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22. Dez 2023

Willkommen in der Geschichte des halleschen Volksparks!

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Auf dieser Seite finden Sie ganz unterschiedliche Beiträge zur Geschichte des 1907 als zentraler Versammlungsort der sozialistischen Arbeiterbewegung in Halle (Saale) eingeweihten „Volksparks“. Der Blog ist entstanden aus einem Seminar für Bachelor-Studierende der Geschichte der Martin-Luther-Universität. Die Studierende haben sie interessierende Themen ausgesucht, recheriert, Texte verfasst, Bilder gesucht und teilweise Audio-Dateien produziert.

Nun können Sie Ihrerseits das Sie interessierende Thema wählen und in die Geschichte des Volksparks eintauchen. Nun, nach Abschluss des Seminars, gilt aber auch: Dieser Blog ist offen für Erweiterungen. Wenn Sie also etwas zu unserem Gegenstand beisteuern möchten, nehmen Sie bitte Kontakt auf unter: patrick.wagner@geschichte.uni-halle.de

22. Dez 2023

Schreibende Arbeiter*innen am Klubhaus Volkspark Halle (Saale)

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1959 fand die erste Bitterfelder Konferenz in der DDR statt. Sie sollte ein wichtiges, wegweisendes kulturpolitisches Event des noch jungen sozialistischen Staates werden. Unter dem Motto: „Greif zur Feder, Kumpel. Die sozialistische Nationalliteratur braucht dich“ sollte eine sozialistische Kulturrevolution im Literaturbetrieb angefeuert werden.

Eine zentrale Forderungen der Konferenz: Arbeiter*innen sollten anfangen, selbst Literatur zu produzieren. Dafür wurde die „Bewegung schreibender Arbeiter“ initiiert. In der ganzen DDR gründeten sich „Zirkel Schreibender Arbeiter“ – angegliedert an Betrieben, Gewerkschafts- oder Kulturhäusern – in denen sich Menschen zusammenfanden, um zu schreiben, um einen Austausch über Literatur zu führen.

In Halle (Saale) gab es einen solchen Zirkel unter anderem am Klubhaus Volkspark. In dem Feature soll es konkret um diesen Zirkel gehen, aber auch darum, was die „Bewegung Schreibender Arbeiter“ im allgemeinen war, aus welchen kulturtheoretischen Debatten sie entstanden ist, welcher staatliche Anspruch an die „Zirkel Schreibender Arbeiter“ herangetragen wurde und welches Interesse die Schreibenden selbst zu dem Engagement in den Zirkeln gebracht hat.

28. Jun 2023

Kabarettisten und Berufspolitiker. Die Eiserne Front im Volkspark und ihre Redner

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In der heutigen Welt ist das Medium „Werbeplakat“ nicht mehr so wichtig. Zwar ist es als Mittel nach wie vor präsent, wird aber in der Gewichtung stetig durch Social Media und anderweitige mediale Werbung ersetzt. In Zeiten ohne Internet und multimediale Landschaft war dies selbstverständlich anders. In der Weimarer Republik beispielsweise waren Plakate ein zentraler Bestandteil von Werbung. Die 1854 durch Ernst Litfaß erfundene „Litfaßsäule“ brachte Werbung in jede größere Stadt in Deutschland. Mit Veranstaltungsplakaten und deren historischem Kontext beschäftigt sich auch dieser Beitrag zum Volkspark in Halle (Saale), speziell geht es hier um das Jahr 1932.

Der Volkspark ist einer der prägnantesten historischen Orte der Arbeiterbewegung in Halle. Hier fanden bis 1933 nicht nur Kulturveranstaltungen und sportliche Wettkämpfe, sondern auch die meisten linken politischen Versammlungen der Zeit statt. Gerade das „Jahr der Wahlen“ 1932 zeigt die politisch äußerst angespannte Lage, die sich an den Veranstaltungen im Volkspark widerspiegelt. Über die konkreten Inhalte und Redebeiträge dieser Veranstaltungen lässt sich oftmals nur mutmaßen, da diese, wenn überhaupt, nur in Zeitungsartikeln dokumentiert und in der Regel wertend interpretiert wurden. Anhand der erhaltenen Veranstaltungsplakate lässt sich jedoch dokumentieren, welche Absichten die Veranstalter von politischen Vorträgen hatten und welche Inhalte transportiert werden sollten.

Eine Gruppierung, die 1932 viele politische Vortragsabende ausrichtete, war die „Eiserne Front“, eine Art politischer „Großverband“ aus SPD, Arbeitersportverbänden, Gewerkschaften und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Die Front wurde am 31. Dezember 1931 gegründet, vor allem auf Initiative des Reichsbanners, welches als Wehrverband den proaktiven Widerstand gegen die NSDAP und die SA organisierte. Grundsätzlich war die Eiserne Front als eine Art „Abwehrbündnis“ gedacht, um die Weimarer Republik vor den Gefahren durch die Nationalsozialisten zu bewahren. Dies geschah einerseits durch physischen Widerstand, wie beispielsweise durch Saalschlachten, die bei politischen Veranstaltungen zur Tagesordnung gehörten und andererseits durch politische Mobilisierung durch Vorträge, Demonstrationen und Plakate.

Fünf Veranstaltungsplakate der Eisernen Front sind im Bestand des Stadtarchivs Halle (Saale) erhalten geblieben, welches diese freundlicherweise in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, sodass diese in diesem Beitrag gezeigt werden können.

Das erste Plakat stammt von einer Veranstaltung am 9. Februar 1931. Das Plakat kündigte einen „ehemaligen Adjutanten von Hitler“ namens Helmuth Klotz an, der als einer der sog. „Alten Kämpfer“ beim Putsch in München am 8. und 9. November 1923 beteiligt gewesen war und sich zu dem Zeitpunkt der Veranstaltung von der NSDAP losgesagt hatte. Klotz war 1929 der SPD beigetreten. Über die genauen Umstände seines Bruchs mit der NSDAP ist nichts bekannt, genauso wenig über die Zeit nach seiner Inhaftierung aufgrund des Hitlerputsches im Landsberger Gefängnis des Jahres 1924. Nach seinem Beitritt zur SPD verfolgte Klotz allerdings ein stringent antikapitalistisches Weltbild und betätigte sich als Publizist zu wirtschaftspolitischen Themen. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Kapitalismus verfolgte er offenbar schon in seiner Zeit bei der NSDAP, wobei er maßgeblich auf antisemitische Weltvorstellungen fußte.

Zwei Jahre nach dem Vortrag im Volkspark sollte er nach Paris flüchten müssen, wo er 1940 von der Gestapo verhaftet und kurz darauf in Berlin hingerichtet wurde.

Am Plakat selbst ist interessant, dass hier eine Position von Klotz suggeriert wird, die es so nie gegeben hat. Zwar war er bei der NSDAP als alter Kämpfer aktiv und beim Hitlerputsch dabei gewesen, war allerdings zu keinem Zeitpunkt ein persönlicher Adjutant von Hitler gewesen. Hier wird also eine Verbindung und damit ein Vorhandensein von Kenntnissen suggeriert, das es so nicht gegeben hat. Es lässt sich nur vermuten, dass dies Teil einer Mobilisierungsstrategie gewesen sein könnte, um möglichst viele Menschen in den Volkspark zu locken, da sie sich persönliche und tiefgehende Erkenntnisse über den späteren Diktator versprachen.

