12. Dez 2024
Das DIKUSA-Projekt auf der Digital History Tagung in Halle 2024
Von Sophie Döring, Diana Lucia Feitsch, Dirk Goldhahn, Martin Munke, Franziska Naether
Vom 19. bis 22. September 2024 fand an der Martin-Luther-Universität Halle die Tagung Digital History & Citizen Science statt. Alle zwei Jahre, immer im Wechsel mit dem Historikertag, treffen sich Fachvertreter*innen der digitalen Geschichtswissenschaften. Für diese Veranstaltung haben wir eine Podiumsdiskussion zum „DIKUSA“-Projekt eingereicht und wurden mit diesem Beitrag angenommen: „Gemeinsam forschen, individuell gestalten: Synergien und Herausforderungen in Verbundprojekten von Digital Humanities und Geschichtswissenschaften am Beispiel von DIKUSA“. Am 21.09 war es schließlich soweit: Wir konnten unsere vielfältigen Erfahrungen, Ideen, aber auch Fragen in Halle diskutieren.
Das Projekt „DIKUSA“ ist ein Verbundvorhaben von sechs landesgeförderten außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Freistaat Sachsen. Es läuft von 2022 bis Ende 2025 und wird mit knapp 1,5 Millionen Euro vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kunst und Tourismus unterstützt. Anfangs gab es rund 25, jetzt um die 15 Beschäftigte. Koordiniert wird die Maßnahme vom KompetenzwerkD an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, und es existieren zahlreiche Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, Museen und Archiven, allen voran mit der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) in Dresden. Diese ist mit ihrem Virtuellen Kartenforum ein wichtiger Partner innerhalb des Verbundprojekts.
Das Projekt besteht aus zwei Komponenten – zum einen sechs Projekte der sechs Forschungseinrichtungen, die hier vorgestellt werden, zum anderen gezielte Infrastrukturentwicklung: Die sechs Einrichtungen sollen im Bereich der Digital Humanities befähigt werden, auch zukünftig für Forschungsvorhaben der Erforschung des Kulturerbes gut aufgestellt zu sein. Dies geschieht mit einer Art „Toolbox“, mittels der Softwares, Workflows und Know-How vom KompetenzwerkD in die Einrichtungen hineingetragen werden. Das betrifft beispielsweise Maßnahmen des Forschungsdatenmanagements, der Erfassung, Vernetzung und Analyse von Forschungsdaten sowie Aktionen im Bereich des Wissenstransfers. Hier geht es um eine Schulung der Mitarbeitenden mittels Workshops, aber auch um Wissenschaftskommunikation und natürlich Publikation der Projektergebnisse in klassischen Formaten, als Datensets und in Form von Forschungssoftware. Unsere Podiumsdiskussion auf der Digital History Tagung war auch eine Veranstaltung, die in die Kategorie des Wissenstransfers fällt.
Das Team hatte sich zwei Themenkomplexe für die Podiumsdiskussion vorgenommen: Zum einen die Datenmodellierung in ausgewählten Teilprojekten und in der Zusammenführung in dem übergeordneten Forschungsdatenregister, zum anderen das Thema der Datenerfassung in den Teilprojekten. Diese beginnt zum Teil mit klassischer Archivarbeit und nicht digitalen Quellen, von denen man schließlich zu strukturierten und vernetzten Daten kommen möchte. Dank der Auszeichnung mit Normdaten, die unterstützt durch Reconciliation vonstattengeht, werden eine Integration über Projektgrenzen hinweg und schließlich ein Import ins DIKUSA-Forschungsdatenregister möglich.
Es diskutierten dazu Diana Lucia Feitsch, Projektmitarbeiterin im DIKUSA-GWZO-Teilprojekt, Sophie Döring, bis zum Sommer Projektmitarbeiterin im DIKUSA-ISGV-Teilprojekt und seit Kurzem im Projekt „Entwicklung einer nationalen Datenbankstruktur für historische Ortsdaten“, das eng mit DIKUSA zusammenarbeitet, Martin Munke, Leiter des Referats Saxonica und Kartensammlung der SLUB, sowie Dirk Goldhahn, Mitarbeiter am KompetenzwerkD und insbesondere mit dem Bereich Datenmodellierung und Forschungsdatenmanagement betraut. Moderiert wurde die Diskussion von Franziska Naether vom KompetenzwerkD, welche dort unter anderem zuständig für Koordinierung und Wissenstransfer ist.
