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15. Mrz 2023

„Hallesche Sturmtage 1920“-auch im Volkspark

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Am 15. und 19. März 1920 war der Volkspark heftigem Beschuss ausgesetzt, wurde gestürmt und militärisch besetzt. Was nach kriegsähnlichen Zuständen klingt, war nur ein Bruchteil der Ereignisse, die sich während des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 in unserer Saalestadt abspielten. Dieser Blogeintrag soll die Geschehnisse des rechten Umsturzversuches aufzeigen, sowie die Rolle des Volksparks darstellen, der nicht nur als Gebäude, sondern auch als politisches Feindbild ins Visier der Putschisten und ihrer Sympathisanten geriet.

Am Morgen des 13. März 1920 besetzten die beiden Freikorps „Marine-Brigade-Erhardt“ und „Löwenfeld“ unter dem Befehl des Generals Walther von Lüttwitz das Berliner Regierungsviertel. Die Putschisten proklamierten den rechtsradikalen Politiker Wolfgang Kapp zum Reichskanzler. Dieser ließ sowohl die Nationalversammlung als auch die preußische Landesversammlung auflösen.

Die Gewerkschaften und demokratischen Parteien riefen einen Generalstreik aus – an ihm sollte der Putsch innerhalb weniger Tage scheitern, am 17. März floh Kapp nach Schweden. Überall dort jedoch, wo sich die lokalen Reichswehrtruppen offen zu den Putschisten bekannten, entstanden gewaltsame Auseinandersetzungen. Nicht nur in Halle, sondern beispielsweise auch in Zeitz, Weißenfels, Naumburg und Eisleben fanden Scharmützel zwischen Garnisonstruppen, Einwohnerwehren, Freikorps und Arbeiterwehren statt, die viele zivile Opfer forderten.  Genau ein Jahr nach den Märzunruhen von1919 traten erneut bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen den unterschiedlichen Wehrverbänden und politischen Lagern auf.

Über die Lage in Halle am ersten Tag des Putsches berichtete die Saal-Zeitung in ihrer Morgenausgabe vom 14. März: „Vor den Zeitungsgebäuden, wo die jüngsten Depeschen angeschlagen waren, stauten sich die Massen und auch, als an den Anschlagssäulen scharf hintereinander drei neue Anschläge erschienen, bildeten sich dichte Gruppen, oft 200 Mann stark.“ Während sich die Parteien der Arbeiterbewegung (SPD, USPD und KPD) sowie die linksliberale DDP in Halle gegen den Putsch positionierten, bekundeten die rechtsliberale DVP und die Deutschnationalen (DNVP) Sympathien für den Umsturzversuch. Der ebenfalls mit Kapp und Lüttwitz sympathisierende Kommandeur der lokalen Garnison, Oberst von Czetteritz, ließ durch Zeitfreiwillige, meist Studenten und Oberschüler, Straßensperren auf zentralen Plätzen errichten und ermahnte die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren. Der Oberst schränkte die Pressefreiheit ein und ließ nur Verlautbarungen drucken, die von der Kapp-Lüttwitz Regierung veröffentlicht wurden. Trotzdem erfolgte der Generalstreik gegen die Putschisten in größter Breite: Eisen-, Straßenbahn und sämtliche Produktionszentren, außer den Versorgungswerken für Gas, Wasser und Elektrizität, stellten die Arbeit ein.

In den folgenden Tagen kam es in der Stadt zu gewaltsamen Zusammenstößen von Soldaten und Zeitfreiwilligen auf der einen, Arbeitern auf der anderen Seite. Aber nach dem Zusammenbruch des Putsches in Berlin schien sich die Lage auch in Halle am 19. März zu entspannen. Oberst Czetteritz wurde entlassen und der linksliberale Politiker Walther Schreiber, Abgeordneter des preußischen Landtages aus Halle, von der Regierung als „Zivilkommissar“ für die Stadt eingesetzt. Die fast ausschließlich aus bürgerlichen Kreisen rekrutierte Einwohnerwehr, eine im Jahr zuvor zur Verhinderung von Unruhen und Plünderungen aufgestellte Miliz, sollte durch die Aufnahme von Arbeitern reorganisiert werden, um sie auch für die linken Parteien akzeptabel zu machen. Bis dahin waren nur etwa vier Prozent ihrer Mitglieder aus der Arbeiterschaft gekommen, gegenüber 27 Prozent Kaufleuten, 13 Prozent Angestellten, 11 Prozent Beamten und 10 Prozent Handwerkern. Zu den expliziten Zielen des Generalstreiks seit dem 14. März hatte es daher gehört, auch Mitglieder der Arbeiterparteien und Gewerkschaften in die Einwohnerwehr aufzunehmen. Einen idealeren Ort als den Volkspark, das Vereinshaus der hallischen Arbeiterbewegung, hätte es für die Rekrutierung dieser neuen Milizionäre nicht geben können. Daher sollten sich am 19. März interessierte Mitglieder der Gewerkschaften und Arbeiterparteien zur Aufnahme in die Einwohnerwehr im Volkspark melden. Doch gerade an diesem 19. März erreichten Arbeitermilizen aus dem Umland, die sich zur Bekämpfung des Putsches gebildet hatten, die Stadtgrenze und lieferten sich Gefechte mit Militär und Zeitfreiwilligen.

Erst am 22. März kam vermittelt durch Schreiber ein Waffenstillstand zustande. Die Arbeitermilizen lösten sich auf, die Zeitfreiwilligen wurden entlassen, und das Militär kehrte in die Kasernen zurück. Am 30. März wurden 115 gefallene Arbeiter auf dem Gertraudenfriedhof mit 30.000 Trauergästen bestattet. Am Nachmittag fand dann die Bestattung von 27 Angehörigen der Reichswehrtruppen, Einwohnerwehr und Zeitfreiwilligen mit 600 bis 800 Trauergästen statt.