Dies ist aber nicht das einzige Kuriosum, welches sich auf den Plakaten findet. Das nächste Plakat bietet ein regelrechtes Rätsel: Wer mag der betroffene Redner sein?

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Zu sehen ist ein aufwendig ausgeschmücktes Plakat. In Fraktur ist der Titel des Vortrags zu sehen, sowie ein zersplittertes Hakenkreuz am Rand. Der beworbene Redner scheint dieses Mal aus Italien emigriert gewesen zu sein, aber obwohl er nachweislich im gesamten Gebiet der Weimarer Republik bei der Eisernen Front auftrat, ist über seine Person nichts zu recherchieren. Allerdings geben das Plakat und einige Artikel aus politischen Zeitungen der Zeit Hinweise. So bezeichnet die sozialdemokratische Zeitung „Volksstimme“ vom 13. März 1931 Mario Corsi eindeutig als „Parteifreund“. Daher spricht viel dafür, dass Corsi Mitglied des Partito Socialista Italiano (PSI) war, der in den 1920ern von der italienischen Diktatur schrittweise verbotenen Schwesterpartei der SPD. Zahlreiche Politiker des PSI flohen ins Exil und es ist wahrscheinlich, dass Corsi einer von Ihnen war.

Auf dem Plakat wurde extra angemerkt, dass Corsi „fließend deutsch“ spräche. Anhand von Zeitungen aus dem mitteldeutschen Raum ließ sich nachweisen, dass Corsi mit seinem Thema „Hakenkreuzwunderland Italien“ eine Art Tournee gemacht haben muss. Ebenso wird explizit die Zielgruppe erwähnt: Als bedroht vom Faschismus sollten sich nicht nur Sozialdemokraten fühlen, sondern die „Arbeiterklasse“ insgesamt. Dieses Plakat ist demnach ein Nachweis für den Versuch, sämtliche sozialistischen Gruppen der Zeit gemeinsam anzusprechen.

Stellte dieses Plakat zukünftige „Gefahren für die Arbeiterklasse“ in den Vordergrund, sollte das nächste Plakat dieses rhetorische Mittel noch übertreffen.

Mit dem klangvollen Titel „Der Faschismus als Weltgefahr“ wurde hier zu einer weiteren Vortragsveranstaltung aufgerufen. Dieses Plakat ist weniger rätselhaft und bietet, im Vergleich zu den zwei vorher beschriebenen Plakaten, eine methodische Abwechslung: der Abend sollte nicht von einem, sondern zwei Rednern gestaltet werden. Bei den Rednern handelte es sich um den Landtagsabgeordneten Paul Franken aus Zeitz sowie den österreichischen Nationalratsabgeordneten Dr. Julius Deutsch. Die Personalie Deutsch offenbart das Netzwerk, welches die Eiserne Front in Europa aufbaute. Julius Deutsch war nämlich nicht nur im Nationalrat von Österreich, sondern hatte dort das Pendant zur Eisernen Front, den Republikanischen Schutzbund, gegründet. Der Schutzbund zeichnete sich allerdings durch seine Eigenschaft als paramilitärischer Verband aus und war schlagkräftiger als die Eiserne Front.

Während des Zweiten Weltkriegs leitete Deutsch dann kurzzeitig das Exilbüro der österreichischen Sozialisten in Paris und emigrierte nach der Eroberung Frankreichs durch das Dritte Reich in die USA, wo er bis zum Kriegsende lebte. Der als zweiter Redner angekündigte Abgeordnete Franken hatte 1932 bereits eine lange Parteikarriere hinter sich. Ursprünglich bereits im Rheinland für die SPD tätig gewesen, war Franken in den späten 20er Jahren nach Zeitz gekommen und hatte dort als Redakteur gearbeitet. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus mussten Franken und seine jüdische Frau zuerst nach Lettland flüchten und kamen später in die Sowjetunion, wo Franken im Jahr 1944 in einem Lager für politische Gefangene ums Leben kam.

Netzwerker, ausländische Parteifreunde und vermeintliche Adjutanten: Die bisherigen Redner hatten allesamt interessante Biographien. Der Redner des nächsten Plakats bildet da keine Ausnahme, bietet aber eine Perspektive darauf, dass sich auch Staatsbedienstete der Exekutive auf Seiten des Widerstandes gegen den Faschismus befinden konnten.

Am 1. April 1932 sprach Albert Grzesinski, im Volkspark. Dieser sozialdemokratische Politiker war 1925/26 Polizeipräsident von Berlin, danach bis 1930 preußischer Innenminister gewesen, um dann bis Juli 1932 wieder als Berliner Polizeipräsident zu amtieren. Damit hatte er wichtige Ämter im Herzen der Weimarer Republik inne und muss einen detaillierten Einblick in das innenpolitische Geschehen der Zeit gehabt haben. Als Innenminister hatte er die Besetzung wichtiger Positionen seines Ministeriums mit Sozialdemokraten zu verantworten sowie die Aufhebung des Redeverbots von Adolf Hitler durchgesetzt, dem es bis 1927 untersagt gewesen war, in Preußen Veranstaltungen durchzuführen. Da Grzesinski zum politischen Establishment der Zeit gehörte, ist zu vermuten, dass diese Umstände nicht nur den Veranstaltern, sondern auch den Besuchern der Rede bewusst gewesen sein müssten. Umso vielversprechender muss der Titel des versprochenen Vortrags geklungen haben: „Die Wahrheit über das Preußen von heute“. Die Eiserne Front mag ihm zusätzlich positiv angerechnet haben, dass er in Funktion des preußischen Innenministers den kommunistischen Rotfrontkämpferbund nach dessen blutigen Demonstrationen vom Mai 1929 („Blutmai“) verboten hatte. Bis dahin hatte sich der Rotfrontkämpferbund wiederholt Saalschlachten mit der Eisernen Front geliefert und um die Organisation der Arbeiterklasse gestritten. Letztlich schwächte diese Konkurrenz den antifaschistischen Widerstand und eine strukturierte Organisation der Arbeiterbewegung in Deutschland. Nach 1933 floh Grzesinski in die USA und war dort bis zu seinem Lebensende im Jahr 1947 als Gewerkschafter tätig.

Der Redner des letzten Plakats ist nicht minder prominent gewesen und galt während der Zeit des NS Staats als bedeutender Widerstandskämpfer.

Anhand des Wahlaufrufs am unteren Rand des Plakates ist ein großer Unterschied zu den anderen Plakaten auszumachen. Das Superwahljahr 1932 neigte sich dem Ende zu, die politische Mobilisierung lief auf Hochtouren und gerade solche Veranstaltungen waren ideal dafür, Wahlwerbung zu schalten. Passenderweise trat hier wieder ein Abgeordneter der Sozialdemokraten auf, der bereits eine lange Karriere als streitbarer Redner der Sozialdemokraten hinter sich hatte: Alwin Brandes. Brandes war bereits vor der Weimarer Republik als Demokrat in Erscheinung getreten, hatte sich deutlich gegen die „Burgfriedenspolitik“ der SPD im Ersten Weltkrieg ausgesprochen, war Gewerkschafter für die Metallarbeiter in Magdeburg und im Reichstag bis 1933 eine der aktivsten Stimmen gegen die NSDAP. Eine größere Bekanntheit innerhalb der sozialdemokratischen Gruppen erlangte er über seine strikte Ablehnung sowohl der NSDAP als auch der KPD. Nach 1933 baute er, mithilfe seines Einflusses als Gewerkschafter, ein Widerstandsnetzwerk aus Metallarbeitern auf. Alwin Brandes war mehrfach in Konzentrationslagern inhaftiert, kam aber auch immer wieder auf freien Fuß und konnte so die Widerstandsbewegung stetig unterstützen. Auch nach dem Krieg blieb er der Sozialdemokratie treu und galt als einer der schärfsten Kritiker der SED in der frühen SBZ.

