Die Ur- und Frühgeschichte wirkt auf Schülerinnen und Schüler oft sehr trocken und schwer fassbar, da kaum Quellen vorhanden sind, die man im Schulunterricht behandeln kann. Der Internetauftritt der Höhle von Lascaux bietet hier eine willkommene Abwechslung, weil nicht nur Texte, sondern auch unterschiedliche Bildmedien über die so weit in der Vergangenheit liegende Epoche erzählen. Im Folgenden werde ich deshalb die Webseite der Höhle von Lascaux aus didaktischer Sicht untersuchen, um deren Potenziale für die Verwendung im Schulunterricht herausarbeiten. Da Lascaux in Frankreich liegt, eignet sich dieser Gegenstand gut für eine bilinguale Geschichtsstunde in französischer Sprache. Bevor ich zu den konkreten Vorschlägen und Ideen für eine sogenannte ‚Bili-Stunde‘ komme, erkläre ich zur Einordnung des Vorhabens kurz die Ziele und Prinzipien des bilingualen Sachfachunterrichts.
Im bilingualen Sachfachunterricht geht es in erster Linie, wie bereits das tragende Substantiv im Namen sagt, um das Sachfach. Ziel ist es nicht, die Sprachkenntnisse der Schülerinnen und Schüler systematisch zu verbessern, denn der Bili-Unterricht ist kein Fremdsprachenunterricht. Anders als im Fremdsprachenunterricht, bei dem der lexikalische und grammatische Spracherwerb im Zentrum steht, dient die Sprache im bilingualen Sachfachunterricht als Kommunikationsmedium. Die hier vorgeschlagene Stunde ist somit ein Geschichts- und kein Französischunterricht. Selbstverständlich lernen die Schülerinnen und Schüler im Bili-Unterricht auch Vokabeln kennen und vertiefen ihre grammatischen Kenntnisse, erwerben dieses neue linguistische Wissen jedoch speziell im Fach Geschichte. Der Bili-Unterricht ermöglicht den Schülerinnen und Schülern mehrere und damit unterschiedliche Perspektiven auf ein und dasselbe (historische) Ereignis kennenzulernen. Die Schüler üben, wie sie mit Quellen in der Fremdsprache umgehen müssen, um sie analysieren und interpretieren zu können. Da sie sich dabei nicht nur intensiv mit der Thematik, sondern auch mit der Sprache auseinandersetzen, ist die Arbeit mit Quellen in den bilingualen Stunden intensiver. Bei Quellen in der Muttersprache erscheint es den Lernenden oft so, als würden sie aufgrund ihrer sehr guten Sprachkenntnisse auch inhaltlich alles verstehen. In der Fremdsprache gibt es jedoch automatisch sprachliche Schwierigkeiten, weshalb sie trainieren, aufmerksamer mit den Quellen umzugehen. Zu den linguistischen Hindernissen treten darüber hinaus noch kulturelle Unterschiede, die sich zum einen in der Sprache, d.h. in der Art und Weise zu kommentieren, zu erzählen und zu beschreiben, zeigen. Zum anderen werden, beispielweise durch eine andere Sicht auf ein Ereignis, diese unterschiedlichen kulturellen Konzepte, Denkweisen und Konnotationen deutlich, die die Schülerinnen und Schüler nachvollziehen, erklären und wertschätzen lernen. Im bilingualen Unterricht ist es den Lernenden selbstverständlich erlaubt, ihre Muttersprache zu Hilfe nehmen, wenn sie ihre Ideen nicht in der Fremdsprache ausdrücken können, oder wenn es darum geht, die verschiedenen Standpunkte der Quellen zu vergleichen.
Zu einer bilingualen Unterrichtsstunde gehört, wie zu einer regulären Unterrichtsstunde auch, dass man die behandelten Themen und Kompetenzen mit den Fachlehrplänen des Sachfaches, hier Geschichte, und der Fremdsprache, hier Französisch, begründet. Ich werde mich an dieser Stelle nur auf die Kompetenzen beschränken, die für das Thema der Höhle von Lascaux relevant sind. Der erste wichtige Schnittpunkt zwischen den beiden Lehrplänen besteht in der Text- und Medienkompetenz im Französischunterricht und der Gattungs- sowie der Interpretationskompetenz für Geschichte. In beiden Kompetenzbereichen erlernen die Schülerinnen und Schüler das methodische, inhaltliche und sprachliche Vorgehen bei Textanalysen und -interpretationen. Die funktional kommunikativen Kompetenzen der Fremdsprache werden bei dieser Anwendung mit geübt und vertieft; sie stehen jedoch nicht im Mittelpunkt. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht zwischen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz und der geschichtskulturellen Kompetenz. Zur Interkulturalität gehören Wissen über und Verstehen von linguistischen, historischen und anderen Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Kulturen. Die Schülerinnen und Schüler lernen, die verschiedenen Kulturen zu vergleichen, ihre eigene Kultur zu reflektieren und in dem Bewusstsein zu handeln, dass es Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt. In der geschichtskulturellen Kompetenz geht es um die Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Umgang mit Geschichte. Der Bili-Unterricht ermöglicht hier, verschiedene Erinnerungsformen, Perspektiven und das kulturelle Gedächtnis unterschiedlicher Länder und Kulturen kennenzulernen und zu untersuchen, da nicht immer alle Quellen auf Deutsch vorhanden sind.
