Die Bombardierung

Aus einem lieblichen und angenehmen Traum weckte sie ein Getöse – Glas zerschellte, das Bett bebte, ihr langbeiniger Cousin zog sie grob an der Hand, Tante Marija rief nach der Mutter Gottes, sie zogen ihr ein Kleidchen über, ungekämmt und ungewaschen suchte sie ihre Schühchen und griff nach ihrem Teddybären, die Flugzeuge zerfetzten den Himmel, unheilbringende Pfiffe und dann Explosionen waren zu hören, das ist die Bombardierung, brüllte der Cousin wie verrückt, Tante Marija packte Tajana an der Hand, alle Menschen flohen auf das Feld, es flohen auch die Esel und Hunde, alles um sie herum zerbrach, Brände in der Ferne, endlich gab es das große Feuerwerk, endlich gab es Krieg.

Tajana empfand die Menschenmenge als angenehm, dort war es irgendwie sicher, die Menschen hatten aus lauter Panik mitgenommen, was sie finden konnten, ein paar schleppten immerhin Mehl, Eier und Schinken an, andere sinnlos vollgestopfte Koffer, wieder andere beluden ihren Esel mit einer Wanduhr, kostbare Teeservices zersprangen, was für eine Plage des Himmels hat uns heimgesucht, Tante Marija trug Bettlaken, werden wir etwa auf der Erde schlafen, freute sich Tajana, der Cousin aber verschwand, sicher ging er in die Stadt, mein Kind wird dort sterben, stöhnte die arme Tante Marija, Tajana saß mit ihrem Teddybären auf dem Schoß und dachte an die Schlachten aus Krieg und Frieden, die sie überblättert hatte. Die Flugzeuge flogen flach über das Feld und schossen dann in die Höhe, die Menschen legten sich aus Angst flach auf den Boden, das war die Bombardierung von Split, jetzt kehren die Räuber zurück, sagte jemand, es macht keinen Sinn hier zu bleiben, los, wir gehen in die Stadt, dort werden wir am Ende noch ausgeraubt.

Der Cousin empfing sie mit verkrampfter Miene und geballten Fäusten, aus all seine Taschen quollen verschiedene Uhren hervor, fast weinte er vor Zorn, zischte vor Hass, er war gefährlich wie ein vorgehaltenes Messer, so eine verdammte Scheiße, schrie er, eine Bombe ist in die Palme vor dem Uhrengeschäft eingeschlagen, alle Schaufensterscheiben sind zersprungen, die Schweinehunde haben alles gestohlen, was sie konnten, ich habe mit Mühe das hier retten können, was sollen wir jetzt tun, wir sind am Ende, man sollte sie an den Straßenlaternen aufhängen, die Scheißer und Aasgeier, von was werden die arme Witwe und ihr Sohn nun leben, sie blicken von der Seite auf Tajana, was für eine schöne Parade, sie bürden sich auch noch dieses unselige Kind auf, wie können sie es nun zurück schicken, sie haben schon genug eigene Sorgen.

Tajana schwieg und umarmte fest ihren Teddybären, ist etwa alles vorbei, war das etwa schon der Krieg gewesen und sonst nichts weiter, wo sind die Reiter, wo sind die wilden Armeen und schönen Generäle, wo sind die Flaggen und die Musik. Tante Marija seufzte und weinte, der Cousin schwieg und starrte finster auf einen Punkt, Tajana wagte nicht zu essen, es war offensichtlich, dass sie am Ende waren und dass das Uhrengeschäft einen großen Schaden davongetragen hatte, Diebe hatten fremde Uhren gestohlen, verflucht seien sie, die einen Menschen kamen ums Leben und die anderen hatten gestohlen und die Flugzeuge aber waren vom Himmel verschwunden, als wäre nichts geschehen. Es gibt keine Wunder, sagte die schöne und böse Schwester Onezima und scheinbar hatte sie recht, Zlatko tauchte auf, doch er war nicht mehr so schön, er unterhielt sich ernst mit Tante Marija und dem Cousin, sie brauchten Hilfe, von etwas musste man ja leben, er hob Tajana nicht in die Luft und hätte sie beinahe nicht einmal angesehen, eigentlich murmelte er nur, dass das Kind so schnell wie möglich zu seinen Eltern geschickt werden muss, sie waren verrückt, sie überhaupt hergeschickt zu haben, kennen diese Leute denn nicht die Situation, ihre Mutter ist nicht klar im Kopf, und die Bürgerlichen feiern, was sonst, sagte der Gymnasiast.

