Tagesbefehl für Tag eins

12.00 Ankunft auf dem Gelände, 13.00 Hissen der Flagge, 13.30 Lager einrichten, 18.45 Abendlicher Apell, 19.00 Abendessen, 21.00 Lagerfeuer, 23.00 Nachtruhe

Kapitel Neun

In welchem Tara am Lagerfeuer sitzt und hört, wie Ćići Titos Bodyguard war. [Er heißt so, weil er alle so nennt.]. Und ein bisschen belauscht sie auch eine interessante Unterhaltung über Dijanas Š.

„Ćići, los, jetzt du. Das, als du Titos Bodyguard warst.“

„Aus dem Krieg oder nach dem Krieg?“

„Aus dem Krieg.“

„Das, als wir in Tjentište waren?“

„Ja.“

„Das mit dem Rauchen?“

„Ja, Ćići, erzähl!“

„Gut, also: Der Alte hat immer gesagt, Rauchen sei schädlich. Er hat gesagt, dass jede Zigarette, die er raucht, ’ne Zigarette weniger ist, die die Arbeiterklasse raucht. Er hat sich immer für die Arbeiter aufgeopfert. Und auch uns hat er, ćići, dazu getrieb’n, uns aufzuopfern. Ich war kein Raucher, musst’ aber rauchen. Wer gibt mir ’ne Zigarette?“

(Dijana hat nicht damit geprahlt, dass Rauchen erlaubt war… Das wäre in Paris nicht gegangen… Why not? Stop! Models rauchen nicht. Well. Aber Models sitzen auch nicht im Rauch, auf der Wiese, anstatt mit Nachtcreme mit diesem ekeligen Irgendetwas gegen Mücken. Überflüssigerweise, übrigens. Die Schicht aus krustigem Schweiß reicht auch. Wie waschen sie sich hier? Mit den Fingernägeln?)

„Danke, ćići. Ich zünd’ sie mir nur eben schnell an… Also: Tjentište war die fünfte Offensive. Die fünfte war direkt nach der vierten. Wie hieß die vierte?“

„Die Schlacht um die Verwundeten.“

„Richtig, ćići. Meld dich für’s Quiz an. Die vierte Offensive ist das, wo Yul Brynner die Brücke zerstört. Das ging später in alle Militärlehrbücher ein. Da hat, ćići, der Alte 4000 Verwundete gerettet. Die Verwundeten sind in der fünften Offensive alle von den Deutschen an der Mündung der Hrčavka in die Sutjeska ermordet worden und deshalb hieß sie nicht „Schlacht um die Verwundeten 2“ sondern einfach „Schlacht an der Sutjeska“. Da hat Richard Burton mitgespielt.“

„Ist das dieses ‚Solange ihr noch die Schießerei auf Ljubin grob hört…‘“

„Ja. Ljubin grob ist, ćići, oben auf dem Hügel. Wir waren oben auf einem Marsch. Mensch, jetzt hast du mich unterbrochen und ich weiß nicht, wo ich war. Ich bin ganz durcheinander…“

„Richard Burton hat mitgespielt…“

„Aha. Er hat Tito gespielt.“

„Und mein Onkel hat einen Deutschen gespielt!“

„Richard wollte zweimal zurückkehren um die Verwundeten zu retten, sie konnten ihn kaum zurückhalten. Er fand das Drehbuch richtig beschissen. Der Mann konnt’ nicht zuschauen, wie die so viele Verwundete ermordet haben.“

„Die Deutschen?“

„Eigentlich waren es keine Deutschen, sondern deutsche Schäferhunde. Aber du kannst nicht auf alle deutschen Schäferhunde sauer sein, weil ein deutscher Schäferhund dem Alten das Leben gerettet hat. Und auch mir hat ein deutscher Schäferhund einmal das Leben gerettet.“

„Wie?“

„Er war angebunden. Sonst hätte er mich zerrissen. Diese Zigaretten sind gut, ćići. Mmmm. Der Alte hat solche in Drvar geraucht. Welche Offensive war Drvar?“

„Die sechste.“

„Wie hieß sie?“

„Rösselsprung.“

„Sehr gut, eins. So lernt man Geschichte, ćići, und nicht aus Büchern…“

(Cool. So lustig, dass du vergisst, wie dumm es ist. Jetzt muss man hier auch noch lernen, great… Was ist das für ein Typ? Warum lacht Dijana nicht?)

