Ein Beitrag zu Simmel aus der ARD-Mediathek:
ARD-Mediathek „Philosophie des Geldes“
(Sendungsdatum: 29.10.2015)
Georg Simmel, neu gelesen
9. Jul 2016
Ein Beitrag zu Simmel aus der ARD-Mediathek:
ARD-Mediathek „Philosophie des Geldes“
(Sendungsdatum: 29.10.2015)
8. Jul 2016
Das abschließende Kapitel der Philosophie des Geldes hat in der Simmel-Rezeption eine besondere Rolle gespielt. Jürgen Habermas etwa schrieb, dass
Simmel seine erstaunliche, wenn auch vielfach anonyme Wirkung jener kulturphilosophisch begründeten Zeitdiagnose verdankt, die er zuerst im Schlußkapitel der Philosophie des Geldes (1900) entwickelt hat.
Auch der Historiker Paul Nolte gründete seine Deutung Simmels als Vordenker einer „Historischen Anthropologie der Moderne“ in weiten Teilen auf dieses abschließende Kapitel. Wie also sieht die „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters“ (Habermas) aus, die Simmel hier entwirft? Und kann man wirklich von einer Theorie, im Sinne eines erklärungsorientierten Systems von Aussagen sprechen?
Im Kern des Kapitels steht der Begriff des Lebensstils. Die vielfältigen Überlegungen, die Simmel in der Philosophie des Geldes im Hinblick auf die wert- und wirklichkeitsstiftende, objektivierende und subjektivierende, nivellierende und individualisierende Funktion des Geldes darlegt, werden unter diesem Begriff noch einmal zusammengeführt, um zu einem „verständlichen Bilde“ (S. 656) zu gelangen und die Mannigfaltigkeit von Kulturerscheinungen, die sich im Geld zum Ausdruck bringen, zusammenzufassen.
Drei Modi des Verhältnisses zwischen den Dingen und dem Ich macht Simmel dabei aus: 1. Distanz, 2. Rhythmus, 3. Tempo.
DISTANZ
Geld, so behauptet Simmel, schafft innerliche Distanz bei äußerlicher Annäherung. Es verbindet, indem es trennt. Diese Distanzierung im Aneinander-Gedrängtsein ermöglicht erst die moderne Lebensform, sinnbildlich verkörpert im urbanen Dasein – das Simmel in dem bekannten Aufsatz „Die Großstädte und das Geistesleben“ (1903) noch pointierter in seiner nervenaufreibenden Wirkung sezieren und problematisieren sollte. Doch auch hier schreibt Simmel schon davon, dass das Kennzeichen der modernen Zeit ein von äußerlichen wie von innerlichen Gegebenheiten bewirktes „Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen“ sei – als „sollte die Hauptsache erst kommen, das Definitive, der eigentliche Sinn und Zentralpunkt des Lebens und der Dinge“ (S. 670). Diesen zentralen Punkt bildet nun das Geld, ein Ausdruck für die Überlagerung der Zwecke des Lebens durch die Mittel (ähnlich wie das Militär). Davon handelte auch schon Simmels 1896 veröffentlichter Vortrag „Das Geld in der modernen Cultur“. Das Geld ist nicht nur Mittel zum Zweck, sondern ein Mittel als Mittel, es besitzt eine Doppelrolle: Es ist Teil des Aufstiegs der modernen Mittelinstanzen wie z.B. der Technik zum Selbstzweck, liegt diesen Techniken aber zugleich zugrunde und ermöglicht sie erst. In der modernen Kreditwirtschaft steigert sich die verbindende und zugleich trennende Wirkung des Geldes, die Zweck- und Vorstellungsreihen werden ausgedehnt, Vertrauen wird vorausgesetzt und zugleich Reservierung bewirkt.
