Und das war so

Jeden Morgen weckte mich die Sonne, welche beharrlich versuchte, das dichte Astgewirr über unseren Holzhütten zu durchbrechen.

Wenn ich nach dem Aufwachen meinen Kopf von dem mit Stroh übersäten Bett hob, senkte ich ihn jedes Mal wieder traurig. Ich war alleine. Die Kameraden standen jeden Morgen früh auf, ließen mich schlafen und ich kam immer viel später mit einem Gefühl der Schuld heraus.

Aber dieses Gefühl hielt nur für einen Moment an. Ich war klein, der kleinste von allen, und ich hatte das Recht zu schlafen, wenn gerade keine Offensive war. Aber trotzdem schien es mir, als würden sie mich spöttisch ansehen, wenn sie mich dann beim Frühstück antrafen. Spöttisch, denn sie hatten zu dieser Zeit schon einiges gearbeitet.

Unsere in Eile errichteten Baracken befanden sich in einem weitläufigen Eichenwald, in der Nähe der Straße, die den Weg nach Voćin beschleunigte. Sie waren aus Holz gebaut, ebenerdig, und zu jeder führte ein ausgetretener Weg hin. Unter dem gleichen Dach waren Schlafzimmer, Küche, Arbeitszimmer und ein wenig weiter, in den anderen Holzhäusern, Lagerräume mit unterschiedlichen Waren, ein Häuschen für die Wachen und Kuriere und ein kleiner Stall für zwei Pferde und eine Kuh, die uns ein Bauer geschenkt hatte. Die Ustaša hatten ihm alles verbrannt, was verbrannt werden konnte, geblieben war ihm nur diese Kuh, die er zuvor in den Wald gebracht hatte. In diesen Gebäuden befand sich auch die Intendantur des 6. Korps, ein stets geschäftiger Ort. Anfangs konnte ich den Begriff kaum aussprechen, Intendantur, doch jetzt weiß ich, dass es eine militärische Institution ist, welche Brigaden und Krankenhäuser mit Kleidung, Schuhen, Decken und Nahrung beliefert, wenn dies in den Lagerräumen vorrätig war. Sie lieferten wirklich alles mögliche, alles außer Waffen.

An unserer Intendantur hielten Kuriere und Divisionsintendanten und einmal, nachdem ein Stützpunkt gefallen war, auch ein Wagen mit beschlagnahmtem Material. Manchmal wimmelte es hier von Menschen, Jungen und auch Bäuerinnen, die Nahrung für unsere Krankenhäuser herbeifuhren oder herbeitrugen.

Und so hatte ich wirklich nie Langeweile. Und überhaupt, kennen Kinder im Alter von fünf Jahren denn Langeweile? Manchmal saß ich lange auf den Holzstufen vor der Baracke, in der ich schlief, und sah diesem ganzen Tumult und Treiben zu. Und fast alle diese Leute sprachen mit mir. Viele kannten mich bereits. Ich war in einen Stoffanzug von militärischem Schnitt gekleidet und auf meinem Kopf saß eine Partisanenmütze mit dem roten fünfzackigen Stern. All das hatte mir der Schneider Marko an einem Nachmittag genäht, als ich meine kurzen Hosen und meinen Mantel, mit denen ich gekommen war, zerrissen hatte. Aber erst dann, als ich mir die Mütze auf den Kopf setzte, fühlte ich mich wie ein echter Partisan. Und nicht einmal nachts nahm ich sie mehr ab. Aber nachts fiel sie immer von alleine ab, sodass ich sie am Morgen lange im Stroh und zwischen den Decken suchen musste.

Wenn mich Bekannte und Unbekannte fragten, was ich machte und wie ich lebte, antwortete ich ihnen wichtigtuerisch, rückte die Partisanenmütze auf dem Kopf zurecht und blickte insgeheim mit Sehnsucht auf die Gewehre, die an ihren Schultern hingen. Wieso bin ich nicht wenigstens ein wenig größer, um einen Gürtel zu tragen, eine Kuriertasche und ein Gewehr umzuschnallen, und um singend über den Hügel zu laufen, um eine mir anvertraute Aufgabe zu erfüllen! Ja, einmal brachten sie mir nach einem Angriff auf irgendein Städtchen ein Gewehr mit, aber ohje, nicht einmal jetzt erinnere ich mich gerne daran, es war aus Holz und hatte einen Stopfen, der mit einer Schnur am Lauf befestigt war, und ich habe es, gekränkt wie ich war, weit ins Dickicht geschmissen. Wie mich die Kuriere dann auslachten! Das werde ich niemals vergessen. Es war nicht schön, einen echten Partisanen so zu verspotten.

