Klang und Identität

Vom Klang der Wiener Moderne – Einblicke in die Klangästhetik Franz Schrekers (1912–1920)

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Daniel Tiemey­er

Franz Schrek­er gehörte zu den ein­flussre­ich­sten Kom­pon­is­ten sein­er Gen­er­a­tion[1]. Bere­its mit sein­er ersten Oper, Der ferne Klang, die 1912 in Frank­furt uraufge­führt wurde, kon­nte er sen­sa­tionelle Erfolge für sich und sein Werk ver­buchen. Schrek­er hat mit sein­er Musik gewis­ser­maßen den Nerv sein­er Zeit getrof­fen – in ein­er Rezen­sion heißt es beispiel­sweise, „solche Klänge liegen in der Luft“[2] – und ist zu einem der bedeu­tend­sten Vertreter der Musik der Wiener Mod­erne avanciert. In diesem Blog­beitrag möchte ich den Fokus auf Schrek­ers klangäs­thetis­che Konzep­tion und deren kom­pos­i­torische Umset­zung leg­en. Begleit­et wird der Text von zwei Musik­beispie­len, die allerd­ing nur eine Ahnung von der Fasz­i­na­tion und Sinnlichkeit des Schreker’schen Klanges geben können.

Schrek­ers ästhetis­che Konzep­tion des Klanges

Um das Phänomen des Klanges in Schrek­ers Opern genauer zu fassen, möchte ich zunächst einen kurzen Ein­blick in die ästhetis­che Konzep­tion seines Schaf­fens geben. Obwohl Schrek­er sich schriftlich nur äußerst wider­strebend zu sein­er kün­st­lerischen Agen­da äußerte, gibt es vere­inzelt auf­schlussre­iche Aus­sagen von ihm. Nach sein­er musik­drama­tis­chen Idee gefragt, schrieb er im Jahre 1919 Fol­gen­des: „Geheimnisvoll-Seel­is­ches ringt nach musikalis­chem Aus­druck. Um dieses rankt sich eine äußere Hand­lung, die unwillkür­lich schon in ihrer Entste­hung musikalis­che Form und Gliederung in sich trägt. Mit der Vol­len­dung der Dich­tung ste­ht in großen Umris­sen der musikalis­che Bau des Werkes vor mir.“[3]

Diese Zeilen sind entschei­dend für das Ver­ständ­nis von Genese und Struk­tur sein­er Werke. Das „Geheimnisvoll-Seel­is­che“ gerin­nt als Kern sein­er Opern in Gestalt von vielschichti­gen und dif­feren­ziert gestal­teten Klan­gereignis­sen zur drama­tis­chen Form. Die Aus­drucksmöglichkeit­en des reinen Klanges, so Schrek­er weit­er, seien so man­nig­faltig, dass dieser eines der „wesentlich­sten musik­drama­tis­chen Aus­drucksmit­tel“[4] über­haupt sei. Entschei­dend für die Entwick­lung der Opern ist, dass eine zen­trale „Klangvi­sion“[5] den Kern des jew­eili­gen Werkes bildet. In einem kurzen Text über die Entste­hung sein­er Opern­büch­er deutet Schrek­er an, dass ganz konkrete Erleb­nisse und Stim­mungen den Aus­gangspunkt für seine kün­st­lerische Imag­i­na­tion darstell­ten, aus denen her­aus er Hand­lung und Musik entwick­elte. Die Inspi­ra­tionsquellen reichen dabei von einem son­der­baren Abend in einem fan­tastisch möbliertem Gästez­im­mer am Sem­mer­ing bis hin zu dem merk­würdi­gen Klang eines Ort­sna­mens[6].

Kein Gerin­ger­er als der bedeu­tende Musikkri­tik­er Paul Bekker set­zte sich von Beginn an für die Ver­bre­itung und the­o­retis­che Recht­fer­ti­gung der Opern Schrek­ers ein. In seinem Essay „Franz Schrek­er. Studie zur Kri­tik der mod­er­nen Oper“ attestiert er diesem sog­ar, dass es sich bei ihm um „den Musik­er, der als erster nach Wag­n­er wieder musikalisch und drama­tisch voll­blütige Opern geschaf­fen hat und der sein­er Begabung nach berufen scheint, einen neuen, selb­ständi­gen Opern­ty­pus zu schaf­fen“[7], han­dele. Bekker erken­nt in dem musik­drama­tis­chen Werk Schrek­ers bis zur Zeit der Veröf­fentlichung sein­er Broschüre, die nach der Pre­miere der Geze­ich­neten (25. April 1918) pub­liziert wurde, nicht weniger als einen möglichen Nach­fol­ger Richard Wag­n­ers. Eben­so wie dieser schrieb Schrek­er seine Libret­ti selb­st, wobei der Kern der jew­eili­gen Opern eine spez­i­fis­che Imag­i­na­tion des Klanges darstellt, um die herum sich die Gesamthand­lung entwick­elt. So kon­sta­tiert Bekker: „Die musikalis­che Vision ste­ht am Anfang, ihre Versinnlichung formt sich in drama­tis­ch­er Gestalt und dieser Gestal­tung­sprozeß erst fördert die Dich­tung zutage.“[8]

