Das „Online Anne Frank Haus“ – „Besuch aus der ganzen Welt“?

Die COVID19-Pandemie ist eng verknüpft mit extremen politischen Positionen und Verschwörungstheorien. Viele davon haben antisemitische Bezüge. [vgl. 1, 2, 3] In einigen Wochen jährt sich der antisemitische, rassistische und frauenfeindliche Anschlag von Halle, der Prozess dazu läuft noch. [vgl. 4, 5, 6, 7, 8] Umso wichtiger ist politische Bildungsarbeit, die breite Bevölkerungsgruppen anspricht. Gegen Antisemitismus muss das Gedenken an die Opfer der Shoa hochgehalten werden. Ein Name der mit diesem Gedenken stets verknüpft ist, ist „Anne Frank“.

Das junge Mädchen versteckte sich mit ihrer und einer weiteren Familie, sowie einem alleinstehenden Mann zwei Jahre lang im von Nazideutschland besetzten Amsterdam. Von den acht Personen im Hinterhaus überlebt nur Annes Vater Otto die Shoa. Er sorgte dafür, dass die Worte seiner Tochter um die Welt gehen. [vgl. 9] Das Tagebuch seiner Tochter, die sich so innig gewünscht hatte, eine Schriftstellerin zu werden, [vgl. 10] die auch nach ihrem Tod weiterlebt [vgl. 11], wird zu einem der meistgelesenen Büchern der Welt und ins Weltdokumentenerbe aufgenommen. [vgl. 10] Otto Frank war es wichtig neben dem Gedenken der Vergangenheit auch den aktiven Blick auf Gegenwart und Zukunft zu fördern. Dabei fokussierte er sich vor allem auf junge Menschen, Jugendliche. [vgl. 12]

‘Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Das Einzige, was wir tun können, ist, aus der Vergangenheit zu lernen und zu erkennen, was Diskriminierung und Verfolgung unschuldiger Menschen bedeutet.’

Otto Frank, 1970 über: https://www.annefrank.org/de/uber-uns/was-wir-tun/otto-franks-mission/

Die „Anne Frank Stiftung“, zu der das „Anne Frank Haus“ gehört, widmet sich der Geschichte Anne Franks und dieser Bildungsarbeit. Sie beschreibt sich selbst als „eine unabhängige Organisation, die den Ort verwaltet, an dem sich Anne Frank während des Zweiten Weltkriegs versteckt hielt und wo sie ihr Tagebuch schrieb. Das Anne Frank Haus rückt ihre Lebensgeschichte und ihr Werk weltweit ins Blickfeld. Es will damit auch zum Nachdenken anregen über die Gefahren von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung und die Bedeutung von Freiheit, gleichen Rechten und Demokratie.“ [13]

Im Folgenden soll sich ein Überblick über die digitalen Angebote der Anne Frank Stiftung | des Anne Frank Hauses verschafft werden. Ich werde sie kurz rezensieren.

Das Museum

Zur Anne Frank Stiftung und zum Anne Frank Haus gehört neben vielen Publikationen und Angeboten für die Bildungsarbeit, sowie Forschungsarbeit, auch das Museum. Es ist in der Prinsengracht 263 zu finden, in dem Grachtenhaus, welches sowohl Otto Franks Firma, als auch zwei Jahre lang das Versteck der Familien Frank, van Pels und Fritz Pfeffers innehatte. [vgl. 14, 15]

2019 zählte das Anne Frank Haus laut Jahresbericht mehr als 1,3 Millionen Besucher, wobei die Besucherzahl seit der Eröffnung kontinuierlich gestiegen sei. Dabei wird besonderer Wert auf den Besuch junger Personen gelegt, so seien 2018 etwa die Hälfte aller Besucher:innen unter 30 Jahre alt gewesen. [vgl. 16] Der Jahresbericht von 2019 macht jedoch auch deutlich, dass die COVID19-Krise auch mit erheblichen finanziellen Einbußen für das Haus einhergeht. [vgl. 17]

Das Museum macht es sich zur Aufgabe, die Geschichte der Person Franks im Kontext der Shoa und des zweiten Weltkriegs darzustellen. [vgl. 16] Auf eben diesen wurde bei der Modernisierung, die 2018 abgeschlossen wurde, besonderer Wert gelegt. [vgl. 18]

Besonders spannend im musealen Kontext sind die Wanderausstellungen für Jugendliche, die das Anne Frank Haus anbietet. Sie wurden vom Anne Frank Haus entwickelt und können von Interessierten angefragt werden, um sie für deren eigene Zwecke aufzubauen. [vgl. 19, 20, 21]

Digitale Besuchsmöglichkeiten – Übersicht & Meinung

Der Blick auf die originalen Notizen von Anne Frank, das von ihr beschriebene Papier, bleibt den virtuellen Besucher:innen verwehrt. Das Museum als solches ist nicht digital verfügbar und es ist teilweise auch schwierig nachzuvollziehen, welche Exponate genau im physischen Museum gezeigt werden. Der Unterpunkt „Im Museum“ auf der Website gibt einen Überblick über das Gebäude und seine Geschichte, über das originale Zimmer Anne Franks, den Tagebuchraum, die temporäre Ausstellung zur „anderen Wohnung“ der Familie Frank und die Ausstellung „Reflections“. [vgl. 22] Alle diese Punkte sind jedoch nicht als digitale Kopie des physischen Museums verfügbar.

Das Anne Frank Haus zeigt jedoch große Mühe digitale Angebote zur Verfügung zu stellen. Auch wenn man sich offenbar dagegen entschieden hat, das Museum selbst zu digitalisieren, gibt es eine Vielzahl in sich abgeschlossener musealer Projekte. Beworben wird das „Online Anne Frank Haus“ mit dem Slogan „Besuch aus der ganzen Welt“. Auch in den Jahresberichten wird ein Schwerpunkt bei den digitalen Angeboten gesetzt, sodass sich dort ebenfalls ein eindeutiger Kurs abzeichnet.

Sie können nicht nach Amsterdam kommen? Diesen besonderen Ort können Sie dennoch von der ganzen Welt aus besuchen.

https://www.annefrank.org/de/museum/web-und-digital/

Die unter diesen Worten angekündigten Angebote werden im Folgenden beschrieben und rezensiert. Ich gehe außerdem auf die Website und kurz auch auf weitere besonders hervorstehende und im weitesten Sinne digitale Angebote ein.

Erste Anlaufstelle: Die Website

Abb. 1: Die Startseite der Website des Anne-Frank-Hauses weist eine Unterteilung
in Informationen zum Museum, zur Person Anne Franks und zur Bildung auf.
Screenshot über: https://www.annefrank.org/de/

Die Website des Anne Frank Haus ist klar designt. Sie gliedert sich dabei in Informationen zum Museum, zur Person „Anne Frank“ und die Bildungsarbeit. Weiterhin können Informationen zu gesellschaftspolitschen und hochaktuellen Themen wie Antisemitismus, Vorurteile und gleiche Rechte und Demokratie eingeholt werden. (siehe Abbildung 1)

Die Website existiert auf Englisch und Deutsch, sowie Niederländisch und Spanisch. In der deutschen Version sind mir vereinzelt Tippfehler aufgefallen, die die Lesbarkeit des Angebotes aber nicht beschränken. Ein Download einzelner Dateien ist nicht nötig, an manchen Stellen ist jedoch – je nach Internetverbindung – mit einer längeren Ladezeit zu rechnen, da Einzelseiten oft eher kurz sind und auf neu zu ladende Unterseiten verlinken oder teilweise doch recht zahlreiche Inhalte anderer Websites eingebettet sind. Die interaktiven Teile der Website (z.B. Effekte beim Herüberfahren über Bilder oder Buttons mit dem Mauszeiger) können auch teilweise recht langsam oder abgehackt wirken, auch das kommt wieder auf die individuelle technische Ausstattung von Besucher:innen an.