Und ich konnte wirklich, ohne zu zögern, „echter Partisan“ sagen. Man muss wissen, wie ich in diese großen slawonischen Wälder gekommen war, um zu sehen, dass ich im Recht war. Und das war so.

Mein Vater fand, sobald der Krieg begann, irgendwo ein Gewehr und ging zu den Partisanen. In jener Nacht, in der er fortging, lag ich wach im Bett und konnte nicht begreifen, was sich in unserem Haus ereignete. Wieso brannte jetzt, in der Nacht, die Petroleumlampe, wieso schliefen Papa und Mama nicht wie immer, warum störten sie auch mich beim Schlafen? Ich fürchtete, dass sie den kleinen Mišo wecken würden, der friedlich in seiner Wiege schlief. Wenn sie ihn weckten, würde Mama ihn lange nicht beruhigen können. Ich lauschte dem verhaltenen Flüstern meines Vaters, dem Seufzen meiner Mutter, einmal wischte sie sich sogar heimlich die Tränen weg. Ich verstand, dass sich etwas Ungewöhnliches ereignete, aber ich fühlte, dass ich nicht danach fragen sollte. Ich schloss sogar die Augen, so als würde ich schlafen, als Papa sich über mein Bett beugte und mich auf die Stirn küsste. Ich fühlte, dass es weder ihm noch Mama recht recht gewesen wäre, wenn sie gewusst hätten, dass ich wach war.

Und so ging Papa fort. Danach habe ich ihn lange nicht gesehen, aber obwohl ich damals erst drei Jahre alt war, habe ich weder seinen Kuss noch seine Worte vergessen, die er Mama zum Abschied fast flüsternd sagte: Pass auf die Kinder auf! Lass den Kopf nicht hängen! Halte durch! Ich weiß, dass es schwer sein wird, aber ich werde euch dort nicht vergessen. Wenn die Zeit kommt, werde ich nach euch schicken…

Die Tage vergingen, aber ich habe nicht aufgehört, an Papa zu denken und mich zu fragen, wohin er gegangen war und wann er kommen würde, um uns abzuholen.

Einmal rannte ich den Hof hinunter, um unsere Katze zu fangen, aber ich blieb mit meinem Fuß an einem Stein hängen, fiel hin und schnitt mir das Knie an einem scharfen Stück Eisen auf. Es tat sehr weh und Blut floss aus der Wunde. Ich fing an, mit lauter Stimme zu schreien. Meine Mutter rannte aus dem Haus, hob mich auf und wischte mir mit einem Taschentuch das Blut ab. Es war nichts Gravierendes, aber ich schrie immer noch und meine Mutter sagte:

„Es ist ja nichts passiert, hör auf zu weinen. Du bist selbst Schuld, wenn du nicht aufpasst.“

Ich antwortete wütend:

„Es ist nicht meine Schuld. Es ist deine Schuld… Papa hat dir gesagt, dass du auf uns aufpassen sollst…“

Meine Mutter schaute mich fassungslos an. Sie legte mir die Hand auf den Mund und sah sich erschrocken um. Dann sagte sie zu mir: „Sei still, sprich nicht über Papa! Wehe, ich höre noch mal was von dir!“ Ihr Gesicht war bleich, ihre Augen streng. Mit diesem Blick hatte sie mich noch nie angesehen. Mir wurde klar, dass ich etwas gesagt hatte, was ich nicht hätte sagen sollen. Seitdem habe ich immer öfter an meinen Vater gedacht, aber erwähnt habe ich ihn nicht mehr.