Dieses Plakat ist das einzige seiner Art, welches nicht nur eine Rede bewirbt, sondern auch die Performance einer Künstlergruppe. Hierbei handelte es sich um die Kabarett-Gruppe „Rote Kolonne“, welche aus Hannover stammte. Diese Gruppe war Teil der SAP, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, welche eine linke Abspaltung von der SPD war. Im von Konkurrenzen innerhalb der Arbeiterbewegung geprägten Klima der Zeit mag ihr Auftritt im Rahmen einer Veranstaltung der von der SPD dominierten Eisernen Front zunächst verwundern, zumal ja mit dieser Veranstaltung offensichtlich der Wahlkampf der SPD („Liste 2“) unterstützt werden sollte. Vermutlich wollte die Eiserne Front mit der Einladung der „Roten Kolonne“ ihre Bereitschaft zur Integration aller nichtkommunistischen Teile der Arbeiterbewegung signalisieren. In Hannover war die „Rote Kolonne“ bereits gut bekannt und organisierte Literaturabende, im Konvolut der Plakate der Eisernen Front im Volkspark stellt der Auftritt ein Novum dar. Die Darbietung kämpferischer Arbeiterlieder passt gut zum Geist der Zeit und daher scheint es nur sinnvoll, eine Veranstaltung zum Ende des Jahres 1932 mit einer solchen Darbietung zu untermalen.

Was bliebt von der Eisernen Front? War sie eine „Terrororganisation des Sozialfaschismus“, wie Ernst Thälmann sie nannte? Oder war sie eine schlagkräftige Einheit der Sozialdemokraten?

Den Faschismus konnte sie nicht verhindern. 1933 wurde die Front verboten, viele ihrer Mitglieder und Unterstützer wurden in Konzentrationslagern inhaftiert und ermordet. Es lässt sich nur spekulieren, ob eine Einigkeit des sozialdemokratischen und kommunistisch-sozialistischen Spektrums den Aufstieg des Faschismus verhindert hätte. Was von der Eisernen Front übrig blieb, ist das Symbol: Drei Pfeile, die von rechts oben nach links unten zeigen. Dieses Symbol wird als Aufnäher bis heute im linkspolitischen Spektrum verwendet, ansonsten ist die Front weitestgehend in Vergessenheit geraten. Das Reichsbanner, welches maßgeblich für die Ausrichtung der Front verantwortlich war, wurde 1953 neu gegründet und existiert als eingetragener Verein bis heute fort. Die Ausrichtung hat sich allerdings von einer schlagkräftigen Widerstandsgruppe zu einem sozialdemokratischen Interessenverband umgestellt. Im Jahr 2024 wird das Reichsbanner sein 100jähriges Bestehen feiern können und ist dadurch der erfolgreichste Überrest der Eisernen Front.

21. Jun 2023

Der Volkspark und die „Garde des Sozialismus“ – im „Dritten Reich“

Verfasst von

Der positive Bezug auf die „Arbeiterjugend“ zur Zeit des Nationalsozialismus

Auf der Titelseite der Saale-Zeitung vom 19. März 1934 ist zu lesen, dass Baldur von Schirach – der sogenannte „Reichsjugendführer“ – bei einer „Riesenkundgebung der Hitler-Jugend“ im „Reichshof“, wie der Volkspark zur Zeit des Nationalsozialismus hieß, eine Rede hielt. Das Thema seiner Rede war die Jugend: „Von seinem Aufenthalt im Ruhrgebiet ausgehend, wo er in Essen in eine Zeche eingefahren war und dort die Hitler-Jugend bei der Arbeit unter Tage beobachtet hatte, bezeichnete er als das Wesentlichste an dieser Jugend die Tatsache, daß sie eine Arbeiterjugend sei“. Später im Artikel liest man wie er davon sprach, dass diese Jugend die „Garde des Sozialismus“ bilden würde. Die Hitlerjugend als Arbeiterjugend, gar als „Garde des Sozialismus“? Dies sind Formulierungen die im Volkspark, bis 1933 das Zentrum der Arbeiter_innenbewegung in Halle, – zuvor nur von der entgegengesetzten politischen Richtung zu erwarten gewesen wären. Warum bezieht sich Schirach bei seiner Rede vor der Hitlerjugend also gerade an diesem Ort positiv auf die „Arbeiterjugend“ und den Sozialismus?

Schirach bei seiner Rede im „Reichshof“, März 1934.
Quelle: Mitteldeutschland/ Saale-Zeitung vom 19.03.1934

Der Arbeits- und Sozialismusbegriff der Nationalsozialisten

Fangen wir von vorne an – mit einem Blick in die „geistige Geburtsstunde des Nationalsozialismus“. In Texten aus der Zeit der Gründung der nationalsozialistischen Bewegung finden sich Hinweise darauf, warum Schirach 1934 vom Sozialismus redete. Bereits im November 1918 definierte Gottfried Feder, Wirtschaftstheoretiker und Ideologe der frühen NSDAP, den „Mammonismus“ als das Problem der Zeit. Mit „Mammonismus“ meint er eine „Geistesverfassung“ der „unersättliche[n] Erwerbsgier“, welche das „internationalen Großkapital“ kennzeichnen würde. Diese „Erwerbsgier“ würde mühelos und ohne Anstrengung „auf Kosten der schaffenden Völker und ihrer Arbeitskraft“ ausgetragen. Hier wird ein Gegensatz zwischen konkret „schaffenden Völkern“ auf der einen und mühelos erwerbendem Finanz- bzw. Leihkapital auf der anderen Seite konstruiert. Das „industrielle Großkapital“, beispielsweise die deutsche Industrie, wird dabei ebenfalls der „schaffenden“ Seite zugeordnet. Das Leih- bzw. Finanzkapital erscheint dagegen abstrakt . Während diese (scheinbar) abstrakte Seite von Feder also als „Mammonismus“ herabgesetzt wird, bezeichnet er ihr Gegenteil als „Sozialismus“. Sozialismus bedeutet für ihn die Idee, „daß der Mensch nicht für sich allein auf der Welt ist, daß jeder Mensch Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, gegenüber der ganzen Menschheit hat“. Feder knüpft dabei bewusst an die Sprache der Marxist_innen an, versucht aber gleichzeitig nachzuweisen, dass ihr Lösungsvorschlag nicht funktionieren kann, da sie die wahre Ursache nicht erkennen würden. Während die Marxist_innen den Kapitalismus abschaffen wollen, bekräftigt Feder, dass ausschließlich der „Mammonismus“ das Übel sei, welchen er nach antisemitischer Manier in jüdischen Familien verkörpert sieht. 1920, zur Gründungsveranstaltung der NSDAP, stellte Adolf Hitler das „25-Punkte-Programm“ vor. Dieses unterschied sich zwar kaum von anderen völkischen Programmen der Zeit, ein Alleinstellungsmerkmal zeichnet es aber doch aus: der offene und radikale Antisemitismus. Juden_Jüdinnen sollten aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen werden. Hitler verdeutlicht dies in seiner Rede im Münchner Hofbräufestsaal im August 1920 noch einmal und erklärt, dass die Volksgemeinschaft durch Arbeit erzeugt und erhalten werden soll. Arbeit heißt für ihn – und da finden wir einen deutlichen Bezug zu Feder – eine „Tätigkeit, die nicht um meiner selbst willen (…), sondern auch zu Gunsten meiner Mitmenschen“ ausgeübt werde. Da die Juden Arbeit bloß als Zwang und Mühsal wahrnehmen würden und diese, im Sinne des „Mammonismus“, bloß für ihren Eigennutz ausführen würden, könnten sie niemals Teil der Volksgemeinschaft sein. Hitler setzt ihnen das „Ariertum“ entgegen, welches von Gemeinsinn und „Gemeinnutz vor Eigennutz“ also zusammenfassend vom „Sozialismus“ geleitet würde. Arbeit solle also aus Pflichtgefühl getan werden und der Volksgemeinschaft dienen – dies versteht Hitler als „sozialistisch“.

