Qualitätskriterien

Auf dieser Seite erfährst du, wie du gute von weniger guten Erklärvideos unterscheiden kannst. Vorweg ist anzumerken: Es ist gar nicht so einfach, die Qualität eines Erklärvideos auf den ersten Blick zu bewerten. Das folgende Qualitätskriterienraster kann dir als Unterstützung bei der Analyse von Erklärvideos dienen. Außerdem eignet es sich gut, um die Qualität eines eigens geplanten Erklärvideos zu überprüfen.

Gute Erklärung im Unterricht = gute Erklärung im Erklärvideo?!

Ganz so einfach ist es leider nicht. Ein entscheidender Unterschied ist: Im Unterricht kannst du flexibel auf die individuellen Erklärbedürfnisse eingehen, in einem Erklärvideo sind die Inhalte festgelegt und nicht mehr adaptierbar. Deshalb ist bei der eigenen Erstellung eines Erklärvideos wichtig, dass du genau festlegst, welche Zielgruppe du ansprechen willst. Christoph Kulgemeyer rät dazu, idealerweise gleich am Anfang des Erstellungsprozesses für sich eine genaue Zielgruppenbeschreibung aufzustellen, auf der die Inhalte der Erklärung aufgebaut werden können. Auch bei der Auswahl eines Erklärvideos zur Unterstützung des eigenen Unterrichts ist es wichtig, dass du vorab identifizierst, ob das Video tatsächlich für deine Zielgruppe angemessen ist.

Deuten viele Klicks und Likes auf eine gute Videoqualität hin?

Diese Frage ist einfach zu beantworten: Nein, weder Klicks noch Likes geben einen Hinweis auf die Qualität eines Videos. Das bedeutet auch: Beliebte Videos, die dir vorgeschlagen oder weit oben angezeigt werden, müssen nicht unbedingt gut sein. Wenn du mehr über die Studie, aus der diese Ergebnisse stammen, erfahren möchtest, schau unbedingt in den Artikel von  Christoph Kulgemeyer und Cord Peters.

Wie erkenne und gestalte ich nun ein gutes Erklärvideo?

Abgeleitet aus Erkenntnissen dazu, was eine gute Erklärung ausmacht und angepasst an das Format eines Erklärvideos, hat der Physikdidaktiker Prof. Dr. Christoph Kulgemeyer ein Qualitätskriterienraster für Erklärvideos entworfen. Dieses Raster dient einerseits dazu, die Qualität beispielsweise eines YouTube-Videos in einer Analyse einzuschätzen. Anderseits dient es bei der Erstellung eines eigenen Erklärvideos als Wegweiser, um sich einem guten Erklärvideo anzunähern.