Die Tage vergingen. Meine Mutter ließ mich immer seltener aus dem Hof und sie selbst ging nur manchmal ins Dorf. Immer öfter schloss sie die Haustür ab und versuchte, den Leuten so selten wie möglich unter die Augen zu treten. Wenn Mišo in seiner Wiege weinte, drückte sie ihn fest an sich, als hätte sie Angst, dass das schreiende Baby von den Nachbarn gehört werden würde. Schließlich verbot sie mir, das Zimmer zu verlassen. Als ich weinte und nach dem „Warum“ fragte, begann sie zu erzählen. Sie sprach über die Ustaša, über die Deutschen, über die Tatsache, dass Krieg war, darüber, dass Papa in den Kampf gezogen war, um diese Deutschen und die Ustaša, die dem Volk so viel Schlechtes antaten, zu vernichten. Ich verstand fast nichts von dem, was meine Mutter mir erzählte. Sowohl die Ustaša als auch die Deutschen und alles andere vermischte sich in meinem Kopf so sehr, dass ich sie nur stumm anblickte. Aber an ihren Augen, an der Art, wie sie mein Haar streichelte, an dem Zittern in ihrer Stimme erkannte ich, dass wir uns in großer Gefahr befanden und zog mich völlig in mich zurück. Aus dem heiteren, lebhaften Jungen wurde ein ruhiges, ängstliches Kind, das nicht länger alleine im Zimmer bleiben wollte.

Eines Nachts weckte mich meine Mutter. Sie war angekleidet. Auf dem Kopf ein dickes Kopftuch, Winterstiefel an den Füßen und neben ihr auf dem Tisch ein großes Bündel. Auf dem Stuhl neben dem Ofen saß ein Mann mit einem breiten Gesicht, fast kohlenschwarzen Augen und rabenschwarzem, glatt nach hinten gekämmtem Haar. Das Petroleumlicht zitterte seltsam auf seinem Gesicht und ich erschrak. Ich saß im Bett, klammerte mich krampfhaft an meine Mutter und fragte sie schluchzend:

„Ist das ein Ustaša, Mama? Was wird jetzt aus uns?“

Meine Mutter küsste mich, ohne ein Wort zu sagen. Sanft und langsam streichelte sie mir über die Haare. Das beruhigte mich etwas. Aber noch mehr beruhigte mich ihr Gesicht, in das ich besorgt blickte. Es strahlte Ruhe und Frieden aus. Als meine Mutter spürte, dass ich nicht mehr zitterte, dass sich mein Körper unter ihren Armen beruhigte, flüsterte sie mir ins Ohr, obwohl uns niemand, wirklich niemand, hören konnte:

„Nein mein Sohn, das ist kein Ustaša. Das ist ein Partisan. Er ist gekommen, um uns zu Papa zu bringen.“

Bei diesen Worten sprang ich aus dem Bett. Oh, zu Papa! Ich muss nicht mehr schweigen, ich muss mich nicht mehr ständig im Haus verstecken. Denn an dem Ort, an den uns Papa ruft, musste alles anders sein. Denn warum sonst würde er uns zu sich rufen?

Meine Mutter zog mich warm an. Der Partisan neben dem Ofen erhob sich. Erst jetzt sah ich ihn richtig. Nein, er war überhaupt nicht angsteinflößend. Er sah gut und freundlich aus, wie er mich sanft anlächelte. Dabei sagte er mit Traurigkeit in der Stimme zu meiner Mutter:

„Ich habe auch so einen Jungen. Aber weit weg von hier… Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen, und wer weiß wann…“

Meine Mutter sah ihn mitfühlend an und seufzte. Dann hob sie meinen Bruder, den sie schon vorher angezogen hatte, aus der Wiege und wollte nach dem Bündel auf dem Tisch greifen.

Doch der Partisan kam ihr zuvor und sagte:

„Lass liegen, Kameradin, das nehme ich für dich. Das Kind wird schon schwer genug sein…“

Ich sah ihn erstaunt an.

Wie hatte er meine Mutter genannt? Kameradin? Niemand hat sie jemals zuvor so genannt. Papa nannte sie meistens „Mama“ so wie ich, selten „Ljuba“ oder „Ljubica“ und die Nachbarn riefen sie Tante oder Tante Ljubica. Ich hatte schon meinen Mund geöffnet, um ihn zu fragen, warum er Mama so nannte, als sie das Licht ausblies, innehielt, als ob es ihr Leid tun würde hinauszugehen, und tief seufzte. Obwohl ich nichts sah, war ich mir sicher, dass sie ein paar Tränen vergoss. Ich selbst wollte auch weinen.

