Die Gedenkstätte „Andreasstraße“ ist bereits seit einigen Wochen wieder geöffnet! Dies nutzten wir und machten uns auf den Weg nach Erfurt, um sie uns auch einmal in echt anzuschauen. Ein Reisebericht
von Franz und Paula
Mit wenigen Tagen Verspätung besuchten wir (Paula, Leila und Franz) am vergangenen Sonntag (25.07.2021) das schöne Erfurt. Nach einer erfolgreichen Anreise (Ankunft ca. 11.30 Uhr) machten wir uns zunächst auf den Weg Richtung Gedenkstätte „Andreasstraße“, um Plätze für die kostenlose Führung zu reservieren, die 14 Uhr beginnen sollte.
Ein erster Eindruck
Nachdem wir uns mehr oder weniger am Dom und somit am Zentrum Erfurts orientiert hatten, um zur „Andreasstraße“ zu gelangen, näherten wir uns dieser – ohne es zu wissen – über das Lauentor von Westen. Den Blick über Bastion und Domplatz werfend, entdeckten wir hinter dem Gebäude des Landgerichts die markante Architektur der „Andreasstraße“ (bekannt aus dem vorangegangenen Workshop). Dabei handelte es sich zwar lediglich um den hinteren Zugang, doch hatten wir wenig Zweifel daran, dass es sich hierbei um unser Ziel handeln musste.
Als wir den Haupteingang erreichten, zeigte sich uns das bekannte Bild dreier dunkler Quader, welche durch ihre Stellung vier Korridore zum ehemaligen Gefängnis bildeten. Im Hintergrund erhob sich der uns mittlerweile bekannte Würfel mit den Zeichnungen von Simon Schwartz. Seitlich des Eingangs befanden sich die Tafeln, welche in einem kurzen chronologischen Abriss auf die Nutzung des Komplexes seit dem 19. Jahrhundert verwiesen. Auch sie waren uns bereits im virtuellen Rundgang begegnet. Weniger bekannt waren uns hingegen die einzelnen Höfe, welche heute teilweise als Stellplätze/ Parkplätze genutzt werden. Auch wenn sich der Zustand des Außenbereichs sicherlich verändert haben mochte, war sein Umfang doch beeindruckend (und in jedem Fall eine neue und lohnenswerte Erfahrung).
Nachdem die Plätze für die Führung reserviert waren und wir uns einen Überblick über den Außenbereich sowie das Foyer der „Andreasstraße“ verschafft hatten, legten wir eine kleine Mittagspause ein. Dabei suchten wir einige Straßenzüge und Kirchen der Erfurter Altstadt sowie den Domplatz auf. Hierbei konnten wir uns von dem überzeugen, was uns schon während des Hinwegs zur „Andreasstraße“ aufgefallen war: Erfurt ist ein durchaus sehenswertes Reiseziel (siehe letzte Bildergalerie).
Die „Andreasstraße“ im Detail
Gegen 14 Uhr begann die vollbesetzte 90-minütige Führung, geleitet durch Stefan Hellmuth. Nach einer kurzen Einführung in die geopolitische Situation nach dem 2. Weltkrieg durchlief die Besucher*innengruppe die einzelnen Stationen der „Andreasstraße“: „Diktatur“, „Haft“ und „Revolution“.
Der Bereich der Diktatur begann mit der „Spinne“ im Vorraum der Etage. Während sich ihr eigentlicher Körper (SED) zentral an der Decke des Raumes befand, umschlossen ihre Beine (einzelnen Bereiche und Strukturen) entlang der Wände die eintretenden Besucher*innen. Zuerst chronologisch (Zusammenschluss von SPD und KPD zu SED) angeordnet und später auf die einzelnen Bereiche des Staats fokussiert, gliedert sich die Etage in zahlreiche Räume, welche verschiedene Aspekte des Staates und der Lebenswelt DDR veranschaulichen.
Zu Beginn dieses Komplexes gab Besucher*innenbegleiter Stefan Hellmuth einen kurzen Einblick in die einzelnen staatlichen Strukturen und Organisationen der DDR sowie deren durchdringende Wirkung auf die einzelnen Lebensbereiche im Alltag der DDR-Bürger*innen. Danach ging es in den Comicraum („Sag mir wo du stehst“), der uns bereits vom Workshop bekannt war. In diesem wurden einzelne (teils fiktive) Szenarien aus Biografien dargestellt. Die Protagonist*innen dieser Szenarien befanden sich dabei stets am Rande einer (weitreichenden) Entscheidung. Jeweils zwischen Konformität und Widerstand. Durch das Verschieben einzelner Panels konnten die Besucher*innen diese Entscheidung fällen und deren Folgen – visuell durch ein Aufleuchten gekennzeichnet – erkennen.
Anschließend suchten wir im Rahmen der Führung die Haftetage im obersten Stock auf. Diese umfasste neben mehreren Zellen, einer Isolationszelle und den Duschräumen auch den markanten Gang mit abgehangener Decke. Die Zellen waren unterschiedlich gestaltet. Einige wurden in ihren „Originalzustand“ (inkl. zeitgenössischer Ausstattung) zurückversetzt. Andere hingegen boten Raum für interaktive Installationen, die z. B. (auditive und visuelle) Aussagen von Zeitzeug*innen beinhalteten. Dabei schilderte Besucher*innenbegleiter Stefan Hellmuth anhand einzelner Biografien die „Gründe“ für „Verhaftungen“ (obschon zu diesem Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme so noch nicht benannt), die Haftbedingungen und die Umstände des Gefängnisalltags. Hierzu gehörten neben den Leibesvisitationen zu Beginn des Aufenthalts, die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt, der „Wohnalltag“ innerhalb der Zelle, die Verhörsituationen sowie die Folgen von „Fehlverhalten“ innerhalb des Gefängnisses.
Es folgte der kurze Besuch des dritten Bereichs „Revolution“. Obschon auch diesem Komplex eine Etage innerhalb des Gebäudes gewidmet ist, stand hierbei der „Comic“-Kubus im Vordergrund. Dieser zeigt auf zahlreichen Zeichnungen des Künstlers Simon Schwartz einzelne Geschichten der „Friedlichen Revolution“. Diesen Geschichten sollten wir beim anschließenden selbstständigen Rundgang erneut begegnen.
Da wir den Bereich „Revolution“ während der Führung nur kurz angeschnitten hatten, suchten wir die entsprechende Etage nach dem Ende der Führung zuerst auf. Einige der Erzählungen (teilweise audiovisuell festgehalten) waren uns bereits durch den Workshop bekannt. Andere nicht. Es bot sich ein vielfältiges Spektrum an Menschen, welche Geschichten des Widerstandes erzählten. Im Gegensatz zum Bereich der „Diktatur“ schien sich der Bereich der Friedlichen Revolution vermehrt auf Thüringen (bspw. Arnstadt oder Gotha) und Erfurt zu beziehen. Auch den Rest der „Andreasstraße“ schauten wir uns noch einmal genauer an, bis die Gedenkstätte schließlich 18 Uhr schloss.
Schönes Erfurt
Nachdem wir die Öffnungszeiten der Gedenkstätte voll ausgenutzt hatten, widmeten wir uns erneut der Erfurter Altstadt. Dabei bestaunten wir neben der Krämerbrücke die zahlreichen Fachwerkbauten. Gegen 21 Uhr traten wir unsere Rückreise nach Halle an, die wir mit einigen Spielen Skat verbrachten.
- Persönliche Eindrücke von der „Andreasstraße“ findet Ihr in den Beiträgen „Gedanken zum Gedenken“ und „Der Klang der Zelle…„.