Im analytischen Teil seiner Arbeit beschäftigt sich Simmel mit dem Wert des Geldes. Wir bearbeiten hier das dritte Unterkapitel, welches sich mit der Einordnung des wirtschaftlichen Wertes in ein relativistisches Weltbild beschäftigt. Das Geld nimmt dabei seinen Platz als obersten Ausdruck von wirtschaftlichem Wert ein.
…erst die Relativität [schafft] den Wert der Objekte im objektiven Sinne, weil erst durch sie die Dinge in eine Distanz zum Subjekt gestellt werden…
Was Simmel genau mit der „Doppelrolle des Geldes“ und seiner scheinbaren Widersprüchlichkeit meint und auf was er hinaus will, lässt sich nur festellen, wenn man den ersten Teil dieses Kapitels, in dem er seine theoretisch methodische Grundlage beschreibt, versteht. Deswege versuche ich im folgenden die wichtigsten Aspekte kurz zusammenzufassen.
Beim Lesen des Kapitels schafft es Simmel mich dazu zu zwingen von einen Gedanken zum nächsten zu hetzten, dabei wirkt es erst so als hängen diese kaum zusammen, aber irgendwie ergibt sich dann doch immer wieder eine Verbindung. So viele und interessante Gedanken mir kamen, so schwer ist es, diese richtig ins Bewusstsein zu bringen und irgendwie greifbar zu machen und formulieren zu können. Dabei wären einige Zwischenüberschriften, auf die Simmel komplett verzichtet oder ein par Absätze mehr, mit Sicherheit hilfreich gewesen. Im folgenden ein par Gedanken dazu, was für Simmel Erkenntnis und Relativität bedeutet. Dabei finde ich es bei vielen seiner Ausführungen schwierig, diese in eigenen Worten wiederzugeben, da ich dabei immer das Gefühl habe, ich würde etwas entscheidendes unterschlagen. Deswegen werde ich mich zum Großteil auf Wiedergabe des von Simmel geschrieben beschränken.
Simmel outet sich als Relativist und beschreibt was Relativismus für ihn bedeutet und erläutert die Vorteile des Relativismus gegenüber den Skeptizismus und anderen erkenntnistheoretischen Theorien.
Er beschreibt zum Beispiel wie das menschliche Denken funktioniert und betont immer wieder die scheinbaren Widersprüchlichkeiten des Dasein und des menschlichen Denkens.
So sei unser Sein und Denken geprägt von Bewegung (dem Wechselnden, Unruhigen, Äußerlichen) und der Ruhe (das Substanzielle, Definitive, eigentlich Wertvolle).(S.93) Wir versuchen hinter den Flüchtigkeiten des Lebens die Wahrheiten bzw. etwas unveränderliches Absolutes zu entdecken, wie frühe Kulturen hinter dem Donner den Donnerer. Die erste Tendenz des Denkens versucht dieses Absolute zu finden und unwichtige Einzelvorgänge und Beziehungen zu überwinden. (S.94)
Die Grundrichtung der modernen Wissenschaft hingegen versuche relative Bestimmungen und Verhältnisse auszudrücken ohne „ein an sich seiendes Wesen der Dinge“. Hier wirkt es für mich so als ob er den Vergleich mit der Naturwissenschaft bzw. der Physik wagt, was sich später meines Erachtens bestätigt und intensiviert. Trotz dieser Entwicklung in der Wissenschaft scheint es eine Absoluten Wahrheit zu geben.(S.95) Die Wahrheit eines Satzes kann nur erkannt werden, wenn es irgendwelche allgemeinen und sicheren Prämissen gibt. Bei den Reihen von Erkenntnissen ist jede nur unter der Bedingung einer anderen gültig. Es ist also möglich immer weiter zu fragen. Das erinnert mich an ein Kind das immer weiter warum fragt bis sich die Antworten in einem Zirkel bewegen oder immer die gleich Antwort gegeben wird.
Simmel geht davon aus, dass das Erkennen vermutlich irgendwo eine Basis hat, da wir diese aber nicht erkennen können, müssen wir jede Erkenntnis so behandeln, als wäre es die Vorletzte. (S.96)
Relativismus ≠ Skeptizismus, der Relativismus braucht kein Absolutes.
Simmel beginnt einen interessanten Vergleich zwischen erkenntnistheoretischen Gesetzten und Gesetzten für das menschliche Handeln.
Jede Vorstellung ist nur im Verhältnis zu einer anderen wahr. (S.97)
„Jede Rechtsverfassung enthält […] in sich die Kräfte […] zu ihrer eigenen Änderung, Ausbreitung oder Aufhebung […].“ Jedes Gesetz besitzt seine Würde nur durch das Verhältnis zu anderen Gesetzen. Eine erste Wahrheit muss als existierend angenommen werden, ohne dass diese bewiesen werden kann. (S.98)
Es könnte sein, dass unsere Erkenntnis ein sehr komplexer Zirkelschluss ist, den wir aufgrund der Größe und Nähe nicht erkennen, wie wir die Erde solange wir auf ihr stehen nicht als Kugel erkennen. (S.99) Halt machen bei einer Wahrheit scheint nur durch Dogmatismus möglich zu sein.
„Das Erkennen ist so ein freischwebender Prozeß, dessen Elemente sich gegenseitig ihr Stellung bestimmen, wie die Materiemassen es vermöge der Schwere tun; gleich dieser ist die Wahrheit dann ein Verhältnisbegriff.“ (Hier ist die Parallelität zur Physik eindeutig zu erkennen.)
