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28. Jun 2023

Kabarettisten und Berufspolitiker. Die Eiserne Front im Volkspark und ihre Redner

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In der heutigen Welt ist das Medium „Werbeplakat“ nicht mehr so wichtig. Zwar ist es als Mittel nach wie vor präsent, wird aber in der Gewichtung stetig durch Social Media und anderweitige mediale Werbung ersetzt. In Zeiten ohne Internet und multimediale Landschaft war dies selbstverständlich anders. In der Weimarer Republik beispielsweise waren Plakate ein zentraler Bestandteil von Werbung. Die 1854 durch Ernst Litfaß erfundene „Litfaßsäule“ brachte Werbung in jede größere Stadt in Deutschland. Mit Veranstaltungsplakaten und deren historischem Kontext beschäftigt sich auch dieser Beitrag zum Volkspark in Halle (Saale), speziell geht es hier um das Jahr 1932.

Der Volkspark ist einer der prägnantesten historischen Orte der Arbeiterbewegung in Halle. Hier fanden bis 1933 nicht nur Kulturveranstaltungen und sportliche Wettkämpfe, sondern auch die meisten linken politischen Versammlungen der Zeit statt. Gerade das „Jahr der Wahlen“ 1932 zeigt die politisch äußerst angespannte Lage, die sich an den Veranstaltungen im Volkspark widerspiegelt. Über die konkreten Inhalte und Redebeiträge dieser Veranstaltungen lässt sich oftmals nur mutmaßen, da diese, wenn überhaupt, nur in Zeitungsartikeln dokumentiert und in der Regel wertend interpretiert wurden. Anhand der erhaltenen Veranstaltungsplakate lässt sich jedoch dokumentieren, welche Absichten die Veranstalter von politischen Vorträgen hatten und welche Inhalte transportiert werden sollten.

Eine Gruppierung, die 1932 viele politische Vortragsabende ausrichtete, war die „Eiserne Front“, eine Art politischer „Großverband“ aus SPD, Arbeitersportverbänden, Gewerkschaften und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Die Front wurde am 31. Dezember 1931 gegründet, vor allem auf Initiative des Reichsbanners, welches als Wehrverband den proaktiven Widerstand gegen die NSDAP und die SA organisierte. Grundsätzlich war die Eiserne Front als eine Art „Abwehrbündnis“ gedacht, um die Weimarer Republik vor den Gefahren durch die Nationalsozialisten zu bewahren. Dies geschah einerseits durch physischen Widerstand, wie beispielsweise durch Saalschlachten, die bei politischen Veranstaltungen zur Tagesordnung gehörten und andererseits durch politische Mobilisierung durch Vorträge, Demonstrationen und Plakate.

Fünf Veranstaltungsplakate der Eisernen Front sind im Bestand des Stadtarchivs Halle (Saale) erhalten geblieben, welches diese freundlicherweise in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, sodass diese in diesem Beitrag gezeigt werden können.

Das erste Plakat stammt von einer Veranstaltung am 9. Februar 1931. Das Plakat kündigte einen „ehemaligen Adjutanten von Hitler“ namens Helmuth Klotz an, der als einer der sog. „Alten Kämpfer“ beim Putsch in München am 8. und 9. November 1923 beteiligt gewesen war und sich zu dem Zeitpunkt der Veranstaltung von der NSDAP losgesagt hatte. Klotz war 1929 der SPD beigetreten. Über die genauen Umstände seines Bruchs mit der NSDAP ist nichts bekannt, genauso wenig über die Zeit nach seiner Inhaftierung aufgrund des Hitlerputsches im Landsberger Gefängnis des Jahres 1924. Nach seinem Beitritt zur SPD verfolgte Klotz allerdings ein stringent antikapitalistisches Weltbild und betätigte sich als Publizist zu wirtschaftspolitischen Themen. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Kapitalismus verfolgte er offenbar schon in seiner Zeit bei der NSDAP, wobei er maßgeblich auf antisemitische Weltvorstellungen fußte.