„Sozialismus“, ein Wort welches die NSDAP ja bereits im Namen trägt, bedeutet für die Nationalsozialisten also eine Gesellschaft, in der alle aus Pflichtgefühl für diese Gemeinschaft arbeiten. Aus dieser als Volksgemeinschaft begriffenen Gesellschaft werden demnach nicht nur Juden_Jüdinnen ausgeschlossen, auch alle anderen im ideologischen Sinne der Nationalsozialisten nicht für die Volksgemeinschaft Arbeitenden können kein Teil von ihr sein. Mit dieser Definition von Sozialismus grenzen sie sich eindeutig von allen kommunistischen, sozialdemokratischen und im eigentlichen Sinne sozialistischen Ideen ab. Diese Abgrenzung verdeutlicht Hitler noch einmal in „Mein Kampf“, indem er erklärt, dass der Jude, welcher ein „Parasit im Körper anderer Völker“ sei, „den Arbeiter“ benutze „um der nationalen Wirtschaft zu schaden“ – demnach also auch „hinter dem Marxismus“ stünde. Indem Arbeit allein über ihren Nutzen für die Volksgemeinschaft definiert wird, zählen plötzlich alle, die der Volksgemeinschaft dienen, zur Arbeiterschaft:

„Volksgemeinschaft heißt Gemeinschaft aller wirkenden Arbeit, das heißt Einheit aller Lebensinteressen, das heißt Überwindung von privatem Bürgertum und gewerkschaftlich-mechanisch-organisierter Masse, das heißt die unbedingte Gleichung von Einzelschicksal und Nation, von Individuum und Volk.“

Die 1934 im „Reichshof“ gehaltene Rede von Schirach schließt an dieses Verständnis von Sozialismus nahtlos an. Neben den bereits genannten Stellen spricht Schirach ebenfalls davon, dass diese Arbeiterjugend „zurück zur Heimat, zu unserer Gemeinschaft gefunden“ habe und „wieder zu Hause (…) in unserem Deutschland“ (Hallische Nachrichten) sei. Diese Jugend sei „fanatisch bereit“, „ihr sozialistisches Erlebnis gegen alle zu verteidigen“ und in „dieser Garde des Sozialismus (…) [würden] die Kräfte der Zersetzung niemals wieder eine Stätte“ finden (Hallische Nachrichten). Schirachs Perspektive ist also jene, in der der Mechanismus der Integration über die Arbeit bereits stattgefunden habe. Die Jugend sei bereits in der angestrebten Volksgemeinschaft angekommen. Schirach machte auch deutlich, gegen was dieses „sozialistische Erlebnis“ im Nationalsozialismus verteidigt werden soll. Er spricht davon, dass es „niemals mehr (…) einen 9. November 1918 (…) geben“ werde, da im Nationalsozialismus „eine Generation aufgestanden“ sei, „die bedingungslos ‚Wir‘ sagt und das ‚Ich‘ aus ihrem Denken ausgelöscht“ habe (Mitteldeutschland/ Saale-Zeitung). „Schuld am Niedergange“ sei der Marxismus, so Schirach (Mitteldeutschland/ Saale-Zeitung). Die Abgrenzung zum und Abwehr des Marxismus, welche über die Idee der Volksgemeinschaft stattfinde, findet sich hier also auch wieder. Auffällig an Schirachs Rede ist jedoch, dass die antisemitische Komponente dieses Arbeits- und Sozialismusbegriffs völlig ausgeklammert wurde. Wie bereits angeklungen geht Schirach in seiner Rede nun von einem nochmals anderen Standpunkt aus: die Volksgemeinschaft wurde bereits etabliert, ihre Mitglieder werden nun dafür gelobt.

Die Rede vor der Hitler-Jugend im ehemaligen Volkspark

Doch wenn nach der Definition der Nationalsozialisten doch eigentlich alle, egal ob Arbeiter_innen oder Bürgerliche, zur Arbeiterschaft gehören, wieso erzählt Schirach dann in so großen Worten von seinem Besuch in der Zeche in Essen? Warum bezeichnet er gerade in Mitteldeutschland – neben dem Ruhrgebiet das ehemalige ‚rote Zentrum‘ – als das „Wesentlichste an dieser Jugend die Tatsache, daß sie eine Arbeiterjugend sei“? Wieso spricht er ausgerechnet im ehemaligen Volkspark zur Hitlerjugend?

Die Rede von Schirach lässt sich als Teil der Strategie verstehen, mit der die NSDAP-Führung nach der Machtübernahme den Bruch zur Weimarer Republik festigen wollte. Die Reichstagswahlen in den Jahren 1930 bis 1932 machten zwar deutlich, dass die NSDAP von allen gesellschaftlichen Klassen gewählt wurde, dennoch lässt sich eine leichte Tendenz erkennen in der Mittelständler_innen überdurchschnittlich häufig dazu neigen die NSDAP zu wählen, während Angestellte, Arbeiter_innen und vor allem Arbeitslose diese seltener als im Durchschnitt wählten. Hinzu kam, dass zwischen 1930 und 1932 ein latenter Bürgerkrieg zwischen den paramilitärischen Organisationen der Nationalsozialisten und der Kommunist_innen, aber auch der Sozialdemokratie schwelte. Als Ende Januar 1933 dann die Macht an die Nationalsozialisten übergeben wurde, begannen diese ihren politischen Gegnern systematisch den Einfluss zu entziehen. Diese Zeit, in der erst alle kommunistischen Organisationen verboten, später dann auch die sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen zerschlagen wurden, wird treffender Weise als „Machtergreifung“ bezeichnet. Trotz dieser Anstrengungen zu Beginn ihrer Herrschaft gilt das NS-System Anfang 1934, also zum Zeitpunkt der Rede Schirachs im „Reichshof“ in Halle, noch nicht als stabilisiert. Um diese Stabilität zu erreichen, setzte die NSDAP-Führung in dieser Zeit auf Disziplinierung, Indoktrinierung und Mobilisierung der „Volksgemeinschaft“. In dieser Linie lässt sich demnach auch Schirachs Rede verstehen. Die kommunistischen (und zum Teil sozialdemokratischen) Arbeiter_innen haben sich also vor der Machtübernahme in einem bürgerkriegsähnlichen Kampf mit den Nationalsozialisten befunden. Alle ihre Organisationen wurden 1933 zerschlagen oder verboten – und nun strengen sich die Nationalsozialisten an, eben diese Arbeiter_innen (solange sie nicht inhaftiert wurden) über die Idee der Volksgemeinschaft, aufgebaut auf Antisemitismus als integrierender Ideologie, zu einem Teil dieser neuen nationalen Gemeinschaft zu machen. Dieses Bestreben kann als Grund dafür angesehen werden, dass die Rede Schirachs an eben diesem Ort gehalten wurde.

