Das Projekt
In einer äußerst zugänglichen Sprache lädt Charlotte Wiedemanns Buch Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis (2022) zu einer neuen Beschäftigung mit Erinnerungskulturen in Diversität ein. Wiedemann macht es sich zur Aufgabe, kollektive Leiderfahrungen darzulegen, die neben dem Holocaust kaum Eingang in die gelebten wie institutionellen Praxen der Erinnerung, der Forschung und der Gegenwartskultur gefunden haben. Ihr Buch zielt auf eine Auseinandersetzung mit den Verflechtungen von Holocaust, Rassismus und Kolonialismus, die bereits seit langem international geführt wird – 2009 vom US-amerikanischen Literaturwissenschaftler und Holocaust-Forscher Michael Rothberg als Multidirektionale Erinnerung benannt –, die aber in der deutschen Öffentlichkeit zu großen Teilen noch aussteht. Es geht, so Walter Mignolo 2011, um The Darker Side of Western Modernity, um die Kontinuitäts- und Verflechtungsgeschichte von erzwungener jüdischer und afrikanischer Diaspora sowie um differente Exodus-, Viktimisierungs- und Vernichtungs-erfahrungen. Ein solches Erinnern trägt dazu bei, unser historisches Wissen komplexer zu machen und das Wissen der Humanities zu dekolonisieren: die Geschichte der Moderne ist nicht ohne die Geschichte des Kolonialismus zu verstehen.
Die Universität Halle-Wittenberg möchte in Halle und an der Universität selbst – eine Stadt und eine Institution, die in komplexer Weise mit der deutschen Missionars-, Kolonial- und nationalsozialistischen Geschichte verbunden und, wie der Anschlag am 9. Oktober 2019 zeigte, immer noch von antisemitischer und rassistischer Gegenwart betroffen sind – die Fragen eines größeren Erinnerns diskutieren. Diverse Formate inner- und außerhalb der Universität mit regionalen und internationalen Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern und insbesondere mit der Stadtgesellschaft sowie örtlichen Vereinen und Initiativen sind geplant: Seminare, Ringvorlesungen, Lesungen, Vorträge, Studientage, Filmreihen, Radio- und Podiumsgespräche, Roundtables, analoge und digitale Stadtführungen, Exkursionen und Workshops. Es geht dabei um die Restitutionen kolonialer Kulturgüter und von Human Remains in örtlichen Sammlungen, um die kolonialen Verflechtungen der Stadtgeschichte und der Institutionen, um die mangelhafte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Euthanasie als auch um die aktuelle Selbstbehauptung und (Nicht-)Wahrnehmung jüdischen und migrantischen Lebens.
Bewerbungsvideo der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Philosophische Fakultät II, Forschungsschwerpunkt Massenphänomene
Buchausgaben Charlotte Wiedemann Den Schmerz der Anderen begreifen, Propyläen Verlag 2022 und Bundeszentrale für politische Bildung 2022
Weitere Informationen zu ›Erinnerung in Komplexität‹ und zu Charlotte Wiedemann
Erinnerung in Komplexität: ›Eine Uni – ein Buch‹ zu Charlotte Wiedemanns Buch ›Den Schmerz der Anderen begreifen‹ wird im Universitätsmagazin Campus Halensis von den beiden Initiator:innen vorgestellt (2.6.2023) > Campus Halensis
Charlotte Wiedemann zu ihrem Buch im Interview mit der Heinrich-Böll-Stiftung (30.6.2022) > YouTube
Micha Brumlik in der ›Frankfurter Rundschau‹ zu Charlotte Wiedemanns Buch (30.6.2022) > Frankfurter Rundschau
Birgit Englerts Rezension in ›Stichproben. Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien‹ (45/2023) > Stichproben