Abb. 2: Die Website ist neben der Darstellung der Arbeit der Stiftung für Museum und Bildungsarbeit auch selbst eine Ressource für Informationen zum Leben von Anne Frank. Screenshot über: https://www.annefrank.org/de/anne-frank/

Die Website des Anne Frank Hauses stellt nicht nur das Museum oder die Bildungsarbeit der Stiftung vor und ist nicht nur Anlaufstelle für deren Produkte. Sie informiert auch selbst ausführlich unter dem Reiter „Anne Frank“. Abbildung 2 zeigt den kapitelartigen Aufbau dieses Punktes. Die Unterseiten geben eine fundierte Übersicht über die Person Annes, das Hinterhaus, den historischen Hintergrund und die anderen Versteckten.

Die Website punktet nicht nur durch ansprechende optische Gestaltung, sondern vor allem durch klare und präzise Vermittlung von Informationen durch gut verständliche Texte und die Veranschaulichung durch Bilder, Videos und interaktive Angebote. Einzelne Subseiten sind in sich geschlossen und übersichtlich gehalten, Informationen werden im angemessenen Umfang vermittelt, eine Vertiefung oder Verbindung zu verwandten Themen ist fast immer möglich. So kann beinah beliebig detailgetreu recherchiert werden, während Einzeltexte stets in einem angemessenen Umfang verbleiben. Sachliche Erklärtexte werden immer wieder durch kurze Übersichten, z.B. biographische Steckbriefe, ergänzt oder durch entsprechende Zitate aus Annes Tagebuch, von ihrem Vater, von anderen Zeitzeugen oder von anderen relevanten Personen emotional untermauert.

Aufgrund ihrer Fülle an Informationen zu den verschiedenen Themenbereichen eignet sich die Website als solche nicht uneingeschränkt zur selbstständigen Auseinandersetzung mit den Inhalten. Es dauert eine Zeit bis ihr komplexer Aufbau verstanden wurde. Durch die unglaubliche Menge an Information und durch die vielen Möglichkeiten zur Verknüpfung kann relativ leicht die Orientierung abhanden kommen. Es gibt keine alles übergreifende Kapitelübersicht, an einigen Stellen ist es schwer zur vorher besuchten Seite zurückzukehren oder den eigenen Standort wiederzufinden. Der Unterpunkt „Anne Frank“ an sich ist, wie oben bereits geschrieben, in sich geschlossen geordnet und damit übersichtlicher als die Website als Ganze. Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch davon abraten, die am Ende einer Unterseite empfohlenen weiteren Seiten zu klicken – sie führen teilweise aus dem Unterpunkt „Anne Frank“ heraus und folgen nicht mehr dem entsprechenden roten Faden.

Die Vielzahl der allein über die Website bereitgestellten Medien ist beachtlich (siehe Abb. 3). Das macht die Website abwechslungsreich und fesselnd, ohne überladen zu wirken. Überschriften sind oft kurz und prägnant und sprechen Besucher:innen indirekt durch zum Beispiel Fragen wie „Ist Antisemitismus eine Form von Rassismus?“ an. Allein das eingebundene Bildmaterial verschafft einen lebendigen Eindruck von den jeweiligen Ausstellungstexten. An vielen Stellen kommt es außerdem immer wieder zu Querverlinkungen, z.B. auf den Youtubekanal des Anne Frank Hauses. Außerdem ist die ganze Website an sich sehr interaktiv gestaltet, sie „antwortet“ bei Überfahren der Bilder mit dem Mauszeiger teilweise mit Zoom-Effekten, teilweise werden weitere Optionen eingeblendet. Zum Unterpunkt „Anne Frank“ gehören außerdem die Kapitel „Die Zeitleiste“ und „Die Hauptpersonen“, die ebenfalls auf eine Interaktion mit Benutzer:innen setzen und visuelle Effekte zur Hervorhebung nutzen.

Der Youtube-Kanal des Anne-Frank Hauses und das Anne-Frank-Videotagebuch

Das Anne Frank Haus hat einen eigenen Kanal auf der Videoplattform Youtube. Die weitere Social Media Präsenz des Anne Frank Hauses wird an dieser Stelle außer Acht gelassen, Youtube wird aufgrund des Formates der Videovermittlung näher betrachtet. Auf dem Kanal finden sich zahlreiche Informationen zu Anne Frank, dem Hinterhaus, gesellschaftspolitischen Themen (z.B. Awareness) und den Ausstellungen. Es findet sich auch eine Playlist zur Ausstellung „Reflections“. Dabei wird nicht klar, ob der Film der gleiche ist, wie der, der im Museum gezeigt wird.

An vielen Stellen betont die Website des Anne Frank Hauses Jugendliche als schwerpunktmäßige Zielgruppe zu haben. Dies passt mit ihrem edukativen Anspruch zusammen. Ein Projekt, welches genau diese Zielgruppe bedienen will, ist „[d]as Anne Frank Video-Tagebuch [… als …] eine neue, ansprechende Möglichkeit, junge Menschen mit Anne Franks Lebensgeschichte zu erreichen.“ [23]

Das Projekt ist nicht ganz unumstritten, dies zeigt der Unterpunkt Häufig gestellte Fragen und unsere Antworten. Dort belegen die Verantwortlichen die Wahl dieses digitalen Mediums und setzen sich auch mit krititischen Fragen auseinander.

Im Jahresbericht von 2019 lässt sich ein Satz dazu finden, wie das Videotagebuch zu COVID19-Zeiten angenommen wurde:

Over the last weeks, we have experienced, through the many expressions of support and positive reactions to the Anne Frank video diary, how relevant Anne Frank’s history still is today.

https://annefrank.freetls.fastly.net/media/filer_public/c2/4d/c24d8759-efc6-4b8a-aeea-8c736cece935/afs_jaarverslag_en_2019.pdf

Das Videotagebuch, das die realen Tagebucheinträge Anne Franks zum Vorbild hat, zeigt nur einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt aus der Zeit im Versteck in dieser besonderen Form auf. Es gibt 15 Folgen, die etwas mehr als vier Monate vor der Entdeckung der Versteckten abbilden. Das Audio ist in niederländischer Sprache, es sind jedoch Untertitel in neun Sprachen (darunter Hebräisch und Japanisch) verfügbar. Zusätzlich zu diesen fünfzehn Folgen gibt es einige Beiträge, die Bezüge zur heutigen Welt erklären, den Hintergrund des Formates erläutern und als „pädagogische Begleitvideos“ [24] fungieren. Auf der Website finden sich entsprechende Materialien für den Unterricht in der Grundschule zum Videotagebuch. [vgl. 24]

In den Videos spricht Anne in die Kamera, über ihre Gefühle, Emotionen und Gedanken. Doch auch die anderen Bewohner:innen des Verstecks werden sichtbar und so zeigen sich Einblicke in das Leben im Hinterhaus auf eine sehr natürliche Weise ohne Schwelle. Die Videos sind kurz gehalten und zeigen schnappschussartig einen Querschnitt durch verschiedene Gefühle Annes in diesem Zeitraum. Sie scheinen bewusst unprofesionell gefilmt zu sein, das Bild wackelt. Dies bewahrt den Charakter. Diese Form der Vermittlung ist in jedem Fall eine andere als ein Spiel- oder Dokumentarfilm und hält sich sehr an die Vorlage der Tagebuchform. Jedes Video vermittelt Botschaften auf der emotionalen Ebene, jeder Satz scheint bedeutungsschwer und Betrachter:innen beschleicht ein beklemmendes Gefühl, eine Form der Traurigkeit.