Warum ausgerechnet eine Veranstaltung der Hitlerjugend im „Reichshof“ abgehalten wurde, lässt sich daraus nicht ableiten. Die einfachen Mitglieder der Hitlerjugend kamen zwar bis 1931 zu 70% aus der Arbeiterjugend. Sie wurde bis dahin aber wie ein „fünftes Rad am Wagen“ behandelt, was sowohl an ihrer organisatorischen Ineffizienz lag, als auch daran, dass die Jugend von der NSDAP-Führung bis dahin nicht als zentrale Zielgruppe angesehen wurde, da sie noch nicht wählen durfte. Schirach übernahm die Hitlerjugend 1932, sie wurde nun an bürgerlichen Jugenden orientiert, wodurch sie auch fürs bürgerliche Milieu interessanter wurde. Dennoch zählte sie bis 1933 nur wenige Mitglieder. Mit der Machtübernahme 1933 stieg die Zahl allerdings rasant an und erreicht Ende des Jahres über zwei Millionen. In ihr sammelten sich nun aus allen gesellschaftlichen Klassen kommende Jugendliche; auch, weil es kein alternatives Angebot mehr gab. Die Hitlerjugend speiste sich also nicht maßgeblich aus der Arbeiterklasse. Abgesehen davon sollte die Stabilisierung des politischen Systems aber auch über die Jugend passieren: sie sollten genauso wie der Rest der Gesellschaft auf den Gedanken der „Volksgemeinschaft“ eingeschworen werden.

Das Foto wurde im März 1934 aufgenommen. Der „Wettiner Platz“ ist heute der Rosa-Luxemburg-Platz.
Quelle: Mitteldeutschland / Saale-Zeitung, 19.03.1934.

Darüber hinaus verfolgte die NSDAP-Führung mit der Jugend noch ein weiteres, für sie zentrales Ziel: die Vorbereitung auf einen künftigen Krieg. So schwur auch Schirach die Jugend auf den Krieg ein, wenn er davon spricht, dass „[d]iese Jugend (…) in spartanischer Zucht nichts anderes kennen [soll] als Pflicht und Pflichterfüllung und Opfer“. Und dass „sie weiß, daß größer als die Freuden des Daseins die Freude der unauflöslichen Kameradschaft ist, die Unterordnung unter ein hartes Gesetz“ (Mitteldeutschland/ Saale-Zeitung). Und auch dies bezieht Schirach wieder zurück auf die Volksgemeinschaft: „Sie (die Jugend, Anm. d. Verf.) steht heute vor Volk, Schicksal und Geschichte als der reine und opferbereite Teil unseres Volkes, der sieht nicht das, was trennt, sondern nur das unsterbliche, das ewige Vaterland“ (Mitteldeutschland/ Saale-Zeitung).

Schirachs Rede muss also als Strategie verstanden werden, das politische System durch den Bezug auf die Volksgemeinschaft zu stabilisieren. In ihr sollen Arbeiter_innen, Bürgerliche und alle anderen aufgehen. Diese Integration soll durch den Ausschluss aller (vermeintlich) nicht Arbeitenden aus der Gesellschaft möglich werden. Die Jugend spielt in dieser Zeit eine wichtige Rolle, da sie einerseits als unbeschriebenes Blatt angesehen wird, dem man die nationalsozialistische Ideologie einschreiben kann. Und andererseits weil sie als zukünftige Soldaten bereits 1934 auf den zukünftigen Krieg eingestimmt werden sollten. Ob die Arbeiter_innenjugend, welche eben noch mit ihren kommunistischen und sozialdemokratischen Eltern zu Veranstaltungen in den Volkspark ging, sich durch die Wortwahl und den Ort der Veranstaltung überzeugen ließ, dürfte heute kaum noch zu beantworten sein.

31. Mrz 2023

Regie und Regime – 1964 verfilmte die DEFA die Legende vom „Kleinen Trompeter“

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Die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts waren eine politisch sehr aufgeladene Zeit. Es standen sich das linke und rechte politische Spektrum oft in direkten Auseinandersetzungen gegenüber. Vor bald 100 Jahren ereignete sich in Halle an der Saale ein ganz besonders tragisches Ereignis, im Rahmen einer Kundgebung mit dem KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann als Starredner im Volkspark. Am 13. März 1925 kam es auf Grund einer polizeilich durchgesetzten Auflösung jener Veranstaltung zu Massenpanik und Tumult im überfüllten Volkspark. Schüsse seitens der Polizei fielen und zehn Besucher:innen verloren ihr Leben.
Die Schuldzuweisungen waren gegenseitig, doch die Polizei saß zunächst am längeren Hebel und wälzte die Schuld auf die Linken ab. Einem der zehn Todesopfer wurde postum besondere Aufmerksamkeit zu teil: Friedrich Weineck. Das Mitglied des Spielmannzuges des Rot-Frontkämpfer-Bundes wurde zu Zeiten der DDR erst in einem Roman, 1964in einem Film, als heldenhafter Retter Thälmanns stilisiert. Weinecks Tod wurde in einen Legitimationsmythos des sozialistischen Staates verwandelt: Er symbolisierte den Opfermut der Kommunisten, die für ihre Sache – und damit aus Perspektive der SED für ihren Staat ihr Leben gegeben hatten.
Der unter der Regie von Konrad Petzold gedrehte Spielfilm „Das Lied vom Trompeter“ kam 1964 in die Kinos der DDR. Um diesen Film und seine Einordnung in die Kulturpolitik des SED-Regimes geht es in diesem Audio-Beitrag. Viel Spaß beim Hören!

Der Kleine Trompeter im kritischen Blick.

15. Mrz 2023

„Hallesche Sturmtage 1920“-auch im Volkspark

Verfasst von

Am 15. und 19. März 1920 war der Volkspark heftigem Beschuss ausgesetzt, wurde gestürmt und militärisch besetzt. Was nach kriegsähnlichen Zuständen klingt, war nur ein Bruchteil der Ereignisse, die sich während des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 in unserer Saalestadt abspielten. Dieser Blogeintrag soll die Geschehnisse des rechten Umsturzversuches aufzeigen, sowie die Rolle des Volksparks darstellen, der nicht nur als Gebäude, sondern auch als politisches Feindbild ins Visier der Putschisten und ihrer Sympathisanten geriet.

Am Morgen des 13. März 1920 besetzten die beiden Freikorps „Marine-Brigade-Erhardt“ und „Löwenfeld“ unter dem Befehl des Generals Walther von Lüttwitz das Berliner Regierungsviertel. Die Putschisten proklamierten den rechtsradikalen Politiker Wolfgang Kapp zum Reichskanzler. Dieser ließ sowohl die Nationalversammlung als auch die preußische Landesversammlung auflösen.