Zwei Jahre nach dem Vortrag im Volkspark sollte er nach Paris flüchten müssen, wo er 1940 von der Gestapo verhaftet und kurz darauf in Berlin hingerichtet wurde.

Am Plakat selbst ist interessant, dass hier eine Position von Klotz suggeriert wird, die es so nie gegeben hat. Zwar war er bei der NSDAP als alter Kämpfer aktiv und beim Hitlerputsch dabei gewesen, war allerdings zu keinem Zeitpunkt ein persönlicher Adjutant von Hitler gewesen. Hier wird also eine Verbindung und damit ein Vorhandensein von Kenntnissen suggeriert, das es so nicht gegeben hat. Es lässt sich nur vermuten, dass dies Teil einer Mobilisierungsstrategie gewesen sein könnte, um möglichst viele Menschen in den Volkspark zu locken, da sie sich persönliche und tiefgehende Erkenntnisse über den späteren Diktator versprachen.

Dies ist aber nicht das einzige Kuriosum, welches sich auf den Plakaten findet. Das nächste Plakat bietet ein regelrechtes Rätsel: Wer mag der betroffene Redner sein?

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Zu sehen ist ein aufwendig ausgeschmücktes Plakat. In Fraktur ist der Titel des Vortrags zu sehen, sowie ein zersplittertes Hakenkreuz am Rand. Der beworbene Redner scheint dieses Mal aus Italien emigriert gewesen zu sein, aber obwohl er nachweislich im gesamten Gebiet der Weimarer Republik bei der Eisernen Front auftrat, ist über seine Person nichts zu recherchieren. Allerdings geben das Plakat und einige Artikel aus politischen Zeitungen der Zeit Hinweise. So bezeichnet die sozialdemokratische Zeitung „Volksstimme“ vom 13. März 1931 Mario Corsi eindeutig als „Parteifreund“. Daher spricht viel dafür, dass Corsi Mitglied des Partito Socialista Italiano (PSI) war, der in den 1920ern von der italienischen Diktatur schrittweise verbotenen Schwesterpartei der SPD. Zahlreiche Politiker des PSI flohen ins Exil und es ist wahrscheinlich, dass Corsi einer von Ihnen war.

Auf dem Plakat wurde extra angemerkt, dass Corsi „fließend deutsch“ spräche. Anhand von Zeitungen aus dem mitteldeutschen Raum ließ sich nachweisen, dass Corsi mit seinem Thema „Hakenkreuzwunderland Italien“ eine Art Tournee gemacht haben muss. Ebenso wird explizit die Zielgruppe erwähnt: Als bedroht vom Faschismus sollten sich nicht nur Sozialdemokraten fühlen, sondern die „Arbeiterklasse“ insgesamt. Dieses Plakat ist demnach ein Nachweis für den Versuch, sämtliche sozialistischen Gruppen der Zeit gemeinsam anzusprechen.

Stellte dieses Plakat zukünftige „Gefahren für die Arbeiterklasse“ in den Vordergrund, sollte das nächste Plakat dieses rhetorische Mittel noch übertreffen.

Mit dem klangvollen Titel „Der Faschismus als Weltgefahr“ wurde hier zu einer weiteren Vortragsveranstaltung aufgerufen. Dieses Plakat ist weniger rätselhaft und bietet, im Vergleich zu den zwei vorher beschriebenen Plakaten, eine methodische Abwechslung: der Abend sollte nicht von einem, sondern zwei Rednern gestaltet werden. Bei den Rednern handelte es sich um den Landtagsabgeordneten Paul Franken aus Zeitz sowie den österreichischen Nationalratsabgeordneten Dr. Julius Deutsch. Die Personalie Deutsch offenbart das Netzwerk, welches die Eiserne Front in Europa aufbaute. Julius Deutsch war nämlich nicht nur im Nationalrat von Österreich, sondern hatte dort das Pendant zur Eisernen Front, den Republikanischen Schutzbund, gegründet. Der Schutzbund zeichnete sich allerdings durch seine Eigenschaft als paramilitärischer Verband aus und war schlagkräftiger als die Eiserne Front.

