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2. Feb 2023

Vom »roten Volkspark« zum »braunen Reichshof« – Die Ausschaltung des linken Zentrums Halles 1933/1934

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Der hallesche Volkspark galt, ähnlich wie andere Volks- und Gewerkschaftshäuser in Deutschland, während Kaiserreich und Weimarer Republik als lokales Zentrum des linken politischen Lagers. Der Volkspark in Halle besaß jedoch im Vergleich zusätzliche Symbolkraft, da hier 1920 der Zusammenschluss des linken Flügels der USPD mit der KPD erfolgt war. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieser Knotenpunkt des politischen Gegners mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten vom 30. Januar 1933 in den Fokus der neuen Machthaber rückte.

Im Februar 1933 war es den linken Parteien noch möglich, im Volkspark sowohl Wahlkampfveranstaltungen als auch eine nichtöffentliche Versammlung mit dem Ziel der Bildung einer Einheitsfront abzuhalten. Die staatliche Repression war jedoch allgegenwärtig. In der Nacht des Reichstagsbrandes vom 27. auf den 28. Februar durchsuchte die Polizei den Volkspark und beschlagnahmte zahlreiche Schriften. Die Situation verschärfte sich weiter, als am 28. Februar die Reichstagsbrandverordnung »zum Schutz von Volk und Staat« erlassen wurde und somit die rechte Gewalt einen legalen Rahmen erhielt.

Die Opposition gegenüber den neuen Machthabern blieb trotzdem zunächst noch sichtbar. Bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 in Halle stimmte ein Drittel der Wählenden für KPD (22,2 Prozent) oder SPD (11,6 Prozent).  Eine Woche später, am 12. März 1933, beteiligten sich nur 65 Prozent der halleschen Wahlberechtigten an der Neuwahl des Stadtrates, auch hierin kann man eine fortbestehende Ablehnung des neuen Regimes in einem Teil der Bevölkerung sehen. Und selbst unter diesen Bedingungen verfehlte die NSDAP im Stadtrat eine absolute Mehrheit. Erst der Ausschluss der linken Abgeordneten, die Selbstauflösung der liberalen und der katholischen Zentrumspartei sowie der Beitritt der Deutschnationalen zur NSDAP-Fraktion sorgten bis Juli 1933 dafür, dass im halleschen Stadtrat nur noch Nationalsozialisten saßen.

Im gleichen Zeitraum enteignete das NS-Regime reichsweit die Vermögen der linken Parteien, der Gewerkschaften und des »Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold«. Mit einem Gesetz vom 14. Juli gingen sie auf den Preußischen Staat bzw. die nicht-preußischen Landesbehörden über. Die Grundstücke wurden in den meisten Fällen im Grundbuch auf den Namen des Reiches umgeschrieben. Dies betraf auch die von der Arbeiterbewegung in vielen Städten errichteten Volkshäuser, die den neuen Herrschern in besonderer Weise ein Dorn im Auge waren – standen sie doch für das kämpferische Einfordern ökonomischer und politische Rechte, während die Nationalsozialisten die  Idee einer uniformen »Wir-Volksgemeinschaft« vertraten, die das »‘Ich‘ aus ihrem Denken ausgelöscht hat«.

Am 16. September 1933 berichtete eine Zeitung, dass der frühere »Volkspark« am 1. Oktober zum »Reichshof« werde und der frühere Direktor des Hotels »Goldene Engel« vom Preußischen Innenministerium beauftragt sei, dessen Leitung zu übernehmen. So heißt es in einer späteren Ausgabe:

»Die stattlichen Volksparkgebäude wie das ganze Grundstück aber gingen in das Vermögen des Reiches über, und das Reich verpachtete es nun an Herrn Teutschbein, einem kernechten, deutschen Fachmann, dem nun die große Aufgabe zufällt, aus dem neuen ‚Reichshof‘ eine Mustergaststätte zu machen.«

Aus der Saale-Zeitung vom 15. November 1933

In einer zwei Tage später erschienenen Ausgabe wird davon gesprochen, dass der ehemalige Ort des Klassenkampfes zu einem Ort der Versöhnung gestempelt werde. In einer weiteren Ausgabe vom 14. Oktober ist von einer Transformation »vom roten ‚Volkspark‘ zum ‚Reichshof‘« die Rede, die zugleich die Eroberung des mitteldeutschen Industriereviers durch die SPD symbolisiere:

