Eine Herausforderung, die sich auch anderen Disziplinen als der Public History stellt.
Kann Geschichte anschaulich und für alle nachvollziehbar vermittelt werden, ohne dass dabei die Wissenschaftlichkeit auf der Strecke bleibt? Judith und Jochen von der Gedenkstätte Andreasstraße meinten im Workshop, es sei die „Königsdisziplin“, das zu schaffen. Bei ihnen werde die Wissenschaftlichkeit durch eine enge Zusammenarbeit mit Historiker*innen gewährleistet; Zeitzeug*innen spielen außerdem eine große Rolle und es werden immer möglichst viele unterschiedliche Perspektiven dargestellt (z. B. sowohl Häftlinge als auch Aufseher*innen).
Akademisch ausgebildete Public Historians haben das Ziel, Geschichte fachwissenschaftlich abgesichert und trotzdem für ein wissenschaftlich nicht vorgebildetes Publikum verständlich und gleichzeitig anschaulich zu erzählen, die subjektiven Erfahrungen Einzelner einzubinden, die räumliche Dimension historischer Prozesse zu veranschaulichen, die Bildlichkeit der Geschichte einzubeziehen und schließlich insgesamt die „Geschichte als Raum des kulturellen Gedächtnisses” neu zu konzipieren.
Irmgard Zündorf, Zeitgeschichte und Public History, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.9.2016.
Die Public History ist jedoch nicht das einzige Feld, dem sich die Herausforderung stellt, komplexe Sachverhalte anschaulich, für alle verständlich und gleichzeitig wissenschaftich korrekt zu vermitteln. Schon beim Lesen von Irmgard Zündorfs Text fühlte ich mich an das erinnert, was ich bisher über Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation gehört hatte. Diese Bereiche scheinen einige Überschneidungen mit der Public History aufzuweisen. Gehen wir also auf die Suche nach nützlichen Tipps und Methoden, die Wissenschaftsjournalismus und -kommunikation hergeben.
Das folgende Video erklärt sehr anschaulich, wie guter Wissenschaftsjournalismus funktioniert. Dabei kommen einige Journalist*innen (Corinna Hennig vom Drosten-Podcast, Mirko Drotschmann alias MrWissen2go, die Datenjournalistin Anna Behrend und der Zeit-Wissen-Redakteur Fritz Habekuß) zu Wort und berichten von ihren Erfahrungen. Hier eine kurze Zusammenfassung der Tipps: sprachliche Bilder zur Veranschaulichung finden und eine Dramaturgie einbauen, zielgruppenorientierte Formate verwenden, nicht nur erklären und einordnen, sondern ebenso hinterfragen, auch von den Grenzen des Wissens berichten.
Mirko Drotschmann vom Kanal MrWissen2go bietet sich für uns als Experte besonders an, da er nicht „nur“ Journalist ist, sondern auch Historiker. Einige seiner Videos über geschichtliche Ereignisse und Zusammenhänge können definitiv der Public History zugeordnet werden. Im Interview erklärt er, wie mit Wissenschaftsjournalismus auch junge Menschen erreicht werden können. Dafür sei es wichtig, sich an den Interessen des Publikums zu orientieren, die Leute zum Diskurs einzuladen, anstatt Absolutheiten zu vermitteln, die viel verbreitete Angst vor Vereinfachung zu überwinden und bei alldem authentisch zu bleiben.
Auch die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim vom Kanal maiLab dürfte den meisten ein Begriff sein. Im Video erklärt sie eine sehr hilfreiche Strategie für Wissenschaftskommunikation und gibt uns somit eine Art Checkliste mit, die wir immer durchgehen können – egal ob wir einen Text schreiben, ein Video produzieren oder einen Vortrag ausarbeiten. Einige Fragen, die wir uns dabei immer stellen sollten, sind: Was ist meine Hauptaussage/Fragestellung und zieht sich diese durch mein ganzes Werk? Welche Zielgruppe möchte ich ansprechen, was sind ihre Interessen und welches Vorwissen kann ich voraussetzen? Mit welcher Sprache kann die Zielgruppe angesprochen werden? Wie kann ich die Geschichte am besten in dem Medium verpacken, das mir zur Verfügung steht? Beschränke ich mich in meinen Ausführungen auf das Wesentliche?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Anschaulichkeit und Wissenschaftlichkeit definitiv vereinbar sind. Es ist jedoch eine Kunst für sich, dies auch zu schaffen und mit den Endergebnissen zu begeistern.
