Epidemien sind bis ins 19. Jahrhundert hinein die schreckliche Geißel der Menschheit. Keine Seuche jedoch wütete so schrecklich wie die Pest. In Halle hinterließ die letzte Pestwelle im Jahr 1682/83 noch einmal schreckliche Spuren. Vermutlich ca. die Hälfte der hallischen Stadtbevölkerung starb wohl an den Folgen dieser Epidemie, am Ende sollen nur ca. 4000 Hallenser überlebt haben. Dies sagt sich nicht mehr so leicht dahin, wenn man Stunde für Stunde die zahllosen Namen der einzelnen hallischen Frauen, Kinder und Männer, ja ganzer Familien, eingegeben hat.
Heute werden Epidemien häufig schnell unter Kontrolle gebracht, indem die Ursprungsorte und Verbreitungswege von Krankheitserregern ausfindig gemacht werden. Retrospektiv sind vielleicht auch die Wege der letzten Pest rekonstruierbar. Erstes Pestopfer in Halle war die 34-jährige Margaretha Flemmig, Ehefrau des kurfürstlich-brandenburgischen Regimentsschalmeinpfeifers Paul Rottich. Soldaten brachten die Pest offenbar nach Halle. Die Frau starb am 24. Oktober 1681 und wurde umgehend ohne jede kirchliche Zeremonie bestattet. Die Pest griff dennoch sehr schnell um sich. Nur wenige Tage später starben die Jungfernmagd des Protonotars Wippermann und dessen gerade geborenen Zwillingsmädchen. Wir wissen noch nicht, welche Kontakte sie tatsächlich zu Margaretha Flemmig besaßen. Die Pest bahnte sich über diese ersten Opfer eine breite Schneise durch die gesamte hallische Bevölkerung.
Zahlreiche Verordnungen der preußischen Regierung reglementierten Reise- und Handlungsverbote sowie den Umgang mit Kranken und Toten. Ausnahmsweise lobte der Stadtrat sogar die Bemühungen des neuen Landesherrn. Diese und andere Maßnahmen der Stadt, wie die Anstellung von speziellen Pestärzten und Leichenträgern, trugen dazu bei, die Pest schließlich wirksam zu bannen. Die Toten wurden erst nachts aus den Häusern geschafft und auf der Stelle bestattet.
Aus früheren Zeiten überliefert die Sage hier noch drastischere Schritte der Prävention. Der Straßenname „Graseweg“ leitet sich von Geschehnissen in der Pestwelle 1350 ab. Hier sollen die ersten Pestopfer der Stadt in ihren Häusern eingemauert und ihrem Schicksal überlassen worden sein, damit sich die Epidemie nicht in der Stadt ausbreitete. Erst Jahre später wurde der nun von Pflanzen überwucherte Weg wieder geöffnet und daher „Graseweg“ genannt.
Das letzte Pestopfer im Marienviertel 1683 war der erst einjährige Johann Friedrich Gottwald, der mit seinen Eltern in der Kleinen Ulrichstraße lebte. Er starb am 2. März 1683.