Ich heiße Admir Hasanbegović. Ich bin am 2.4.1998 in Tuzla in der Föderation Bosnien und Herzegowina geboren worden… oder wie ich sagen würde Pederation. Konfession muslimisch. Vater Bosniake, Mutter Kroatin. Meine Freundin heißt Jelena Luki

Sie ist am 14.8.1998 in Bijeljina, in der Republika Srpska, geboren worden… oder wie meine Freundin sagen würde Republika Sumpfska. Konfession orthodox. Ihr Vater ist Serbe, die Mutter Serbin. Tja, so muss das hier bei uns in Bosnien und Herzegowina sein. Alles muss schön vermerkt werden, damit man über jeden genau weiß, wer er ist, was er ist und woher er ist. Schon vor einiger Zeit, also 1995, wurde der Friedensvertrag von Dayton unterzeichnet, aber was mich persönlich angeht, so ist es, als wäre er niemals unterzeichnet worden. Hier hat jede Familie ihre eigne Geschichte, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Uns kommt aber die Geschichte eher wie ein Märchen, ein Mythos oder eine Legende vor. Doch eigentlich ist, so viel ich gecheckt hab, der Krieg für uns noch nicht vorbei, nur dass nicht mehr mit Gewehren, sondern mit Wörtern geschossen wird. Aber Wörter können, wie wir wissen, Menschen noch schlimmer als Schüsse treffen. Ich glaub, wenn man mit einem Scanner für die Seele eine weltweite Statistik erstellen könnte, dann wären bei uns in Bosnien und Herzegowina die Wunden größer als auf der ganzen Welt. Wir haben’s schon schwer, aber wir hätten’s gern noch schwerer. Wenn die andren uns verletzt haben, werden wir sie noch stärker verletzen. Wir verstummen erst, wenn wir alle vor Schmerz umfallen. So war es auch in diesem Camp auf dem Igman.

Die Ausländer hatten ein Seminar für Mittelschüler aus Tuzla, Br

ko und Bijeljina organisiert: Liebe kennt keine Grenzen (zwischen Entitäten). Die Organisatoren haben pragmatisch gedacht: die Kinder werden an der frischen Luft ein bisschen spielen, die Lehrer verdienen sich etwas Geld dazu und wir Ausländer werden unser Gewissen reinwaschen und in Bosnien ist alles Friede, Freude, Eierkuchen. Für mich ist das totaler Schwachsinn, aber naja, mich fragt ja sowieso keiner. Sie haben uns im Kongresssaal des Hotels zusammengetrommelt und gesagt, wir sollen die Stühle in einen Kreis aufstellen. Wir haben uns also einander gegenüber gesetzt, angespannt wie unter Strom. Einer der Lehrer, Herr Benjamin, hat ein Päckchen Zigaretten in die Hand genommen und ist zur Tür gegangen, aber die Ausländer haben ihn aufgehalten, sie sagten, auch er soll sich in den Kreis setzen wie alle andren Teilnehmer, weil das Projekt nur so gelingen kann. Herr Benjamin steckte die Zigaretten in die Tasche und hat sich in den Kreis gesetzt, denn, ey, er will ja nicht zulassen, dass das Projekt wegen ihm versaut wird. Dann haben uns die Ausländer in allen Einzelheiten erzählt, wie der Krieg in unsrem Land gewütet hat und wie sehr unsre Leute gelitten haben und dass wir Schüler unter immensen Folgen leiden und ständig unter Druck sind, und dass wir nicht mal wissen, wie schwer wir es überhaupt haben, aber zu unsrem großen Glück sind sie ja hier, um uns alles schön zu erklären und uns beizubringen, dass man sich neben allen Problemen im Leben trotzdem lieben kann. Dann haben wir uns einander vorgestellt und haben mit ein paar Scherzen und Mindgames den ersten Workshop überstanden. Den ganzen Tag ist mein Blick irgendwie immer wieder zu diesem Mädchen mit dem wunderschön gewellten Haar gewandert. Ich hab bemerkt, dass sie mich auch angeschaut hat.