MerkmalErläuterung
1Struktur gebenIm Erklärvideo wird zu Beginn einen Ausblick auf das Thema gegeben und es werden die wesentlichen Aspekte noch einmal zusammengefasst.
2Regel-Beispiel oder Beispiel-RegelWenn Fachwissen das Ziel ist, wird eine Regel-Beispiel-Struktur bevorzugt. Im Erklärvideo wird zunächst das zu erklärende Prinzip vorgestellt und anschließend mit Veranschaulichungswerkzeugen illustriert. Ein einleitendes Beispiel, das die Relevanz des zu erklärenden Inhalts begründet, schließt das nicht aus!
Bei Routinen wird eine Beispiel-Regel-Struktur bevorzugt.
3Adaption an den WissensstandDas Erklärvideo bezieht sich auf gut beschriebene Eigenschaften einer Adressatengruppe.  Sie knüpft an Vorwissen und typische Fehlvorstellungen an.
4Interesse weckenIm Erklärvideo werden Kontexte verwendet, die Interesse erzeugen (z. B. bei der Auswahl der Beispiele; eher Beispiele aus dem Alltag oder zu spektakulären Naturphänomenen).
5BeispieleDas Erklärvideo nutzt Beispiele, an denen sich das Prinzip als leistungsfähig erweist, um das Erklärte zu veranschaulichen. Diese Beispiele stammen aus einem bekannten Phänomenbereich.
6Modelle und AnalogienIn der Erklärung wird durch Analogien und Modelle die Übertragung des Prinzips auf einen bekannten Phänomenbereich wird gewährleistet. Dadurch wird die Verbindung neuer Informationen mit bekannten Wissensbereichen unterstützt.
7Darstellungsformen und ExperimenteIm Erklärvideo werden grafische Darstellungsformen, schriftliche Repräsentationen, Gegenstände, Animationen oder Experimente gezeigt, die das Gesagt illustrieren (Multimediaprinzip)..
8SprachebeneIm Erklärvideo wird eine Sprachebene passend zur beschriebenen Adressatengruppe gewählt.
In der Erklärung werden neue fachsprachliche Wendungen über Alltagssprache eingeführt.
9MathematisierungsgradIm Erklärvideo wird der Mathematisierungsgrad passend zur beschriebenen Adressatengruppe gewählt. Mathematisierungen (z.B. Formeln) werden verbal kommentiert und an einem Beispiel erläutert.
10Relevanz verdeutlichenIm Erklärvideo wird dargestellt, warum das erklärte Prinzip wichtig für die Adressatengruppe ist. Dies kann an einem Problem geschehen, zu dessen Lösung das Prinzip beträgt oder an einem Beispiel, zu dessen Verständnis das Prinzip dienlich ist. 
11Prompts zu relevanten Inhalten gebenIm Erklärvideo werden Prompts zu besonders wichtigen Teilen, beispielsweise im Sinne von „das ist besonders wichtig, weil es häufig falsch verstanden wird“, gegeben.
12Direkte AnspracheDas Erklärvideo involviert die Adressat*innen durch Handlungsaufforderungen und direkte Ansprache (statt unpersönlichem Passiv).
13MinimalismusDas Erklärvideo ist sparsam im Einsatz von Effekten, aber auch von Veranschaulichungsmitteln (zu viele Beispiele, Analogien, Modelle, Zusammenfassungen) und Exkursen zum Thema, es fokussiert auf die Kernidee und hält den Cognitive Load gering.
14AnschlussaufgabenDie Erklärung stellt am Ende eine Verständnisaufgabe, die dazu geeignet ist, selbst mit der erklärten Information zu arbeiten.
Checkliste zur Bewertung der Qualität von Erklärvideos nach Kulgemeyer (2018, S. 10; 2020, S. 423)

Hinweis zur Nutzung der Checkliste bei der Analyse von Erklärvideos: Überprüfe, inwiefern das dir vorliegende Erklärvideo den Merkmalen des Rasters gerecht wird. Sollten einige Punkte, wie beispielsweise die Mathematisierung, im Erklärvideo nicht angesprochen werden, weil diese keine Relevanz für das Erklärthema haben, überspringe dieses Merkmal.

Hinweis zur Nutzung der Checkliste bei der Erstellung eines eigenen Erklärvideos: Überprüfe bevor du mit der Aufnahme deines Videos beginnst, inwiefern dein geplantes Video den Merkmalen des Rasters gerecht wird. Überarbeite gegebenenfalls dein Drehbuch.

Achtung: Auch wenn du alle Punkte des Rasters auf den ersten Blick abhaken kannst, muss das nicht bedeuten, dass du ein Top-Erklärvideo bzw. Drehbuch vor dir hast. Schau also bei jedem Kriterium kritisch auf das Video bzw. Drehbuch. Vielleicht scheint ein Kriterium auf den ersten Blick als erfüllt, entpuppt sich aber auf den zweiten Blick als gar nicht zielführend.

Schau dir zum Beispiel den Punkt 5 „Beispiele“ einmal genauer an. Hier steht: „Das Erklärvideo nutzt Beispiele, an denen sich das Prinzip als leistungsfähig erweist, um das Erklärte zu veranschaulichen. Diese Beispiele stammen aus einem bekannten Phänomenbereich.“ Wenn in dem dir vorliegenden Erklärvideo nun sehr viele Beispiele gegeben werden, könnte man sagen: Haken dran, Kriterium erfüllt. Aber Achtung! Nicht jedes Beispiel ist auch ein gutes bzw. passendes Beispiel und vor allem bedeuten mehr Beispiele nicht unbedingt, dass das Video zwangsläufig besser wird. Schau deshalb kritisch auf jeden Aspekt und urteile nicht vorschnell.

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