Die Existenzweise [LAW]
In „The Passage of Law and Quasi Subjects“ (AIME Kapitel 13, pp. 357ff), beschreibt Latour die Existenzweise [LAW] zunächst als etwas, über das es nicht problematisch ist ‚legal’ zu sprechen, denn [LAW] genügt sich selbst; ist ihre eigene Erklärung. Trotzdem hat [LAW] mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die von ihrer nur scheinbaren Autonomie und Überfrachtung mit Werten herrühren.
Deshalb, so Latour, muss ein bestimmtes Protokoll befolgt werden, um [LAW] zu verstehen. Erst so lassen sich die Bewegungsmuster von [LAW] nachvollziehen, die voller Bedeutungen sind, und ihre ‚schrecklich anspruchsvollen’ Wahrheitskonditionen (felicity conditions) sichtbar machen.
[LAW] ist nicht aus Gesetzen gemacht. Doch wenn sie funktioniert, wird sie als eine Art Flüssigkeit sichtbar, die mit ‚legal’ beschrieben werden kann und Dank Ausdrücken wie ‚Mittel’ (means) und ‚Verfahren’ (procedure) nachvollziehbar wird (AIME 39). [LAW] ist demnach zunächst eine Bewegung, ein Prozess, ein Verfahren, das in sich ‚beings of law’ trägt, „those beings that wake a judge up at night and force him to ask himself ‚Did I make the right decision?’“ (AIME 177). Die Institutionalisierung dieser ‚beings of law’ „correlates fairly well with a mode of veridiction recognized as peculiar to it“ (AIME 239).
Während es Gesetze, Regeln, Texte, Probleme gibt, die nicht rechtlich erfasst sind, muss man diese doch auf eine Art verhandelbar machen, die dem Gesetz eigen ist: man muss Dinge ‚legal’ betrachten. In der Konsequenz verweisen Anwälte immer auf etwas ‚legales’, um ihre Arbeit zu rechtfertigen, ohne dieses ‚legale’ jedoch näher zu definieren. Man ist entweder innerhalb dieses ‚legalen’ Etwas – ohne es anders als in dieser Sprache beschreiben zu können – oder man ist außerhalb davon (AIME 359).
Als Konsequenz dieses tautologischen Schlusses bleibt [LAW] außerhalb vieler anderer Kontexte in sich selbst gefangen.
While it may be obvious to legal experts that something is ‘legally true or false,’ for anyone external to the law — that is, with rare exceptions, for almost everyone else — it is a total surprise to see that law can both take on so much importance and take up so little space. (AIME 360-61)
[LAW] ist eine Reduktion:
The passage of law gradually modifies the relation between the quantity of facts, emotions, passions, as it were, and the quantity of principles and texts on which it will be possible to rule. This proportion of relative quantities is known by the admirable term ‚legal qualification’. (AIME 364)
[LAW] ist homöostatisch. Sie reinigt sich selbst und hält sich dadurch im Gleichgewicht:
It can be flexible, heteronomous after its fashion, certainly, but it has to be able to proceed in such a way that all cases, all deliberate misrepresentations, all crimes, thanks to a minimum of innovation, can be set into relationship through the intermediary of specific cases with the totality of what is valued by those who have drawn up its principles. It is about law that we should say ‚plus ça change, plus c’est pareil’! (AIME 365)
[LAW] ist schließlich ein Archiv und produziert somit nach eigenen Vorgaben Subjekte, Sprecher (Anwälte) und solche, für die gesprochen wird (Angeklagte) (AIME 369).
In dieser Produktion von ‚quasi subjects’ gleicht [LAW] den Existenzweisen [POL] und [REL]. Alle hängen von einer bestimmen Vorgehensweise ab; von Formalien, die eine Totalität implizieren. Doch vor allem führen diese Formalien zu einer Art des ‚Für-sprechens’. Die drei ‚Für-sprecher [LAW], [POL] und [REL] sind deshalb keine Subjekte, sondern Quasi-Subjekte, denn durch ihre Selbstreferenzialität bleiben Subjekte von ihnen unberührt. Trotzdem bieten sie eine Art Subjektivität und sind demnach wichtig für die anthropologische Untersuchung AIME:
While following along the political Circle, humans become capable of opining and of articulating positions in a collective—they become free and autonomous citizens; by being attached to the forms of law, they become capable of continuity in time and space—they become assured, attributable selves responsible for their acts; by receiving the religious Word, they become capable of salvation and perdition—they are now persons, recognized, loved, and sometimes saved. (AIME 372)
Verfasser: Carsten Wergin (carsten.wergin[at]ethnologie.uni-halle.de)