»Und es ist kein bloßer Zufall, daß der hallische ‚Volkspark‘, diese Versammlungsstätte in der seit Jahrzehnten der Marxismus zu Hause war, nun im neuen Deutschland zum ‚Reichshof‘ geworden ist, und daß den neuen Namen eine ‚Deutsche Woche‘ erstmalig in die Öffentlichkeit hinausträgt. […] denn hier wurde vor nunmehr genau 13 Jahren durch die Drahtzieher Moskaus die KPD, unseligen Angedenkens gegründet! […] Halle, das rote Herz Mitteldeutschlands von ehedem, ist nun zur Hochburg des Nationalsozialismus geworden, und zum äußeren Zeichen dessen ward aus dem Blut Verführter besudelten ‚Volkspark‘ ein ‚Reichshof‘.«

Aus der Saale-Zeitung vom 14. Oktober 1933

An jenem 14. Oktober 1933 fand die Eröffnung der Ausstellung »Deutsche Woche« unter dem Leitspruch »Deutsch, aber gut« im Reichshof statt. Die Ausstellung versuchte ihre Besucher von deutschen Produkten, deutscher Technik, Lebensart und Landschaft zu überzeugen. Es sollte ein Gefühl der Aufbruchsstimmung und Sicherheit in Deutschland und dessen »Volksgemeinschaft« vermittelt werden. Zu diesem Zweck wurde der Hauptsaal zum Zentrum der Ausstellung mit einer den ganzen Saal beanspruchenden Darstellung der mitteldeutschen Landschaft, die bescheiden als »Schau des wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Aufbaues Mitteldeutschlands« betitelt wurde. Die ehemalige Turnhalle beherbergte eine Gemeinschaftsausstellung von Handel und mitteldeutscher Industrie. Im Speiseraum des Hauptgebäudes wurde »zukunftsweisend« für einen geringen Preis eine ausgiebige Mahlzeit angeboten. Ferner gab es einen Ausstellungsraum zu Landwirtschaft und Handwerk sowie einen für Frauenverbände und den Bund Deutscher Mädel (BDM), die präsentierten, wie Arbeit rationell gestaltet werden könne, damit Frauen mehr Zeit der Familie widmen könnten. In einer Ehrenhalle hingen ein Porträt Hitlers und ein großes Hakenkreuz, das per Scheinwerfer angestrahlt wurde. Zeitgleich zur Ausstellung wurde am 14. und 15. Oktober 1933 der sogenannte erste große Appell des Gaues Halle-Merseburg der NSDAP in Halle durchgeführt, bei dem 60.000 Menschen angetreten sein sollen.

Veranstaltung im großen Saal des »Reichshofs«

Im Reichshof wurden nachfolgend eine Vielzahl von Veranstaltungen abgehalten, mit denen die Nationalsozialisten dem Ort ihren Stempel aufzudrücken versuchten. So sprach Anfang Dezember 1933 die »Führerin des Reichsmütterdienstes« zu 1.200 Frauen, anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der »Evangelischen Frauenhilfe«. Der »Nationalsozialistische Lehrerbund« (NSLB) führte ebenfalls im Dezember 1933 eine Buchausstellung zum Begriff Rasse durch und unter dem Motto »Gutes fördern – Krankes ausmerzen« einen rassenbiologischen Lehrgang, an dem 1.200 Lehrer aus dem Gau Halle-Merseburg teilnahmen. Die Gleichschaltungen und Zwangsvereinigungen betrafen auch Chöre, die bis dahin für die Arbeiterkulturen von hohem Stellenwert gewesen waren. So wurden am 13. Dezember 300 Sänger und Sängerinnen verschiedener Vereine im »Deutschen Volkschor« vereinigt, darunter jene des  »Arbeiter-Sängerchors Halle«, der in Kaiserreich und Weimarer Republik die linke Arbeiterkultur durch Konzerte im Volkspark mitgestaltet hatte.