Am nächsten Tag haben wir uns in kleinere Gruppen aufgeteilt und sollten herausfinden, welche Gemeinsamkeiten es für Bosniaken, Kroaten und Serben in Bosnien und Herzegowina gibt. Schon nach zehn Minuten kam es zum Streit zwischen Herrn Benjamin und Frau Milica. Er bestand auf Srebrenica und sie auf Vidovdan. Die Lehrerin bebte vor Wut und der Lehrer zündete sich eine Zigarette an. Dann hat der Organisator zum Lehrer gesagt, dass er während des Workshops im Kongresssaal nicht rauchen darf, und er hat darauf erwidert, dass ihm kein dahergelaufener Ausländer befehlen wird, was er in seinem Land zu tun und zu lassen hat. Daraufhin hat Herr Dalibor sich eingemischt. Er hat Herrn Benjamin und Frau Milica zusammengestaucht, dass sie sich schämen sollen, sich vor den Gästen zu streiten, die Leute sind extra aus Europa gekommen, um uns zu helfen, uns zu versöhnen, und schau dir an, wie wir uns benehmen: wie Wilde. Er hätte darüber jammern können, dass er zu Kriegszeiten in der Umgebung von Travnik seine Frau und seine Kinder verloren hat, aber er hat weiter gemacht, obwohl er nur mit einem Bein zurückgeblieben ist. Während Herr Dalibor geredet hat, haben wir auf den Boden geschaut und geschwiegen, als wären wir nicht da.

Kaum dass der Workshop angefangen hat, haben wir also eine außerplanmäßige Pause von fünfzehn Minuten bekommen. Nach der Pause haben uns die Ausländer erklärt, dass unser Thema nicht Politik sondern Liebe ist und wir Srebrenica, Vidovdan und Travnik hinter uns lassen sollen. Findet Gemeinsamkeiten in Bosnien und Herzegowina, meinte der eine Ausländer zu uns, sagen wir, wenn es um Essen geht. Bis zum Ende des Seminars hat Herr Benjamin sich nicht beteiligt, aber dafür wie ein Schlot geraucht, eine Kippe nach der andren. Wir sind alle im Rauch erstickt und haben geschwiegen, denn wer wird ihm was sagen, wo doch seine ganze Familie in Srebrenica umgebracht wurde… Frau Milica ist nach der Pause auf ihr Zimmer gegangen und ist bis zum Ende des Seminars nicht mehr herausgekommen und wer wird ihr was sagen, wo doch vor ihren Augen ihre Schwester und ihre Mutter ermordet wurden… Irgendwie haben wir mit dem Seminar weitergemacht, aber der Teufel gibt nie Ruhe, jeder besteht auf seine Meinung. Wir können nicht mal über Ćevapčići reden. Die einen schreien, dass die Ćevapčići mit Soße aus Tuzla für Bosnien typisch sind und es darüber nichts mehr zu sagen gibt, die andren sind bereits auf den Beinen und behaupten, dass es in Bosnien und Herzegowina keine bessren als die Ćevapčići aus Sarajevo gibt und zwar die bei Ferhatovi

, die dritten sind auf die Stühle gestiegen und verkünden von oben, dass die einzig wahren Ćevapčići die aus Banja Luka sind, alle andren sind blasse Kopien dagegen. Dann gibt es wieder andre, die sagen, dass die aus Travnik am Fluss Plave Vode am leckersten sind. In diesem Moment ist mir durch den Kopf gegangen, dass die Ausländer uns als irgendwelche Primaten in einem verfickten Experiment betrachten. Sie schauten uns zu und versuchten herauszufinden, welches Problem wir haben. Dieses Seminar wurde in so vielen andren Ländern veranstaltet und immer ist alles gut gelaufen und hier bei uns hat es nicht mal angefangen.

