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4. Jul 2016

Geld, Freiheit und Persönlichkeit

Verfasst von

Simmel geht im ersten Abschnitt seines 4. Kapitels auf die Themen Freiheit, Individuum, Objekt, Subjekt, Tauschgeschäft und das Beziehungsgeflecht innerhalb einer Gesellschaft ein. Seine Analyse, wie sich Geld auf die genannten Themen auswirkt, lese ich als hauptsächlich soziologisch orientiert, ja fast kultursoziologisch. Ökonomische oder geldgeschichtliche Aspekte sind in diesem Kapitel kaum zu finden. Viele Aussagen und Schlussfolgerungen des Kapitels sind bereits in der Vorarbeit Cultur des Geldes zu finden, ein Titel, der ebenso passend für den hier betrachteten Abschnitt ist.

An seine Vorarbeit anknüpfend stellt Simmel am Beispiel bäuerlicher Abhängigkeiten erneut heraus, dass in der frühen Neuzeit eher persönlicher Natur waren, während in moderner Zeit die Abhängigkeit durch Geld versachlicht seien. Er beschreibt jedes Abhängigkeitsverhältnis, das real existiert, als gegenseitige Willenserklärung („Verpflichtung“) zwischen einem „Berechtigten“ (Pflichtgeber) und einem „Verpflicheten“ (Pflichtnehmer). Der „Berechtigte“ hat in dieser Willenserklärung das Forderungsrecht auf eine Leistung, die vom „Verpflichteten“ erbracht werden muss. Solche Verhältnisse existieren nach Simmel in drei Formen:

  1. der Anspruch von persönlichen Leistungen (Bsp.: Fronarbeit; Extrembsp.: Sklaverei) – die persönliche Freiheit ist hier sehr stark eingeschränkt oder auch gar nicht gegeben; der Berechtigte gibt die Art und Weise des Wirtschaftens streng vor
  2. der Anspruch auf das Ergebnis einer persönliches Arbeit – (Bsp.: bäuerliche Abgaben des erwirtschaften Ertrages) – persönliche Freiheit ist hier in sofern vorhanden, dass dem Verpflichteten die Art und Weise des Wirtschaftens frei gestellt ist
  3. der Anspruch auf ein absolutes Mittel – (Bsp.: Geldabgaben) – hier ist der Verpflichtete nicht nur in der Art und Weise des Wirtschaftens frei, sondern auch darin, wie er das absolute Mittel beschafft; das Absolute Mittel ist dabei selten das Produkt der Arbeit des Verpflichteten

Diese 3 Formen zeigen keine historische Entwicklung, darauf weist Simmel explizit hin. Es sind analytische Idealtypen, die in Vergangenheit und Gegenwart als Mischformen und/oder in Abstufungen existierten. Geld spielt in dieser Analyse die Rolle des absoluten Mittels im 3. Idealtypus. Geld ist objektivierter Wert, der jegliche Persönlichkeit eines Subjekts aus dem Pflichtverhältnis nimmt. So werden alle Arten von Beziehungen und Abhängigkeiten Objektiviert

Geld nimmt in der objektiven Betrachtung der Lebenswelt einen eigenen Stellenwert ein, da es Wertsymbol und Wertgegenstand zugleich ist. Durch diese objektive Anschauung könnte der Mensch eine Welt ohne Streit und gegenseitige Verdrängung aufbauen. Hierzu müssen nach Simmel mehr Lebensinhalte objektiviert und ein Tauschhandel erfolgen. Der Tauschhandel ermöglicht Vorteile für beide Parteien und dabei ein Wachstum, also eine Wertsteigerung. Der eine Partner gibt etwas, was für ihn relativ überflüssig ist, aber von dem anderen relativ benötigt wird.

