Eine Einführung in die Welt lokaler Währungssysteme
Ein Blog-Beitrag von Norman Dürkop:
In diesem Beitrag möchte ich ein Themengebiet aufgreifen, welches in den Wirtschaftswissenschaften, aber auch in der Soziologie bislang selten behandelt wurde: Lokale Währungssysteme.
Oftmals begegnet einem in der Literatur auch der Begriff der „Komplementärwährungen“. Dieser Begriff ist aber sehr weit gefasst, schließt er doch prinzipiell alle Geldformen ein, die nicht von Zentralbanken ausgegeben wurden. Genau auf diese Komplementarität, diese Ergänzung offizieller Zahlungsmittel ist Definitionsbestandteil von Komplementärwährungen: Der Begriff meint der Wortbedeutung zu Folge „ergänzende Währung“. Eine „Komplementärwährung“ steht demnach nicht für sich allein, sondern setzt das Vorhandensein einer anderen Währung im gleichen Nutzungsraum voraus. Der Begriff beinhaltet weiterhin den Anspruch einer Ergänzung anderer im gleichen Raum genutzten Währungen. Komplementärwährungen zeichnen sich also dadurch aus, dass sie nicht von staatlichen Einrichtungen wie Zentralbanken, sondern von privaten Organisationen, Personen oder Netzwerken ausgegeben werden. In einem Zentralbankgeldsystem bezeichnet der Begriff „Komplementärwährung“ demnach eine Währung, welche parallel zur offiziellen Währung umläuft und mit dem der Anspruch verbunden wird, das gesetzliche Zahlungsmittel zu ergänzen. Zu den Komplementärwährungen ist auch Bitcoin zu zählen, welche in den letzten Jahren eine steigende mediale Aufmerksamkeit erlangt hat. Auch Gutscheine lassen sich dazu zählen, sofern sie die Möglichkeit besitzen zu zirkulieren (d.h. bei verschiedenen Stellen einlösbar und nicht nur auf eine Handelskette beschränkt sind) und so als Geldsubstitut fungieren.
Komplementärwährungen allgemein hier zu diskutieren ist recht schwierig, da sich verschiedene Systeme hinsichtlich Zielsetzung, Aufbau und Mitgliederbasis stark unterscheiden. Ich grenze die Diskussion hier auf den Bereich der „lokalen Währungssysteme“ ein. Bei diesen handelt es sich in der Regel um zivilgesellschaftliche, also nicht-kommerzielle Vorhaben. Kommerzielle Systeme weisen in der Regel keine geographische Beschränkung auf (abgesehen vielleicht von Landesgrenzen), um möglichst viele Kunden zu erschließen. Lokale Währungen werden eingeführt, um bestimmte Entwicklungen positiv zu beeinflussen. Oftmals steht eine Stärkung lokaler Wirtschaftsstrukturen im Vordergrund oder auch die Schaffung einer Alternative zu heutigen Zentralbanksystemen, die als dysfunktional wahrgenommen werden.
Warum aber sollte sich jemand mit lokalen Tauschsystemen beschäftigen? Immerhin ist die volkswirtschaftliche Relevanz dieser alternativen Währungssysteme insgesamt recht gering. Das Interessante ist hier aber weniger die Größe dieser Systeme, sondern der Versuch, Geld bewusst umzugestalten. Analysen dieser Systeme können also auch Aufschluss darüber geben, ob die Funktionsweise von Geld sich steuern lässt oder ob Geld stets feste Wesenszüge, quasi eine eigene „Natur“ aufweist. Die bisherige Antwort dürfte eher ambivalent ausfallen: Zwar wirken einige Systeme ungleichheitsreduzierend, indem sie von der regulären Ökonomie Ausgeschlossene inkludieren, dennoch haben viele Systeme mit Trittbrettfahrern zu kämpfen. Viele der Systeme setzen auf Vertrauen, dementsprechend besteht hier eine Missbrauchsgefahr, sofern dieses Vertrauen missbraucht wird. Viele Systeme zerfallen zudem, weil die gesamte Menge an angebotenen Gütern und Dienstleistungen zu gering ausfällt und daher auch der Geldumlauf einbricht. Um einen Einstieg in das Thema zu ermöglichen, möchte ich hier zwei Arten von lokalen Währungssystemen vorstellen: Dies sind die „Tauschringe“ und die sogenannten „Regionalgelder“.