Das Anne Frank Videotagebuch ist ein stimmungsvolles Werk, welches Gemeinsamkeiten zwischen der Person Annes und der Zielgruppe der Jugendlichen konkret herausarbeitet und betont, dabei aber auch die deutlichen Ungerechtigkeiten und das Leiden, der durch das Videotagebuch als Freundin dargestellten Anne aufzuzeigen. Die pädagogischen Videos schaffen noch mehr Kontext, eine Basis, die Hintergrundinformationen und auch Bezüge zur heutigen Welt aufbaut. Die Interpretationszumutung ist trotzdem relativ hoch, das Format spricht eher die Emotionen an, als eine neutral-sachliche und interpretationsarme Darstellung zu bieten. Doch gerade durch diese Emotionalität empfinde ich es als eine wertvolle Ressource um Jugendlichen anhand der konkreten Geschichte Anne Franks Unterdrückung und Diskriminierung nahezubringen. Die Form des Videos macht das Erleben ihrer Situationen einfacher und ist weniger abstrakt als die reine, im Texterzeugnis Tagebuch verwendete Originalsprache Anne Franks. Dennoch kann es nur einen Bruchteil dessen abbilden, was das Originaltagebuch darstellt. Daher ist es auf keinen Fall ein Ersatz, sondern sollte nur dazu dienen, bestimmte Stellen hervorzuheben oder Hemmschwellen zum Einstieg in das Texterzeugnis abzubauen.

Das Hinterhaus Online

Das Hinterhaus kann auf der Website des Anne Frank Hauses auf zwei verschiedene Art und Weisen erkundet werden. Es steht eine interaktive Graphik zur Verfügung, die im Dollhouse-Format einen Querschnitt durch Vorder- und Hinterhaus zeigt. Verschiedene Räume können angewählt werden und durch Klick wird auf entsprechende informierende Unterseiten weitergeleitet.

Abb. 4: Auf der Website des Anne Frank Hauses steht eine interaktive Graphik zur Verfügung, die die historischen Räumlichkeiten aufzeigt und in Informationstexten, zu denen per Klick weitergeleitet wird, zahlreiches Wissen dazu vermittelt.
Screenshot über: https://www.annefrank.org/de/anne-frank/das-hinterhaus/

Eine Möglichkeit, einen Eindruck von der Raumerfahrung des Hinterhauses zu bekommen, bietet die 360°-Darstellung. Sie ermöglicht die einzelnen Räume in allen Raumrichtungen zu betrachten und gibt auch ein Gefühl von „gehen“ durch die Räume wieder. Sie geschieht jedoch noch ausschließlich auf dem Bildschirm. Im nächsten Abschnitt stelle ich die VR-App vor, die durch Proportionen und VR-Brille das Raumgefühl noch einmal ganz anders erlebbar macht.

Abb. 5: Ein Eindruck von einzelnen Zimmern kann über die 360°-Darstellung durch die hoch qualitativen Aufnahmen gewonnen werden.
Screenshot über: https://www.annefrank.org/de/anne-frank/das-hinterhaus/zimmer-otto-edith-margot/

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Die 360°-Darstellung lässt es zu, dass sich Besucher:innen in den Räumen umsehen. Sie verlinkt außerdem auf entsprechende Seiten zu besonderen Stellen wie den Wachstumsstrichen der Geschwister Frank, sowie zu den allgemeinen Texten über jedes Zimmer. Es ist auch möglich jedes Zimmer einzeln über seinen Erklärtext in 360° zu erkunden. Dieses Format bietet auf jeden Fall die Möglichkeit, einen gut geführten und sehr informativen Rundgang durch das Hinterhaus auch in der digitalen Form wahrzunehmen. Ein besonders hilfreiches Detail sind kleine Häkchen, die in der 360°-Darstellung bereits besuchte Türen zu anderen Zimmern und bereits geklickte Links zu Erklärtexten oder Videos kennzeichnen. Es ist jedoch auch ein Format, das eine relativ hohe Leistung für Internetverbindung und Rechenleistung erfordert, weshalb es sich langsam und abgehackt verhalten kann.

Das Hinterhaus in Virtual Reality

Die wohl realistischsten Eindrücke vom Hinterhaus vermittelt die App des Anne Frank Hauses für VR-Brillen. Mithilfe dieser kann das Versteck in der virtuellen Realität besucht werden. „In der VR-App sind alle Zimmer des Hinterhauses im Stil des Zeitraums des Untertauchens zwischen 1942 und 1944 eingerichtet.“ [25] Das ist besonders spannend, da dieser virtuelle Rundgang damit über das museale Erleben hinaus geht. „Im Museum ist das Hinterhaus leer. Die Möbel wurden nach der Verhaftung der acht Untergetauchten weggebracht. Auf Wunsch von Annes Vater Otto Frank blieben die Zimmer im Hinterhaus leer.“ [25] So gibt es in der Version für die virtuelle Realität zum einen diese Möbel und zum anderen keine sicherheitsbedingten Hemmschwellen. Es ist möglich, sich frei in den Zimmern zu bewegen. Einige wenige Gegenstände sind sogar „zum Anfassen“ programmiert. Durch fehlende Erklärtexte, Tafeln oder Vitrinen ist der Eindruck sehr authentisch und bietet die Chance, die Distanz abzubauen, die ein Museum sonst zwischen seinen Exponaten und Besucher:innen künstlich aufrecht erhält.

Es gibt einen kurzen einleitenden und einen abschließenden Text, der mit Fotos und Erzählerstimme die historische Kontextualisierung vornimmt. Danach kann das Hinterhaus frei durchlaufen oder anhand von geordneten Zitaten Annes geführt entdeckt werden. Der Rundgang dauert ca. 20 Minuten und vermittelt Besucher:innen ein Raumgefühl. Außerdem sind sie allein im Hinterhaus und hören nur „Annes“ Stimme, sodass eine stimmungsvolle und besonnene Atmosphäre erschaffen wird. Es werden nötige Fakten nur ein- und ausgangs vermittelt. Das Medium bedient Raumerfahrung und Gefühle, weniger die sachlich-nüchterne Ebene. Auf Youtube finden sich einige Rezensionen VR-Begeisteter, die das App-Erlebnis auch noch einmal für Personen sichtbar machen die keine VR-Brille besitzen. Im Test empfand ich die App als machtvollen Simulator, der meine Stimmung eindeutig zu lenken vermochte. Es fällt jedoch schwer aus dieser Bedrücktheit heraus zu kommen und sich mit der faktischen Aufarbeitung der Geschichte Annes nach diesem emotionalen Erlebnis zu beschäftigen. Mir persöhnlich gefällt die 360°-Darstellung aufgrund der Möglichkeit, entsprechende Erklärtexte zu den Räumen zu lesen, besser. Außerdem ist technisch bedingt die Graphik in der VR-App deutlich weniger scharf und detailgetreu. Das VR-Erlebnis an sich ist jedoch mit keinem anderen Format vergleichbar.