Die Gewerkschaften und demokratischen Parteien riefen einen Generalstreik aus – an ihm sollte der Putsch innerhalb weniger Tage scheitern, am 17. März floh Kapp nach Schweden. Überall dort jedoch, wo sich die lokalen Reichswehrtruppen offen zu den Putschisten bekannten, entstanden gewaltsame Auseinandersetzungen. Nicht nur in Halle, sondern beispielsweise auch in Zeitz, Weißenfels, Naumburg und Eisleben fanden Scharmützel zwischen Garnisonstruppen, Einwohnerwehren, Freikorps und Arbeiterwehren statt, die viele zivile Opfer forderten.  Genau ein Jahr nach den Märzunruhen von1919 traten erneut bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen den unterschiedlichen Wehrverbänden und politischen Lagern auf.

Über die Lage in Halle am ersten Tag des Putsches berichtete die Saal-Zeitung in ihrer Morgenausgabe vom 14. März: „Vor den Zeitungsgebäuden, wo die jüngsten Depeschen angeschlagen waren, stauten sich die Massen und auch, als an den Anschlagssäulen scharf hintereinander drei neue Anschläge erschienen, bildeten sich dichte Gruppen, oft 200 Mann stark.“ Während sich die Parteien der Arbeiterbewegung (SPD, USPD und KPD) sowie die linksliberale DDP in Halle gegen den Putsch positionierten, bekundeten die rechtsliberale DVP und die Deutschnationalen (DNVP) Sympathien für den Umsturzversuch. Der ebenfalls mit Kapp und Lüttwitz sympathisierende Kommandeur der lokalen Garnison, Oberst von Czetteritz, ließ durch Zeitfreiwillige, meist Studenten und Oberschüler, Straßensperren auf zentralen Plätzen errichten und ermahnte die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren. Der Oberst schränkte die Pressefreiheit ein und ließ nur Verlautbarungen drucken, die von der Kapp-Lüttwitz Regierung veröffentlicht wurden. Trotzdem erfolgte der Generalstreik gegen die Putschisten in größter Breite: Eisen-, Straßenbahn und sämtliche Produktionszentren, außer den Versorgungswerken für Gas, Wasser und Elektrizität, stellten die Arbeit ein.

In den folgenden Tagen kam es in der Stadt zu gewaltsamen Zusammenstößen von Soldaten und Zeitfreiwilligen auf der einen, Arbeitern auf der anderen Seite. Aber nach dem Zusammenbruch des Putsches in Berlin schien sich die Lage auch in Halle am 19. März zu entspannen. Oberst Czetteritz wurde entlassen und der linksliberale Politiker Walther Schreiber, Abgeordneter des preußischen Landtages aus Halle, von der Regierung als „Zivilkommissar“ für die Stadt eingesetzt. Die fast ausschließlich aus bürgerlichen Kreisen rekrutierte Einwohnerwehr, eine im Jahr zuvor zur Verhinderung von Unruhen und Plünderungen aufgestellte Miliz, sollte durch die Aufnahme von Arbeitern reorganisiert werden, um sie auch für die linken Parteien akzeptabel zu machen. Bis dahin waren nur etwa vier Prozent ihrer Mitglieder aus der Arbeiterschaft gekommen, gegenüber 27 Prozent Kaufleuten, 13 Prozent Angestellten, 11 Prozent Beamten und 10 Prozent Handwerkern. Zu den expliziten Zielen des Generalstreiks seit dem 14. März hatte es daher gehört, auch Mitglieder der Arbeiterparteien und Gewerkschaften in die Einwohnerwehr aufzunehmen. Einen idealeren Ort als den Volkspark, das Vereinshaus der hallischen Arbeiterbewegung, hätte es für die Rekrutierung dieser neuen Milizionäre nicht geben können. Daher sollten sich am 19. März interessierte Mitglieder der Gewerkschaften und Arbeiterparteien zur Aufnahme in die Einwohnerwehr im Volkspark melden. Doch gerade an diesem 19. März erreichten Arbeitermilizen aus dem Umland, die sich zur Bekämpfung des Putsches gebildet hatten, die Stadtgrenze und lieferten sich Gefechte mit Militär und Zeitfreiwilligen.

Erst am 22. März kam vermittelt durch Schreiber ein Waffenstillstand zustande. Die Arbeitermilizen lösten sich auf, die Zeitfreiwilligen wurden entlassen, und das Militär kehrte in die Kasernen zurück. Am 30. März wurden 115 gefallene Arbeiter auf dem Gertraudenfriedhof mit 30.000 Trauergästen bestattet. Am Nachmittag fand dann die Bestattung von 27 Angehörigen der Reichswehrtruppen, Einwohnerwehr und Zeitfreiwilligen mit 600 bis 800 Trauergästen statt.

Wieso aber wurde der Volkspark bereits zu Beginn der Putsch-Tage am 15. und dann erneut am 19. März gewaltsam durch Angehörige der Polizei und örtlichen Reichswehr besetzt?

Dazu sollte man die Geschehnisse in den letzten Jahren der Monarchie und den ersten Jahren der Weimarer Republik betrachten. Seit 1907 hat sich in Halle ein typisches Muster entwickelt: Wenn die sozialistischen Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Straßen demonstrieren wollten, trafen sie sich entweder im Volkspark, um von dort aus zu marschieren, oder sie marschierten am Ende zum Volkspark. Die Polizei versuchte hingegen, Demonstrationen zu unterbinden, indem sie den Volkspark besetzte oder umstellte. Offenbar versuchten die staatlichen Institutionen die Arbeiterbewegung zunächst mit präventiven Methoden zu unterdrücken, um deren Aktivitäten zu beschränken und klein zu halten.

Schon am 1. Mai 1908, dem „Kampftag der Arbeiterbewegung“, kam es zu den ersten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der örtlichen Polizei am Volkspark. Die Arbeiterbewegung wollte ihre Demonstration im Volkspark mit Abschlussreden beenden, doch die Polizei versuchte sie daran zu hindern. In den folgenden Jahren nahm die polizeiliche Willkür immer weiter zu, was sich unter anderem in zahlreichen Auflösungen von sozialdemokratischen oder gewerkschaftlichen Veranstaltungen im Volkspark zeigte. Einschneidend wirkte zudem das „Reichsvereinsgesetz“ vom 9. April 1908, das zur polizeilichen Überwachung von Versammlungen führte. Oft wurden diese dann unter dem Vorwand beendet, es seien öffentliche politische Veranstaltungen, die Minderjährige gefährden würden. Tatsächlich geschlossene General- und Mitgliederversammlungen und sogar Jugendweihen wurden dadurch aktiv unterbunden. Ein städtischer Erlass vom 7. Juni 1911 verbot sogar sozialdemokratische Veranstaltungen in der Öffentlichkeit aufgrund der Maul- und Klauenseuche und ihrer angeblichen hohen Verschleppungsgefahr, währenddessen konservative Veranstaltungen weiterhin erlaubt blieben.

Die Abschlusskundgebungen der darauffolgenden Mai-Feiertage führten dann immer wieder zu Straßensperrungen rund um den Volkspark, willkürlichen Verhaftungen von Demonstranten und gewaltsamen Räumungen des Gebäudes durch die Polizei. 1913 wurde sogar der Belagerungszustand ausgerufen, um Demonstrationen am Tag der Arbeiterbewegung vollständig verbieten zu können. Nach den Märzunruhen 1919, die aus einem Streik und einer Massendemonstration entstanden und in den ersten gewaltvollen Straßenkämpfen zwischen Arbeitern und dem Militär endeten, wurde der Volkspark am 1. Mai 1919 bereits vor den Demonstrationsveranstaltungen von der örtlichen Militär- und Polizeibehörde besetzt.