RHYTHMUS
Geld schafft einen gleichmäßigen Fluss, es ist ein Medium der „Vergleichmäßigung“ (S. 680). Ist sein erstes Auftreten noch von chaotischer Zufälligkeit geprägt, so gelangt es danach zu einer Stufe der sinnvollen Ordnung und schließlich zu einer Kontinuität des Sich-Darbietens. Nun braucht das Individuum sich bei seiner Bedürfnisbefriedigung an keinen transindividuellen Rhyhtmus mehr zu halten, es kann sich alles zu jeder Zeit kaufen. Die großen Banken sind es, die laut Simmel durch die Konzentrierung des Geldverkehrs diesen des periodischen Zwanges zur Anhäufung und Drainierung entheben und Zins- und Liquiditätsprobleme lösen können. Den Kritikern der Wirtschaftsordnung seiner Zeit, die auf den Wechsel von Überproduktion und Krisen verwiesen (man denke nur an die amerikanischen Bankenkrisen des 19. Jahrhunderts), hält er entgegen, dass diese damit gerade das „noch „Unvollkommene“ (S. 680) der gegenwärtigen Zustände beschrieben. Die von ihm angenommene Entwicklung sei auch keineswegs einfach. Der Kapitalismus bedinge Unsicherheiten. Die angenommenen Stadien der Entwicklung böten sich in einem „Zugleich“ von Gegensätzen dar; das Geld könne dem Liberalismus ebenso wie dem Despotismus dienen, es sei in sich völlig „indifferent“, ein „wesensloses Wesen“ (S. 691). Es leihe sich insofern auch weiterhin den früheren Entwicklungsstadien, sofern die „Verhältnisse oder die Tendenz der Persönlichkeit darauf hindrängt[en]“ (S. 691). Es habe die individualistische Sozialform Englands ebenso ermöglicht wie es zum Vorläufer sozialistischer Formen werden könne. Auch hier also wieder: Eine Doppelstellung.
TEMPO
Die Inhalte des Lebens werden durch das Geld schließlich auch in ihrem Tempo beeinflusst. Quantitätstheoretische Ansichten greift Simmel hier zwar auf, differenziert deren regelhafte Annahmen aber aus. Er betont die psychologische Dimension der umlaufenden Geldmenge, die das Wirtschaftsleben beeinflusse: Der Umlauf an Waren vermehre sich, und dies bewirke Gefühle des „Chocs“ (S. 698). Geld ist auch bei Simmel eine relative Größe, jedoch keine neutrale; es mag objektive Effekte haben, doch diese werden subjektiv ausgebildet. Diese Wirkung entdeckt Simmel besonders dort, wo der Substanzwert des Geldes durch dessen Funktionswert abgelöst wird, etwa am Beispiel des schlechten Papiergeldes und der dadurch bedingten plötzlichen Veränderung von Besitzverhältnissen in Nordamerika vor dem Unabhängigkeitskrieg. Der beschleunigte und beschleunigende Umlauf des Geldes bewege die Verhältnisse, weil er Ungleichheit und damit verbundene „erregende“ (S. 701) Differenzempfindungen erzeuge (im Übrigen auch dann, wenn sich der Geldumlauf nicht vermehre, sondern vermindere, und somit retardierend wirke). Auch hier aber kehrt Simmel wieder zur Ambivalenz zurück: Geld verkörpere den „Doppelaspekt des Seienden“ (S. 711) – dessen beharrende Einheit und permanente Formung. Es sei als greifbare Einzelheit das flüchtigste Ding der äußerlich-praktischen Welt, ein Träger dauernder Bewegung – und zugleich seinem Inhalte nach das beständigste, da es als Indifferenzpunkt zwischen allen sonstigen Inhalte stehe und allen wirtschaftlichen Dinge ihr Maß gebe.
Daran schließt Simmel auf den letzten Seiten seines Buches grundsätzliche Überlegungen zum inneren Zusammenhang der modernen Welt an:
Nur weil die Realität sich in absoluter Bewegtheit befindet, hat es einen Sinn, ihr gegenüber das ideelle System zeitlos gültiger Gesetzlichkeiten zu behaupten; umgekehrt: nur weil diese bestehen, ist jener Strom des Daseins überhaupt bezeichenbar und greifbar, statt in ein unqualifiziertes Chaos auseinanderzufallen. Die allgemeine Relativität der Welt, auf den ersten Blick nur auf der einen Seite dieses Gegensatzes heimisch, zieht in Wirklichkeit auch die andere in sich ein und zeigt sich als Herrscherin, wo sie eben nur Partei zu sein schien“ (S. 716).
Geld also macht den relativistischen Charakter des Seins erkennbar, zumindest insoweit, als die relativistische Weltsicht der Entwicklungsstufe der Gegenwart am ehesten entspricht. Eine Relativitätstheorie der modernen Gesellschaft also? So könnte man Simmel lesen. Aber sicher nur dann, wenn man damit auch den Begriff der Theorie relativiert und Simmels Philosophie des Geldes mit Aldo J. Haesler als einen „gigantischen Essai“ begreift, der „unangemessen maskiert durch das Spiel der formalen Symmetrie seiner Kapitel […] trotzdem ein unerschöpflicher Steinbruch“ ist.