Die Wohnung der Familie Frank in 360-Grad-Ansicht und die Google Arts & Culture Ausstellung „Anne Frank’s family home“

Die eigentliche Wohnung der Familie Frank, auf der Website als „die andere Wohnung“ bezeichnet, ist, verglichen mit dem Versteck, deutlich weniger bekannt. Sie ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich, da sie politisch verfolgten Schrifsteller:innen für ein Jahr Wohnraum bietet. [vgl. 26] Besichtigt werden kann sie dennoch dank 360°-Aufnahmen. Diese sind vollständig unkommentiert und könnten daher anonym jedes Thema repräsentieren.

Abb. 6: Die 360°-Aufnahmen der Wohnung der Familie Frank geben einen Eindruck von dieser wieder. Dieser Darstellung mangelt es jedoch vollkommen an Erklärtexten, die Interpretationszumutung ist gewaltig. Screenshot über: https://artsandculture.google.com/streetview/anne-frank-s-family-home-entry-floor/2QHvMIIZ-TGBBw?sv_lng=4.884233417063623&sv_lat=52.37516035205483&sv_h=313.55162100169656&sv_p=-7.970454922347372&sv_pid=tzQ5_iLmVJsAAAQrDCFOhw&sv_z=0.35993198884791167

Weitere Informationen zur Wohnung aus historischer und heutiger Sicht bietet die Google Arts & Culture Ausstellung „Anne Franks Family Home“, welche in englischer Sprache auf in Foto und kurzen Erklärtext geteilten Slides das Leben der Familie vor dem Versteck vermittelt. Das schafft eine gute Ergänzung zu den restlichen Materialien, die sich stark auf die Zeit im Versteck fokussieren, da auch allgemeinere Informationen zum jüdischen Leben in Amsterdam zur genannten Zeit vermittelt werden.

Da die Ausstellung „Die andere Wohnung der Familie Frank“ nur temporär angelegt ist [vgl. 22] bieten diese digitalen Projekte eine gute Möglichkeit, Teile dieser Informationen auch nach Ende der Ausstellung zugänglich zu halten.

Die Google Arts & Culture Ausstellung „Anne Frank, ihr Leben, ihr Tagebuch, ihr Vermächtnis“

Die Ausstellung „Anne Frank, ihr Leben, ihr Tagebuch, ihr Vermächtnis“ ist eine auf die Medien Text und Bild bezogene mehrsprachige Ausstellung. Teilweise sind Filme eingebunden. Die Erklärtexte sind kurz gehalten, mitunter sind Zitate aus Annes Tagebüchern eingebunden, die die Emotionen von Betrachter:innen ansprechen. Der Hintergrund, auf dem Bilder und Texte ablaufen, ist gut gewählt, es handelt sich um die Wand in Annes Zimmer, die sie mit Fotos und Bildern beklebt hat. Die Formatierung der Texte ist sehr einfach gehalten und überzeugt nicht. Die Ausstellungstexte sind auf deutsch verfasst (außer einem), Bildunterschriften können nur durch Klicken auf das Bild und das – recht umständliche – Weiterleiten auf entsprechende Einzelseiten gelesen werden und sind in Englisch verfasst. Ohne Bildunterschriften ist die Zugehörigkeit mancher Bilder zum Erklärtext jedoch schwer zu erraten. Allgemein sind es recht viele zu verarbeitende Bilder und auch wenn es einen roten Faden gibt, sind Einzelteile doch teilweise recht chaotisch.

Weitere Materialien

Unter den Bildungsangeboten gibt es einige digitale oder zumindest digital sehr gut zugängliche Angebote. Auf diese will ich im Folgenden noch einmal kurz eingehen.

Abb. 6: Eine interaktive Beispielaufgabe aus der digitalen Lerneinheit des Anne Frank Hauses zum Hinterhaus.
Screenshot über: http://edu.annefrank.org/dashinterhaus/kurzfilm/4

So werden zum Beispiel zwei digital aufbereitete Unterrichtseinheiten zur Verfügung gestellt, die sich auch gut auf dem eigenen Rechner bearbeiten lassen. Diese überzeugen neben der vielen angesprochenen Sinne (Filme, kurze Erklärtexte und ein ansprechendes Design machen sie kurzweilig) auch durch Interaktivität. Immer wieder wird die Informationsvermittlung durch kurze Aufgaben unterbrochen, die interaktiv gelöst werden müssen.

Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle die Materialien zu den angebotenen Wanderaustellungen. Sie können direkt von der Website kostenfrei heruntergeladen werden und überzeugen durch Vielfalt an Medien (Text, Bild, Video), durch ihren Umfang und der pädagogischen Einbettung.

Fazit

Das Anne Frank Haus ist eine Kultureinrichtung, die nicht nur die Lebensgeschichte Anne Franks erzählt, sondern auch großen Wert auf Bezüge für Jugendliche heute legt. Auf jeder einzelnen Seite, in jeder einzelnen Ressource zeigt sich das Bemühen den „Besuch aus der ganzen Welt“ möglich zu machen. Es mangelt dazu jedoch bei der Website als Hauptressource noch an einigen Sprachen.

Jedes einzelne digitale Angebot ist in hohem Maße professionell gehalten und passt sich reibungslos in den Kontext der anderen ein, sodass sie sich gegenseitig stimmungsvoll ergänzen. Technisch sind die Anwendungen teilweise hervorragend umgesetzt und die Möglichkeiten moderner Technik werden großzügig ausgenutzt.

Eine intensive Beschäftigung mit historischen und aktuellen Themen wird so ermöglicht. Der Besuch der Website mündet bei angemessenem Zeitaufwand und aufmerksamer Interaktion mit den Inhalten in ein fundiertes, überblicksartiges Wissen zu Anne Frank und ihrer Zeit. Allerdings werden Besucher:innen zu wenig durch die digitalen Angebote geführt und können sich leicht in deren Vielfalt verlieren. Antworten auf konkrete Fragestellungen können ebenso schwierig zu finden sein, da sie sich, der internen Logik der Websitengestaltung folgend, im Falle, dass sie anderen Themen untergeordnet sind, erst nach Besuch einiger Überkapitel auffinden lassen. Besucher:innen des „Digitalen Anne Frank Hauses“ haben die schwierige Aufgabe der Filterung für sie relevanter Informationen. Die Interpretationsfrage bleibt nicht offen, jedoch fällt es recht schwer eine für sich angemesse Interpretation und Kontextualisierung aus der Fülle an Material zu filtern.

Ein „Besuch aus der ganzen Welt“ ist also nur eingeschränkt möglich. Das Anne Frank Haus, das Museum an sich, wird nicht besucht, wenn die digitalen Angebote genutzt werden. Außerdem fehlen der Website noch einige Sprachangebote, um diesen ambitionierten Wunsch erfüllen zu können. Das physische Museum wurde als solches nicht ersetzt, doch es wurden Angebote erschaffen die den Besucher:innen vielleicht sogar gleichwertige Effekte bieten, wie es das physische Museum tut. Es werden immer wieder Emotionen angesprochen, doch auch sachliche Informationen vermittelt. So reihen sich die digitalen Angebote als Gesamtkonzept, nicht als Einzelangebote, neben dem Museum in meinen Augen sogar als Partner auf Augenhöhe ein. Ein Besuch im Museum wird durch die digitalen Angebote nicht zwingend beworben, oder darauf hingearbeitet. Dennoch werden digitale Angebote in einem Maße entwickelt, das wirklich herausragend ist.

