Gericht über die Welt und die Kontrolle über die Auferstehung der Toten übertragen bekommen habe (Joh 5,22-30) als Inkarnation der göttlichen Heilsankündigung für Israel (Joh 5,36-37), wird nicht hinterfragt. Es ist die Exklusivität Jesu, die in 5,25 zur Sprache kommt und die Einleitung der Heilszeit im (der Gemeinde erzählten) „Jetzt“ wirkt, die ihn als anders als alle anderen Propheten (zum Beispiel Mose, vgl. Joh 5,46) betont und ihn gleichzeitig in eine Linie mit ihnen stellt. Die Grundlegende Anerkennung Jesu ist also deutliches Indiz für einen hermeneutischen Bezug, der innerchristliche Debatten zu lösen versucht: “[…] people who accept that Jesus is the Son of God, that he is sent by God, and that he is the Son of man must be Christians.” (S. 127)

Joh 6 erzählt in dreifacher Ausführung von der Ablehnung Jesu durch, zum einen, „das Volk“, „die Juden“ und eigene Jünger*innen in Abgrenzung zu den Zwölfen, insbesondere Petrus, nach der Speisung der 5000, der Seewanderung und Jesu Rede über ihn selbst als „das Brot des Lebens“ (Joh 6,35). An Jesu Rede in Joh 6,41-59 und der Reaktion der Hörenden in Joh 6,60-66 zeigt sich, dass der Autor des Evangeliums diejenigen Menschen herausstellen und doppelt betonen möchte, die nicht im johanneischen Sinne an Jesus glauben, sondern ihn höchstens als von Gott gesandten Messias und Prophet betrachten – eine Anschuldigung, die für Johannes maßgeblich über „echten“ und „falschen“ Glauben entscheidet (S. 127f.).

Die erste Szene des siebten Kapitels, 7,1-13, erzählt von der Tötungsabsicht der traditionell geprägten „Juden“ in Galiläa gegenüber Jesus in Reaktion auf Jesu Anspruch auf seine Göttlichkeit in 5,17-18. Da sie zur Zeit des historischen Jesus die dominante religiöse Gruppe darstellten, sind sie es auch hier, die Johannes für seine metaphorische Darstellung der vielen Gegner seiner eigenen Gemeinde nutzt. Die Tatsache, dass Jesus alleine nach Jerusalem geht und verdeckt am Laubhüttenfest teilnimmt unterstreicht die Parallele, in der sich Johannes‘ Gemeinde als Außenseiterin im öffentlichen und religiösen Leben befunden haben muss (S. 128)

Im Tempel richtet sich Jesus an „die Juden“, obwohl ihm klar ist, dass diese ihn töten wollen, er sie sogar direkt darauf anspricht (Joh 7,19) und damit eine Grundsatzdiskussion über mögliche oder verbotene Heiligungen am Sabbat initiiert. Die Situation eskaliert, entsprechend johanneischer Theologie, aber erst, als sich Jesus als „aus dem Vater kommend“ beschreibt (7,29; S. 129) und „die Juden“ in fest zu nehmen versuchen. Die Möglichkeit, dass Jesus der „Christus“ sein könnte, wird jedoch nicht bestritten und seine Vollmacht zumindest anerkannt: „Sollten unsere Oberen wahrhaftig erkannt haben, dass er der Christus ist?“ (7,26; 7,15)

Es sind die Hohepriester und Pharisäer in Joh 7,31-36, die die – vom Autor als die literarisch konstruierten – Gegner der Person Jesu darstellen, da sie es sind, die Jesu Passion durch Festnahme einleiten werden und das klare, weltliche Motiv der Eifersucht ihm gegenüber aufweisen (S. 130).

„Die Juden“ auf der anderen Seite sind diejenigen, die Jesus nicht richtig verstehen können, da sie dessen Ursprung, Sendung und den Fluchtpunkt seines Wirkens auf Erden aufgrund mangelhaften Glaubens nicht verstehen bzw. erfassen, ihn nur „suchen“ können, den richtigen Glauben im johanneischen Sinn also nicht haben (7,35-36; S. 130).