5. Jul 2016
Im analytischen Teil seiner Arbeit beschäftigt sich Simmel mit dem Wert des Geldes. Wir bearbeiten hier das dritte Unterkapitel, welches sich mit der Einordnung des wirtschaftlichen Wertes in ein relativistisches Weltbild beschäftigt. Das Geld nimmt dabei seinen Platz als obersten Ausdruck von wirtschaftlichem Wert ein.
…erst die Relativität [schafft] den Wert der Objekte im objektiven Sinne, weil erst durch sie die Dinge in eine Distanz zum Subjekt gestellt werden…
Was Simmel genau mit der „Doppelrolle des Geldes“ und seiner scheinbaren Widersprüchlichkeit meint und auf was er hinaus will, lässt sich nur festellen, wenn man den ersten Teil dieses Kapitels, in dem er seine theoretisch methodische Grundlage beschreibt, versteht. Deswege versuche ich im folgenden die wichtigsten Aspekte kurz zusammenzufassen.
Beim Lesen des Kapitels schafft es Simmel mich dazu zu zwingen von einen Gedanken zum nächsten zu hetzten, dabei wirkt es erst so als hängen diese kaum zusammen, aber irgendwie ergibt sich dann doch immer wieder eine Verbindung. So viele und interessante Gedanken mir kamen, so schwer ist es, diese richtig ins Bewusstsein zu bringen und irgendwie greifbar zu machen und formulieren zu können. Dabei wären einige Zwischenüberschriften, auf die Simmel komplett verzichtet oder ein par Absätze mehr, mit Sicherheit hilfreich gewesen. Im folgenden ein par Gedanken dazu, was für Simmel Erkenntnis und Relativität bedeutet. Dabei finde ich es bei vielen seiner Ausführungen schwierig, diese in eigenen Worten wiederzugeben, da ich dabei immer das Gefühl habe, ich würde etwas entscheidendes unterschlagen. Deswegen werde ich mich zum Großteil auf Wiedergabe des von Simmel geschrieben beschränken.
Simmel outet sich als Relativist und beschreibt was Relativismus für ihn bedeutet und erläutert die Vorteile des Relativismus gegenüber den Skeptizismus und anderen erkenntnistheoretischen Theorien.
Er beschreibt zum Beispiel wie das menschliche Denken funktioniert und betont immer wieder die scheinbaren Widersprüchlichkeiten des Dasein und des menschlichen Denkens.
So sei unser Sein und Denken geprägt von Bewegung (dem Wechselnden, Unruhigen, Äußerlichen) und der Ruhe (das Substanzielle, Definitive, eigentlich Wertvolle).(S.93) Wir versuchen hinter den Flüchtigkeiten des Lebens die Wahrheiten bzw. etwas unveränderliches Absolutes zu entdecken, wie frühe Kulturen hinter dem Donner den Donnerer. Die erste Tendenz des Denkens versucht dieses Absolute zu finden und unwichtige Einzelvorgänge und Beziehungen zu überwinden. (S.94)
Die Grundrichtung der modernen Wissenschaft hingegen versuche relative Bestimmungen und Verhältnisse auszudrücken ohne „ein an sich seiendes Wesen der Dinge“. Hier wirkt es für mich so als ob er den Vergleich mit der Naturwissenschaft bzw. der Physik wagt, was sich später meines Erachtens bestätigt und intensiviert. Trotz dieser Entwicklung in der Wissenschaft scheint es eine Absoluten Wahrheit zu geben.(S.95) Die Wahrheit eines Satzes kann nur erkannt werden, wenn es irgendwelche allgemeinen und sicheren Prämissen gibt. Bei den Reihen von Erkenntnissen ist jede nur unter der Bedingung einer anderen gültig. Es ist also möglich immer weiter zu fragen. Das erinnert mich an ein Kind das immer weiter warum fragt bis sich die Antworten in einem Zirkel bewegen oder immer die gleich Antwort gegeben wird.