Kom­po­si­tion­stech­nisch set­zt sich der Orch­esterk­lang in den Opern Schrek­ers aus ein­er einzi­gar­ti­gen Ver­flech­tung von ein­er fein aus­tari­erten Mis­chung indi­vidu­eller Instru­men­tal­far­ben, avanciert­er aber noch Dur-/Moll-tonal fix­iert­er Har­monik sowie ein­er eingängi­gen Melodik zusam­men. Zudem greift Schrek­er ver­stärkt auf die Wirkun­gen von hin­ter oder neben der Bühne posi­tion­ierten Fer­norch­estern und Chören zurück. In kom­pos­i­torisch­er Hin­sicht ent­fer­nt sich Schrek­er von der „Leit­mo­tivtech­nik“ Wag­n­ers, dessen Par­ti­turen von einem sym­phonis­chen Gewebe durch­zo­gen sind. Vielmehr nutzt Schrek­er die ältere Form des freier gehand­habten „Erin­nerungsmo­tives“, mit dem er ganze Szenen und Akte gestal­tet. Der Unter­schied zwis­chen bei­den mit diesen Begrif­f­en nur grob erfassten Kom­po­si­tion­sweisen liegt darin, dass bei Wag­n­er die Musik evo­lu­tionär aus kle­in­sten motivis­chen Ele­menten erwächst, so dass durch die seman­tis­che Kon­no­ta­tion der einzel­nen Motive ein vielschichtiges musikalis­ches wie drama­tisch bedeu­tungsvolles Beziehungs­ge­flecht entste­ht, das die einzel­nen Musik­dra­men vol­lkom­men durch­dringt. Das Erin­nerungsmo­tiv wiederum, das eher auf den älteren Opern­ty­pus der deutschen roman­tis­chen Oper zurück­ge­ht, verknüpft Melodik und Inhalt, jedoch ohne das musikalis­che Fun­da­ment der Oper darzustellen. Motive wer­den eben­falls ver­ar­beit­et, indem sie an Hand­lung und Stim­mung angepasst wer­den, jedoch ohne direkt in den motivisch-the­ma­tis­chen Ver­ar­beitung­sprozess einzugreifen.

Im Fol­gen­den möchte ich zwei Beispiele der für die „Wiener Opern“ Schrek­ers so charak­ter­is­tis­chen „Klangvi­sio­nen“ aufzeigen.

1. Wald­szene[9] in Der ferne Klang

Die Pro­tag­o­nistin Grete ist von ihrem Geliebten, dem Kom­pon­is­ten Fritz, der sich auf die Suche nach dem „fer­nen Klang“ begeben hat, ver­lassen wor­den und ver­sucht ihm zu fol­gen. In einem Wald erken­nt sie die Hoff­nungslosigkeit ihres Unter­fan­gens und will sich in einem nahegele­ge­nen See ertränken, als sich eine fan­tastis­che Wand­lung vol­lzieht. Das Mondlicht dringt durch die Wolk­endecke und taucht die Szene in eine eigen­tüm­liche Sphäre: „Schwüle Lüfte umfan­gen das Mäd­chen. Nächtlich­er Waldza­uber. – Die Natur atmet Liebe und Ver­heißung“ lautet die Regiean­weisung an dieser Stelle. In diesem Moment erwächst in Grete eine einzi­gar­tige Sehn­sucht nach ihrem Geliebten.

Das sil­bern schim­mernde Mondlicht wird durch die Instru­men­ta­tion (Har­fen, Celes­ta, Tri­an­gel) Schrek­ers ein­drucksvoll einge­fan­gen, während die San­ft­mütigkeit der Natur durch den weichen Fluss der Melodik in der ersten Vio­line sowie durch die par­al­lel ver­schobe­nen Akko­rde der Mit­tel­stim­men (Bratschen, später Hörn­er) gener­iert wird. Grundiert wird das Natur­ereig­nis mith­il­fe des pro­fun­den Instru­men­tal­bass­es, der sich in Gestalt eines Orgelpunk­ts (Vio­lon­cel­lo, Kon­tra­bass) man­i­festiert. Repräsen­ta­tiv sowohl für das Wald­weben als auch für Schrek­ers Kun­st der instru­men­tal­en Ver­ar­beitung ist, dass diese vier musikalis­chen Schicht­en frei miteinan­der kom­biniert wer­den bzw. die jew­eili­gen Funk­tio­nen von anderen Instru­menten über­nom­men wer­den und es somit zu ein­er leicht­en beständi­gen Mod­i­fika­tion des musikalis­chen Far­bein­drucks kommt. Die wohlige Stim­mung der Szene wird also nicht nur durch den Gang der flo­ralen Motivik erzeugt, son­dern vor allem auch durch die einzel­nen fein aus­tari­erten Schat­tierun­gen der Klangfarbe.