An die innerjüdischen Schwierigkeiten anschließend folgt eine lange Interaktion zwischen Jesus und „den Juden“, in der er wiederholt seinen Ursprung aus „dem Vater“ betont und die Hörenden, selbst diejenigen, die bereits an ihn glauben, für ihren mangelnden Glauben rügt (Joh 8,31). Die missglückte Tötung Jesu (Joh 8,59) vollendet das Narrativ, das zum einen den Spannungsbogen bis zur Passion aufbauen, zum anderen auf die problematische Gemeindesituation zu johanneischer Zeit hinweist und die Verwerfung derjenigen impliziert, die der johanneischen Christologie nicht folgen können oder wollen: „The breaking point between them and Jesus is now defined by the specifically Johannine view of Jesus.“ (S. 132)

Auch das neunte Kapitel steht unter der Notion der Einheit Jesu mit Gott, indem er Gottes heilendes Werk an einem Blindgeborenen tut (Joh 9,4), was zu einer Kluft innerhalb der Gruppe der Pharisäer führt – die einen trauen Jesus zwar übermenschliche Wunder zu, können ihn aber nicht als eins mit „dem Vater“ anerkennen, während andere den nächsten Schritt im Glauben an Jesus als in Einheit mit Gott existierend gehen können (Joh 9,16/S. 133). De Jonge zeichnet hier die Parallelen nach, die Johannes zu geben intendiert – der innerchristliche Streit um die Person Jesu findet in den Figuren der Pharisäern und „den Juden“ Ausdruck, die ihn, der trotz Verbot am Sabbat heilt, als Sünder bezeichnen (Joh 9,16;24; S. 133f.).

Das zehnte Kapitel unterstreicht Jesu Botschaft und Einzigartigkeit anhand von Gleichnissen.

In Reaktion auf diese geraten „die Juden“ wie zuvor in Streit und Teilen sich in Lager auf, die Jesus entweder als in einzigartiger Existenz in und aus dem Vater lebend aufgrund seiner Wundertaten akzeptieren können (Joh 10,21) oder nicht (Joh 10,20). Töten wollen sie ihn dann in Joh 10,31, da er zuvor den eindeutigen Satz „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh 10,30) sagt – das Kernstück johanneischer Überlieferung.

Trotz allem hören sie ihm zu, zeigen also zumindest Interesse an seiner Botschaft, und wissen alle um die vorangegangene Blindenheilung. Auf narrativer Ebene geht also auch hier um den Diskurs um die johanneische Überlieferung und Theologie: „On the level of his communication with his readers, John typecasts the category of ‚the Jews‘ to play the role of Christian contemporaries […]“ (S. 135).

Da Kapitel 11 und 12 auf die folgende Passion hinweisen sollen, kommt es in Kapitel 11 nicht zu einer direkten theologischen Diskussion zwischen Jesus und Vertretern „der Juden“. Vielmehr geht es um die anhaltende Wirkkraft Jesu durch die Totenauferweckung des Lazarus (Joh 11,1-45) und dessen Bedrohung für die Pharisäer und Hohepriester, die ihn aus Machtgründen ausschalten möchten (Joh 11,47-48). Johannes‘ Erzählung konzentriert sich hier also auf die Überlieferung von historischen Gegner Jesu, die ihn als tragischen Helden sterben lassen sollen (S. 137; Joh 12,19).

Trotz Jesu Wundertaten und besonderen Reden notiert Johannes, dass „das Volk“, also die Allgemeinheit, Jesus keinen Glauben schenke (Joh 12,37).

Johannes konstruiert hier ein doppeltes Netz von Zusammenhängen, zum einen, indem der Unglaube des Volkes als auf tragische Weise vorherbestimmt beschrieben wird (Joh 12,38-41) und zum anderen, indem der Glaube des Einzelnen aufgrund der äußerlich bedrohlichen Situation und der möglichen Exkommunikation aus der Synagogengemeinde nicht offen bekannt werden kann, was die weitere Ausbreitung des Glaubens an Jesus als göttlicher Messias verhindert (Joh 12,42f.). Auf jeden Fall aber sollte dieser Glaube für ihn, gegeben der Wundertaten Jesu, als logische Konsequenz gelten (S. 138).

Zusammenfassend sei zu sagen, dass eine differenzierte Betrachtung „der Juden“ als Gruppe und als handelnde Personen bei Johannes vor allem in imaginierte Narrative treten, die die Konstruktion der Passion Jesu erst möglich machen und somit in der historischen Betrachtung nicht ins Gewicht fallen (S. 139). Gleichzeitig dienen „die Juden“ als Parallele in einem innerchristlichen Streit. Dieser trägt sich auf literarischer Ebene aus und nimmt darin Gestalt an, dass Johannes seine spezifische Christologie und seinen Glauben an Jesus als eschatologischen Richter der Welt als Maßstab für „wahren“ und „falschen“ Glauben versteht, an dem sich alle messen müssen, die Christ*innen sein wollen (S. 140).

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