Simmel geht davon aus, dass das Erkennen vermutlich irgendwo eine Basis hat, da wir diese aber nicht erkennen können, müssen wir jede Erkenntnis so behandeln, als wäre es die Vorletzte. (S.96)
Relativismus ≠ Skeptizismus, der Relativismus braucht kein Absolutes.
Simmel beginnt einen interessanten Vergleich zwischen erkenntnistheoretischen Gesetzten und Gesetzten für das menschliche Handeln.
Jede Vorstellung ist nur im Verhältnis zu einer anderen wahr. (S.97)
„Jede Rechtsverfassung enthält […] in sich die Kräfte […] zu ihrer eigenen Änderung, Ausbreitung oder Aufhebung […].“ Jedes Gesetz besitzt seine Würde nur durch das Verhältnis zu anderen Gesetzen. Eine erste Wahrheit muss als existierend angenommen werden, ohne dass diese bewiesen werden kann. (S.98)
Es könnte sein, dass unsere Erkenntnis ein sehr komplexer Zirkelschluss ist, den wir aufgrund der Größe und Nähe nicht erkennen, wie wir die Erde solange wir auf ihr stehen nicht als Kugel erkennen. (S.99) Halt machen bei einer Wahrheit scheint nur durch Dogmatismus möglich zu sein.
„Das Erkennen ist so ein freischwebender Prozeß, dessen Elemente sich gegenseitig ihr Stellung bestimmen, wie die Materiemassen es vermöge der Schwere tun; gleich dieser ist die Wahrheit dann ein Verhältnisbegriff.“ (Hier ist die Parallelität zur Physik eindeutig zu erkennen.)
„Die unserem Geiste eigene Notwendigkeit, die Wahrheit durch Beweise zu erkennen, verlegt ihre Erkennbarkeit entweder ins Unendliche oder biegt sie zu einem Kreise um, indem ein Satz nur im Verhältnis zu einem anderen, dieser andere aber schließlich nur im Verhältnis zu jenem ersten wahr ist. Das Ganze der Erkenntnis wäre dann so wenig ››wahr‹‹, wie das Ganze der Materie schwer ist; nur im Verhältnis der Teile untereinander gelten die Eigenschaften, die man von dem Ganzen nicht ohne Widerspruch aussagen könnte.“(S.100)
Verschiedene Lebewesen handeln verschieden, weil sie verschiedene subjektive Wahrheiten haben. Dabei sind die Wahrheiten nicht nützlich, weil sie wahr sind, sondern wahr, weil sie sich im Laufe der Evolution als nützlich erwiesen haben.(S.101f.)
Wahrheit = Beziehung von Vorstellungen zu einander.(S.103)
„Notwendig ist eine Relation, durch die die gegenseitige Fremdheit zweier Elemente zu einer Einheit wird[…].“ Zum Beispiel bei einem Kunstwerk.
Unser Erkenntnisbild der Welt, setzt sich aus „dem Sein“ und „den Gesetzen“ zusammen. Weder das Sein noch die Gesetze enthalten für sich eine Notwendigkeit. (Ich denke, dass Simmel hier schon indirekt auf den Methodenstreit eingeht.) (S.105)
Es gibt kein Gesetz, das das Dasein notwendig macht und keins das es notwendig macht, dass es Naturgesetze gibt. Notwendigkeiten bestehen nur zwischen dem Sein und den Gesetzen.
Wir müssen den Dogmatismus, dass das Erkennen abschließbar sei, aufgeben. Nicht: „So und so verhalten sich die Dinge“ sondern „unser Erkennen hat so zu verfahren, als ob sich die Dinge so und so verhielten.“(S.106) Dadurch ist es möglich, dass zwei entgegengesetzte Prinzipien gültig sind. Genau wie man sich beim Wechseln von induktiver und deduktiver Methode nicht widerspricht.