2. Car­lot­tas Hym­nus an die Nacht

Ein ähn­lich­er Ein­druck in ganz anderem Kon­text bietet Car­lot­tas Hym­nus an die Nacht aus dem drit­ten Akt von Die Geze­ich­neten[10]. Auch hier sind ver­schiedene Instru­men­tallinien zu einem ein­drucksvollen sinnlichen Gesamtein­druck miteinan­der ver­woben, allerd­ings treten bei diesem Beispiel noch die vokalen Lin­ien im Sopran und im Chor hinzu. Der Klang set­zt sich wiederum aus ein­er ver­lock­enden Melodie, die von einem sat­ten Instru­men­tal­bass unter­legt wird, zusam­men, während das eigen­tüm­liche Schim­mern und Funkeln der Musik durch die dif­feren­ziert gestal­teten Mit­tel­stim­men erzeugt wird.

Diese Aus­d­if­feren­zierung zwis­chen den einzel­nen musikalis­chen Ebe­nen sowie die dadurch mögliche Kom­bi­na­tion der ver­schiede­nen Lin­ien kön­nen als ein wesentlich­es kom­pos­i­torisches Merk­mal für die instru­men­tale Kun­st Schrek­ers gel­ten. Musik­an­a­lytisch wäre diese Vorge­hensweise mit dem Ter­mi­nus der „Tex­turtech­nik“[11] zu umschreiben, nach der der kom­plexe Orch­esterge­samtk­lang sich in unter­schiedliche Ebe­nen und Funk­tio­nen auf­s­pal­tet und diese frei miteinan­der kom­biniert wer­den. Dieses Ver­fahren lässt sich bere­its bei Wag­n­er erken­nen, wird jedoch von Schrek­er zur Vol­len­dung geführt.

Daniel Tiemey­er, Jahrgang 1985, arbeit­et an der Uni­ver­sität Wien und schreibt seine Dis­ser­ta­tion zum The­ma “Klang als drama­tis­ches Aus­drucksmit­tel in den Opern Franz Schrek­ers“. Die Arbeit wird gefördert durch ein DOC-Stipendi­um der Öster­re­ichis­chen Akademie der Wis­senschaften (ÖAW). Er hat in den Fäch­ern Musik/Musikwissenschaft und Geschichte einen Bach­e­lor von der Uni­ver­sität Osnabrück und jew­eils ein Diplom von der Uni­ver­sität Wien.


[1] Zur Biografie Franz Schrek­ers vgl. Hai­ley, Christo­pher Hai­ley (1993): Franz Schrek­er 1878–1934. A cul­tur­al biog­ra­phy. Cambridge.

[2] Bie, Oskar: Rezen­sion der Oper „Der ferne Klang“. In: Berlin­er Börsenkuri­er vom 1. April 1914, zit. nach Musik­blät­ter des Anbruch, Jg. 1 (1919), 53.

[3] Schrek­er, Franz (1919): Meine musik­drama­tis­che Idee. In: Musik­blät­ter des Anbruch, Jg. 1 (1919), 6.

[4] vgl. ebd., 6.

[5] vgl. Bekker, Paul (1919): Franz Schrek­er. Studie zur Kri­tik der mod­er­nen Oper. Berlin, 24.

[6] Schrek­er, Franz (1920): Über die Entste­hung mein­er Opern­büch­er. In: Musik­blät­ter des Anbruch, Jg. 2 (1920), 547–549. Bei dem Ort­sna­men han­delt es sich um Schrek­ers fün­fte Oper Irrelohe.

[7] Bekker, Paul (1919): Franz Schrek­er. Studie zur Kri­tik der mod­er­nen Oper. Berlin, 8.

[8] vgl. ebd., 22.

[9] Eine aus­führliche Darstel­lung der Wald­szene find­et sich bei Kien­zle, Ulrike (1998): Das Trau­ma hin­ter dem Traum. Franz Schrek­ers Oper „Der ferne Klang“ und die Wiener Mod­erne. Schliegen, 151–174.

[10] Weit­er­führend zur Oper „Die Geze­ich­neten“ vgl. Klein, David (2010): „Die Schön­heit sei Beute des Starken“. Franz Schrek­ers Oper „Die Geze­ich­neten“. Mainz.

[11] vgl. hierzu Janz, Tobias (2006): Klang­dra­maturgie. Stu­di­en zur the­atralen Orch­esterkom­po­si­tion in Wag­n­ers „Ring des Nibelun­gen“. Würzburg, 70f.

Dies war ein Beitrag von Daniel Tiemey­er im Vor­trags­block “Kom­po­si­tion” der Tagung “Klang und Iden­tität”.

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