Nun zur konkreten Anwendung auf die Onlineausstellung der Höhle von Lascaux (https://archeologie.culture.fr/lascaux/fr), die ich in der Rezension vom 24.07.2020 ebenfalls in diesem Blog vorgestellt habe. Ich werde im Folgenden drei inhaltliche Vorschläge für eine oder mehrere Bili-stunden vorstellen. Das Besondere an der Höhle von Lascaux sind die aus der Jungsteinzeit stammenden Zeichnungen an deren Wänden, die es nahelegen, die Fähigkeiten der Lernenden in der Bildbeschreibung und -analyse zu üben. Hierbei profitiert die Lehrperson davon, dass die Onlineausstellung viele verschiedene Bildmedien präsentiert, bei denen die Schülerinnen und Schüler bei der Analyse und Interpretation auf unterschiedliche Dinge achten müssen. Höhlenmalereien verfügen z.B. über andere Gestaltungsmittel und Symbole als Fotos, wissenschaftliche Zeichnungen oder Animationen. So lernt die Klasse unterschiedliche Arten und Weisen der visuellen Darstellung kennen und auswerten, die ihr dabei hilft zu verstehen, wie die Menschen in der Steinzeit ihre Umwelt, ihren Alltag und ihre Glaubensvorstellungen in Bilder verwandelt haben. Auch die kurzen, prägnanten und thematisch angeordneten Darstellungstexte zum geographischen, geologischen, archäologischen und kunsthistorischen Kontext der Malereien bieten viele Ansatzpunkte für eine Bili-Stunde. Ähnlich wie bei der Bildbeschreibung und -interpretation geht es hier um die Vertiefung der Interpretations- und Gattungskompetenz von Texten. Die Schülerinnen und Schüler lernen, Informationen zu unterschiedlichen Themen aus informativ-wissenschaftlichen Texten herauszuarbeiten. Man könnte an dieser Stelle kritisch anmerken, dass die Schülerinnen und Schüler über ein hohes Französischniveau verfügen müssen, um die Inhalte der Kapitel zu verstehen. Das ist grundsätzlich richtig, aber die beeindruckend vielseitige Webseite unterstützt mit ihrem Angebot auch den Spracherwerb. So gibt es auf den französischsprachigen Seiten ein Glossar, das kunstgeschichtliche, archäologische, geologische und geographische Begriffe erklärt und so den Schülerinnen und Schüler als Zusatzquelle dienen kann. Sollte es dennoch Schwierigkeiten geben, können die Lernenden die Internetseite auf Deutsch umstellen.
Obwohl die Bearbeitung der Themenbereiche auf Französisch mehr Zeit in Anspruch nimmt als auf Deutsch, enthält die französische Seite zusätzlich zum Glossar mehr Informationen als die deutsche, weil in letzterer ein Kapitel fehlt. Des Weiteren helfen die Bilder, Karten, Fotos und Animationen den Schülerinnen und Schülern, sich das eben Beschriebene bildlich vorzustellen. Die Onlineausstellung ermöglicht außerdem, in anschaulicher und abwechslungsreicher Weise die geschichtskulturelle Kompetenz der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Mit dem Wissen aus den Kapiteln und mit Hilfe der verschiedenen Bildmedien lernen sie den historischen und kulturellen sowie auch den wissenschaftlichen Wert der Höhle schätzen. Sie erklärt zum einen die Lebenswelt der Menschen und die Natur in der Jungsteinzeit. Zum anderen kann sie auch als Beispiel dafür genutzt werden, wie man mit einem solchen besonderen Kulturgut umgeht, um es vor Zerstörung zu schützen. Methodisch kann man auf unterschiedliche Weise verfahren, wobei sich Gruppen- und Partnerarbeit besser eignen, da die Schülerinnen und Schüler die komplexen Themen und Aufgaben zusammen bearbeiten können.
Diese Reflexion über die didaktischen Potenziale der Onlineausstellung zur Höhle von Lascaux hat gezeigt, wie vielfältig und abwechslungsreich man eine Museumswebseite im Schulunterricht einsetzen kann. Zwar ist die Vorbereitung für die Lehrperson relativ aufwendig, aber die Schülerinnen und Schüler profitieren im Vergleich zu einer klassischen Schulbuchstunde deutlich mehr von einer solchen, gut vorbereiteten Stunde, in der sie viel selbstständig erarbeiten können. Im Idealfall ermuntert diese Art der didaktisch angeleiteten Auseinandersetzung mit einem Thema und dessen digitaler Präsentation die Lernenden dazu, in der Zukunft eigenständige Exkursionen in der virtuellen Museumswelt nicht nur Frankreichs zu unternehmen.
Hier ist der Link zur Höhle von Lascaux: https://archeologie.culture.fr/lascaux/fr
und zum Zertifikatskurs Bilingualer Sachfachunterricht der MLU Halle: https://www.bili.uni-halle.de/