„Erst durch diese Auflösung dogmatischer Starrheiten in die lebendigen, fließenden Prozesse des Erkennens wird die wirkliche Einheit desselben hergestellt, indem seine letzten Prinzipien nicht mehr in der Form des gegenseitigen Sich-Ausschließen, sondern des Aufeinander-Angewiesenseins, gegenseitigen Sich-Hervorrufens und Sich-Ergänzens praktisch werden.“
(Dieses Prinzip lässt sich oft in der „Philosophie des Geldes“ wiederfinden. Simmel verbindet oft scheinbar widersprüchliche Dinge miteinander.) (S.107)
Der Mensch versucht jede Vielheit soweit wie möglich zu vereinheitlichen, da er weder mit einem kompletten Monismus noch mit einem kompletten Pluralismus zufrieden ist. Der Gegensatz von Individualisierung und Vereinheitlichung der Lebensinhalte teilt nicht die Menschen sondern den Menschen. Fürs Denken ist der Mensch auf beides gleichermaßen angewiesen.(S.108) Weder das eine noch das Andere würde einen Sinn ohne den Gegenentwurf machen. Da man nicht in der Lage wäre drüber nachzudenken. So entsteht „die Schwierigkeit: daß ein Unbedingtes bedingt wird, und zwar durch ein andere Unbedingtes, das seinerseits wieder von jenem abhängt.“(S.109)
Im folgenden bringt er mehrere Beispiele, bei denen sich die Gegensatzpaare wie beschrieben verhalten.
1. Vergangenheit ↔ Gegenwart bzw. Vorstellung von Zukunft.(geschichtliche Erkenntnis)
2. Kenntnis des Ich ↔ Kenntnis des Anderen. (psychologische Erkenntnis)
3. Seele als Produkt der Welt ↔ Welt als Produkt der Seele
4. Allgemeine Gesetze ↔ Geschichte
5. Apriori ↔ Erfahrung
Simmel geht davon aus, dass Waren ihren Preis anfänglich durch subjektive Werteinschätzung erhalten. Diese variiert mit der wahrgenommenen Distanz des Subjektes zum Objekt. Je weiter diese Distanz, desto wertvoller erscheint etwas. Das Geld ist also Ausdrucksform eben jener Distanz, da es zwischen dem begehrenden Ich und dem begehrten Objekt steht.
Geld ist nichts als die reine Form der Tauschbarkeit…
… diese Aussage scheint jedoch nicht der Annahme einer Doppelrolle des Geldes, als Relation und relationsstiftend, zuwiderzulaufen. Trotzdem es Spiegel einer subjektiv wahrgenommenen Distanz ist und somit Wertverhältnisse der austauschbaren Waren untereinander misst, wird es auch direkt gegen Waren getauscht und wird somit selbst zur messbaren Größe.
__________
„Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: dass es innerhalb der praktischen Welt die entscheidenste Sichtbarkeit, die deutlichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein ausmacht.“
Dieses Zitat gibt mir doch ein wenig zu denken. Einerseits spricht Simmel ja davon, dass der sich der wirtschaftliche Wert aus subjektiven Einschätzungen ergibt, hier schreibt er aber davon, dass sich Wert aus der Gegenseitigkeit der Verhältnisse – aus ihrer Vergleichbarkeit also, ergibt. Ich finde das widerspricht sich …
4. Jul 2016
Simmel geht im ersten Abschnitt seines 4. Kapitels auf die Themen Freiheit, Individuum, Objekt, Subjekt, Tauschgeschäft und das Beziehungsgeflecht innerhalb einer Gesellschaft ein. Seine Analyse, wie sich Geld auf die genannten Themen auswirkt, lese ich als hauptsächlich soziologisch orientiert, ja fast kultursoziologisch. Ökonomische oder geldgeschichtliche Aspekte sind in diesem Kapitel kaum zu finden. Viele Aussagen und Schlussfolgerungen des Kapitels sind bereits in der Vorarbeit Cultur des Geldes zu finden, ein Titel, der ebenso passend für den hier betrachteten Abschnitt ist.