Besonders einzigartig ist der Reichtum an professionellen Bildungsangeboten, der teilweise auch gänzlich digital, teilweise zumindest auf digitalem Wege, zur Verfügung gestellt wird.

Der Großteil der digitalen Projekte fokussiert sich stark auf die Geschichte Fritz Pfeffers und der Familien Frank und van Pels, beziehungsweise auf die Person Annes. Die Darstellung ihrer Geschichte mündet meistens in wenige kurze Sätze über das, was nach der Verhaftung geschehen ist. Die Problematik dahinter ist die gleiche wie hinter dem konkreten Tagebuch an sich:

„‚Man konnte sich mit diesem Thema der NS-Verfolgung an einem konkreten Lebensschicksal auseinandersetzen und gleichzeitig dieser Auseinandersetzung ausweichen‘, sagt Thomas Rahe. ‚Ganz paradox. Denn im Tagebuch kommt keine SS vor, kommt kein prügelnder Wachmann vor, kommen keine Vergasungen und Erschießungen vor.'“

https://www.tagesschau.de/inland/anne-frank-111.html

Es fehlt in meinen Augen bei diesen Angeboten teilweise an weiterführenden Informationen zum historischen Kontext. Das Anne Frank Haus stellt in seiner digitalen Präsenz lediglich als eben solche Fakten dar. Für das physische Museum wurde die Relevanz einer noch stärkenen Kontextualisierung, einer vermehrten Vermittlung historischen Wissens über den Querschnitt der Zeit, in der Anne Frank gelebt hat, bereits erkannt. [vgl. 17] Ich hoffe dass die digitalen Angebote da ebenfalls nachziehen.

Die eingangs gennannten Beispiele, oder auch kürzliche Ereignisse wie die #BlackLivesMatter-Proteste: Sie alle zeigen auf, dass Alltagsrassismus, alltäglicher Antisemitismus und tägliche Diskriminierung Themen sind, über die gesprochen und gegen die gekämpft werden muss. Das Anne Frank Haus ist in seiner Arbeit in diesen Themenfeldern herausragend und ich wünsche mir persönlich sehr, dass sich Otto Franks Vision von der besseren Welt durch Bildung [vgl. 12] erfüllen kann.

Bibliographie

[1] Alte Feindbilder zurechtgebogen (2020), Tagesschau.de, erreichbar über: https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/corona-antisemitismus-101.html (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[2] „Natürlich hat Berlin ein Antisemitismus-Problem“ (2020), Der Tagesspiegel, erreichbar über: https://www.tagesspiegel.de/berlin/zwischen-corona-demos-und-juedischem-alltag-natuerlich-hat-berlin-ein-antisemitismus-problem/26177178.html (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[3] Fälle von Antisemitismus bei Anti-Corona-Demos (2020), Potsdamer Neueste Nachrichten, erreichbar über: https://www.pnn.de/brandenburg/monitoringbericht-fuer-brandenburg-faelle-von-antisemitismus-bei-anti-corona-demos-/26173460.html (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[4] Anschlag auf Synagoge (2019, 2020), Zeit Online, erreichbar über: https://www.zeit.de/thema/halle-an-der-saale (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[4] „Halle reiht sich in die Serie frauenfeindlicher Attentate ein“ (2019), Das Erste, erreichbar über: https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/Halle-reiht-sich-in-die-Serie-frauenfeindlicher-Attentate-ein,frauenhass120.html (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[5] „Rechte Terroristen: Hass auf Frauen“ (2019), Das Erste, erreichbar über: https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/Rechte-Terroristen-Hass-auf-Frauen,frauenhass100.html (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[7] Was den Halle-Anschlag mit dem Holocaust verbindet (2020), MDR, erreichbar über: https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/reportage-zehnter-tag-prozess-halle-attentaeter-was-den-anschlag-mit-dem-holocaust-verbindet100.html (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[8] Abgrund aus Rassismus und Empathielosigkeit (2020), Deutschlandfunk, erreichbar über: https://www.deutschlandfunk.de/prozessauftakt-zum-anschlag-in-halle-abgrund-aus-rassismus.720.de.html?dram:article_id=480997 (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[9] Anne Frank, Anne Frank Zentrum, erreichbar über: https://www.annefrank.de/anne-frank/ueber-anne-frank/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[10] Ab 8. Mai: Sonderedition von Anne Franks Tagebuch (2019), Zeit Online, dpa erreichbar über: https://www.zeit.de/news/2019-05/06/ab-8-mai-sonderedition-von-anne-franks-tagebuch-190506-99-95583 (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[11] Tagebucheintrag, 4. April 1944. Zitat entnommen der Ausgabe des Lambert Schneider Verlags, Hamburg, 1958, S. 214. Übersetzer: Anneliese Schütz — über: https://de.wikiquote.org/wiki/Anne_Frank

[12] Otto Franks Mission – Bildung als Schlüssel für eine bessere Welt (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/uber-uns/was-wir-tun/otto-franks-mission/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[13] Was wir tun – Die Aktivitäten des Anne Frank Hauses (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/uber-uns/was-wir-tun/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[14] Wie es begann – Vom Versteck zum Museum (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/uber-uns/wie-es-begann/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[15] Prinsengracht 263 (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/anne-frank/vorderhaus/prinsengracht-263/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[16] Annual report 2018 – Museum, anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/en/about-us/annual-report-2018/museum-annual-report-2018/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[17] Anne Frank House Annual Report 2019, anne frank house, erreichbar über: https://annefrank.freetls.fastly.net/media/filer_public/c2/4d/c24d8759-efc6-4b8a-aeea-8c736cece935/afs_jaarverslag_en_2019.pdf (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[18] Willkommen, das Anne Frank Haus wurde modernisiert (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/uber-uns/nachrichten-und-presse/news-de/2018/11/19/willkommen-das-anne-frank-haus-wurde-modernisiert/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[19] Lasst mich ich selbst sein – Anne Franks Lebensgeschichte (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/bildungsarbeit/product/62/lasst-mich-ich-selbst-sein/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[20] Anne Frank – eine Geschichte für heute (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/bildungsarbeit/product/61/anne-frank-eine-geschichte-fur-heute/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[21] Lesen und Schreiben mit Anne Frank (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/bildungsarbeit/product/63/lesen-schreiben-mit-anne-frank/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[22] Im Museum – Was Sie bei Ihrem Besuch erwartet (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/museum/im-museum/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[23] FAQ Anne Frank Video-Tagebuch – Häufig gestellte Fragen und unsere Antworten (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/museum/web-und-digital/video-tagebuch/faq-anne-frank-video-tagebuch/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[24] Anne Frank Video-Tagebuch – Eine Videoreihe auf Youtube (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/museum/web-und-digital/video-tagebuch/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[25] Das Anne Frank Haus in Virtual Reality – VR-App des Hinterhauses (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/uber-uns/was-wir-tun/unsere-publikationen/das-anne-frank-haus-virtual-reality/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

[26] Wohnung Familie Frank in Rundumansicht – Die Einrichtung im ursprünglichen Stil (2018), anne frank house, erreichbar über: https://www.annefrank.org/de/museum/web-und-digital/wohnung-familie-frank-rundumansicht/ (zuletzt abgerufen am 12.09.2020)

Digitaler Kurzurlaub in Nancy?

