‚Schwan‘ von Turbostaat
Mit dem Verstandenwerden ist das so eine Sache. Irgendwie wird immer propagiert, wie toll das wäre, sich zu verstehen, „auf einer Wellenlänge zu sein“, wie es so schön heißt. Manchmal finde ich es gut, zu verstehen und verstanden zu werden. Aber meistens nervt es mich einfach und gibt mir das Gefühl, angreifbar zu sein. Die oberflächlichen Dinge sind viel angenehmer und mit weniger Zwang verbunden. Und was ist dieses Verstehen überhaupt? Am Ende kocht eh jeder Kopf ne eigene Suppe.
In Kritiken bezogen auf die Gruppe Turbostaat wird gerne herausgestellt, wie kryptisch die Texte wären. Hier haben wir eine besondere Situation: Eine recht erfolgreiche Musikgruppe haut Texte raus, die Interpretationsspielraum lassen, sich nicht so sehr dem Druck des Verstandenwerdens aussetzen. Und dann kommt es wie es so oft mit erfolgreichen Gruppen ist: Denen wird zugehört. Hundert bis tausend Köpfe kochen eigene Suppen (Okay kann sein dass ich Scheiß erzähle grad, wahrscheinlich wurden viele Leute durch Popmusik darauf konditioniert, nicht mehr viel über Texte nachzudenken..). So super kryptisch sind die Texte von Turbostaat vielleicht auch nur, wenn sie am sonstigen Deutschpunk-Standard gemessen werden.
Turbostaat spielen auf ihrem zweiten Studioalbum ‚Schwan‘ viel schnelle Punkmusik. Sie sind etwas weniger melodisch unterwegs als ihre Kolleg*innen, die ähnlich große Festivalslots und Konzertsäle belegen. Was die Hörer*innen hier erwartet hat recht wenig gemein mit mackerkompatiblen Bummspartyrock Marke Beatsteaks. Trotzdem treten die beiden Bands gern gemeinsam auf. Vielleicht mögen sie sich einfach und was reg ich mich eigentlich auf, es gibt auch ein paar okaye Sachen von den Beatsteaks und die können ja nichts dafür dass sie VEREINZELT arschige Fans haben.
„M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“ eröffnet den nicht so fröhlichen Reigen. Abgesehen vom Fritz-Lang-Verweis im Titel hat der Text ein bisschen was von alten deutschsprachigen Volksliedern. Da wird so viel gemordet und gestorben dass Oma sich direkt zu hause fühlen würde, wenn diese Musik nicht wäre. Ganz schnell, ganz laut, und dann schreit der Junge auch noch so. Furchtbar!
Obwohl mich der Gesang von Jan Windmeier bei Turbostaat zunächst am meisten aufgeregt hat, konnte ich mich schnell dran gewöhnen, und auf Albumlänge fällt es kaum noch auf. So ein ähnliches Phänomen hatte ich schon mal mit Placebo, da ging mir Brian Molkos Gesang, wenn ich ihre Singles im Radio gehört hab, auch ziemlich schnell auf den Zeiger. Trotzdem höre ich öfter Placebo-Alben in voller Länge, ohne mich daran zu stören.
Das Album hört mensch sich am besten am Stück durch. Zu viel Worte über die Musik möchte ich nicht verlieren, die steht ganz gut für sich. Nebenbei erwähnt hätte ich es super gefunden, wenn Turbostaat nach „Flamingo“ und „Schwan“ ihre späteren Alben auch nach Vögeln benannt hätten. „Vormann Leiss“ wäre für mich „Pinguin“, „Island Manöver“ wird zu „Eule“, „Stadt der Angst“ zu „Taube“ und „Abalonia“ zu „Möwe“.
Als letztes erklingt der Titeltrack „Schwan“. Zu Recht ein Evergreen auf Konzerten, kantig, aber sympathisch und durchaus mitsingtauglich. Am Ende des an den Sonic Youth Klassiker „Bull In The Heather“ angelehnten Videos wird die Band von einer Breakdance-Truppe abgelöst. Was auch immer das nun wieder heißen soll. Vielleicht ein Signal für Weltoffenheit und gegen den Pop-Nationalismus, für den Bands die auf deutsch singen gern vor den Karren gespannt werden?
Naja. Turbostaat sind jedenfalls eine wichtige Band, denn sie konnten Stilmittel des norddeutschen Untergrundpunks a la Angeschissen etc. weiterentwickeln und sie einem größeren Publikum bekannt machen. Dafür dass sie schon an den Punkmainstream (komisches Wort, aber macht Sinn) kratzen wurde ihr Sound über die Jahre auch deutlich ausgefeilter.
Ironischerweise waren es die Beatsteaks, durch die ich Turbostaat entdeckt habe, im zarten Alter von 14 durch ihr Lied „Frieda Und Die Bomben“. Daher bin ich diesen Prollrockern auch etwas dankbar, denn ohne die Beatsteaks würde ich heut immer noch die Beatsteaks hören.