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„From every nation under Heaven“ – C. Baker 13.04.2020
Zusammenfassung:
In der Zeit der frühchristlichen Rhetorik spielten die Begriffe „Ethnie“ und „Rasse“ eine wichtige Rolle. Die jüdische Einzigartigkeit stand im Gegensatz zur Christenheit, Hellenismus, Moderne und Philosophie.
J. Hall betont, dass es Kriterien gibt, um Mitglieder einer ethnischen Gruppe zu definieren. Diese zielen darauf ab, Menschen oder Gruppen von anderen abzugrenzen und zu sagen, zu wem sie nicht gehören. Dabei vertrauen sie dem Mythos, dass Blutsverwandtschaft, ein spezifisches Land und eine gemeinsame Geschichte Grundlage für eine Ethnie sind. Dabei weist er darauf hin, dass rassistisches Gedankengut immer mit ethnischen Verständnissen einhergeht.
Philo von Alexandria geht davon aus, dass es die jüdisch-alexandrinische und die jüdisch-judäische Ethnizität gibt. Es gibt zwar eine weltweite jüdische Identität mit Grenzen und einer Karte, aber unterschiedliche jüdische Ethnizitäten. Dennoch sind diese genauso einzuschätzen wie der Hellenismus – nicht besonderer, aber auch nicht universaler.
Die Apostelgeschichte nach Lukas kann daher ebenfalls herangezogen werden, da zunächst von den „frommen Männern von jedem Volk unter dem Himmel“ gesprochen wird. Es wurde eine universale Bezeichnung für Juden (und Jüdinnen) gefunden. Später jedoch verwendet Lukas wieder den Begriff des „Juden“.
Zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sich dann die Wissenschaft der Rassen. Das Judentum wird als Rasse angesehen, was die Anderssein des Judentums wieder unterstreichen soll.
Im Gegensatz dazu spricht D. Martin von Juden als ein Volk, wie Ägypter und Perser. Sie haben eine eigene Sprache, Praktiken und religiöse Riten. Dies können als Merkmale eines Volkes angesehen werden. In der frühchristlichen Zeit wuchs auch der Hellenismus zu einer Ethnie heran. Dieser überging die kleineren Ethnien und ihre Grenzen. Durch solche Prozesse kam und kommt es bis heute zu einer Abwertung der kleineren Völker.
Schließlich definiert S. Cohen Judaismus wie den Hellenismus als eine Bürgerschaft, die die Wege den Menschen verschiedener Herkunft frei macht, ebenfalls Teil dieser Bürgerschaft zu werden. In diesem Zusammenhang entwickelt sich die Frage, ob man Teil mehrerer ethnischer Gruppen sein kann oder nicht?
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Universalistische am Judentum unterstrichen und der Vorwurf der Einzigartigkeit im negativen Sinne verworfen werden soll. Außerdem wurde im Zusammenhang mit Abgrenzung derjenige Sachverhalt etabliert, dass das Judentum eine Rasse ist und im Gegensatz zum Hellenismus und zum Christentum steht.
Cynthia Baker untersucht in ihrem Essay „From Every Nation under Heaven. Jewish Ethnicities in the Greco-Roman World“ die Frage nach einer ethnischen Vielfalt innerhalb des Judentums im griechisch-römischen Umfeld der Antike.
Baker kritisiert die bis heute weitverbreitete Methode, das Judentum als einzelne „race“ oder „ethnic group“ zu charakterisieren. Sie stellt die These auf, dass es eine ethnische Vielfalt innerhalb des Judentums zu jener Zeit weit verbreitet gegeben hat, die durch unterschiedliche Herkunft, Vorfahren, Sprachen etc. geprägt war. So gab es häufig duale Identifikationen, z.B. als Jude/Jüdin und Syrer/Syrerin etc. Ihr gemeinsamer Glaube an eine Gottheit verband die verschiedenen Gruppen jedoch über die unterschiedlichen Prägungen hinweg. Baker stützt sich vor allem auf zwei antike Quellen: Philo aus Alexandrien und die Apostelgeschichte im Neuen Testament (Apg 2, 5-11). In beiden Quellen beschreiben die Autoren das ihr zeitgenössische Judentum als ethnisch vielfältig, indem beispielshalber einerseits Philo die vielfältige ethnische Identifikation als ein Merkmal des Judentums nennt, und andererseits Lukas, als Autor der Apostelgeschichte, in der oben genannten Bibelstelle eine Gruppe von männlichen Juden beschreibt, die in unterschiedlicher Sprache und mit unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen. Ebenso sieht Baker bei den Texten beider Autoren eine Selbstverständlichkeit in der Beschreibung des Judentums als sowohl vielfältig als auch gleichrangig zu weiteren zeitgenössischen Phänomenen.