Im Jahr 1934 folgten im »Reichshof« mehrere größere Veranstaltungen, die einen Massencharakter aufwiesen. Mitte März sprach der »Reichsjugendführer« Baldur von Schirach im Reichshof zur versammelten Hitlerjugend über die »neue deutsche Staatsjugend«. Die von Schirach propagierte Gleichschaltung der Jugendlichen zeigt sich exemplarisch  in seiner Äußerung, »[…] hier sei eine Generation aufgestanden, die bedingungslos ‚Wir‘ sagt und das ‚Ich‘ aus ihrem Denken ausgelöscht hat.« Die HJ-Gebietsleitung organisierte ihre Veranstaltungen aus der ehemaligen Lehmannschen Villa heraus, die noch heute gegenüber dem Volkspark steht. Am 20. April 1934, zum Geburtstag des »Führers«, sprach Robert Ley, der Chef der NS-Scheingewerkschaft DAF (Deutsche Arbeitsfront) nach einleitender Marschmusik der 26. SS.-Standarte im Reichshof. Leys Rede behandelte »[…] grundsätzliche Ausführungen über die Ethik der Arbeit und über das vom nationalsozialistischen Staat angestrebte Vertrauensverhältnis zwischen Betriebsführung und Gefolgschaft«. Der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg sprach am 14. Oktober zum Thema »Die Umwertung der deutschen Geschichte« und postulierte: »Die Weltgeschichte muß neu geschrieben werden!«.

»Reichsjugendführer« Baldur von Schirach
Alfred Rosenberg, oft als »NS-Chefideologe« bezeichnet
DAF-Leiter Robert Ley

Doch auch im Jahr 1934 ist noch erkennbar, dass ein relevanter Teil der halleschen Bevölkerung in Opposition zum NS-Regime stand. Bei einer Volksabstimmung vom 19. August, die nach dem Tod Hindenburgs die Allmacht Adolf Hitlers als Staatsoberhaupt, Reichskanzler und Oberbefehlshaber der Armee absegnen sollte, verweigerten sich noch 25.956 oder 17,5 Prozent der Wahlberechtigten den Nationalsozialisten.

Der Reichshof wurde bis zur Einnahme Halles durch die Alliierten im Jahr 1945 weiterhin für alle Arten von Veranstaltungen verwendet, er diente aber auch als Musterungsstelle für Rekruten oder zur Unterbringung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen. Eine wirkliche Konzeption für seine Gesamtnutzung gab es nicht, daher wurde aus der Burg des Sozialismus nie eine Burg des Nationalsozialismus. Zwar versuchte die DAF zu Beginn der NS-Herrschaft auf Reichsebene  einen NS-Typ von Gemeinschaftsbauten zu entwickeln, um damit sowohl die sozialdemokratischen Volkshaus- Tradition  zu  beseitigen  als  auch  den  linksrevolutionären  Ideen  der  Avantgarde  etwas entgegenzusetzen. Im Ergebnis solcher Pläne entstanden in einigen Städten »Häuser der Arbeit« als Symbole des NS-Staates und Ausdruck der Allgegenwart der Partei. In Halle aber betrieben die Machthaber den Volkspark aus pragmatischen Gründen als Dienst- und Versammlungsort weiter.  Dabei war er nur eine von vielen Immobilien, die die Nationalsozialisten 1933 in Halle erbeutet hatten und für eigene Zwecke zu nutzen begannen. Auch das damalige Logenhaus der Freimaurer (heutiger Hauptstandort der Leopoldina) wurde z. B. nach deren Enteignung von der NSDAP-Gauleitung genutzt. Ferner verteilten sich die großen politischen Versammlungen während der NS-Herrschaft auf mehrere Orte in der Stadt, , so z. B. den Thalia-Saal oder den Kaiser-Wilhelm-Saal, wodurch ein vormals zentraler Punkt wie der Volkspark ebenfalls an Bedeutung verlor.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kombination aus massiver Repression, Enteignung des Volksparks, der Umnutzung als Reichshof mit NS-Inhalten und dezentralisierter Versammlungskultur während der NS-Herrschaft in Halle nicht nur dazu führte, dass dieser Ort als linkes Zentrum der Stadt ausgeschaltet wurde, sondern auch als Versammlungsort an sich immer weiter marginalisiert wurde.

Über Eike Christian Klemm

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