An seine Vorarbeit anknüpfend stellt Simmel am Beispiel bäuerlicher Abhängigkeiten erneut heraus, dass in der frühen Neuzeit eher persönlicher Natur waren, während in moderner Zeit die Abhängigkeit durch Geld versachlicht seien. Er beschreibt jedes Abhängigkeitsverhältnis, das real existiert, als gegenseitige Willenserklärung („Verpflichtung“) zwischen einem „Berechtigten“ (Pflichtgeber) und einem „Verpflicheten“ (Pflichtnehmer). Der „Berechtigte“ hat in dieser Willenserklärung das Forderungsrecht auf eine Leistung, die vom „Verpflichteten“ erbracht werden muss. Solche Verhältnisse existieren nach Simmel in drei Formen:
Diese 3 Formen zeigen keine historische Entwicklung, darauf weist Simmel explizit hin. Es sind analytische Idealtypen, die in Vergangenheit und Gegenwart als Mischformen und/oder in Abstufungen existierten. Geld spielt in dieser Analyse die Rolle des absoluten Mittels im 3. Idealtypus. Geld ist objektivierter Wert, der jegliche Persönlichkeit eines Subjekts aus dem Pflichtverhältnis nimmt. So werden alle Arten von Beziehungen und Abhängigkeiten Objektiviert
Geld nimmt in der objektiven Betrachtung der Lebenswelt einen eigenen Stellenwert ein, da es Wertsymbol und Wertgegenstand zugleich ist. Durch diese objektive Anschauung könnte der Mensch eine Welt ohne Streit und gegenseitige Verdrängung aufbauen. Hierzu müssen nach Simmel mehr Lebensinhalte objektiviert und ein Tauschhandel erfolgen. Der Tauschhandel ermöglicht Vorteile für beide Parteien und dabei ein Wachstum, also eine Wertsteigerung. Der eine Partner gibt etwas, was für ihn relativ überflüssig ist, aber von dem anderen relativ benötigt wird.
„Die objektiv gleiche Wertsumme geht durch die zweckmäßigere Verteilung, die der Tausch bewirkt, in eine subjektiv größere, in ein höheres Maß empfundener Nutzung über.“
Die Eigenschaften Teilbarkeit und unbeschränkte Verwertbarkeit des Geldes bewirken, dass eine objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung stattfinden kann. Denn Geld ist nur für die Darstellung des Wertes anderer Objekte zuständig. Somit kann nach Simmel nur der Tausch mit Geld Objektivität ermöglichen. Der eine Händler erhält etwas, das er unbedingt (in dem Moment) benötigt und der andere etwas, das er ganz allgemein (in jedem Moment) braucht.
Geld dient zum Austausch von Gütern und Dienstleistungen, sowie für die Bereitstellung ihrer Herstellung. Es durchzieht also das gesellschaftliche Leben und jedes soziale Handeln lässt sich auf Geld zurückführen. Man kann sagen, Geld ist ein „absolutes Mittel“. Geld als Tauschmittel zu nutzen birgt aber auch soziale Folgen. Durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung werden immer mehr Menschen abhängig voneinander, aber mit der Technisierung rückt das Objekt in den Fokus und es erfolgt eine Objektivation des Subjekts. Das Subjekt wird somit zum Resultat der Geldwirtschaft. Dadurch werden die Menschen austauschbar und soziale Bindungen werden eingeschränkt. Der Mensch wird nur noch an seiner sachlichen Zweckmäßigkeit gemessen.
„Die allgemeine Tendenz aber geht zweifellos dahin, das Subjekt zwar von den Leistungen immer mehrer Menschen abhängig, von den dahinterstehenden Persönlichkeiten als solchen aber immer unabhängiger zu machen.“
Aufgrund der Arbeitsteilung erfolgt eine Individualisierung der Personen. Das Handeln wird nur auf bestimmte Teile beschränkt und dadurch wird keine persönliche Freiheit zugelassen.
Individuelle Freiheit wird durch Kapital ermöglicht, denn durch dieses wird dem Subjekt der gesamte sachliche Reichtum der Welt zugänglich. Von Kapital kann man sprechen, wenn dieses über die Grundversorgung hinaus ausreicht.
Den Prozess der totalen Objektivation aller menschlichen Beziehungen wäre die Umsetzung der totalen persönlichen Freiheit. Diesen Prozess lokalisiert Simmel in seiner Zeit, sagt jedoch, dass er noch unvollständig ist. Dei Kehrseite einer solchen Entwicklung ist aber die enorme Abhängigkeit von Geld, da alles, was das Individuum nicht kann, durch zukauf von Leistungen kompensiert werden müsse. Diese Dringlichkeit wird von der Zunehmenden Arbeitsteilung und Spezialisierung nochmals verstärkt. Eine Gesellschaft, die sich nun so entwickle, käme dem Sozialismus extrem nahe. Denn Simmel bedeutet Sozialismus „jedes sozial zu berücksichtigende Tun in eine objektive Funktion zu verwandeln.