Tauschringe sind keine Erfindung der letzten Jahrzehnte, sondern existierten bereits im 19. Jahrhundert. Die populärsten Beispiele aus dieser Zeit sind die Zeitarbeitsbörse von Robert Owen und die Tauschbank nach Pierre Joseph Proudhon (Wagner 2009: 27f.)[1]. Es gibt verschiedene Arten von Tauschringen, hier sollen jedoch nur die weit verbreiteten „Local Exchange Trading Systems“ (LETS) behandelt werden[2]. Nach einem Vorschlag von Simone Wagner lassen sich LETS folgendermaßen definieren: „LET-Systeme sind netzwerkartig aufgebaute Handelsorganisationen, welche parallel zur Geldwirtschaft einen alternativen, nicht-monetären Wirtschaftskreislauf etablieren wollen“ (Wagner 2009: 33). In solchen Netzwerken könnten Leistungen und Güter, welche auf regulären Märkten kaum nachgefragt werden, gegen eine Lokalwährung getauscht werden (Wagner 2009: 33; Hinz/Wagner 2010: 60f.; Degens 2013: 18f.). LETS sind also, zumindest dem Anspruch nach, Parallelökonomien ohne Geldgebrauch. Natürlich könnte hier eingewandt werden, dass jedes von den Tauschenden anerkannte Tauschmittel sich als Geld begreifen ließe und daher hier auch Geld genutzt werde. Ungeachtet von diesem Einwand führen LETS führen stets eine eigene Währung ein, die als Basis einer Alternativökonomie fungiert.
Das erste LETS ist durch Michael Linton 1983 in British Columbia, Kanada als Antwort auf eine örtliche Wirtschaftskrise realisiert worden. Eingebrachte Arbeitsleistungen wurden durch „Green Dollars“ vergütet, sodass Zeit als Ressource nutzbar gemacht wurde und auch Menschen mit wenig Geld inkludiert werden konnten (Wagner 2009: 35). Das Projekt erfuhr in den ersten zwei Jahren ein hohes Wachstum, nach insgesamt sieben Jahren kam jedoch bereits der Zusammenbruch. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen: Zum Einen wird der Verfall auf das geringe Angebot zurückgeführt und zum Anderen auf einen Vertrauensverlust durch eine Überschuldung des Systems (Wagner 2009: 36). Dieses erste LETS war an die Landeswährung gekoppelt, das heißt die „Green Dollars“ wurden durch Umtausch kanadischer Dollars erworben. Dadurch wurde die Beteiligung von Unternehmen ermöglicht, die so die Green Dollars in die Landeswährung umtauschen und somit wettbewerbsfähig bleiben konnten. Die Kopplung sorgt daher aber auch für eine Verknüpfung mit der „regulären Ökonomie“: Deren Verteilungsmechanismen wurden auf das LETS übertragen. Viele spätere LETS verzichten auf diese Kopplung und verwenden stattdessen eine Währung, die an Zeiteinheiten normiert ist, was eine Marktpreisbildung ausschaltet[3] (Wagner 2009: 33). Ganz gleich jedoch, ob eine Zeitwährung verwendet wird oder auf die Verhandlung von Preisen gesetzt wird, ist die Währung eines LETS virtuelles Giralgeld, physisches Geld wird nicht verwendet (Wagner 2009: 33f.; Peacock 2003: 95). Des Weiteren existieren innerhalb dieser Komplementärökonomien keine Zinsen, außerdem ist möglich, auch bei negativen Kontoständen Transaktionen vorzunehmen, Teilnehmer können sich also verschulden. Die Geldmenge wird bei LETS dezentral durch die einzelnen Teilnehmenden gesteuert, d.h. das Geldangebot kommt alleine durch Güter- und Leistungsnachfrage zu Stande. Weiterhin ist die Kontoführung für alle anderen Mitglieder einsehbar und die Tauschakte werden durch ein Verzeichnis koordiniert (Wagner 2009: 34; Peacock 2003: 100; Degens 2013: 19). LETS gibt es mittlerweile in vielen Industrieländern und diese sind in der Regel sehr ähnlich strukturiert. Tauschringe dieser Art existieren in Deutschland seit dem Ende der 1980er Jahre (Wagner 2009: 36).
Regionalgelder sind eine neuartige Erscheinung, welche erst seit etwa der Jahrtausendwende im deutschsprachigen Raum in Erscheinung getreten ist. Regionalgelder bezeichnet zweierlei: Zum einen Komplementärwährungsprojekte, welche Mitglied im Regiogeld e.V. sind und zum anderen System emit spezifischen Eigenschaften. Zu diesen gehören vor allem, dass der Gebrauch von Regionalgeldern auf bestimmte geographische Gebiete beschränkt ist. Meist sind dies einzelne Landkreise, selten auch ganze Bundesländer (z.B. der KannWas in Schleswig-Holstein). Regionalgelder sind dezidiert nicht kommerziell, sondern gemeinnützig orientiert und teilweise auch als gemeinnützig anerkannt (Thiel 2011: 17). Regionalgelder sind in der Regel physische Währungen, die als Scheine exisitieren, wenngleich einzelne Systeme ergänzend auch von elektronischer Kontoführung Gebrauch machen. Auffällig an den meisten Regionalgeldern ist zudem, dass fast alle einen periodischen Schwund aufweisen, d.h. der Nennwert der Scheine wird regelmäßig um einen bestimmten Prozentsatz verringert. Die Gründe für die Errichtung eines Regionalgeld-Systems sind vielfältig und schließen vor allem eine Stärkung lokaler Wirtschaftsstrukturen und nachhaltiges Wirtschaften ein (Thiel 2011: 17). Insbesondere in der Art der Deckung der Währung zeigen sich zwei Typen von Regionalgeldern: Eurogedeckte und leistungsgedeckte Währungen. Erstere werden von Verbrauchern durch den Tausch mit Euros gekauft und könnten in der Regel auch wieder gegen eine Gebühr zurückgetauscht werden, was sich als Vorteil für teilnehmende Unternehmen erweist, da die in der Regionalwährung erwirtschafteten Erlöse sich in Euro zurücktauschen lassen (Thiel 2011b: 18). Letztere werden laut Thiel nicht von der Organisation des Projektes, sondern von den teilnehmenden Unternehmen ausgegeben. Letztere gehen mit der Projektorganisation ein Vertragsverhältnis ein, durch welches garantiert werde, dass die Regionalwährung in den gleichen Beträgen wie Euro akzeptiert werde (Thiel 2011: 18).