Die erste Diskussionsrunde zur Datenmodellierung wurde von Dirk Goldhahn eingeleitet, der zunächst die Kernontologie des DIKUSA-Projekts vorstellte und darauf einging, wie in den Teilprojekten spezifische Modelle entwickelt wurden. Diana Lucia Feitsch berichtete, wie sie zunächst ausgehend von den Quellen Kategorien und Schlagworte im Team erstellte, die wichtige Beschreibungen und Strukturen für die zu verarbeitenden und speichernden Daten darstellten. Daran knüpfte sich auch die Frage nach der Visualisierung von Daten und der Entwicklung entsprechender Datenmodelle. Bei den Kategorien handelt es sich zum Beispiel um künstlerische Berufe des 17. Jahrhunderts, spezifische Techniken in Malerei und anderen bildenden Künsten oder um eine Terminologie der höfischen Kultur. Hieraus können Ontologien wie die „Ontologie historischer, deutschsprachiger Berufs- und Amtsbezeichnungen“ (OhdAB) der Universität Halle angereichert werden.
Sophie Döring trug einige Aspekte aus dem Prozess der Datenmodellierung des Historischen Ortsverzeichnisses für Sachsen (HOV) am ISGV bei. Dieses Projekt bestand bereits vor DIKUSA und entwickelte sich ursprünglich aus einer Buchpublikation (ab 1957) heraus, welche in ein Webportal überführt wurde und nun mittels des DIKUSA-Projekts im Bereich der Datenmodellierung und auch der Datenerfassung weiter verfeinert werden konnte. Dazu musste und müssen Transfers einer nicht-digitalen/analogen Publikationsform in die Linked-Open-Data-Welt etabliert werden.
Generelle Herausforderungen im Bereich der Modellierung von Ortsdaten bestehen dabei beispielsweise in der Klassifikation einzelner Lokalitäten, die verschwinden, sich (wieder) neu gründen – zum Teil am gleichen, zum Teil an einem anderen Ort, die auf umgangssprachliche Bezeichnungen aus der Bevölkerung zurückgehen, die zunächst keine verwaltungsspezifische Lokalität meinen, oder auch der schwierige Umgang mit Wüstungen. Hinzu kommt, dass in Quellen oftmals recht unspezifisch auf Orte verwiesen wird, so dass nur schwerlich eine Verknüpfung zwischen der Erwähnung eines Ortes in einer Quelle und den Koordinaten eines Punkts oder eines Areals auf einer Karte erfolgen kann. Da solche Punkte generelle Probleme über die DIKUSA-Laufzeit hinaus darstellen, werden diese nun in dem neuen Projekt von Sophie Döring angegangen, im Schulterschluss mehrerer Institutionen innerhalb der Task Area 02 Data Connectivity des NFDI4Memory-Konsortiums / Konferenzprogramm.
Im Virtuellen Kartenforum erfolgt die Datenmodellierung mit dem Standard-Dateiformat GeoJSON. Die große Herausforderung ist es dabei, ob man recht generische Datenmodelle verwenden kann oder extrem spezifisch wird – wie beispielsweise in dem neuen Projekt „IDOHIST“, wusste Martin Munke zu berichten. Dies ist auch eine Fragestellung, die beispielsweise in den NFDI-Konsortien wie 4Memory diskutiert wird.
Wenn man ein Datenmodell für einzelne Projekte und das „übergeordnete Ganze“ hat, kann ein nächster Schritt sein, die Forschungsdaten digital zu erfassen. Für viele der Forschenden ging es natürlich zunächst in die Archive und Sammlungen oder ins Literaturstudium, um die meist analog vorliegenden Forschungsdaten zusammenzutragen. Schließlich muss alles in einem Datenbanksystem erfasst werden. Für einige Forschungsprojekte in DIKUSA war der Fall von vornherein klar, wo das geschieht: im ISGV im Backend des HOV, am Sorbischen Institut im Register zu Sorbischen Kulturdaten, an der Sächsischen Akademie in der Plone-basierten Wismut-Erbe-Plattform. Die anderen Institute haben jedoch kein festgelegtes System: Daher wusste Dirk Goldhahn zu berichten, wie man sich im Vorfeld der Antragstellung durch zahlreiche Systeme durchgetestet hatte, darunter Wikibase und WikiData, FactGrid, Open Atlas, Geovistory, WissKI, ResearchSpace und weitere. Dies führte schließlich zu der Entscheidung, ein eigenes flexibles und zeitgleich leichtgewichtiges System namens Weedata zu erstellen und einzuführen. Dirk Goldhahn erklärte generelle Funktionalitäten, und Diana Lucia Feitsch zeigte, wie sie Künstlerinnen und Künstler, wie beispielsweise den Maler David von Krafft, und deren Lebensdaten, berufliche Stationen, Werke und Reisen zu verschiedenen europäischen Höfen erfasst. Und wie sich dadurch Netzwerke zwischen u. a. Kunstschaffenden und Auftraggebenden aufzeigen und visualisieren lassen. Sie wusste auch zu berichten, wie sich das Projekt von einer Museums-App von „Bellum et Artes“ zu einem von der HTW Dresden entwickelten Forschungstool wandelte und damit gänzlich neue Fragestellungen und Funktionalitäten an die Software herangetragen wurden. Was dazu führte, dass von vornherein die Schnittstelle zwischen Weedata und der Anwendung mitgedacht werden musste. Die Webanwendung ermöglicht z. B. durch die in Weedata erhobenen Daten Künstlermobilität auf Karten dynamisch darzustellen und gleichzeitig eigene Anfragen durch den Nutzer zu formulieren. Auch mehrere Biases spielen dabei eine Rolle. Denn mit der Auswahl, was man erforscht und was man in eine Datenbank aufnimmt, geht ja schon eine gewisse Kuratierung und Einschränkung des Materials einher. Diese Fragestellungen werden in den nächsten Monaten das DIKUSA-Projekt beschäftigen.
