Comics – nur unter der Schulbank?
Ganz zu Anfang des Seminars diskutierten wir bereits über die Vor- und Nachteile von Comics in der Geschichtswissenschaft. Je länger wir darüber nachdachten und diskutierten, desto schneller schien sich die Liste an Vorteilen zu füllen. Umso stärker beschäftigte mich die Frage, warum ich in meiner gesamten Schul- und Studiumszeit noch kein einziges Mal mit Comics in Berührung gekommen war. Meine spontane Antwort darauf lautet: Comics scheinen eher als Unterhaltungsmedium wahrgenommen zu werden, als dass sie als didaktisches Mittel dienen. Wenn überhaupt, scheinen es eher Karikaturen zu sein, die im Geschichtsunterricht herangezogen werden, um eine Auseinandersetzung mit bestimmten Themen anzuregen. Dazu muss ich natürlich sagen, dass das lediglich meine Erfahrung bzw. Wahrnehmung ist. Die Frage, inwiefern Comics innerhalb der (hoch-)schulischen Laufbahn eine Rolle gespielt haben, würde ich deshalb gern weitergeben. Welche Erfahrungen habt ihr in der Vergangenheit damit gemacht? Und woran könnte es liegen, vorausgesetzt ihr habt ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich (nämlich gar keine), dass Comics im Unterricht so wenig Betrachtung geschenkt wird? Immerhin haben wir im Seminar doch eine ganze Reihe an Vorteilen entdeckt.
Während meiner Recherche darüber, wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Comics in den letzten Jahren und Jahrzehnten ausgesehen hat, fiel mir zu aller erst deren Ambivalenz auf. Nach Schwender und Grahl (2016) kann die wissenschaftliche Auseinandersetzung in drei Phasen unterteilt werden. In der ersten Phase, die von den späten 1940er bis Anfang der 60er Jahre reicht, beschränkt sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Comic vorrangig darauf, Kritik an ihnen zu üben. Die Befürchtungen reichten von Verdummung, über die Zerstörung der Phantasie und Förderung des Analphabetismus bis hin zur Vorbildfunktion für kriminelles Verhalten und der Störung der sexuellen Entwicklung Jugendlicher. Dabei muss jedoch klar gesagt werden, dass die vermeintliche Gefährlichkeit von Comics lediglich auf Meinungen und Einstellungen beruhte und zu keinem Zeitpunkt empirisch belegt werden konnte. Dennoch führte die Angst um das Wohl der vorrangig jungen Zielgruppe, zu Umtauschaktionen und Comic-Verbrennungen. Dies änderte sich ab Mitte/ Ende der 60er Jahre. Der Grund dafür könnte u.a. sein, dass die Comic-Leser*innen der ersten Generation inzwischen selbst erwachsen waren, ohne die befürchteten Schädigungen aufzuweisen. Stattdessen waren sie z.T. selbst zu Eltern, Lehrer*innen und Pädagog*innen geworden und verwendeten Comics als didaktisches Mittel im Deutsch-, Kunst- oder Religionsunterricht: „Mithilfe von Asterix konnte man Latein oder Französisch lernen. Es gab Comic-Fassungen der biblischen Geschichte und von historischen Ereignissen. […] Unterstützt wurde die Entwicklung durch die neuen Sichtweisen von führenden Intellektuellen der Zeit.