Während des Zweiten Weltkriegs leitete Deutsch dann kurzzeitig das Exilbüro der österreichischen Sozialisten in Paris und emigrierte nach der Eroberung Frankreichs durch das Dritte Reich in die USA, wo er bis zum Kriegsende lebte. Der als zweiter Redner angekündigte Abgeordnete Franken hatte 1932 bereits eine lange Parteikarriere hinter sich. Ursprünglich bereits im Rheinland für die SPD tätig gewesen, war Franken in den späten 20er Jahren nach Zeitz gekommen und hatte dort als Redakteur gearbeitet. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus mussten Franken und seine jüdische Frau zuerst nach Lettland flüchten und kamen später in die Sowjetunion, wo Franken im Jahr 1944 in einem Lager für politische Gefangene ums Leben kam.

Netzwerker, ausländische Parteifreunde und vermeintliche Adjutanten: Die bisherigen Redner hatten allesamt interessante Biographien. Der Redner des nächsten Plakats bildet da keine Ausnahme, bietet aber eine Perspektive darauf, dass sich auch Staatsbedienstete der Exekutive auf Seiten des Widerstandes gegen den Faschismus befinden konnten.

Am 1. April 1932 sprach Albert Grzesinski, im Volkspark. Dieser sozialdemokratische Politiker war 1925/26 Polizeipräsident von Berlin, danach bis 1930 preußischer Innenminister gewesen, um dann bis Juli 1932 wieder als Berliner Polizeipräsident zu amtieren. Damit hatte er wichtige Ämter im Herzen der Weimarer Republik inne und muss einen detaillierten Einblick in das innenpolitische Geschehen der Zeit gehabt haben. Als Innenminister hatte er die Besetzung wichtiger Positionen seines Ministeriums mit Sozialdemokraten zu verantworten sowie die Aufhebung des Redeverbots von Adolf Hitler durchgesetzt, dem es bis 1927 untersagt gewesen war, in Preußen Veranstaltungen durchzuführen. Da Grzesinski zum politischen Establishment der Zeit gehörte, ist zu vermuten, dass diese Umstände nicht nur den Veranstaltern, sondern auch den Besuchern der Rede bewusst gewesen sein müssten. Umso vielversprechender muss der Titel des versprochenen Vortrags geklungen haben: „Die Wahrheit über das Preußen von heute“. Die Eiserne Front mag ihm zusätzlich positiv angerechnet haben, dass er in Funktion des preußischen Innenministers den kommunistischen Rotfrontkämpferbund nach dessen blutigen Demonstrationen vom Mai 1929 („Blutmai“) verboten hatte. Bis dahin hatte sich der Rotfrontkämpferbund wiederholt Saalschlachten mit der Eisernen Front geliefert und um die Organisation der Arbeiterklasse gestritten. Letztlich schwächte diese Konkurrenz den antifaschistischen Widerstand und eine strukturierte Organisation der Arbeiterbewegung in Deutschland. Nach 1933 floh Grzesinski in die USA und war dort bis zu seinem Lebensende im Jahr 1947 als Gewerkschafter tätig.

Der Redner des letzten Plakats ist nicht minder prominent gewesen und galt während der Zeit des NS Staats als bedeutender Widerstandskämpfer.

