Einleitung

Bildnachweis: Foto von Yannick Menard auf Unsplash

Der Waschbär – heute kennt ihn jedes Kind, wird ihn beschreiben können als graumeliertes, dickliches, felliges, putziges Wesen mit schwarz-weiß-gestreiftem Schwanz und einer schwarzen Maske im Gesicht ähnlich der eines „Räubers“. Diese Überlegung gibt mir zu denken, denn erinnere ich an meine eigene Kindheit zurück, hätte ich mit dem Begriff „Waschbär“ vermutlich recht wenig anfangen können. In meinem Kopf wäre eher das Bild eines weitaus exotischeren Tieres, dem Lemuren, erschienen (Zumindest würde man aus heutiger Sicht sagen, dass man in Deutschland in freier Wildbahn mit größerer Wahrscheinlichkeit eher einen Waschbären antrifft als einen Lemuren.). Doch diese ebenfalls graumelierten, felligen, putzigen Wesen kennt zumindest meine Generation aus dem computeranimierten Trickfilm „Madagascar“ nur allzu gut. An einen Film über einen Waschbären oder an sonstige Anknüpfungspunkte dergleichen in meinen Kindertagen kann ich mich nicht erinnern.
Und doch beschleicht mich das Gefühl, dass der Waschbär in unser aller Leben an Präsenz gewonnen hat. Irgendwie hat er sich eingeschlichen, war auf einmal einfach da. Denke ich beispielsweise an meine erste persönliche Begegnung mit einem Waschbären in „freier Wildbahn“ zurück, so erinnere ich mich sehr gut, dass ich weniger überrascht-, sondern vielmehr fasziniert davon war, den kleinen „Räuber“ mitten in der Nacht nahe des Stadtparks meiner Heimatstadt auf einer Mülltonne sitzen zu sehen. Es war der Moment, in dem ich endlich zu Gesicht bekam, was viele andere bereits gesehen und beschrieben hatten: Die Waschbären haben sich in unserer Stadt niedergelassen.
Alleine dieser Satz klingt, für sich alleine genommen, schon sehr merkwürdig, trifft man Wildtiere wie den Waschbären doch eigentlich eher im Wald und ähnlichen Gefilden an – zumindest existiert diese Vorstellung nach wie vor in meinem Kopf. Aber unterbewusst war mir vermutlich schon bei unserem ersten persönlichen Treffen bewusst, dass wir – der Waschbär und ich – uns diese Stadt zumindest bei Nacht (mit weiteren vermeintlichen „Waldbewohnern“) teilen würden. So hielten wir beide zunächst inne und betrachteten uns eine Zeit lang, bis mein pelziger Mitbewohner schließlich seine Tätigkeit wieder aufnahm, mit viel Krach und flinken „Fingern“ die Mülltonne öffnete und sich an dem reichen Buffet bediente. Kurze Zeit später kamen weitere seiner Art zum großen Festmahl hinzu. Ich starrte gebannt auf das Treiben, welches sich einen Meter von mir entfernt abspielte. Die Waschbären hingegen würdigten mich keines Blickes. Einer von uns hatte sich an den Anblick des anderen bereits gewöhnt.

Inspiriert von dieser Begegnung sowie von einem Vortrag über das Buch „Füchse. Ein Portrait“ der Autorin Katrin Schumacher soll diese Website eine Art Hommage an das Tier darstellen, welches über einen, evolutionsbiologisch gesehen, sehr kurzen Zeitraum nicht nur unser Ökosystem, sondern tatsächlich auch unsere Kultur und damit das alltägliche Leben von uns allen maßgeblich beeinflusst hat – was uns interessanterweise gar nicht so bewusst ist. Ähnlich wie in der Reihe „Naturkunden“ des Verlags Matthes & Seitz Berlin möchte ich mir nicht nur den Waschbären und sein Leben in der Natur aus einer biologischen Perspektive genauer ansehen, sondern darüber hinaus auch die Beziehung zwischen ihm und dem Menschen unter literarischen und kulturgeschichtlichen Schwerpunkten untersuchen sowie nicht zuletzt die Frage erörtern, ob und inwieweit der Kleinbär unser Ökosystem negativ beeinflusst.

Ich lade Sie herzlich ein, mit mir gemeinsam den Spuren des Waschbären zu folgen!