Die Post aus Zagreb ist nicht gekommen und in Split sind nach einigen Tagen die Italiener einmarschiert, das war endlich ein schöner Anblick. Tajana stand mit Tante Marija und ihrem Cousin zusammen, sie lugten hinter verschlossenen Fensterläden hervor, das war über dem Uhrengeschäft an der Kaiserpromenade, die Italiener ritten auf Pferden ein, sie trugen Federbüsche und geschmückte Uniformen, die Pferde waren so schön wie auf einer Hochzeit, ihr Cousin stand mit geballten Fäusten da und fluchte, niemand war auf der Straße, es war Morgen und die Stadt war wie ausgestorben.

Das war die Okkupation, verstand Tajana, das war wieder ein neues Wort, man muss diese schönen, eleganten und dunkelhaarigen Italiener hassen, aber das verstand sie nicht, ihr pockennarbiger Cousin regte sich auf und die Kleine schwärmte von dem Reiter mit dem blassen Gesicht, von einem wilden Ritt das Feld hinab, von einer Entführung und einem Leben im Zelt, die Erwachsenen sprachen darüber, dass Dalmatien verkauft wird, über die Inseln, der Krieg war nur ein Ärgernis.


Edita Goldberger

Tajana schrieb Tagebuch. Sie schrieb darüber, dass niemand sie liebt, schrieb über ihre schönen Augen und ihr unfreundliches Gesicht, über den Fahrer und Radovan, über den Cousin in Split und über den schönen Zlatko, über ihre erste Menstruation und darüber, wie Edita Goldberger verschwand. Edita besuchte Mama und trug ein gelbes Band und den jüdischen Stern, sie kam immer in der Dämmerung, niemals am Tag und Tajana sah einmal wie die Leute ihr hinterher gespuckt und geschimpft haben. Tante Edita war bescheiden und unscheinbar, ein rechtschaffenes, sympathisches altes Fräulein mit Zigarettenspitze und toupierten Haaren, sie trug eine Brille und Schuhe mit flachen Absätzen, jetzt leuchtete das gelbe Band an ihr, normalerweise kleidete sie sich nur braun und grau, mausfarben und niemals edel. Sie hatte sich wohl damit abgefunden, nicht gutaussehend zu sein, lebte mit ihren alten Eltern zusammen und arbeitete im Kraftwerk Munjara, sie bewunderte Tajanas Mutter und freute sich, als diese den neuen Papa heiratete. Alles wäre gut gewesen, wenn nicht dieser unselige Krieg und Hitlers Geschrei über das Radio gekommen wären, warum er Edita Goldberger hasste, wusste niemand, aber sie ist einfach verschwunden, das Tantchen sagte, dass sie auf der Straße oder an der Milchstelle wegen dem, was mit der Post passiert war, oder aus einem ähnlichen Grund abgeholt wurde, zur Vergeltung, auch sind Editas Mama und Papa verschwunden, von heute auf morgen gab es keine Goldberger mehr, geblieben sind nur schwarz eingebundene Notenblätter mit goldenen Buchstaben und zwei Fotografien.

Tajanas Mama hat den Ustaša aus ihrer alten Klasse in der Handelsschule angerufen, Tantchen erzählte, dass er ein hohes Tier bei der Polizei ist, aber er kam zu Tajanas Geburtstag und gab ihr eine Pralinenschachtel mit doppeltem Boden. Tajana war begeistert, sie aß die Pralinen wie verrückt, und davor verzehrte sie zwölf Sandwiches mit Prager Schinken und sauren Gurken. Sie hatten gewettet, wer mehr schaffen würde, Tajana hatte einmal zehn Zwetschgenknödel gegessen, das ist derselbe Teig wie für Schupfnudeln, in Dalmatien nennt man die Njoki. Tajana war schlecht von der Tartar Soße und dem französischen Salat, die anderen Kinder schauten verkniffen und das Tantchen sagte, es sei eine Schande, weil Millionen Menschen vor Hunger sterben. Sie leckte in der Küche die Teller ab und verhielt sich, als sei der erste Weltkrieg, vor dem sie sich so schrecklich fürchtete, noch einmal ausgebrochen, aber das hier war der zweite, ein völlig neuer, und Tajana sah überhaupt nirgendwo diese Millionen Menschen, nur ihre Mama und ihren neuen Papa, die nach dem Mittagessen türkischen Kaffee tranken.