So haben wir drei Tage auf dem Igman verbracht – wir haben uns entweder wegen Ćevapčići gestritten oder wegen Ćetenija oder wegen Dichtern oder wegen Wissenschaftlern und am meisten, ob das Wort Arsch in Lehrbüchern vorkommen sollte oder nicht. Meine Fresse, ich habe mich gefühlt, als wäre ich im falschen Film. Ich schaute nur zu und dachte bei mir, Alter, was sind wir für Spinner. Aber egal, es gibt keine Aufgabe, die uns die Ausländer gestellt und die wir nicht in ein Minenfeld verwandelt haben. Und am Abend umarmen alle einander, wir singen, tanzen, feiern bis zum Morgengrauen. Die Ausländer staunen nicht schlecht. Mit ein wenig Bier, einer Gitarre und viel Tabakrauch hatten sie mehr Spaß als sonstwo auf der Welt. Sie fragen How is it possible? Wir schweigen nur, weil, wer könnte ihnen das jetzt erklären, wenn wir es selbst auch nicht verstehen.

Und jetzt komme ich zum Wesentlichen, warum ich euch das alles erzähle. Ich setze mich also neben das Mädchen mit dem gewellten Haar. Wir singen, während wir uns anschauen und lächeln. Vor Mitternacht umarme ich sie. Nach Mitternacht umarmt sie mich. Ähm, beim nächsten Lied küsse ich sie. Beim übernächsten Lied küsst sie mich. Vor dem Morgengrauen halten wir Händchen, können die Augen nicht voneinander lassen. Und so haben Jelena und ich das Seminar gerettet. Die Ausländer überglücklich, die Lehrer zufrieden, die Freunde freuen sich. Ich hab auf Facebook meinen Beziehungsstatus In a relationship with Jelena geändert, sie ihren In a realtionship with Admir. Aber, wie wir schon alle wissen, in Bosnien und Herzegowina geht nichts ohne Leid und Streit, auch nicht die Liebe.

Jelenas und meine Eltern wollten nichts von unsrer Beziehung wissen. Entweder wir machen Schluss oder uns gibt es nicht mehr. Mensch, aber du kannst doch dein Herz nicht herumkommandieren! Los, geh jetzt ein bisschen nach links, noch ein bisschen nach links, los, los, uh, jetzt ist es zu viel, geh ein bisschen nach rechts, noch ein bisschen nach rechts, stopp, stopp, das ist gut, jetzt noch ein bisschen nach oben, noch ein bisschen, stopp! Jetzt ist es richtig! Admir, das hier ist Almedina Hasanović und du wirst dich jetzt in sie verlieben. Auf die Plätze, fertig, los! Das hätte meine Mutter gerne, aber so geht das natürlich nicht. Deswegen machen Jelena und ich Pläne. Wir werden uns an der Uni in Sarajevo und auch in Belgrad bewerben, und dann sehen wir, wo wir angenommen werden. Nach dem Studium werden wir gemeinsam in die weite Welt reisen, möglichst weit weg vom Balkan. Wir wollen gern nach Neuseeland auswandern. Dort werden wir heiraten, ohne Verwandtschaft und nur standesamtlich. Das ist am besten für uns alle.

Meine Lieben, ihr habt euch wegen allem möglichen gestritten, wegen Grenzen, Religion, Opfern, Kriegsverbrechern, Gräbern, Nachbarn, Parlamentsplätzen, wegen Brücken und Straßen, wegen Ćevapčići und Ćetenija und was weiß ich weswegen noch. Ich hab euch allen brav zugehört, aber, Leute, bei der Liebe lasse ich mir nichts von euch sagen. Ich liebe Jelena Lukić und werde sie nicht verlassen, nur weil meine Eltern das so wollen, auch wenn sich Bosnien und Herzegowina auf den Kopf stellt. Nicht nur Bosnien und Herzegowina, sondern auch der ganze Balkan, Europa und die ganze Welt. Meine Lieben, wenn ihr wüsstet, was Liebe ist, ich schwöre, dann würdet ihr nicht so grausam sein.

Übersetzt von Anouk Kubenz

Jasminka Petrović: „Admir, osamnaest godina“, aus: Sve je u redu (2017)