Was denkt ihr über die Vereinbarkeit von Anschaulichkeit und Wissenschaftlichkeit? Kennt ihr noch weitere gute Wissenschaftsjournalist*innen und -kommunikator*innen? Welche Formate der Wissensvermittlung sprechen euch besonders an und welche findet ihr auch für die Public History sinnvoll?
4 Gedanken zu “Wissenschaftlichkeit vs. Anschaulichkeit?”
Liebe Frau Götze, ich bin beeindruckt von Ihrem Text und den sehr präzisen Beispielen von Public History. Als Historikerin vermisse ich
allerdings den Blick in die Vergangenheit: Geschichte ist von altersher das Erzählen von Geschichten. Ihr Artikel mutet an, als wäre Public History eine Erfindung des digitalen und globalen Medienzeitalters des 21. Jahrhunderts. Aber: Geschichte(n)-Erzähler*innen informierten schon vor Jahrtausenden ständig wechselnde Publica über vergangene Zeiten. Und sie taten dies mithilfe von ausgefeilten Choreographien: in jedem Fall aber anschaulich.
Kurzum lautet meine Frage: Was können wir in Bezug auf Public History als der Vergangenheit lernen?
Liebe Frau Satjukow,
vielen Dank für das Feedback! Es freut mich sehr, dass Ihnen der Text gefällt.
Es stimmt natürlich, dass einige der in den Videos vorkommenden Tipps, wie Menschen mitgerissen und begeistert werden können (bspw. durch das Erzählen von Geschichten/einbauen von Dramaturgien), absolut keine neuen Erkenntnisse sind. Immerhin begeistern uns Menschen gute Geschichten vermutlich schon, seitdem wir Möglichkeiten gefunden haben, sie einander zu vermitteln.
Was genau wir heute aus der Geschichtsvermittlung durch Geschichtenerzähler*innen wie bspw. Troubadoure und Minnesänger*innen für die eigene Geschichtsvermittlung lernen können, fällt mir schwer zu beantworten, da ich mich mit dieser Thematik ehrlich gesagt wenig auskenne. Einige Gedanken habe ich zu der Frage dennoch:
Eine Erkenntnis könnte sein, dass es wichtig ist, die Leute (inkl. unterschiedlicher Zielgruppen) mit Formaten abzuholen, die sie ansprechen. Diese Formate haben sich im Laufe der Zeit verändert, doch es kann nicht schaden, auch mal zurückzuschauen. Als Zweites fällt mir ein, dass auch die Betrachtung der Intentionen der Erzählungen sehr wichtig ist. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass Geschichtenerzäher*innen immer nur das Motiv hatten, möglichst wahrheitsgetreu über vergangene Zeiten zu informieren. Im Mittelpunkt standen möglicherweise eher Zwecke wie Belehrung, Unterhaltung oder Identitätsstiftung. Dies zeigt uns, dass es immer wichtig ist, auch die eigenen Motive zu hinterfragen.
Das Erzählen von Geschichten (heute gerne Storytelling genannt) zur Wissensvermittlung ist übrigens keinesfalls unumstritten in der Wissenschaftskommunikation. Diese beiden kurzen Videos geben einen kleinen Einblick in den Diskurs: https://www.youtube.com/watch?v=76emAEikIS0, https://www.youtube.com/watch?v=PMpDDFbp9Zc
Ich selbst denke, dass Storytelling, wenn es überlegt und sorgfältig eingesetzt ist, durchaus eine gute Strategie der Wissensvermittlung sein kann. Doch für die Wissenschaftlichkeit finde ich es wichtig, die Geschichten zusätzlich einzuordnen.
Konnte dies Ihre Frage einigermaßen beantworten? Wenn Sie mehr Wissen oder noch weitere Gedanken zu der Thematik haben, würde es mich sehr freuen, davon zu lesen.
Viele Grüße
Danke für die interessanten Beispiele! Heute bin ich über Instagram zufällig auf eine Stellenausschreibung der Uni Halle genau zum Thema der Wissenschaftsvermittlung gestoßen: http://www.verwaltung.uni-halle.de/dezern3/Ausschr/21_3_6390_21_H.pdf
Man muss, um Beispiele für Jobperspektiven und die Nachfrage nach anschaulicher Wissensvermittlung zu finden, also gar nicht weit schauen.
Vielen Dank für die Ergänzung! 🙂