Aber dafür war keine Zeit, weder für Trauer noch für den Abschied.

Also gingen wir los…

Draußen war tiefste Nacht. Damals wunderte ich mich, wieso wir in der Dunkelheit aufbrachen, warum wir nicht auf den Tagesanbruch warteten, aber jetzt weiß ich, dass wir gerade in der Nacht aufbrechen mussten, um möglichst gefahrlos aus dem Dorf zu gelangen.

Die Reise war lang und beschwerlich. Mutter trug meinen kleinen Bruder und drückte ihn schweigend an sich. Wir gingen durch den Wald und hielten uns von den Dörfern, den Häusern und Hauptstraßen fern. Ich war sehr müde und der Partisan, der meine Hand hielt, musste mich hinter sich herziehen. Dann hob er mich hoch, und ich, meinen Kopf an seine Schulter gelehnt, schlief vor Müdigkeit ein…

Nach einigen schwierigen und anstrengenden Tagen kamen wir schließlich in einem dichten Wäldchen im Ljutoč-Gebirge an, wo wir von Papa erwartet wurden. Mutter warf sich weinend um seinen Hals. Und ich war so müde, dass ich mich einfach an ihn klammerte. Vater schob Mutter sanft weg und starrte ihr in die weinenden Augen und dann auf die leeren Hände. Es war, als ob er sich fragte, woher dieses traurige Weinen anstelle von Wiedersehensfreude kam. Mutter flüsterte:

„Ich konnte ihn nicht beschützen…. Als wir die Gleise überquerten, gerieten wir in einen Hinterhalt. Auch ein Partisan wurde getötet, zwei weitere verletzt…“

Vater knirschte mit den Zähnen, zog die Augenbrauen zusammen und bedeckte die Augen mit der Hand. Als er sie wegzog, war sein Gesicht ganz still, nur eine neue Falte schnitt sich neben seinem Mund.

„Es ist, wie es ist“, flüsterte er. „Auch dafür werden sie zahlen. Wenigstens ihr seid mir am Leben geblieben.“

Ja, er starb auf den Gleisen, die wir überqueren mussten, mein kleiner Bruder, ein kleiner Junge, der noch nicht einmal richtig lachen konnte, aber auch er fiel ihnen zum Opfer. Er starb blutüberströmt in Mutters Armen. Wie sehr ich ihn doch vermisste. Ich hatte mich immer gefreut, wenn ich mir vorstellte, wie wir zusammen spielen würden, wenn er groß wäre, wie ich ihm das Sprechen beibringen würde und wie wir in den Wäldern unweit unseres Dorfes umherstreifen würden. Und jetzt wird er niemals groß werden. Wir begruben ihn in einem kleinen Dickicht und die Kameraden legten einen großen, weißen Stein auf den kleinen Hügel. Damals fragte ich sie, wieso sie einen Stein auf meinen Bruder legten, ein Stein ist schwer, aber niemand hatte mir geantwortet. Nur meine Mutter weinte noch heftiger. Jetzt weiß ich, dass wir mit diesem Stein die Stelle, an der wir uns für immer von ihm getrennt hatten, markiert haben, damit wir sie später wiederfinden würden.

Seit dieser Begegnung mit Papa im Ljutoč-Gebirge sind viele Tage vergangen. Aus dem Herbst wurde Winter, aus dem Winter Frühling. Es kam zu heftigen Kämpfen. Eine Offensive überlebte ich unterirdisch in einem abgelegenen Bunker und eine andere auf dem Pferd des Brigadekommandeurs. Es gab schwierige Tage, an denen ich keinen Krümel Brot sah, keinen Tropfen Wasser. Ich spürte unerträgliche Hitze und heftige Kälte. Aber ich habe mich nie über irgendetwas beschwert. Ich wusste wohl, dass meine Kameraden alles für mich taten, was sie konnten, und so ertrug ich geduldig alle Widrigkeiten.

Die Kameraden sagten mir oft, dass ich ein wahrer Partisan sei.

Deshalb also war ich wütend und fühlte mich bis auf den Grund meiner Seele gedemütigt, als mir die Kameraden aus dem Einsatzkommando statt eines Gewehrs ein Kinderspielzeug mitbrachten.

Übersetzt von Leticia dos Santos

Anđelka Martić: Pirgo (1953)