“ (Schwender et al. 2016: 10). Wurde der Comic während der ersten Phase somit noch als „Unterschicht-Phänomen“ (Schwender et al. 2016: 7) abgetan, das vorrangig für Kinder und Jugendliche kreiert wurde, gelang es während der zweiten Phase, den Comic zu rehabilitieren. Der Großteil der Comics, der auf dem deutschen Markt verfügbar war, wurde durch US-Importe bestimmt und durch Produktionen aus Frankreich, Italien und Belgien ergänzt. Einen zusätzlichen Impuls zur erneuten Betrachtung und Beurteilung von Comics lieferte die Kunst-Ausstellung „Comic Strips – Geschichte, Struktur, Wirkung und Verbreitung der Bildergeschichten“ von Hans Dieter Zimmerman in der Berliner Akademie der Künste. Zu sehen war die Ausstellung von Dezember 1969 bis Januar 1970. Somit zogen Comics nicht mehr nur die Aufmerksamkeit von Heranwachsenden und Kritikern auf sich, sondern auch von Intellektuellen und Erwachsenen. In Zuge dessen entwickelte sich während der zweiten Phase eine ausgeprägte Fan-Kultur und es kommt zur Entstehung von Fachzeitschriften für Comics. Ab Mitte der 80er Jahre beginnt sich die Beschäftigung mit verschiedenen Darstellungsformen zusätzlich zu intensivieren. Neben Pädagog*innen interessieren sich nun auch verstärkt Sprach- und Literaturwissenschaftler*innen, die Kultur- und Sozialwissenschaften, sowie die Kunstgeschichte, Kommunikations- und Medienwissenschaft für den Comic als Forschungsgegenstand (Vgl. Schwender et al. 2016: 10). Zudem entsteht in der dritten Phase die Comicgattung der „Graphic Novel“, welche sich in komplexen und abgeschlossenen Erzählungen mit ernsten Themen wie Gewalt, Krieg, Sexualität, Religion, Philosophie, Politik, Geschichte und Zeitgeschehen befasst. Mit der Herausgabe der deutschsprachigen Ausgabe von „Maus“ von Art Spiegelmann im Jahr 1989, wird nicht nur der Zugang zum erwachsenen Publikum vollends erschlossen, sondern auch ein „wichtiger Impuls für die kulturelle Akzeptanz des Comics in Deutschland [geliefert].“ (Grünewald 2014, S. 45, zitiert nach: Schwender et al. 2016: 10).
Somit wird deutlich, dass Comics in der jüngeren Vergangenheit einen deutlichen Image-Wandel durchgemacht haben. Trotz dessen, dass sie inzwischen nicht mehr nur humoristische, sondern durchaus auch ernste, gesellschaftliche Themen aufgreifen, scheint sich die öffentliche Wahrnehmung jedoch vor allem auf den ersten Punkt zu fixieren. Zumindest provozierten Erzählungen meinerseits, dass ich mich dieses Semester mit Comics beschäftigen würden, stets einige Nachfragen á la „Comics?? Sind die nicht eigentlich eher witzig gemeint?“. Doch wie gesagt; dies ist lediglich meine Wahrnehmung, weshalb mich eure Erfahrungen umso mehr interessieren. Und letztlich denke ich, dass jede dieser Nachfragen berechtigt und richtig ist. Denn somit werden nicht nur Diskussionen angeregt, sondern auch Verständnis geschaffen und eventuelle Klischees beseitigt.
Quelle:
Schwender, Clemens et al. (2016): Comics und Karikaturen in der Kommunikationsforschung, in: Lobinger, K. (Hrsg.): Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 1-27.
4 Gedanken zu “Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Comics”
Hallo Sophie,
auch ich konnte mich zunächst nicht daran erinnern, in der Schule oder Uni vor diesem Seminar je mit Comics in Berührung gekommen zu sein. Doch nach einigem Überlegen fiel mir ein, dass wir im Religionsunterricht einmal kurze Fotocomics erstellen sollten und im Englischunterricht der 5. Klasse gelegentlich eine Comiczeitschrift gelesen haben, um die englische Sprache besser zu lernen. Es kann gut sein, dass auch in Lehrbüchern oder Arbeitsheften gelegentlich kurze Comicstreifen vorkamen, die mir jedoch nicht im Kopf geblieben sind. Diese Eindrücke passen natürlich gut mit der Passage aus deinem Beitrag zusammen, die beschreibt, wie Comics zu beliebten didaktischen Mitteln wurden.
