Assassin’s Creed und das Spiel als Medium der Geschichtsvermittlung

Oder: „Warum liegt hier Stroh?“

Wir haben unseren Angriff geplant. Geschickt wie eine Katze klettert und springt unser Attentäter über historische Fassaden und Dächer, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen. Wir lassen uns in eine dunkle Gasse fallen, nur um wenige Augenblicke später in der Menschenmenge auf dem Markt zu verschwinden. Die Körper treiben uns unserem Ziel unerbittlich näher heran. Unsere versteckte Klinge blitzt auf, ein sicherer Schlag und unsere Mission ist erfüllt.

Seit 2007 lässt uns der französische Spielehersteller Ubisoft zur historischen Killermaschine werden. Vom antiken Ägypten bis hin zur russischen Revolution wurden seither unterschiedlichste Epochen unter dieser Lizenz besucht. Der besondere Fokus auf historische Kulissen und Erzählungen soll als Grund völlig genügen, dieses Gesamtkonstrukt einmal unter die Lupe zu nehmen.

Sich spielen analytisch zu nähern, steht vor anderen Voraussetzungen ,als es bei anderen Medien der Fall ist. Bücher, Filme und Musik sind lineare Medien. Der Konsument ist hierbei der Erzählung des Mediums ausgeliefert, dem Diktat der Kunst. Anders liegt der Fall bei Videospielen. Diese bieten den Konsumenten häufig extreme Freiheiten in ihren Handlungen und Interaktionen innerhalb des Spiels. Doch diese Freiheit täuscht und entpuppt sich mitunter als nur scheinbar. Die Grenzen des Mediums sind im wahrsten Sinne des Wortes vorprogrammiert. Letztlich kann nur das getan werden, von dem die Entwickler wollen, dass es getan werden kann. Alles andere ist ein Bug, ein Exploit, kurz: ein Fehler im System. Spielen wir ein Spiel, so liefern wir uns seinen Regeln und Grenzen aus, welche von den Entwicklern festgelegt wurden. Wir werden zu Helfershelfern des Narrativs der Spieleautoren. Anders als sogenannte Sandbox-Games (Spiele ohne konkrete Geschichte und Handlung, welche dabei eher einem Werkzeugkasten für Spieler gleichen und auf hohen Wiederspielwert ausgelegt sind) bietet uns die Assassin’s Creed Reihe eine eigene Geschichte an, in welcher wir uns bewegen.

So beginnt das Spiel auch nicht in der Vergangenheit sondern in der Gegenwart mit der Firma Abstergo. Dieser Hochtechnologiekonzern gehört, wie wir bald erfahren, den geheim agierenden Templern (ja, eben jenen Templern). Diese machen Jagd auf die letzten Enklaven der Assassinen. Als eines dieser Individuen treten wir nun unsere Reise an und sollen mit dem sogenannten Animus interagieren. Diese Gerät basiert auf der Annahme, dass sich Erinnerungen unserer biologischen Vorfahren im eigenen Gencode wiederfinden und damit reaktiviert werden können (ähnlich wie bei Jungvögeln, welche selbstständig den Weg nach Süden finden, ohne ihn vorher selbständig geflogen zu sein). Dadurch kann in einer Simulation in die Gegenwart der eigenen Vorfahren gereist werden. Mit diesem Kunstgriff werden Zeitreisen möglich, ohne in der Zeit zu reisen. Ziel der Templer ist es, damit den Standort der sogenannten Edensplitter zu finden, Überreste einer vergangenen Hochkultur (u.a. der Atlanter). Diese Relikte wurden von früheren Assassinen, unseren Vorfahren, vor den Templern versteckt. Es geht dabei wieder, wie könnte es anders sein, um die Weltherrschaft. Dieses Konzept wurde mit Unterbrechungen über die gesamte Reihe fortgesetzt und zieht sich über mehrere Epochen, Personen und Handlungsstränge.