„Die objektiv gleiche Wertsumme geht durch die zweckmäßigere Verteilung, die der Tausch bewirkt, in eine subjektiv größere, in ein höheres Maß empfundener Nutzung über.“

Die Eigenschaften Teilbarkeit und unbeschränkte Verwertbarkeit des Geldes bewirken, dass eine objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung stattfinden kann. Denn Geld ist nur für die Darstellung des Wertes anderer Objekte zuständig. Somit kann nach Simmel nur der Tausch mit Geld Objektivität ermöglichen. Der eine Händler erhält etwas, das er unbedingt (in dem Moment) benötigt und der andere etwas, das er ganz allgemein (in jedem Moment) braucht.

Geld dient zum Austausch von Gütern und Dienstleistungen, sowie für die Bereitstellung ihrer Herstellung. Es durchzieht also das gesellschaftliche Leben und jedes soziale Handeln lässt sich auf Geld zurückführen. Man kann sagen, Geld ist ein „absolutes Mittel“. Geld als Tauschmittel zu nutzen birgt aber auch soziale Folgen. Durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung werden immer mehr Menschen abhängig voneinander, aber mit der Technisierung rückt das Objekt in den Fokus und es erfolgt eine Objektivation des Subjekts. Das Subjekt wird somit zum Resultat der Geldwirtschaft. Dadurch werden die Menschen austauschbar und soziale Bindungen werden eingeschränkt. Der Mensch wird nur noch an seiner sachlichen Zweckmäßigkeit gemessen.

„Die allgemeine Tendenz aber geht zweifellos dahin, das Subjekt zwar von den Leistungen immer mehrer Menschen abhängig, von den dahinterstehenden Persönlichkeiten als solchen aber immer unabhängiger zu machen.“

Aufgrund der Arbeitsteilung erfolgt eine Individualisierung der Personen. Das Handeln wird nur auf bestimmte Teile beschränkt und dadurch wird keine persönliche Freiheit zugelassen.

Individuelle Freiheit wird durch Kapital ermöglicht, denn durch dieses wird dem Subjekt der gesamte sachliche Reichtum der Welt zugänglich. Von Kapital kann man sprechen, wenn dieses über die Grundversorgung hinaus ausreicht.

 

Den Prozess der totalen Objektivation aller menschlichen Beziehungen wäre die Umsetzung der totalen persönlichen Freiheit. Diesen Prozess lokalisiert Simmel in seiner Zeit, sagt jedoch, dass er noch unvollständig ist. Dei Kehrseite einer solchen Entwicklung ist aber die enorme Abhängigkeit von Geld, da alles, was das Individuum nicht kann, durch zukauf von Leistungen kompensiert werden müsse. Diese Dringlichkeit wird von der Zunehmenden Arbeitsteilung und Spezialisierung nochmals verstärkt. Eine Gesellschaft, die sich nun so entwickle, käme dem Sozialismus extrem nahe. Denn Simmel bedeutet Sozialismus „jedes sozial zu berücksichtigende Tun in eine objektive Funktion zu verwandeln.

In einer nach dieser Richtung hin ganz vollendeten Gesellschaftsverfassung würde der einzelne unendlich abhängig sein; die einseitige Bestimmtheit der ihm zugewiesenen Leistungen würde ihn auf die Ergänzung durch den Komplex aller anderen anweisen, und die Befriedigung der Bedürfnisse würde nur sehr unvollkommen aus dem eigensten Können des Individuums, sondern würde aus einer ihm gleichsam gegenüberstehenden, rein sachlichen Gesichtspunkten folgenden Arbeitsorganisation hervorgehen. (S. 395)

 

In einer solchen Gesellschaftsverfassung, die jegliche Beziehungen und Tätigkeiten durch Geld objektiviert hat, wird im Endeffekt auch das Subjekt objektiviert; ergo wird das Individuum bedeutungslos. Allein seine objektive Tätigkeit als „Lieferant“ im Produktionsprozess ist von Bedeutung. Die ausführende Person kann beliebig ausgetauscht werden. Persönliche Beziehungen sind vollkommen aufgelöst und die totale persönliche Freiheit ist hergestellt.
Diese Analyse führt aber nicht zwangsläufig zu einer dystopischen Vorstellung nach dem Motto „Atomisierung der Gesellschaft“. Denn individuelle Freiheit sieht Simmel auch als Relation und „Verhältnis zwischen Menschen“ (S. 400).