Als Quellen im Geschichtsunterricht haben wir Comics jedoch, soweit ich mich erinnere, wirklich nie untersucht. Analysen und Interpretationen von Karikaturen kamen dafür während der Bearbeitung von Themen ab dem 18./19. Jahrhundert recht häufig vor. Das könnte sich dadurch erklären lassen, dass gesellschaftskritische Karikaturen spätestens im 19. Jahrhundert scheinbar sehr populär wurden und somit heute eine gute Möglichkeit bieten, Schüler*innen Einblicke in das Denken von Menschen aus der jeweiligen Zeit zu geben – ganz egal ob es um die Politik von Bismarck, Napoleon, den frühen Kapitalismus, die Dolchstoßlegende oder ganz andere Themen geht. Vermutlich waren Comics damals einfach noch nicht so sehr verbreitet oder beschäftigten sich weniger mit politischen Themen und bieten sich daher heute weniger für den Geschichtsunterricht an. Wobei ich mir vorstellen kann, dass es irgendwann auch Zwischenformen gab, die nicht klar als Comic oder als Karikatur eingeordnet werden können. Möglicherweise haben sich die kurzen humoristischen Comics, wie wir sie heute gelegentlich in Zeitungen finden, sogar aus Karikaturen entwickelt. Doch das sind alles nur Hypothesen, die überprüft werden müssten. Vielleicht weiß ja jemand anderes zu dem Thema mehr?
Ich finde die Idee, direkt Fragen an die Leser*innen in die Beiträge mit einzubauen, übrigens richtig gut und werde sie vermutlich auch für meine Beiträge übernehmen. Das regt total dazu an, sich weitere Gedanken zu den Themen zu machen und Kommentare zu schreiben. 🙂
Liebe Grüße
Hi Paula, danke für deinen ausführlichen Kommentar (: Es freut mich sehr zuhören, dass du dadurch zum Nachdenken und Kommentieren angeregt wurdest! Ich meine in dem Text von Schwender gelesen zu haben, dass Comics auch deshalb als historische Quelle schwerer erschließbar sind, weil sie grade in ihren Anfängen häufig in Tages- oder Wochenzeitungen abgedruckt wurden, die nach dem Lesen einfach weggeworfen wurden. Was natürlich sehr schade ist, weil sie, ähnlich wie du das schon anhand von Karikaturen beschrieben hast, einen Einblick in den jeweiligen Zeitgeist geben und sich deshalb aus meiner Sicht auch gut für den Geschichtsunterricht eignen würden. Auf jeden Fall spannend diese Entwicklung zu beobachten.
liebe Grüße
Liebe Frau Meißner,
gratuliere zu dem gekonnten Überblick! Schön, dass Sie sich dieses Themas angenommen haben.
Hier nur noch ein Hinweis auf eine rezente Dissertation, die an der Bauhaus Universität Weimar eingereicht wurde:
Augusto Machado Paim: „Ästhetik der Comicreportage. Theorie und Praxis der journalistischen Erzählung in Comicform“.
Dieser Autor lotet aus, inwieweit Comics das journalistische Genre der Reportage realisieren können.
In einem kleineren Kapitel behandelt Paim auch das hier interessierende Thema „Geschichte im Comic“.
Weiter so!
Liebe Grüße
Guten Tag Herr Prof. Dr. Gries, vielen Dank für Ihren Kommentar. Es freut mich sehr zu lesen, dass der Text es schafft, einen soliden Überblick zur Thematik zu geben. Natürlich kann man noch viel tiefer in die wissenschaftliche Auseinandersetzung abtauchen. Die Dissertation auf die Sie verweisen, ist dafür mit Sicherheit sehr nützlich. Der Titel klingt auf jeden Fall spannend und passt thematisch ja auch hervorragend zum Blog. Danke für den Hinweis und beste Grüße!