Welches Interesse könnte eine Historienforschung an der Art Science-Fiction Geschwurbel haben? Das Spiel liefert diesen Untersuchungsgegenstand in der Darstellung seiner historischen Welten, auf die die Entwickler auch merklich stolz sind, selber. Historische Gebäude wurden teils minutiös als digitale Modelle erstellt, welche wir mit der Spielfigur frei erkunden und erklettern können. Gleiches gilt für Objekte und Charaktere in der Spielwelt. Besonders in den neusten Ablegern der Reihe, werden diese Ambitionen deutlich. Mit der „Discovery Tour“ für Assassins Creed Odyssey (2018) (und dem Vorgänger Assassins Creed Origins (2017), welches im antiken Ägypten spielte) beschreitet die Videospielreihe einen neuen Ansatz, Geschichte als Gegenstand der pädagogischen Vermittlung und Aufbereitung statt nur als Kulisse.

Die Entwickler sind derartig überzeugt von ihrer Geschichtskonstruktion, dass sie nach dem Brand von Notre-Dame ihr Spiel: Assassins Creed: Unity (2014) verschenkten, da man dort die Kathedrale als 3D Modell umgesetzt findet. So könne man diese trotzdem in ihrer vollen Pracht bewundern. Während des Lockdowns wurden die Discovery Touren verschenkt. Von Seiten der Firma ist das ein starkes Signal, dass man sich längst um der kulturellen Bedeutung seiner Spiele bewusst ist. Im Grunde wird die Science-Fiction vom Animus mit der „Discovery Tour“ nahezu Realität. Die perfekte Simulation der Geschichte. Begehbare Historie für Jedermann, mit der richtigen Würze an Unterhaltung.

Die Suggestion der Entwickler mit ihren detailgenauen historischen Welten verleiht ihnen gerade durch dieses Werben mit allen Einzelheiten den Anstrich einer historischen Objektivität, die in der wissenschafltichen Diskussion darüber als umstritten gilt. Wissen über vergangene Epochen ist eben nicht einfach da, sondern unterliegt einem Prozess der Rekonstruktion aus der Gegenwart heraus. Da eben diese Rekonstruktion immer unter Leerstellen leidet, können sie und die Vergangenheit niemals deckungsgleich sein. Wenn uns also vollständige historische Welten gezeigt werden in Filmen wie auch in Spielen, dann werden wir dort getäuscht entweder durch Auslassungen oder unhistorische Ergänzungen. Der Blick der Autoren wird damit zum vermeintlich Objektiven Blick auf die Geschichte verklärt. Die digitale Welt wurde eben größtenteils nicht nachgebaut, sondern gebaut.

Nicht zuletzt setzt sich dieses Ausgestalten auch auf der inhaltlichen Seite des Spiels fort. Die individuellen historischen Konflikte mit ihren Verwerfungen, zahlreichen Akteuren, Verwicklungen und Zielsetzungen werden letztlich auf den Nenner „Assassinen vs. Templer“ gebracht. Es handelt sich hierbei klar um eine kontrafaktische Geschichtserzählung. Der tatsächliche Konflikt der beiden Parteien, welcher nach den historischen Begebenheiten räumlich und zeitlich stark eingegrenzt war (um 1150), wird überhistorisch ausgebreitet. Es wird hierbei ignoriert, dass es sich bei beiden Gruppen in erster Linie um religiöse Organisationen handelte, welche ihre Weltsicht in politische Handlungen gossen und ausagierten. Dies immer im zeithistorischen Kontext der Kreuzzüge und der separatistischen Bestrebungen innerhalb der islamischen Strömungen. Tatsächlich waren die Interaktionen zwischen Templern und „Assassinen“ (welche selbst eine ismailitische Strömung des Islam darstellten) häufig eher diplomatischer denn militärischer Natur. Trotzdem präsentiert uns das Spiel im ersten Moment kein einfaches Gut-Böse-Schema. Vielmehr werden zwei Konzepte gegeneinander gestellt: individuelle Freiheit vs. soziale Kontrolle. Die Templer in Assassin’s Creed handeln im Hinblick auf eine Gesellschaft in maximaler Sicherheit, natürlich unter ihrer Kontrolle und Überwachung. Die Assassinen halten ein Konzept der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung dagegen.

Dieses Selbstverständnis spiegelt sich auch im nihilistischen Leitsatz:

Nichts ist wahr

Alles ist erlaubt.

Dieser Satz stammt aus Nietzsches Moralphilosophie. Er beschreibt hiermit den Prozess der Umwertung der Werte. Eine Schlussfolgerung aus seinem Satz, dass Gott tot sei. Dieser Ausspruch ist mit Sicherheit nicht zufällig gewählt, denn er passt hervorragend zum individualistischen Bestreben der Assassinen und löst ein Problem: die Moral des Tötens.