Wieso aber wurde der Volkspark bereits zu Beginn der Putsch-Tage am 15. und dann erneut am 19. März gewaltsam durch Angehörige der Polizei und örtlichen Reichswehr besetzt?

Dazu sollte man die Geschehnisse in den letzten Jahren der Monarchie und den ersten Jahren der Weimarer Republik betrachten. Seit 1907 hat sich in Halle ein typisches Muster entwickelt: Wenn die sozialistischen Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Straßen demonstrieren wollten, trafen sie sich entweder im Volkspark, um von dort aus zu marschieren, oder sie marschierten am Ende zum Volkspark. Die Polizei versuchte hingegen, Demonstrationen zu unterbinden, indem sie den Volkspark besetzte oder umstellte. Offenbar versuchten die staatlichen Institutionen die Arbeiterbewegung zunächst mit präventiven Methoden zu unterdrücken, um deren Aktivitäten zu beschränken und klein zu halten.

Schon am 1. Mai 1908, dem „Kampftag der Arbeiterbewegung“, kam es zu den ersten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der örtlichen Polizei am Volkspark. Die Arbeiterbewegung wollte ihre Demonstration im Volkspark mit Abschlussreden beenden, doch die Polizei versuchte sie daran zu hindern. In den folgenden Jahren nahm die polizeiliche Willkür immer weiter zu, was sich unter anderem in zahlreichen Auflösungen von sozialdemokratischen oder gewerkschaftlichen Veranstaltungen im Volkspark zeigte. Einschneidend wirkte zudem das „Reichsvereinsgesetz“ vom 9. April 1908, das zur polizeilichen Überwachung von Versammlungen führte. Oft wurden diese dann unter dem Vorwand beendet, es seien öffentliche politische Veranstaltungen, die Minderjährige gefährden würden. Tatsächlich geschlossene General- und Mitgliederversammlungen und sogar Jugendweihen wurden dadurch aktiv unterbunden. Ein städtischer Erlass vom 7. Juni 1911 verbot sogar sozialdemokratische Veranstaltungen in der Öffentlichkeit aufgrund der Maul- und Klauenseuche und ihrer angeblichen hohen Verschleppungsgefahr, währenddessen konservative Veranstaltungen weiterhin erlaubt blieben.

Die Abschlusskundgebungen der darauffolgenden Mai-Feiertage führten dann immer wieder zu Straßensperrungen rund um den Volkspark, willkürlichen Verhaftungen von Demonstranten und gewaltsamen Räumungen des Gebäudes durch die Polizei. 1913 wurde sogar der Belagerungszustand ausgerufen, um Demonstrationen am Tag der Arbeiterbewegung vollständig verbieten zu können. Nach den Märzunruhen 1919, die aus einem Streik und einer Massendemonstration entstanden und in den ersten gewaltvollen Straßenkämpfen zwischen Arbeitern und dem Militär endeten, wurde der Volkspark am 1. Mai 1919 bereits vor den Demonstrationsveranstaltungen von der örtlichen Militär- und Polizeibehörde besetzt.

Die gewaltsame Besetzung des Volksparks am 15. März 1920 war demnach eine präventive Maßnahme, die auf einem lang eingeübten Muster beruhte: Um Massenaktionen der Arbeiterbewegung in Halle zu verhindern, wurde der Volkspark besetzt und von der Umgebung isoliert. Die lokalen Anhänger des Putsches, die in Polizei- und Militärbehörden saßen, konnten so verhindern, dass sich Arbeitergruppen hier zusammenschließen, bewaffnen und möglicherweise Gegenwehr leisten konnten.

Die zweite Besetzung am 19. März war hingegen keine Präventivmaßnahme, sondern ein tätlicher Angriff auf das Vereinshaus. Die Lokalpresse berichtete lediglich, dass eine Kompanie der Reichswehr das Gebäude stürmte. Es bleibt unklar, ob es dabei zu einem Feuergefecht mit den Arbeiterwehren kam, die sich zuvor im Volkspark verschanzt hatten. Möglicherweise handelte es sich bei den Arbeitern, die dabei ums Leben kamen, auch nur um Menschen, die sich zur Aufnahme in die umstrukturierten Einwohnerwehren im Volkspark befanden und fälschlicherweise von der Reichswehr für Mitglieder oder Sympathisanten der Arbeitermilizen aus dem Umland gehalten wurden.

Die Besetzung des Volksparks im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches war ein Teil der politischen Auseinandersetzungen und gewaltsamen Zusammenstöße, die sich in diesen Wochen in verschiedenen Städten Deutschlands abspielten.  Die Putschisten und ihre Sympathisanten sahen im Volkspark das gewaltsam auszuschaltende Zentrum der ihnen verhassten sozialistischen Arbeiterbewegung, weil er dieser seit 1907 regelmäßig als Versammlungsort und als Ausgangs- bzw. Zielpunkt von Straßendemonstrationen gedient hatte. Die beiden Besetzungen des Volksparks im März 1920 zeigen, wie zu politische Symbolen gewordene Orte in Zeiten politischer Unruhen, zu Zielen von Angriffen werden können.

Über Niklas Bormann

  • Student/in

1 Kommentar

  1. kaz69 sagt:

    howdy! what an interesting history! i’m planning a visit to halle, as part of a „revolutionary germany“ cycling trip, this spring. is there any chance of meeting up with someone who could show me around the hall? – cheers.

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