Sophie Döring erlaubte einen Blick in den Maschinenraum des HOV, das jetzt technisch auf einer neuen Basis bei der Datenerfassung angekommen ist.
Wie die Einbindung des Virtuellen Kartenforums in DIKUSA erfolgt, wird vor allem das Jahr 2025 zeigen, wenn es um die Visualisierung der Forschungsdaten gehen wird. Über den Web-Map-Service (WMS) ist es schon seit längerem möglich, Karten aus dem Kartenforum in ein eigenes Geoinformationssystem einzubringen. Über GeoJSON-Dateien ist nun auch die Verknüpfung mit anderen Informationen und Datenbanken möglich, wie Martin Munke und Dominik Stoltz es kürzlich auch andernorts beschrieben. Auch in das Datenerfassungstool Weedata und die Webanwendung des GWZO können dank der bereitgestellten Schnittstellen Karten des Virtuellen Kartenforums eingebunden werden.
Zum Abschluss der Debatte betonten die Beteiligten, wie wichtig es ist, im Verbund agil zu bleiben und sich kurzfristig miteinander abzustimmen. Dazu sind Jours fixes und themenbezogene Workshops wie zu den Themen Datenmodellierung, Forschungsdatenmanagement, aber auch anderen inhaltlichen Fragen wie die bereits erwähnten Biases von Nöten – auch, damit ein Teamgefühl entsteht und man sich gemeinsam weiterentwickeln und fortbilden kann, denn es wird auch eine Zeit nach DIKUSA geben. Wichtig ist dabei die Vernetzung mit anderen Kolleg*innen und Projekten in der Digitalen Geschichtswissenschaft, den NFDI-Konsortien und darüber hinaus.
In einer Schlussrunde betonten die Beteiligten, wie wichtig es sei, sich gerade bei den Fachtermini der Geschichtswissenschaften und der Digital Humanities miteinander auszutauschen und aufeinander zuzugehen. Dies hat für das Team soweit geklappt, aber für die gesamte Breite der Geschichtswissenschaften ist hier noch ein Stück zu gehen, da die Mehrheit nach wie vor konventionell (hermeneutisch) arbeitet und bisher noch nicht in hohem Maße Methoden der Digital Humanities anwendet.
Mit Blick auf das Oberthema der Hallenser Tagung wurde zum Abschluss noch diskutiert, inwiefern auch Bürgerwissenschaftler*innen Nutzen aus DIKUSA ziehen können. Zum einen werden nach Projektende die Forschungsdaten, Tools und weitere Informationen zum Projekt digital vorliegen. Aber dadurch, dass DIKUSA auch Tools, Workflows und Strukturen etabliert hat, die kollaboratives Arbeiten gezielt ermöglichen, ist damit auch die Möglichkeit eröffnet für Folgeprojekte mit Modulen, die auch eine Beteiligung im Bereich Citizen Science möglich machen. Dieser Weg war zunächst nicht vorhanden, aber nun wird es ihn geben.
Wir bedanken uns herzlich bei allen Beteiligten und Interessierten und möchten unseren Dank speziell den Hallenser Kolleg*innen aussprechen für die wunderbare Digital History Tagung 2024 und die Gelegenheit, unser Projekt zu präsentieren.