Baker setzt sich auch mit anderen neueren Interpretationen auseinander, die das Judentum nicht als ethnisch vielfältig beschreiben, und sie widerlegt diese Interpretationen, indem sie auf unterschiedliche Weise darauf hinweist, dass einerseits die Quellen im ihrem historischen Rahmen gedeutet werden müssen und andererseits die heutigen Deutungen und Sichtweisen kritisch zu hinterfragen sind. Baker warnt ihre Leser/innen vor der unkritischen Annahme der historisch gewachsenen Interpretation des Judentums, die das universelle Christentum auf der einen Seite und das partikuläre Judentum auf der anderen Seite sieht. Hierbei kommt es, so Baker, zu einer ideologischen Sichtweise, die das Judentum ihrer Vielfalt beraubt. Sie fordert die Leser/innen auf, das Judentum als „multiethnic phenomenon“ wahrzunehmen, um einen Paradigmenwechsel vollziehen zu können und sich so von der ideologisch geprägten Interpretation des Verhältnisses zwischen dem Christentum und dem Judentum zu lösen.
Résumé zu Baker, Cynthia: “From Every Nation under Heaven”. Jewish Ethnicities in the Greco-Roman World.
Baker zeigt in ihrem Aufsatz, dass Juden in der Antike keineswegs eine homogene Volksgruppe bildeten, sondern anders verstanden werden müssen. Nach Shaye Cohen stellt das Judentum in der Antike mehr einen Lebensstil, dem man sich anschließen kann, als eine ethnische Gruppe dar. Auch Josephus reicht es nicht aus, Menschen von ihrer Volkszugehörigkeit als Juden zu qualifizieren. Er bestimmt sie zudem als Araber, Perser, Syrer, Judäer und dergleichen.
Bei Philo von Alexandrien, der selber ein jüdischer Autor ist, wird diese Zugehörigkeit zu verschiedenen Völkern eines der wesentlichen Elemente, welche das Judentum charakterisieren. Die Juden seien so zahlreich, dass ein Land gar nicht ausreiche, um für sie alle Platz zu bieten. Damit stellt er das Judentum als eine internationale Größe neben den Hellenismus, geht aber auch auf die Stellung vieler Juden als Migranten ein. Sie haben in seiner Konzeption verschiedenste Herkunfts- und Geburtsorte. Die jeweilige Identität setzt sich aus der jüdischen und der nationalen Identität zusammen. Was sie eint, sind tiefe Frömmigkeit, sowie der Bezug auf die Heilige Stadt, in welcher sich der Tempel des höchsten Gottes befindet, als ihre Mutterstadt (Metropole) und ihr Vaterland.
Der Evangelist Lukas schreibt als ein Heidenchrist die Apostelgeschichte, in welcher er die Allgemeingültigkeit des Evangeliums für alle Völker demonstriert. Im 2. Kapitel befinden sich „gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel“ in Jerusalem. Es sind Judäer, Griechen, Ägypter, Männer aus Rom, Galiläa und anderorts, Juden und Proselyten. Viele Exegeten, wollen diese Menschen als (ausgewanderte) Juden verstehen, die sich in diesen Ländern aufhalten. Der Text charakterisiert sie allerdings nicht als Emigrierte, sondern als Zugehörige. Er zeigt die Juden in ihrer Vielfalt hinsichtlich ihrer Herkunft (genos), Volkszugehörigkeit (ethnos) und Sprache. Einerseits sind sie vereint darin, zum Pfingstfest nach Jerusalem zu pilgern, andererseits durch die göttlich bewirkte Einheit im Pfingswunder.
(Antike) Juden müssen somit als eine multiethnische Gruppe verstanden werden, zu der sowohl Judäer als auch andere gehören. Selbst wenn vom „jüdischen Volk“ die Rede ist, so bezeichnet das nach Baker eben so wenig eine Ethnie, wie das „christliche Volk“.