Eignet sich eine Online-Ausstellung für den Geschichtsunterricht? – Ein Vorschlag
https://www.risiko-freiheit.de/
Flucht – ein einschneidendes Erlebnis und in unserer heutigen Zeit auch ein dauerhaftes Thema im gesellschaftlichen Diskurs. Besonders die Flüchtlingswelle im Frühling 2015 wurde kontrovers besprochen. Oftmals ist dabei der Fokus, was mit Geflüchteten aus anderen Ländern passiert, wo sie unter kommen und wie gehen wir als Gesellschaft mit ihrer Situation um.
Die Website „Risiko Freiheit“ geht auf einen historischen Sonderfall ein: die Zeit des getrennten Deutschlands. Menschen, die ursprünglich in einem Land gelebt und eine Identität geteilt haben, wurden nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zunächst in verschiedene Besatzungszonen geteilt, woraus sich anschließend die zwei deutschen Staaten bildeten: BRD und DDR. Immer wieder wollten Menschen fliehen und vorrangig aus dem Regime der DDR in die BRD übersiedeln. Da dies in den meisten Fällen legal nicht möglich war, war Flucht über die Grenze oft der letzte Ausweg. Wie war der Umgang in dieser Zeit mit Flüchtenden? Wie haben die beiden Staaten reagiert? Welche Wege gab es?
„Risiko Freiheit“ konzentriert sich vor allem auf die Fluchthilfe für DDR-Bürger und weniger auf Gründe der Geflüchteten vor und nach der Flucht. Diese Online-Ausstellung entstand aus einer Ausstellung, die die Stiftung Berliner Mauer 2014/2015 in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde präsentierte. In fünf Touren werden unterschiedliche Wege und Phasen der Flucht bzw. Fluchthilfe von 1961 bis 1989 beleuchtet.
Die Online-Ausstellung bietet sehr viel didaktisches Potenzial für den Geschichtsunterricht. Das geteilte Deutschland wird vor allem in den höheren Klassen unterrichtet. In Sachsen-Anhalt steht besonders für die 10. Klasse eine Beschäftigung mit diesem Zeitraum an. Unter anderem soll im Sinne der geschichtskulturellen Kompetenz auch eine Exkursion zu einer Gedenkstätte oder in ein Museum durchgeführt werden. Wieso nicht auch online? Besonders in Zeiten von Corona bietet sich diese Alternative an. Zudem stehen in der 10. Klasse auch Aussagen von Zeitzeugen als besonderer Zugang zur Vergangenheit auf dem Lehrplan. Dabei sollen die Schüler und Schülerinnen lernen auf Grundlage von Aussagen von Zeitzeugen die Perspektivität von Ereignissen herauszubilden. Die narrative Kompetenz schließt sich hier direkt an, in dem die Schüler und Schülerinnen auf Basis von Zeitzeugenaussagen eine biografische oder thematische Darstellung verfassen.
„Risiko Freiheit“ eignet sich sehr gut für diesen Themenschwerpunkt. Sie schafft es mehrere Darstellungsformen von Geschichte aufzugreifen. Zum einen sind viele Medienformengegeben. Es gibt Texte, Fotos, Karten, Briefe, Audiodateien und auch Videos. Dadurch werden nicht nur alle rezeptiven Kanäle bedient, es kommen auch immer Zeitzeugen auf die eine oder andere Weise zu Wort. Das steigert zum einen das Vorstellungsvermögen und das Interesse der Schüler und Schülerinnen an der Thematik. Des Weiteren haben sie so die Möglichkeit erste oder auch vertiefende Erfahrungen mit Zeitzeugen als Quelle und Darstellungsform zu machen. Zusätzlich zu den Erzählungen der Einzelschicksale erhalten die Schüler und Schülerinnen durch die Darstellung der Phasen und Wege der Flucht bzw. Fluchthilfe einen weiten Überblick und können außerdem die Multiperspektivität des Geschichtsabschnitts entdecken. Da die Touren jeweils auf ungefähr 15 Folien präsentiert werden und die Texte eine angenehme Länge für Schüler und Schülerinnen haben, kann die Klasse auch sehr gut eigenständig arbeiten. Dies ist insbesondere positiv, wenn man das forschend-entdeckende Lernen als Unterrichtsziel setzt. Schön ist auch, dass immer wieder vertiefende Informationen zu den kurzen Überblickstexten angeboten werden, so dass Interessierte eine Möglichkeit erhalten, mehr zu erfahren.
Es bietet sich an, verschiedene Arbeitsaufträge an die Klasse zu verteilen, so dass eine Arbeit in Gruppen oder auch einzeln möglich ist. So wäre es möglich, dass sie die Schüler und Schülerinnen sich zunächst generell informieren und anschließend ein Themengebiet aussuchen, das sie besonders interessiert. Dabei kann man beispielsweise einzelne Personen herausziehen oder die Phasen darstellen lassen. Im Anschluss können die Ergebnisse vor Allen präsentiert werden. Auch dabei kann der Klasse Spielraum geboten werden, in dem unterschiedliche Formen möglich sind – als ein klassisches Referat, ein Poster, ein szenisches Spiel, eine PowerPoint Präsentation, eine Kurzbiographie …
Trotzdem sollte die Klasse vor Auseinandersetzung mit der Website einen Überblick über die deutsche Teilung haben, da auf der Website wenig darauf eingegangen wird und auch Gründe für eine Flucht aus der DDR kaum betrachtet werden. Daher ist es notwendig die Hintergründe einer Flucht vorher zu besprechen. Ohne kann es für Schüler und Schülerinnen durchaus absurd wirken, solche Aktionen und Risiken auf sich zu nehmen, um über die Grenze zu kommen.
Durch die Kombination aus übersichtlichen Texten, Bildern und Grafiken sowie persönlichen Geschichten und Aussagen stellt Website „Risiko Freiheit“ eine großartige Möglichkeit dar, mit Schülern und Schülerinnen eine neue Art der Ausstellung zu entdecken. Es wird Überblickswissen geboten, aber auch spannende, aufregende und interessante Geschichten. Und vielleicht werden die Schüler und Schülerinnen durch den Blick auf Zeitzeugen der Geschichte des geteilten Deutschlands motiviert, sich an eine weiterführende Auseinandersetzung und Vertiefung des Themas zu wagen, in dem sie beispielsweise ihre eigenen Familie oder Bekannten ausfragen und sich für ihre Eindrücke dieser Zeit interessieren.
https://www.risiko-freiheit.de/index.html#tour_overview
Eine weitere Ausstellung in diese Richtung ist die Online-Erkundung der Berliner Mauer. Auch diese Website wurde durch die Stiftung Berliner Mauer realisiert. https://berliner-mauer.mobi/startseite.html