In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15.04.2020 urteilt Andreas Kilb, virtuelle Angebote könnten realen Museen kaum nahe kommen, da ihnen die Raumerfahrung fehle [vgl. 1]. Eine Alternative, museale Inhalte in digitalen Umgebungen zu vermitteln sind hybride Apps. Diese versuchen gar nicht erst, das Museum so gut wie möglich zu adaptieren, sondern sind eher für den Einsatz als begleitender Guide im Museum, oder daheim zum Nachlesen designt worden. Im folgenden möchte ich die drei Apps des Musée de l’école de Nancy (MEN), der Villa Majorelle (VM) und des Musée des beaux Arts (MBA) rezensieren. Ich habe die ersten beiden genannten Museen auch in ihrer physischen Form besuchen können. Dies motivierte für mich die Fragestellung, ob diese „Guiding-Apps“, die den Besuch im Museum wirkungsvoll untermauern, auch eine echte Alternative für diejnigen Personen bieten können, denen ein reales physisches Erleben der Museen verwehrt bleibt.

Nancy und der Jugendstil

Rund um 1900 erlangte Nancy mit dem Jugendstil und seinen herausragenden Künstlern weltweite Bekanntheit. Dieses außergewöhnliche Kunstabenteuer, das eine Allianz zwischen Kunst und industrieller Produktion besiegelte, zog unter dem Namen „Schule von Nancy“ in die moderne Welt ein.

https://www.nancy-tourisme.fr/de/entdecken-sie-nancy/hauptstadt-des-franzoesischen-jugendstils-art-nouveau/andere-jugendstilgebaeude-und-rundgaenge/
Abb. 1: Die drei hier rezensierten Apps

Die Stadt Nancy definiert sich teilweise sehr stark über ihre (Jugendstil-)Kunstwerke. So sind drei der zentralen Museen das MBA, das MEN, dessen namensgebende Künstler:innengemeinschaft weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt ist, und die Jugendstilvilla Majorelle, die Kunstwerk und zeitgenössisches Wohnhaus in einem ist. [vgl. 2, 3, 4]

Das Musée des Beaux Arts

Das Nancy’er Musuem der schönen Künste | Musée des beaux Arts (MBA) hat eine geschichtsträchtige Sammlung. So stammten die ersten Ausstellungsstücke direkt aus den Kirchen und Privateigentümern derer, die vor der französischen Revolution flohen. Das MBA ist ein Beispiel für das Chaptal-Dekret von 1801 und bekam 44 Gemälde durch den Staat zugeteilt. Auch das Gebäude selbst ist ein Kunstwerk, ein Pavillon aus dem 18. Jahrhundert über einem Keller der alten Befestigungsanlagen von Nancy. [vgl. 5]

Die Gründung des Museums in Nancy ist beispielhaft für die Geburt der Museen in Frankreich während der Französischen Revolution und des Kaiserreichs.

https://musee-des-beaux-arts.nancy.fr/de/das-museum-seine-geschichte-3222.html

Heute umfassen die Sammlungen auch Asiatische Sammlungen, Zeitgenössische Kunst, die Glassammlung von Daum, Grafiken, Malerein und Skultpuren. Ein weiterer Fokus liegt auf Leben und Werk Jean Prouvés, sowie Kunst in und aus Nancy. [vgl. 6]

Auf der Website des Museums, die in Deutsch, Französisch und Englisch verfügbar ist, im Deutschen jedoch teilweise eher holprig übersetzt klingt, werden einige wenige ausgewählte Werke bereits digital vorgestellt. Die Auswahl derer ist gut gewählt und scheint die Sammlungen des Museums sehr gut zu repräsentieren, sodass von jeder Ausstellung ein Vorgeschmack gewonnen werden kann, der Lust auf mehr macht.

Das Musée de l’École de Nancy

Auch das Museum der Nancy’er Schule befindet sich in einem zu deren Geschichte passendem Bauwerk: im ehemaligen Wohnhaus ihres Mäzens Corbin, an das ein denkmalgeschützter Garten angeschlossen ist.

Die Räume des Museums sind durch die Vielfalt der Objekte, die von der Schule von Nancy geschaffen wurden – Malerein, Möbel, Keramiken, immer wieder auch Glaskunst, Textilien – die nebeneinander ausgestellt werden als stimmungsvolle Gesamtkunstwerke in sich geschlossen. Die Objekte sind dabei nicht gereiht, sondern befinden sich an den Stellen, wo sie für den relaen Zweck und Gebrauch vorgesehen wären.

Wussten Sie, dass dieses Museum das einzige weltweit ist, dass nur dieser einmaligen Strömung gewidmet ist?

https://www.nancy-tourisme.fr/de/entdecken-sie-nancy/hauptstadt-des-franzoesischen-jugendstils-art-nouveau/schule-von-nancy/

Die Sammlungen umfassen ausschließlich Objekte der Nancy’er Schule und bilden so einen Querschnitt durch deren Geschichte und Werk ab. So gibt es folgende Sammlungen:

  • Sammlung mit Gegenständen für die Villa Majorelle
  • Glassammlung
  • Bleiglasfenster
  • Lampen und Lichtobjekte
  • Möbel
  • Keramiken
  • Leder und Textilien
  • Malerein
  • Skulpturen
  • Graphiken
  • Fotografien

[vgl. 2, 7]

Auf der Website des MEN werden ebenfalls einige Exponate – in französischer Sprache – in Text und Bild vorgestellt und erwecken genauso wie beim MBA die Neugier die gesamte Ausstellung zu sehen. Zu den Sammlungen gibt es außerdem Fotos von zugehörigen Exponaten mit einigen wenigen Daten, ohne Erklärtext, die auf der Website einsehbar sind.

Vergangene Ausstellungen befassten sich ebenfalls mit dem Jugendstil und der Region. Die Verknüpfung der Nancy’er Schule mit dem politisch-sozialen Kontext ihrer Zeit geschah ebenfalls im Rahmen einer solchen temporärern und abgeschlossenen Ausstellung. [vgl. 9] An dieser Stelle wäre eine solche Einordnung auch dauerhaft und langfristig wünschenswert.

Das Museum der Villa Majorelle

Die Villa Majorelle, das ehemalige Wohnhaus der Künstlerfamilie Majorelle, ist ein dreidimensionales Jugendstilkunstwerk. Das Bauwerk wurde erst vor Kurzem renoviert und steht nun wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung, wobei nicht alle Stockwerke bereits wieder geöffnet sind. Die Villa zeigt einen Eindruck aus dem Leben der Künstlerfamilie und präsentiert sich auch unabhängig ihrer ehemaligen Bewohner:innen als Gesamtkunstwerk, das mit Möbeln und Kunstobjekten der Art Noveau eingerichtet ist. Sie wurde nicht nur von der Familie Majorelle geschaffen, sondern besteht aus künstlerischen Elementen verschiedenster Meister. Einen Eindruck über Fotos ohne Text kann man sich auf der verlinkten Seite machen.

Außerdem wurden und werden in Zusammenhang mit der Villa Majorelle verschiedenste kleine Onlinespiele entwickelt (diese können auf der oben verlinkten Website relativ weit unten gefunden werden), sodass der Aspekt der musealen Gamification Einzug nimmt. Sie bieten kein professionelles gamifiziertes Bildungserlebnis, zeugen jedoch seitens der Kurator:innen von Neugier und Bereitschaft auf neuen digitale Wege zu wandeln. [vgl. 10]

Auf diesem Blog befindet sich außerdem ein weiterer Beitrag zum Hackathon Coding da Vinci. In dessen Rahmen habe ich in diesem Semester mit einem Team einen Beitrag zu den digitalen Angeboten der Villa Majorelle geleistet. Mein Beitrag stellt den Hackathon vor und analysiert das Format als niederschwelliges Angebot um selbst digitale Kulturangebote zu schaffen.