In einer nach dieser Richtung hin ganz vollendeten Gesellschaftsverfassung würde der einzelne unendlich abhängig sein; die einseitige Bestimmtheit der ihm zugewiesenen Leistungen würde ihn auf die Ergänzung durch den Komplex aller anderen anweisen, und die Befriedigung der Bedürfnisse würde nur sehr unvollkommen aus dem eigensten Können des Individuums, sondern würde aus einer ihm gleichsam gegenüberstehenden, rein sachlichen Gesichtspunkten folgenden Arbeitsorganisation hervorgehen. (S. 395)
In einer solchen Gesellschaftsverfassung, die jegliche Beziehungen und Tätigkeiten durch Geld objektiviert hat, wird im Endeffekt auch das Subjekt objektiviert; ergo wird das Individuum bedeutungslos. Allein seine objektive Tätigkeit als „Lieferant“ im Produktionsprozess ist von Bedeutung. Die ausführende Person kann beliebig ausgetauscht werden. Persönliche Beziehungen sind vollkommen aufgelöst und die totale persönliche Freiheit ist hergestellt.
Diese Analyse führt aber nicht zwangsläufig zu einer dystopischen Vorstellung nach dem Motto „Atomisierung der Gesellschaft“. Denn individuelle Freiheit sieht Simmel auch als Relation und „Verhältnis zwischen Menschen“ (S. 400).
Die individuelle Freiheit ist keine reine innere Beschaffenheit eines isolierten Subjekts, sondern eine Korrelationserscheinung, die ihren Sinn verliert, wenn kein Gegenpart da ist. (S. 397)
Damit ist deutlich gemacht, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und sich (u.a.) über das Verhältnis zu anderen Menschen definiert, so auch alle Formen von Freiheit und Unabhängigkeit. Der Mensch einer Geldwirtschaft hat zwar durch das Geld und dessen objektiven Wert eine hohe Freiheit von anderen Individuen als Personen, jedoch ist er umso abhängiger von den einzelnen Leistungen die diese Individuen als Lieferanten beisteuern. Anders ausgedrückt besteht jedes zwischenmenschliche Verhältnis aus Nähe und Distanz. In der Geldwirtschaft gewinnt in diesem Verhältnis die Distanz ein Maximum, währen die Nähe auf ein Minimum fällt, jedoch nie auf Null, oder darunter zu fallen.
Damit wird deutlich, dass Freiheit nicht einfach mehr wird. Mit der Freiheit von etwas kommen immer neue Pflichten zu etwas, die jedoch zunächst als Teil der neuen Freiheit wahrgenommen werden. Bereits zu Beginn des hier betrachteten Abschnitts mach Simmel dies deutlich: „Was wir nämlich als Freiheit empfinden, ist tatsächlich oft nur ein Wechsel der Verpflichtungen“.
Damit sieht Simmel Freiheit, wie Physiker Energie: Sie kann nicht geschaffen werden, noch verloren gehen. Ihre Summe bleibt in einem geschlossenem System gleich.
28. Jun 2016
Wofür hilft uns das Wissen, das wir anhand der Textbesprechung in der vergangenen Sitzung zu Simmels persönlicher und intellektueller Biographie, zum geldgeschichtlichen Kontext sowie zur Rezeption seines Buches um 1900 (und danach) erworben haben? Anhand der nachfolgenden Arbeitsfragen kann es bei der Lektüre der Kapitel aus der „Philosophie des Geldes“ für die kommende Sitzung vielleicht fruchtbar gemacht werden:
2. Erkennen Sie geldhistorische Entwicklungen aus Simmels Zeit – etwa die Veränderung des Substanzwert des Geldes, die Transformation hin zum Giralgeld, den Goldstandard oder die Institutionalisierung durch Banken – in den Kapiteln wieder? Kann man insofern erfahrungsgeschichtliche Momente in Simmels Geldphilosophie entdecken?
3. Wie werden jene zentralen Konzepte des Simmelschen Denkens verwendet, über die wir gesprochen haben, insbesondere „Subjektivität“ und „Objektivität“, „Individualisierung“ und „Nivellierung“, „Qualität“ und „Quantität“, „Relativität“, „Labilität“, „Moderne“, „Kultur“?
4. Wo würden Sie die besondere Anschlussfähigkeit von Simmels Analyse verorten – in ökonomischer, soziologischer, philosophischer oder historischer Hinsicht?
Die letzte Frage leitet dann zur Besprechung der drei Texte zur Rezeption Simmels (Flotow/Schmidt, Deutschmann, Nolte) über, die jeweils für unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen stehen.