„Die unserem Geiste eigene Notwendigkeit, die Wahrheit durch Beweise zu erkennen, verlegt ihre Erkennbarkeit entweder ins Unendliche oder biegt sie zu einem Kreise um, indem ein Satz nur im Verhältnis zu einem anderen, dieser andere aber schließlich nur im Verhältnis zu jenem ersten wahr ist. Das Ganze der Erkenntnis wäre dann so wenig ››wahr‹‹, wie das Ganze der Materie schwer ist; nur im Verhältnis der Teile untereinander gelten die Eigenschaften, die man von dem Ganzen nicht ohne Widerspruch aussagen könnte.“(S.100)
Verschiedene Lebewesen handeln verschieden, weil sie verschiedene subjektive Wahrheiten haben. Dabei sind die Wahrheiten nicht nützlich, weil sie wahr sind, sondern wahr, weil sie sich im Laufe der Evolution als nützlich erwiesen haben.(S.101f.)
Wahrheit = Beziehung von Vorstellungen zu einander.(S.103)
„Notwendig ist eine Relation, durch die die gegenseitige Fremdheit zweier Elemente zu einer Einheit wird[…].“ Zum Beispiel bei einem Kunstwerk.
Unser Erkenntnisbild der Welt, setzt sich aus „dem Sein“ und „den Gesetzen“ zusammen. Weder das Sein noch die Gesetze enthalten für sich eine Notwendigkeit. (Ich denke, dass Simmel hier schon indirekt auf den Methodenstreit eingeht.) (S.105)
Es gibt kein Gesetz, das das Dasein notwendig macht und keins das es notwendig macht, dass es Naturgesetze gibt. Notwendigkeiten bestehen nur zwischen dem Sein und den Gesetzen.
Wir müssen den Dogmatismus, dass das Erkennen abschließbar sei, aufgeben. Nicht: „So und so verhalten sich die Dinge“ sondern „unser Erkennen hat so zu verfahren, als ob sich die Dinge so und so verhielten.“(S.106) Dadurch ist es möglich, dass zwei entgegengesetzte Prinzipien gültig sind. Genau wie man sich beim Wechseln von induktiver und deduktiver Methode nicht widerspricht.
„Erst durch diese Auflösung dogmatischer Starrheiten in die lebendigen, fließenden Prozesse des Erkennens wird die wirkliche Einheit desselben hergestellt, indem seine letzten Prinzipien nicht mehr in der Form des gegenseitigen Sich-Ausschließen, sondern des Aufeinander-Angewiesenseins, gegenseitigen Sich-Hervorrufens und Sich-Ergänzens praktisch werden.“
(Dieses Prinzip lässt sich oft in der „Philosophie des Geldes“ wiederfinden. Simmel verbindet oft scheinbar widersprüchliche Dinge miteinander.) (S.107)
Der Mensch versucht jede Vielheit soweit wie möglich zu vereinheitlichen, da er weder mit einem kompletten Monismus noch mit einem kompletten Pluralismus zufrieden ist. Der Gegensatz von Individualisierung und Vereinheitlichung der Lebensinhalte teilt nicht die Menschen sondern den Menschen. Fürs Denken ist der Mensch auf beides gleichermaßen angewiesen.(S.108) Weder das eine noch das Andere würde einen Sinn ohne den Gegenentwurf machen. Da man nicht in der Lage wäre drüber nachzudenken. So entsteht „die Schwierigkeit: daß ein Unbedingtes bedingt wird, und zwar durch ein andere Unbedingtes, das seinerseits wieder von jenem abhängt.“(S.109)
Im folgenden bringt er mehrere Beispiele, bei denen sich die Gegensatzpaare wie beschrieben verhalten.
1. Vergangenheit ↔ Gegenwart bzw. Vorstellung von Zukunft.(geschichtliche Erkenntnis)
2. Kenntnis des Ich ↔ Kenntnis des Anderen. (psychologische Erkenntnis)
3. Seele als Produkt der Welt ↔ Welt als Produkt der Seele
4. Allgemeine Gesetze ↔ Geschichte
5. Apriori ↔ Erfahrung
Simmel geht davon aus, dass Waren ihren Preis anfänglich durch subjektive Werteinschätzung erhalten. Diese variiert mit der wahrgenommenen Distanz des Subjektes zum Objekt. Je weiter diese Distanz, desto wertvoller erscheint etwas. Das Geld ist also Ausdrucksform eben jener Distanz, da es zwischen dem begehrenden Ich und dem begehrten Objekt steht.
Geld ist nichts als die reine Form der Tauschbarkeit…
… diese Aussage scheint jedoch nicht der Annahme einer Doppelrolle des Geldes, als Relation und relationsstiftend, zuwiderzulaufen. Trotzdem es Spiegel einer subjektiv wahrgenommenen Distanz ist und somit Wertverhältnisse der austauschbaren Waren untereinander misst, wird es auch direkt gegen Waren getauscht und wird somit selbst zur messbaren Größe.
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„Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: dass es innerhalb der praktischen Welt die entscheidenste Sichtbarkeit, die deutlichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein ausmacht.“
Dieses Zitat gibt mir doch ein wenig zu denken. Einerseits spricht Simmel ja davon, dass der sich der wirtschaftliche Wert aus subjektiven Einschätzungen ergibt, hier schreibt er aber davon, dass sich Wert aus der Gegenseitigkeit der Verhältnisse – aus ihrer Vergleichbarkeit also, ergibt. Ich finde das widerspricht sich …