Technisches

Die Apps der Nancy Musées sind für Android und iOs kostenfrei verfügbar. Ich teste die Apps hier auf iPhone und iPad, jeweils ausgestattet mit der neusten iOS-, bzw. iPadOS-Version.

Die Inhalte der Vermittlungsapps sind auch ohne Internetverbindung verfügbar. Doch das hat einen Haken: Für die Nutzung der Apps muss die nutzende Person Speicher auf dem Smartphone, bzw. Tablet frei haben oder frei machen. Ein optionaler Download für die Offline-Nutzung steht nicht zur Verfügung, Nutzer:innen müssen in jedem Fall zuerst durch Klick auf einzelne Themengebiete sämtliche Inhalte herunterladen. Die App MEN nimmt rund 1 GB, die des Musée des beaux arts (MBS) rund 500 MB und die App der Villa Majorelle etwa 200MB Speicher ein. Die App fordert über Benachrichtigungen immer wieder zum Download weiterer Inhalte auf. Dies wirkt teilweise willkürlich, teils fehlerhaft. Aus diesem Grund kann der endgültige Speicherbedarf nicht zuverlässig ermittelt werden.

Alle drei Apps laufen auf meinem iPhone und iPad nicht flüssig, ich habe während der Tests immer wieder mit schwarzen Bildschirmen und Absturzverhalten gekämpft. Auch der Download läuft nicht immer fehlerfrei, oft ist wie bereits erwähnt unklar was bereits heruntergeladen wurde.

Im iOS-Store ist für die App der Villa Majorelle und die des MBA eine Altersempfehlung ab 17 Jahren, für die MEN-App eine Empfehlung ab 4 Jahren vorgegeben. Diese Einordnung erscheint mir willkürlich, zumal die App der Villa Majorelle über eine interne Version für Jugendliche, die des MBA sogar über eine Kinderversion verfügt.

Die Museen selbst bewerben die Apps folgendermaßen:

Fini les audioguides ! Désormais, c’est votre smartphone qui sert de fil d’Ariane lors de vos sorties au musée de l’École de Nancy ou à la Villa Majorelle, grâce à une application ludique, personnalisable et gratuite.

https://musee-ecole-de-nancy.nancy.fr/visiter/telechargez-l-application-3067.html

Sagt „Tschüss“ zu den Audioguides! Von nun an gibt Ihr Smartphone Ihnen den roten Faden beim Museumsbesuch der l’École de Nancy oder der Villa Majorelle vor. Das wird durch eine spielerische, personalisierbare und kostenlose App möglich.

sinngemäße Übersetzung des französischen Zitates

Dabei wird deutlich dass die eigentliche Zielgruppe die Besucher:innen der Museen sind, die durch die Apps informative und individuelle Unterstützung erhalten sollen. Damit ist das Angebot ein hybrides, kein rein virtuelles.

Aufbau und Inhalt der Apps

Abb. 2: links: Ein Schild am Eingang zur Villa Majorelle in Nancy – rechts: Drei Startscreens Nancy’er Museumsapps
Abb. 3: Der Aufbau der Nancy’er Museumsapps

Mit Blick auf das Design der Apps fällt auf, dass sie zusammengehören. Vor allem die Apps des MBA und des MEN sind sehr ähnlich designt und verfügen über ein Kachelmuster. Die Apps sind optisch klar strukturiert und sprechen das Auge an. Die Interaktion mit ihnen verläuft über einfache Symbole relativ problemlos, auch wenn technisch an einigen Stellen Probleme auftreten, Text fehlt oder Audio nicht abgespielt werden kann. Vor allem letzteres tritt in der Kinderversion der App des MBA deutlich häufig auf, was schade ist, da Kindern, die noch nicht oder schlecht lesen können so die Audiounterstützung genommen wird.

Alle drei Anwendungen sind in Deutsch, Französisch und Englisch verfügbar – ich teste vor allem die deutsche Version, die bei allen drei Apps noch Übersetzungs-, Ortographie- und Schreibfehler beinhaltet und teilweise auch noch nicht verfügbar ist. Die unter [11] versprochene Gebärdensprache kann ich bei keiner App finden.

Am besten funktioniert die Interaktion mit den Apps im Hochformat, drehe ich meinen Bildschirm, so passt sich das Design in einigen Fällen nicht an und eine Interaktion ist nicht mehr möglich.

Die Apps des MBA und des MEN bieten die Möglichkeit Themen für den Besuch auszuwählen. Beim MBA gibt es zwar nur zwei Auswahlmöglichkeiten, das MEN hingegen bietet schon einige Möglichkeiten eigene Schwerpunkte zu setzen. Dort kann die Kachel „Thematischer Besuch“ angewählt werden. Anhand der beiden Fragen „Wie möchten Sie das Museum heute sehen?“ und „Wie viel möchten Sie sehen?“ wird dann eine semi-individualisierte Auswahl der Exponate vorgenommen.

Abb. 4: Der Aufbau der Seiten zu den Exponaten ist klar und zeigt das jeweilige Exponat eindurcksvoll.

Alle Apps folgen dabei einem ähnlichen Vermittlungsmuster, das bei jeder durch besondere Effekte wie „Zoom-In“, oder die Möglichkeit Exponante als Favoriten zu markieren noch ein wenig anders gestaltet wird: Die benutzende Person wählt ein Kunstwerk, bzw. Exponat aus und landet auf einer Seite wie der in Abb. 4 gezeigten. Dort kann sich der Standort des Exponats angezeigt werden lassen, was bei gründlicher Vorbereitung des Museumsbesuchs eine sehr individuelle Route durch das Museum aufbauen und beim rein digitalen Besuch zumindest einen, wenn auch nicht sehr überwätligenden Eindruck von der Räumlichkeit vermitteln kann. Außerdem gibt es zu den ausgewählten Exponaten ausführliche Erklärtexte, welche auch als Audios abgespielt werden können. Damit kommen die Apps ihrer eigentlichen Funktion als Ersatz für Audio-Guides sehr nah, bieten jedoch auch für zu Hause eine Möglichkeit das Museum ein Stück weit ins eigene Wohnzimmer zu holen, indem sich auf ein bestimmtes Exponat fokussiert, es auf dem Bildschirm betrachtet und dann das Audio dazu gehört wird.

Den Text zu lesen gestaltet sich in den meisten Fällen schwierig, da das Fenster in die zwei Blöcke Bild und Text geteilt zu sein scheint, sodass das Bild seine Größe stest behält, egal wie durch den Text gescrollt wird. Die – vermutliche – Idee dahinter, nämlich das Exponat stets betrachten zu können und nicht nur reinen Text vorliegen zu haben, macht die schlechte Umsetzung leider nicht praktischer.

Abb. 5: Die Reihung der Kunstwerke in der App des MBA ist klar strukturiert. Das MEN baut die Inhalt ähnlich auf, die Kapitel der App der Villa Majorelle sind ebenfalls so geordnet.

Die Auswahl der Exponate ist jeweils stimmig und aufeinander aufbauend. So stehen sie jeweils mit Text, Bild und Audio für sich, doch durch ihre Reihung erschaffen sie einen nachhaltigen Wissenszuwachs, bei dem die Kontextualisierung in einen größeren Zusammenhang jedoch nur lose vonstatten geht, so ist zum Beispiel die Präsentation der „Meisterwerke“ im MBA (Abb. 5) eine chronologische Reihe von eben diesen Meisterwerken ohen weitere, z.B. epochale Unterteilung, die das Ganze noch einmal gegliederter hätte. An dieser Stelle fällt besonders stark auf, dass diese Einordnung eigentlich durch den räumlichen Aspekt der Ausstellungen gedacht und in den Apps nicht vorgesehen wird. Die Verweise auf das jeweilige Stockwerk und die Verortung in der Karte unterstützen zwar beim realen Museumsbesuch, eine zielführende Ordnung für den virtuelle Besuchende hätte hier aber mehr Übersicht schaffen können.