Egal wie behutsam wir schleichen, elegant und mehr oder weniger gewaltfrei wir die Wachen umgehen, wenigstens einige Hauptpersonen müssen in den Geschichten ihr Leben lassen, damit wir das Ende des Spiels sehen. Natürlich wird auch hier häufig in die Trickkiste der Hollywood Narration gegriffen, um uns zu vergewissern, dass unser Gegenüber wirklich, wirklich böse ist. Doch mit dem Credo der Assassinen wird die moralische Instanz des Urteils verlagert. Damit wird das einzelne Individuum, d.h. In diesem Moment nicht mehr nur die Spielfigur sondern der Spieler in die Pflicht genommen und ist damit Richter und Henker in einer Person. Die Vereinnahmung des Spielers als angeblich eigenverantwortlicher Akteur ist damit vollständig.

Betrachtet man die Reihe also als Produkt historischer Rekonstruktion, muss man sich folgenden Witz vorstellen: Es wird eine Religionsgemeinschaft des 12. Jh., mit einer Moralphilosophie des 19. Jahrhunderts, für Spieler aus dem 21. Jh verknüpft und dies vor beliebigen historischen Epochen, durch eine Science-Fiction und Verschwörungserzählung. Ironischerweise wird das Spiel in der Summe seiner Teile damit tatsächlich überhistorisch, wenn auch nicht so, wie es in der eigenen Geschichte dargestellt wird.

Am Ende sollte auch nicht vergessen werden, dass hinter dem Endprodukt eine Firma steckt, deren oberstes Ziel am Ende des Tages ist, den größtmöglichen Gewinn zu erwirtschaften und Aktionäre zufrieden zu stellen. Bei einem im Grunde beliebig vervielfältigbaren Produkt heißt das, Märkte erobern und eine möglichst breite Kundschaft erreichen. Wie dieses streben nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner die Kulturproduktion beeinflusst, zeigte zuletzt der Blick Hollywoods nach China. Die Filme werden hier bereits mit dem Ziel gedreht, auch auf dem gigantischen chinesischen Markt Erfolg zu haben. Selbstzensur wird hier selbstverständlich vorausgesetzt. Zu einer Kollision der eigenen Ideale und den politischen Anforderungen kam es hier zuletzt beim Film „Mulan“ von Disney. Doch auch abseits solcher offensichtlicher politischer Schranken, müssen sich Videospiele den Kundenwünschen unterwerfen. Die Rezeptionsgewohnheiten schränken die historischen Rekonstruktionsmöglichkeiten stark ein (Stichwort: Sprachen), ebenso die rechtlichen Voraussetzungen in den jeweiligen Ländern. Somit wird in Assassin’s Creed Odyssey (dem Ableger der Reihe in der antiken griechischen Welt) englisch Gesprochen und eigentlich nackte Statuen wurden für den amerikanischen Markt zensiert. Konzerne schreiben Geschichte.

Nun, warum liegt hier also Stroh? Damit man rein hüpfen kann. Die Tollkühnen Sprünge unseres Helden von Türmen und Mauern werden somit überall in der Spielwelt abgefedert. Bitte nicht zu Hause nachmachen! Diese Strohhaufen überall in der Spielwelt machen deutlich: am Ende des Tages befinden wir uns auf einem großen, digitalen Spielplatz. Die Spieleentwickler und Unternehmen sind die Kuratoren ihrer eigenen digitalen Welten. Sie bestimmen die Beschaffenheit der Spielwelten, was wir dort vorfinden und was nicht. Für Assassin’s Creed schrieben sie ihre Geschichte so, dass sämtliche historischen Konflikte in der Gegenwart für das Publikum anschlussfähig sind. Das bedeutet, dass die Entwickler eher den Popkulturellen Mythos der Templerverschwörung und der der mörderischen Assassinen fortschreiben, als zur Entwirrung dieser Narrative beizutragen.

Zum Weiterlesen:

Sarnowsky, Jürgen: Die Templer. 2. Auflage. C.H.Beck München. 2017.

Halm, Heinz: Die Assassinen. Geschichte eines islamischen Geheimbundes. 1. Auflage. C.H.Beck München. 2017.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert