[POL]

Die Existenzweise der Politik [POL]

[pol] beschreibt nicht politische Institutionen, sondern meint Politik als Modus der Existenz. Die zentrale Eigenschaft dieses Modus ist, dass seine Existenz immer wieder von Neuem geschaffen werden muss:

„However numerous and diverse the various examples of political life may be, the question posed by political discourse is always how to connect beings to others so that the collective holds together while respecting a strange condition that for the time being appears contradictory: the political has to allow beings to pass through and come back while tracing an envelope that defines, for a time, a “we”, the group in the process of self-production, before it is taken up again by another movement thanks to which the others, called “they”, find themselves fewer in number – unless the movement goes in the other direction and they become more and more numerous.“ (Latour 2013: 338)

 Wie die anderen Modi zeichnet sich [pol] durch verschiedene Charakteristika aus: Erstens durch einen spezifischen Typus der Kontinuität, der Diskontinuitäten transzendiert: Der Pfad von [pol] kann als Zirkel (the Circle) beschrieben werden, dessen Verlauf ‘die gebogene Sprache’ (the curved speech) darstellt. Diese bedeutet die kontinuierliche Wiederaufnahme durch welche eine definierte, autonome, abgegrenzte Gruppe möglich wird und ist somit von straight talk zu unterscheiden. Die populäre Auffassung, dass ‚Poltiker lügen’ entsteht durch die fälschliche Identifizierung von straight talk in [pol]. Die politische Rede kann nicht über straight talk und crooked talk erklärt werden, da [pol] in seiner Reinform sich nicht auf Übersetzungsketten von Informationen bezieht, sondern auf das Handeln im Kollektiv.

Die konstante Diskontinuität von [pol] findet sich in der Repräsentation und dem Gehorsam, wobei diese nicht als Dichotomien aufgefasst werden dürfen, da sie sich in den selben Entitäten bzw. Personen manifestieren. Zweitens schafft auch [pol] eine, diesem Modus eigene, Definition von Wahrheit. Die zielführenden bzw. -verfehlenden Umstände bewegen sich nicht zwischen ‚richtig’ und ‚falsch’, sondern zwischen den Polen der Aufrechterhaltung von politischer Arbeit und deren Unterbrechung.

Drittens wird der Zirkel geschaffen und aufrechterhalten durch die Produktion von Quasi-Subjekten, welche dann ‚politisch agieren’, das heißt Gruppen formen oder Interessen artikulieren. [pol] beschreibt Prozesse der Gruppierung, Auflösung und Neugruppierung definierter Zusammenschlüsse (Veränderung). Somit haben diese Gruppen, wie beispielsweise „die Öffentlichkeit“ etwas phantomhaftes (phantom public) : Auch wenn sie den Anschein erwecken ‚gegeben’ zu sein, müssen sie durch die Bildung eines ‚Wirs’ kontinuierlich geschaffen werden (Performation), welches über ihre Heterogenität hinwegtäuscht.

Die Überschneidung [ref.pol] beschreibt die allgegenwärtige Verquickung von Politik und Wissen bzw. von Kollektiven und Übersetzungsketten. Der Begriff der Repräsentation ist zentral in Prozessen von [pol], während er sich gleichzeitig auf [ref] bezieht, das heißt das Wissen und die Bezugnahme auf Entitäten. Im Rahmen einer Depolitisierung von Wissen bzw. der Bewusstwerdung über die eigentlichen Charakteristika des politischen Modus ist es zentral, sich dem Unterschied zwischen diesen Modi bewusst zu werden, gerade weil diese zunehmend nur als miteinander verwoben auftreten (Ökologische Debatte).

Ein anschauliches Beispiel für [dc.pol] wäre die Idee bzw. Utopie transparenter Politik, d.h. die Annahme, dass bereitgestellte Informationen über Prozesse der Repräsentation rein und nicht übersetzt wären, so dass die Diskontinuität (Heterogenität der Gruppe macht Repräsentation unmöglich werden) überwunden wird.

[pol] und die darauf entstehenden Gruppierungen dürfen nicht in einer hierarchischen Anordnung, wie politische Institutionen meist dargestellt werden verstanden werden, sondern als immer währender Prozess des Zusammenschlusses, Aufbrechens und der Neuverknüpfung von Entitäten zu definierten Gruppen.

 

Die Institutsgruppe Ethnologie als Beispiel:

Eine Gruppe von Ethnologie-Studierenden schließt sich als Interessenvertretung der Studierenden gegenüber dem Institut zusammen (Zirkel). Somit wird eine gemeinsame Identität geschaffen, die es ermöglicht sich von anderen Personen abzugrenzen, beispielweise von Studierenden anderer Fächer oder Dozenten, und somit die Heterogenität der Gruppe überwindet (Veränderung). Durch die Bildung des Zirkels entstehen diverse Identitäten (Quasi-Subjekte), die mit diversen Rollenzuschreibungen einhergehen (die Institutsgruppe als solche, der Vorstand, der Kassenwart usw.). Aus dieser Identität heraus erwachsen gemeinsame Interessen (z.B. die Forderung weniger Hausarbeiten im Semester zu schreiben), welche die Diskontinuität von Repräsentation und Gehorsam überwindet. Es geht hierbei nicht darum, ob die Forderung weniger Hausarbeiten im Semester zu schreiben ‚richtig’ oder ‚falsch’ ist, sondern darum, dass es kontinuierlich diese definierte Gruppe gibt, die sich mit diesem gemeinsamen Interesse identifiziert, sich als Gruppe gegenüber Anderen wahrnimmt und auch so von Außen wahrgenommen wird.

Glückliche Umstände sind hier, wenn es gelingt die Lücken von Repräsentation und Gehorsam in eine Kontinuität einzubinden. Beispielweise wenn es gelingt, dass auch wenn einige Mitglieder eher die Studieninhalte als die Anzahl der Hausarbeiten ändern möchten, sich trotzdem mit der Gruppe identifizieren [ref.pol] oder wenn, obwohl Prüfungszeit ist und eigentlich keiner Zeit für ein Treffen hat, ein Termin gefunden wird, bei dem die Meisten anwesend sind. Ein Treffen der Institutsgruppe wäre [pol.org], d.h. die Verbindung von einer Handlung als Kollektiv und der Ausführung eines ‚geplanten’ Skripts. Der Zweifel eines Mitglieds, ob seine Interessen durch die Institutsgruppe adäquat vertreten werden, wäre [pol.dc].

Verfasserin: Sophie Knabner (sophie.knabner[at]student.uni-halle.de)

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