Kinder-/Jugendlichenversion und Erwachsenenversion unterscheiden sich vor allem in der Auswahl der Exponate, Text und Audio sind in den meisten Fällen fast identisch. Die MBA- und MEN-Apps bieten außerdem jeweils vier Kunstspiele an, die die Vermittlung der Inhalte zum Beispiel in Quizform teilweise noch ein wenig lebhafter und spannender und die Auseinandersetzung mit der Kunst, zum Beispiel durch Puzzles noch intensiver gestalten. Versionen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, z.B. durch einfache Sprache, existieren nicht.

Einschätzung der Apps und Fazit

Die Apps vermitteln ausführlich und anschaulich Fakten über die drei Nancy’er Museen. Diese werden frisch und lebendig präsentiert und überzeugen durch gutes Storytelling. Die Vorauswahl der Exponate wird in den drei Apps zu verschiedenen Graden individualisiert und bietet damit die Möglichkeit verschiedene Schwerpunkte zu setzen oder Besuche unter anderen Gesichtspunkten zu wiederholen. Außerdem werden stets auch Kinder und Jugendliche als Zielgruppe mit eigenen Angeboten angesprochen. Diese Vorauswahl schränkt die Besucher:innen allerdings stark in ihrer Freiheit ein. Als ergänzender Audio-Guide vor und nach dem Besuch, oder im Museum selbst können die Apps nachhatlig Informationen vermitteln, die die (Kunst)geschichte der Stadt Nancy eindrucksvoll präsentieren. Auf kritische Stimmen derer gegenüber trifft man jedoch nicht. Als Audioguide im Museum fokussieren und lenken die Apps die Blicker der Besucher:innen gezielt und schaffen so Nähe zwischen Exponat und Besucher:in. Sie dienen in diesem Fall ausgezeichnet als Bindeglied zur Interaktion mit den musealen Artefakten.

Werden die Apps und Websites als einzige Quelle genutzt, so geht auch bei dieser virtuellen Form der Museumsrepräsentation der räumliche Aspekt wie von Kilb beschrieben verloren. Bei den Museeen zur Schule von Nancy und der Villa Majorelle ist das besonders tragisch, da die Exponate erst miteinander verknüpft ein Stimmungsbild zu erzeugen vermögen. Ohne die Architektur, in der sie sich befinden und ohne einander, schaffen sie dies nicht. Auch das Musée des Beaux Arts büßt so einiges an Strahlungskraft ein.

Technisch ist die Installation und Einrichtung der Apps aufwendig, sprachlich sind sie teilweise noch nicht ausgereift.

Beim alleinigen Nutzen der Apss, ohne Besuch der Museen dienen diese und die Websites der Nancy’er Museen sehr gut zur Recherche, zum Belesen. Sie sind sehr gut aufeinander abgestimmt und im Großen und Ganzen klar und zielführend designt. Wer des Französischen mächtig ist, dem wird eine gute Mischung aus gesprochener Sprache, Text und Bild mit Zügen zur Interaktion und Personalisierung geboten. Teilweise wirken bewegte Zoom- oder Videoeffekte jedoch ein wenig überladen. Dann kann ein virtueller Besuch fachlich bilden. Den überwältigenden Effekt der klassischen Ausstellungen, die wirken ohne zu sprechen, können die Apps jedoch nicht einmal annähernd bieten.

Die vorgestellten Angebote aus Nancy machen klar, dass die ostfranzösische Statd in ihrer Museumskultur zunehmend auf digitale Angebote setzt. Sie geht dabei verschiedenste Wege und ersetzt klassische Angebote wie Audioguides durch modernere Smartphone-App-Varianten, die damit bestechen, dass sie auch zu Hause genutzt werden können. Außerdem kann sie durch Kooperation mit Studierenden und dem Hackathon Coding da Vinci mit Gamification-Elementen punkten. So wird durchgehend auf verschiedensten Ebenen versucht digitale Angebote zu schaffen, die die bestehenden physischen sinnvoll ergänzen. Für dieses „Ergänzen und Ersetzen“ haben die vorgestellten Nancy’er Museen zahlreiche gute Ansätze. Ihre Ausstellungen sind gut aufbereitet, erzählen die lokale (Kunst)geschichte teilweise jedoch etwas einseitig. Die digitalen Angebote scheinen zu wachsen und ich bin spannend, was zukünftig noch entwickelt werden und wie die Fülle an Formaten noch ergänz werden wird.

Ressourcen

Die Links zur „App für iOS“ leiten zum Apple App Store, die Links zur „App für Android“ zum Google Play Store weiter. Die Websiten sind in framzösischer Sprache formuliert.

Hier geht’s zur App und zur Website des MEN:
Hier geht’s zur App und zur Website des MBA:
Hier geht’s zur App der Villa Majorelle:

Bibliographie

[1] Was das digitale Museum nicht kann (2020), Andreas Kilb in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, erreichbar über: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/virtuelle-rundgaenge-was-das-digitale-museum-nicht-kann-16724997.html (zuletzt abgerufen am 05.09.2020)

[2] Schule von Nancy (2020), Destination Nancy, Office de Tourisme, erreichbar über: https://www.nancy-tourisme.fr/de/entdecken-sie-nancy/hauptstadt-des-franzoesischen-jugendstils-art-nouveau/schule-von-nancy/ (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[3] Museen (2020), Destination Nancy, Office de Tourisme, erreichbar über: https://www.nancy-tourisme.fr/de/aktivitaeten/erbe-und-kultur/museen/ (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[4] Jugendstil‑Architektur (2020), Destination Nancy, Office de Tourisme, erreichbar über: https://www.nancy-tourisme.fr/de/entdecken-sie-nancy/hauptstadt-des-franzoesischen-jugendstils-art-nouveau/jugendstil-architektur/ (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[5] Das Museum / Seine Geschichte (2020), Musée des Beaux Arts Nancy, erreichbar über: https://musee-des-beaux-arts.nancy.fr/de/das-museum-seine-geschichte-3222.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[6] Die Sammlungen (2020), Musée des Beaux Arts Nancy, erreichbar über: https://musee-des-beaux-arts.nancy.fr/de/die-sammlungen-3225.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[7] Le musée (2020), Musée de l’École de Nancy, erreichbar über: https://musee-ecole-de-nancy.nancy.fr/le-musee-2675.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[8] Les collections (2020), Musée de l’École de Nancy, erreichbar über: https://musee-ecole-de-nancy.nancy.fr/les-collections-2674.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[9] Expositions passées (2020), Musée de l’École de Nancy, erreichbar über: https://musee-ecole-de-nancy.nancy.fr/les-expositions/expositions-passees-3030.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[10] La Villa Majorelle (2020), Musée de l’École de Nancy, erreichbar über: https://musee-ecole-de-nancy.nancy.fr/la-villa-majorelle-2887.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)

[11] Téléchargez l’application, Musée de l’école de Nancy (2020), erreichbar über: https://musee-ecole-de-nancy.nancy.fr/visiter/telechargez-l-application-3067.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2020)