25. Jun 2016
Bei der Reflexion des Aufsatzes von Habermas „Simmel als Zeitdiagnostiker“ haben wir die nun folgenden Themen bearbeiten können.
Der bildungsbürgerliche Hintergrund Simmels und das damit verbundene expressivistisches Bildungsideal lässt schließen, dass zu dieser Zeit das Schaffen der Werke für sich selbst, um sich zu bilden im Vordergrund stand. Das Subjekt wird in den Fokus gesetzt zum Selbstzweck. Der Erschaffer muss sich mit dem Risiko der Objektivation befassen, bei der die Schöpfung (das Objekt) wichtiger wird als der Schöpfer (das Subjekt) selbst. Als Beispiel ist hier Harry Potter anzumerken, der vermutlich berühmter ist, als seine Autorin J.K Rowling. Hier warf sich uns die Frage auf, in wie weit der Entwickler eines Objekts in unserer Unterhaltungsgesellschaft noch relevant ist?
Auch bei Simmel spielen Begriffe wie Objektivation und Subjektivation eine tragende Rolle. Habermas sagt dazu, dass sich Objektivation und Subjektivation auf jeweils andere Gesetze beziehen, sie stehen jedoch in Wechselwirkung zueinander. Das Objekt ist rational und das Subjekt hat Persönlichkeit. Habermas beschreibt diese Persönlichkeit mit dem Begriff Seele. Tritt dieses Subjekt in die Objektkultur ein, indem es das für die Kultur produzierte Produkt veröffentlicht, ist in diesem Produkt die „Seele“ enthalten, obwohl es ein Objekt ist. Dies bezeichnet Habermas als „Geist“. Unter Objektkultur versteht man etwas Überindividuelles, das nicht an das Subjekt, sondern an ein Kollektiv gebunden ist, wie z.B. Gesetzte.
Als Mittelinstanz zwischen Subjekt und Objekt fungiert das kommunikative Handeln. Habermas sieht Kommunikation als eine Form des Handelns an, bei dem man in einer bürgerlichen Öffentlichkeit (öffentliche Aushandlung) gesellschaftliche Probleme bespricht.
25. Jun 2016
Neil MacGregor, Direktor des Britischen Museums, hat gemeinsam mit der BBC eine Radio-Serie erstellt, in der er anhand von Objekten aus der Sammlung des Museums eine Weltgeschichte zu erzählen versucht. Dabei spielt auch Geld an verschiedenen Stellen eine Rolle.
Dazu folgende Episoden:
Goldmünze des Krösus (um 550 v. Chr.):
Ming-Banknote (1375-1425 n. Chr.):
Acht-Reales-Stücke (1573-1598 n.Chr.):
Kreditkarte (2009 n.Chr.):
http://www.bbc.co.uk/programmes/b00nrtd2/episodes/downloads
Auf Deutsch sind diese Beiträge erschienen in:
Neil MacGregor, Die Geschichte der Welt in 100 Objekten, München 2013.
23. Mrz 2016
Keine Zeile dieser Untersuchung ist nationalökonomisch gemeint.
Diesen disclaimer stellte Georg Simmel seiner im Jahr 1900 veröffentlichten „Philosophie des Geldes“ voran. Ganz im Sinne des Verfassers wurde das Buch tatsächlich vor allem zu einem Klassiker der Kulturtheorie und Soziologie. Dennoch hat es seit seinem Erscheinen auch in der Wirtschafts- und Finanzwissenschaft immer wieder Aufmerksamkeit gefunden und wird heute, in Zeiten akuter Finanzkrisen, als Anleitung zum Verständnis der ökonomisierten Gegenwartsgesellschaft neu entdeckt. Simmel selbst suchte in seinem Werk vor allem nach den Voraussetzungen der Sinnhaftigkeit des Geldes. Diese entdeckte er in der seelischen Verfassung der Menschen, in den sozialen Beziehungen und in den logischen Strukturen von Wirklichkeit und Wert. Das Geld diente ihm als Mittel, um grundlegende Zusammenhänge des modernen Daseins aufzuzeigen – von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens unternahm er also einen Tauchgang zu den „Bedeutsamkeiten alles Menschlichen“. Nicht nur, weil Simmel dabei die genuin geschichtliche Dimension menschlicher Erfahrung einbezog, lohnt eine Relektüre auch für Historiker_innen.
Digitalisat der Ausgabe von 1900