Die gewaltsame Besetzung des Volksparks am 15. März 1920 war demnach eine präventive Maßnahme, die auf einem lang eingeübten Muster beruhte: Um Massenaktionen der Arbeiterbewegung in Halle zu verhindern, wurde der Volkspark besetzt und von der Umgebung isoliert. Die lokalen Anhänger des Putsches, die in Polizei- und Militärbehörden saßen, konnten so verhindern, dass sich Arbeitergruppen hier zusammenschließen, bewaffnen und möglicherweise Gegenwehr leisten konnten.

Die zweite Besetzung am 19. März war hingegen keine Präventivmaßnahme, sondern ein tätlicher Angriff auf das Vereinshaus. Die Lokalpresse berichtete lediglich, dass eine Kompanie der Reichswehr das Gebäude stürmte. Es bleibt unklar, ob es dabei zu einem Feuergefecht mit den Arbeiterwehren kam, die sich zuvor im Volkspark verschanzt hatten. Möglicherweise handelte es sich bei den Arbeitern, die dabei ums Leben kamen, auch nur um Menschen, die sich zur Aufnahme in die umstrukturierten Einwohnerwehren im Volkspark befanden und fälschlicherweise von der Reichswehr für Mitglieder oder Sympathisanten der Arbeitermilizen aus dem Umland gehalten wurden.

Die Besetzung des Volksparks im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches war ein Teil der politischen Auseinandersetzungen und gewaltsamen Zusammenstöße, die sich in diesen Wochen in verschiedenen Städten Deutschlands abspielten.  Die Putschisten und ihre Sympathisanten sahen im Volkspark das gewaltsam auszuschaltende Zentrum der ihnen verhassten sozialistischen Arbeiterbewegung, weil er dieser seit 1907 regelmäßig als Versammlungsort und als Ausgangs- bzw. Zielpunkt von Straßendemonstrationen gedient hatte. Die beiden Besetzungen des Volksparks im März 1920 zeigen, wie zu politische Symbolen gewordene Orte in Zeiten politischer Unruhen, zu Zielen von Angriffen werden können.

2. Feb 2023

Vom »roten Volkspark« zum »braunen Reichshof« – Die Ausschaltung des linken Zentrums Halles 1933/1934

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Der hallesche Volkspark galt, ähnlich wie andere Volks- und Gewerkschaftshäuser in Deutschland, während Kaiserreich und Weimarer Republik als lokales Zentrum des linken politischen Lagers. Der Volkspark in Halle besaß jedoch im Vergleich zusätzliche Symbolkraft, da hier 1920 der Zusammenschluss des linken Flügels der USPD mit der KPD erfolgt war. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieser Knotenpunkt des politischen Gegners mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten vom 30. Januar 1933 in den Fokus der neuen Machthaber rückte.

Im Februar 1933 war es den linken Parteien noch möglich, im Volkspark sowohl Wahlkampfveranstaltungen als auch eine nichtöffentliche Versammlung mit dem Ziel der Bildung einer Einheitsfront abzuhalten. Die staatliche Repression war jedoch allgegenwärtig. In der Nacht des Reichstagsbrandes vom 27. auf den 28. Februar durchsuchte die Polizei den Volkspark und beschlagnahmte zahlreiche Schriften. Die Situation verschärfte sich weiter, als am 28. Februar die Reichstagsbrandverordnung »zum Schutz von Volk und Staat« erlassen wurde und somit die rechte Gewalt einen legalen Rahmen erhielt.

Die Opposition gegenüber den neuen Machthabern blieb trotzdem zunächst noch sichtbar. Bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 in Halle stimmte ein Drittel der Wählenden für KPD (22,2 Prozent) oder SPD (11,6 Prozent).  Eine Woche später, am 12. März 1933, beteiligten sich nur 65 Prozent der halleschen Wahlberechtigten an der Neuwahl des Stadtrates, auch hierin kann man eine fortbestehende Ablehnung des neuen Regimes in einem Teil der Bevölkerung sehen. Und selbst unter diesen Bedingungen verfehlte die NSDAP im Stadtrat eine absolute Mehrheit. Erst der Ausschluss der linken Abgeordneten, die Selbstauflösung der liberalen und der katholischen Zentrumspartei sowie der Beitritt der Deutschnationalen zur NSDAP-Fraktion sorgten bis Juli 1933 dafür, dass im halleschen Stadtrat nur noch Nationalsozialisten saßen.

Im gleichen Zeitraum enteignete das NS-Regime reichsweit die Vermögen der linken Parteien, der Gewerkschaften und des »Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold«. Mit einem Gesetz vom 14. Juli gingen sie auf den Preußischen Staat bzw. die nicht-preußischen Landesbehörden über. Die Grundstücke wurden in den meisten Fällen im Grundbuch auf den Namen des Reiches umgeschrieben. Dies betraf auch die von der Arbeiterbewegung in vielen Städten errichteten Volkshäuser, die den neuen Herrschern in besonderer Weise ein Dorn im Auge waren – standen sie doch für das kämpferische Einfordern ökonomischer und politische Rechte, während die Nationalsozialisten die  Idee einer uniformen »Wir-Volksgemeinschaft« vertraten, die das »‘Ich‘ aus ihrem Denken ausgelöscht hat«.

Am 16. September 1933 berichtete eine Zeitung, dass der frühere »Volkspark« am 1. Oktober zum »Reichshof« werde und der frühere Direktor des Hotels »Goldene Engel« vom Preußischen Innenministerium beauftragt sei, dessen Leitung zu übernehmen. So heißt es in einer späteren Ausgabe:

»Die stattlichen Volksparkgebäude wie das ganze Grundstück aber gingen in das Vermögen des Reiches über, und das Reich verpachtete es nun an Herrn Teutschbein, einem kernechten, deutschen Fachmann, dem nun die große Aufgabe zufällt, aus dem neuen ‚Reichshof‘ eine Mustergaststätte zu machen.«

Aus der Saale-Zeitung vom 15. November 1933

In einer zwei Tage später erschienenen Ausgabe wird davon gesprochen, dass der ehemalige Ort des Klassenkampfes zu einem Ort der Versöhnung gestempelt werde. In einer weiteren Ausgabe vom 14. Oktober ist von einer Transformation »vom roten ‚Volkspark‘ zum ‚Reichshof‘« die Rede, die zugleich die Eroberung des mitteldeutschen Industriereviers durch die SPD symbolisiere:

»Und es ist kein bloßer Zufall, daß der hallische ‚Volkspark‘, diese Versammlungsstätte in der seit Jahrzehnten der Marxismus zu Hause war, nun im neuen Deutschland zum ‚Reichshof‘ geworden ist, und daß den neuen Namen eine ‚Deutsche Woche‘ erstmalig in die Öffentlichkeit hinausträgt. […] denn hier wurde vor nunmehr genau 13 Jahren durch die Drahtzieher Moskaus die KPD, unseligen Angedenkens gegründet! […] Halle, das rote Herz Mitteldeutschlands von ehedem, ist nun zur Hochburg des Nationalsozialismus geworden, und zum äußeren Zeichen dessen ward aus dem Blut Verführter besudelten ‚Volkspark‘ ein ‚Reichshof‘.«