Mamas Schulkamerad hatte eine schöne Uniform und ein blasses Gesicht, er war sehr schlank und sah aus wie der Märchenprinz aus einer von Tajanas Kindergeschichten. Das Tantchen sagte, dass die Ustaša Menschen abschlachten, aber er hat das bestimmt nicht gemacht, er roch nach feiner Seife und sein Haar war glattgekämmt und schön geschnitten, er hatte keine Ahnung von Edita Goldberger, er tröstete Mama, die weinte, versprach sich zu erkundigen und strich Tajana über den Kopf. Mama wartete auf seinen Anruf und dann hat sie selbst angerufen, sie sagte, Edita habe nichts gemacht, dass sie arm und ehrlich ist und ihre Eltern alt und krank waren, während dem Telefonieren weinte sie und der neue Papa ärgerte sich darüber und sagte, sie soll aufhören mit dem Telefonieren und Gejammer, sonst werden wir alle im Lager enden, ich bin sowieso in einer ganz schlechten Situation in dieser verdammten Zentrale. Mama hörte auf zu telefonieren, sie hatte begriffen, dass Edita Goldberger nie mehr wieder kommen wird, sie bewahrte die Noten als Erinnerung auf und tauschte das Silberbesteck ihrer Oma gegen ein dickes Schwein. Deutsche Soldaten drehten ihre Runden auf den Straßen, manche waren sehr jung und gutaussehend, im Kino lief der Film Jud Süß, Tajana lief an den großen farbigen Filmplakaten vorbei, der hässliche und unsympathische Alte machte neugierig, aber sie ließen sie nicht ins Kino, was für eine Propaganda, sagte der neue Papa am Tisch, schaltete ihr Radio, den Krugovalnik, aus. In der Schule hatte man Tajana für die Ustaša-Jugend eingetragen, sie wurden in Kompanien auf den Markusplatz geschickt, wo der Führer sprach, die Mädchen trugen weiße Blusen und dunkelblaue Faltenröcke, der Führer blickte finster und unzufrieden drein, es gab das Gerücht, dass sie aus Kindern Seife kochen und nur die dicken und kleinen Kinder stehlen. Tajana war sowieso zu dünn, auch wenn sie jetzt viel mehr aß als noch vor zwei, drei Jahren. Die Ärzte sprachen von einer verfrühten Pubertät und Rivanelli ist aus der Stadt verschwunden, das Verschwinden war generell in Mode, jetzt siehst du mich – jetzt siehst du mich nicht, heute bist du beim Mittagessen und morgen schon in einem weit entfernten Wald oder im Lager. Sie haben Plakate an die Wände geklebt, auf denen gefährliche und schreckliche Wörter waren, manche wurden erschossen, manche wurden aufgehängt und manche wurden gesucht so wie die geheime Internationale Terrororganisation (TITO). Tajana fantasierte nachts von dieser Organisation und fragte den neuen Papa einmal am Tisch, er befahl ihr still zu sein, danach debattierte sie mit dem Tantchen in der Küche und die sagte ihr, dass das bestimmt die „schwarze Hand“ ist, die den armen König Petar ermorden wird, so wie sie den verstorbenen Aleksandar umgebracht haben. Sie erzählte ihr wie einmal der König und die alte Königin durchs Fenster geschmissen wurden und wie man ihr ein Loch in den Bauch gemacht hatte, da sie keine Kinder hatte, das waren schreckliche und gruselige Geschichten. Tajana wachte in der Nacht wieder auf und schrie, sie schlief auf dem neuen Sofa, unter dem es keinen Platz für Mörder gab, da es bis zum gewachsten Parkettboden reichte, aber es war trotzdem schlimm und sie war allein im Zimmer, allein im Zimmer und auf der Welt. 

Übersetzt von Antonia Akrap

Sunčana Škrinjarić: Ulica predaka (1979)