Anhand des Wahlaufrufs am unteren Rand des Plakates ist ein großer Unterschied zu den anderen Plakaten auszumachen. Das Superwahljahr 1932 neigte sich dem Ende zu, die politische Mobilisierung lief auf Hochtouren und gerade solche Veranstaltungen waren ideal dafür, Wahlwerbung zu schalten. Passenderweise trat hier wieder ein Abgeordneter der Sozialdemokraten auf, der bereits eine lange Karriere als streitbarer Redner der Sozialdemokraten hinter sich hatte: Alwin Brandes. Brandes war bereits vor der Weimarer Republik als Demokrat in Erscheinung getreten, hatte sich deutlich gegen die „Burgfriedenspolitik“ der SPD im Ersten Weltkrieg ausgesprochen, war Gewerkschafter für die Metallarbeiter in Magdeburg und im Reichstag bis 1933 eine der aktivsten Stimmen gegen die NSDAP. Eine größere Bekanntheit innerhalb der sozialdemokratischen Gruppen erlangte er über seine strikte Ablehnung sowohl der NSDAP als auch der KPD. Nach 1933 baute er, mithilfe seines Einflusses als Gewerkschafter, ein Widerstandsnetzwerk aus Metallarbeitern auf. Alwin Brandes war mehrfach in Konzentrationslagern inhaftiert, kam aber auch immer wieder auf freien Fuß und konnte so die Widerstandsbewegung stetig unterstützen. Auch nach dem Krieg blieb er der Sozialdemokratie treu und galt als einer der schärfsten Kritiker der SED in der frühen SBZ.

Dieses Plakat ist das einzige seiner Art, welches nicht nur eine Rede bewirbt, sondern auch die Performance einer Künstlergruppe. Hierbei handelte es sich um die Kabarett-Gruppe „Rote Kolonne“, welche aus Hannover stammte. Diese Gruppe war Teil der SAP, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, welche eine linke Abspaltung von der SPD war. Im von Konkurrenzen innerhalb der Arbeiterbewegung geprägten Klima der Zeit mag ihr Auftritt im Rahmen einer Veranstaltung der von der SPD dominierten Eisernen Front zunächst verwundern, zumal ja mit dieser Veranstaltung offensichtlich der Wahlkampf der SPD („Liste 2“) unterstützt werden sollte. Vermutlich wollte die Eiserne Front mit der Einladung der „Roten Kolonne“ ihre Bereitschaft zur Integration aller nichtkommunistischen Teile der Arbeiterbewegung signalisieren. In Hannover war die „Rote Kolonne“ bereits gut bekannt und organisierte Literaturabende, im Konvolut der Plakate der Eisernen Front im Volkspark stellt der Auftritt ein Novum dar. Die Darbietung kämpferischer Arbeiterlieder passt gut zum Geist der Zeit und daher scheint es nur sinnvoll, eine Veranstaltung zum Ende des Jahres 1932 mit einer solchen Darbietung zu untermalen.

Was bliebt von der Eisernen Front? War sie eine „Terrororganisation des Sozialfaschismus“, wie Ernst Thälmann sie nannte? Oder war sie eine schlagkräftige Einheit der Sozialdemokraten?

Den Faschismus konnte sie nicht verhindern. 1933 wurde die Front verboten, viele ihrer Mitglieder und Unterstützer wurden in Konzentrationslagern inhaftiert und ermordet. Es lässt sich nur spekulieren, ob eine Einigkeit des sozialdemokratischen und kommunistisch-sozialistischen Spektrums den Aufstieg des Faschismus verhindert hätte. Was von der Eisernen Front übrig blieb, ist das Symbol: Drei Pfeile, die von rechts oben nach links unten zeigen. Dieses Symbol wird als Aufnäher bis heute im linkspolitischen Spektrum verwendet, ansonsten ist die Front weitestgehend in Vergessenheit geraten. Das Reichsbanner, welches maßgeblich für die Ausrichtung der Front verantwortlich war, wurde 1953 neu gegründet und existiert als eingetragener Verein bis heute fort. Die Ausrichtung hat sich allerdings von einer schlagkräftigen Widerstandsgruppe zu einem sozialdemokratischen Interessenverband umgestellt. Im Jahr 2024 wird das Reichsbanner sein 100jähriges Bestehen feiern können und ist dadurch der erfolgreichste Überrest der Eisernen Front.

Über Lennart Sebastian Rödding

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