Die individuelle Freiheit ist keine reine innere Beschaffenheit eines isolierten Subjekts, sondern eine Korrelationserscheinung, die ihren Sinn verliert, wenn kein Gegenpart da ist. (S. 397)

Damit ist deutlich gemacht, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und sich (u.a.) über das Verhältnis zu anderen Menschen definiert, so auch alle Formen von Freiheit und Unabhängigkeit. Der Mensch einer Geldwirtschaft hat zwar durch das Geld und dessen objektiven Wert eine hohe Freiheit von anderen Individuen als Personen, jedoch ist er umso abhängiger von den einzelnen Leistungen die diese Individuen als Lieferanten beisteuern. Anders ausgedrückt besteht jedes zwischenmenschliche Verhältnis aus Nähe und Distanz. In der Geldwirtschaft gewinnt in diesem Verhältnis die Distanz ein Maximum, währen die Nähe auf ein Minimum fällt, jedoch nie auf Null, oder darunter zu fallen.

Damit wird deutlich, dass Freiheit nicht einfach mehr wird. Mit der Freiheit von etwas kommen immer neue Pflichten zu etwas, die jedoch zunächst als Teil der neuen Freiheit wahrgenommen werden. Bereits zu Beginn des hier betrachteten Abschnitts mach Simmel dies deutlich: „Was wir nämlich als Freiheit empfinden, ist tatsächlich oft nur ein Wechsel der Verpflichtungen“.

Damit sieht Simmel Freiheit, wie Physiker Energie: Sie kann nicht geschaffen werden, noch verloren gehen. Ihre Summe bleibt in einem geschlossenem System gleich.

Über Hendrik Lobe

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2 Kommentare

  1. Stefanie Middendorf sagt:

    Die komplexen Zusammenhänge zwischen der „individuellen Freiheit“ als „Prinzip der Persönlichkeit“ einerseits und der „Entpersönlichung“ von Beziehungen bei gleichzeitiger Enge der „sachlichen Abhängigkeiten“ andererseits, die Simmel in diesem Kapitel beschreibt, sind nicht leicht wiederzugeben. Im Blogbeitrag „Geld, Wert und Erkenntnis“ wurde ja ebenfalls darauf hingewiesen, dass es schwierig ist, Simmels Gedanken adäquat zusammenzufassen.

    Wir sollten also die zentralen Kategorien der von Simmel hier beschriebenen Bedeutung des Geldes für Freiheit und Persönlichkeit vielleicht noch einmal gemeinsam präzisieren. Zwei Denkanstöße dazu vorab: Ist der Mensch bei Simmel wirklich ein „soziales Wesen“? Und wofür steht das Beispiel des Staatssozialismus bei Simmel genau?

    Außerdem würde ich gern – mit Blick auf die heutige Kritik am Finanzmarktkapitalismus – über die Bedeutung diskutieren, die Simmel den „Börsen“ zuweist (S. 390-392).

    • Malte Hirschbach sagt:

      Ihre Frage nach der Bedeutung der Börsen für Simmel, konnten wir in der Diskussion damit beantworten, dass sie den wirtschaftlich aktiven Menschen das Leben erleichtern. Sie nehmen ihm die Aufgabe ab, bei jeden Kauf eines Produktes immer wieder die Qualität zu überprüfen und schafft einheitliche Maßstäbe an denen man sich orientieren kann. Er sieht die Bedeutung der Börsen also sehr positiv, was aufgrund der heutigen oft geübten Kritik an den Börsen überraschend oder zumindest bemerkenswert ist.

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