Aus der Saale-Zeitung vom 14. Oktober 1933

An jenem 14. Oktober 1933 fand die Eröffnung der Ausstellung »Deutsche Woche« unter dem Leitspruch »Deutsch, aber gut« im Reichshof statt. Die Ausstellung versuchte ihre Besucher von deutschen Produkten, deutscher Technik, Lebensart und Landschaft zu überzeugen. Es sollte ein Gefühl der Aufbruchsstimmung und Sicherheit in Deutschland und dessen »Volksgemeinschaft« vermittelt werden. Zu diesem Zweck wurde der Hauptsaal zum Zentrum der Ausstellung mit einer den ganzen Saal beanspruchenden Darstellung der mitteldeutschen Landschaft, die bescheiden als »Schau des wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Aufbaues Mitteldeutschlands« betitelt wurde. Die ehemalige Turnhalle beherbergte eine Gemeinschaftsausstellung von Handel und mitteldeutscher Industrie. Im Speiseraum des Hauptgebäudes wurde »zukunftsweisend« für einen geringen Preis eine ausgiebige Mahlzeit angeboten. Ferner gab es einen Ausstellungsraum zu Landwirtschaft und Handwerk sowie einen für Frauenverbände und den Bund Deutscher Mädel (BDM), die präsentierten, wie Arbeit rationell gestaltet werden könne, damit Frauen mehr Zeit der Familie widmen könnten. In einer Ehrenhalle hingen ein Porträt Hitlers und ein großes Hakenkreuz, das per Scheinwerfer angestrahlt wurde. Zeitgleich zur Ausstellung wurde am 14. und 15. Oktober 1933 der sogenannte erste große Appell des Gaues Halle-Merseburg der NSDAP in Halle durchgeführt, bei dem 60.000 Menschen angetreten sein sollen.

Veranstaltung im großen Saal des »Reichshofs«

Im Reichshof wurden nachfolgend eine Vielzahl von Veranstaltungen abgehalten, mit denen die Nationalsozialisten dem Ort ihren Stempel aufzudrücken versuchten. So sprach Anfang Dezember 1933 die »Führerin des Reichsmütterdienstes« zu 1.200 Frauen, anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der »Evangelischen Frauenhilfe«. Der »Nationalsozialistische Lehrerbund« (NSLB) führte ebenfalls im Dezember 1933 eine Buchausstellung zum Begriff Rasse durch und unter dem Motto »Gutes fördern – Krankes ausmerzen« einen rassenbiologischen Lehrgang, an dem 1.200 Lehrer aus dem Gau Halle-Merseburg teilnahmen. Die Gleichschaltungen und Zwangsvereinigungen betrafen auch Chöre, die bis dahin für die Arbeiterkulturen von hohem Stellenwert gewesen waren. So wurden am 13. Dezember 300 Sänger und Sängerinnen verschiedener Vereine im »Deutschen Volkschor« vereinigt, darunter jene des  »Arbeiter-Sängerchors Halle«, der in Kaiserreich und Weimarer Republik die linke Arbeiterkultur durch Konzerte im Volkspark mitgestaltet hatte.

Im Jahr 1934 folgten im »Reichshof« mehrere größere Veranstaltungen, die einen Massencharakter aufwiesen. Mitte März sprach der »Reichsjugendführer« Baldur von Schirach im Reichshof zur versammelten Hitlerjugend über die »neue deutsche Staatsjugend«. Die von Schirach propagierte Gleichschaltung der Jugendlichen zeigt sich exemplarisch  in seiner Äußerung, »[…] hier sei eine Generation aufgestanden, die bedingungslos ‚Wir‘ sagt und das ‚Ich‘ aus ihrem Denken ausgelöscht hat.« Die HJ-Gebietsleitung organisierte ihre Veranstaltungen aus der ehemaligen Lehmannschen Villa heraus, die noch heute gegenüber dem Volkspark steht. Am 20. April 1934, zum Geburtstag des »Führers«, sprach Robert Ley, der Chef der NS-Scheingewerkschaft DAF (Deutsche Arbeitsfront) nach einleitender Marschmusik der 26. SS.-Standarte im Reichshof. Leys Rede behandelte »[…] grundsätzliche Ausführungen über die Ethik der Arbeit und über das vom nationalsozialistischen Staat angestrebte Vertrauensverhältnis zwischen Betriebsführung und Gefolgschaft«. Der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg sprach am 14. Oktober zum Thema »Die Umwertung der deutschen Geschichte« und postulierte: »Die Weltgeschichte muß neu geschrieben werden!«.

»Reichsjugendführer« Baldur von Schirach
Alfred Rosenberg, oft als »NS-Chefideologe« bezeichnet
DAF-Leiter Robert Ley

Doch auch im Jahr 1934 ist noch erkennbar, dass ein relevanter Teil der halleschen Bevölkerung in Opposition zum NS-Regime stand. Bei einer Volksabstimmung vom 19. August, die nach dem Tod Hindenburgs die Allmacht Adolf Hitlers als Staatsoberhaupt, Reichskanzler und Oberbefehlshaber der Armee absegnen sollte, verweigerten sich noch 25.956 oder 17,5 Prozent der Wahlberechtigten den Nationalsozialisten.

Der Reichshof wurde bis zur Einnahme Halles durch die Alliierten im Jahr 1945 weiterhin für alle Arten von Veranstaltungen verwendet, er diente aber auch als Musterungsstelle für Rekruten oder zur Unterbringung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen. Eine wirkliche Konzeption für seine Gesamtnutzung gab es nicht, daher wurde aus der Burg des Sozialismus nie eine Burg des Nationalsozialismus. Zwar versuchte die DAF zu Beginn der NS-Herrschaft auf Reichsebene  einen NS-Typ von Gemeinschaftsbauten zu entwickeln, um damit sowohl die sozialdemokratischen Volkshaus- Tradition  zu  beseitigen  als  auch  den  linksrevolutionären  Ideen  der  Avantgarde  etwas entgegenzusetzen. Im Ergebnis solcher Pläne entstanden in einigen Städten »Häuser der Arbeit« als Symbole des NS-Staates und Ausdruck der Allgegenwart der Partei. In Halle aber betrieben die Machthaber den Volkspark aus pragmatischen Gründen als Dienst- und Versammlungsort weiter.  Dabei war er nur eine von vielen Immobilien, die die Nationalsozialisten 1933 in Halle erbeutet hatten und für eigene Zwecke zu nutzen begannen. Auch das damalige Logenhaus der Freimaurer (heutiger Hauptstandort der Leopoldina) wurde z. B. nach deren Enteignung von der NSDAP-Gauleitung genutzt. Ferner verteilten sich die großen politischen Versammlungen während der NS-Herrschaft auf mehrere Orte in der Stadt, , so z. B. den Thalia-Saal oder den Kaiser-Wilhelm-Saal, wodurch ein vormals zentraler Punkt wie der Volkspark ebenfalls an Bedeutung verlor.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kombination aus massiver Repression, Enteignung des Volksparks, der Umnutzung als Reichshof mit NS-Inhalten und dezentralisierter Versammlungskultur während der NS-Herrschaft in Halle nicht nur dazu führte, dass dieser Ort als linkes Zentrum der Stadt ausgeschaltet wurde, sondern auch als Versammlungsort an sich immer weiter marginalisiert wurde.


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