„Ein Partisan hat in Drvar gefragt, warum der Stab dicke Zigaretten raucht und die einfachen Partisanen dünne, und sie mussten ihn erschießen. Vor der Erschießung bat er darum, eine letzte Zigarette zu rauchen. Sie haben ihm eine dicke gegeben. Als er aufgeraucht hatte, starb er. Der Alte hat dieses Ereignis immer als gutes Beispiel dafür aufgeführt, dass Tabak schädlich ist…“

„Erzähl das, als du mit einer Rakete geflogen bist…“

„Das, als ihr auf Bärenjagd gegangen seid.“

„Morgen, ćići. Musikalisches Intermezzo.“

…Plenty of room at the hotel California,

Any time of year, any time of year,

You can find me here.

(Wenn die feinen Damen fragen, wo sie gewesen ist… Campen. In der Nähe eines Wasserfalls, der ausgetrocknet ist. Mit irgendwelchen gutgebauten Typen mit rausgeschlagenen Zähnen. Fernseher: no. Strom: no. Badezimmer: no. No Toilette, no Wasser, no Essen… Ultraschickkosmotechnocool. Und ihr? Ich war in Rom. Hammer! Ich war in Jerusalem. Wahnsinn. Ich war in New York. Der Broadway ist genial… Und in welchem Land warst du campen? Jugoslawien? Wo ist das? In der Nähe von Dubrovnik… Ich mache nur Spaß. Ich war nicht campen. Nur einen Tag. Dubrovnik ist der Wahnsinn. Hammer. Genial…)

„Ćići lügt, aber du übertreibst wirklich, Čvarak!“

„Ich schwöre, ich lüge nicht. Hier, frag Nole. So. Mit der Hand. Als würde er Blumen pflücken.“

„Eine Hornotter?“

„Sie hatte ‘n zick-zack Muster auf dem Rücken und einen dreieckigen Kopf mit einem klitzekleinen Horn drauf.“

(Sprechen sie über Dijanas Šilja?)

„Mit der linken Hand hat er sie hypnotisiert und mit der rechten am Hals gepackt. So hält er sie, sie hat nur den Mund aufgemacht, die zwei Zähne so groß. Ich habe nur drauf gewartet, dass mir das Gift in die Augen spritzt.“

„Ach komm schon Čvarak, das ist keine Kobra. Hornottern spritzen nicht.“

„Es ist auch keine Python aber sie hat sich innerhalb einer Sekunde um seinen Arm gewickelt.“

„Sie haben gesagt, dass es hier keine Schlangen gibt.“

„Aha, es gibt sie nicht. Eine Schlange will nicht in einen Steinbruch.“

„Ist ihnen zu heiß.“

„Wo Feigenbäume sind, sind auch Schlangen.“

„Wer sagt das?“

„Die Heilige Schrift. Die Schlange hat Eva von einem Feigenbaum aus zugeflüstert, dass sie einen Apfel pflücken und ein Blatt nehmen und sich damit bedecken soll.“

„Und du hast die Heilige Schrift geles’n?“

„Hat er nicht, er hat das in einem Bilderbuch geseh’n.“

„Junge, wieso denn Äpfel an einem Feigenbaum?“

„Warum nicht? Wenn eine Schlange sprech’n kann, warum sollten dann keine Äpfel an einem Feigenbaum wachsen?“

„Für mich ist diese ganze Geschichte Quatsch. Wenn ich solchen Blödsinn erzähle, schreibt sie mir direkt ‘ne fette Sechs in’s Klassenbuch.“

„Echt jetzt, wo ist er eigentlich?“

„Wer? Šilja? Im Zelt.“

„Von zwei Bier drei Tage verkatert.“

„Hape, du bist dumm!“

Übersetzt von Johanna Walter

Auszug aus: Nenad Veličković: 100 zmajeva (2007)