Interessanterweise hat diese Unterscheidung vor allem eine geographische Relevanz: In den alten Bundesländern kommen in der Regel eurogedeckte Systeme zum Einsatz, während in den neuen Bundesländern fast ausschließlich alle Projekte auf eine Leistungsdeckung vertrauen (Becker 2006: 34). Diese Antwort klingt schlüssig, basieren solche mit dem Euro stark gekoppelten Währungen doch stärker auf der „regulären Ökonomie“ und sind damit darauf angewiesen, dass möglichst viele Unternehmen die jeweilige Währung auch akzeptieren, was aber schwierig ist, wenn nur wenige Unternehmen ansässig sind. Becker stellt zudem fest, dass Regionalgelder in den neuen Bundesländern teilweise Tauschring-Charakter besitzen, da die jeweilige Währung hier nicht durch den Tausch mit Euro erworben würde, sondern durch das Anbieten von Gütern oder Arbeitsleistungen. Dadurch würde jeder einzelne Teilnehmer selbst potenziell zur Annahmestelle werden (Becker 2006: 34). Damit zeigt sich, dass die Übergänge zwischen Tauschringen und Regionalgeldern sehr flüssig sind. Einige einzelne Systeme weisen sowohl die Elemente von Regionalgeldern als auch von Tauschringen auf. Hierfür wäre etwa der Sterntaler zu nennen, der ein typisches Regionalgeldsystem (d.h. eine Währung mit Eurodeckung) mit einer Zeitwährung koppelt, die bei Tauschringen üblich sind. Dieser Umstand weist bereits auf die Komplexität des Phänomens „lokale Währungssysteme“ hin. Es ist daher verfehlt, solche Systeme per se weder als Garant für Korrekturen aktueller Wirtschaftssysteme noch als zum Scheitern verurteilt zu sehen. Stattdessen lassen sich nur einzelne Systeme oder Gruppen sehr ähnlicher Systeme beurteilen.
Literatur:
Becker, Ralf (2006): Entwicklungsstand und Perspektiven der Regionalgeldbewegung. In: Zeitschrift für Sozialökonomie, Jahrgang 43, Folge 149; S. 32-38. Online: http://www.sozialoekonomie-online.de/archiv/zfsoe-online-archiv-folge-144-151.html#folge149 [10.10.2015].
Degens, Philipp (2013): Alternative Geldkonzepte – Ein Literaturbericht, MPIfG Discussion Paper 13/1. Online: http://www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp13-1.pdf [10.10.2015].
Hinz, Thomas/ Wagner, Simone (2010): Die Diffusion einer sozialen Bewegung – lokale Austauschnetzwerke in Deutschland. In: Zeitschrift für Soziologie, Jahrgang 39, Ausgabe 1 (2010), S. 60-80.
Hubert, Eva-Maria (2004): Tauschringe und Marktwirtschaft. Berlin: Duncker & Dumblot.
Offe, Claus/ Heinze, Rolf G. (1990): Organisierte Eigenarbeit. Das Modell Kooperationsring. Frankfurt/Main: Campus.
Onken, Werner (2008): Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. In: Weiß, Mathias/ Spitzeck, Heiko (Hrsg.): Der Geldkomplex. Kritische Reflexion unseres Geldsystems und mögliche Zukunftsszenarien. Bern: Haupt Verlag, S. 100-113.
Peacock, Mark S. (2003): Die volkswirtschaftliche Analyse einer neuen Geldform: Der Fall lokaler Tauschringe. In: Baecker, Dirk (Hrsg.): Viele Gelder. Berlin: Kulturverlag Kadmos, S. 93-119.
Thiel, Christian (2011): Complementary Currencies in Germany: The Regiogeld System. In: International Journal of Communitiy Currency Research. Jahrgang 15, Ausgabe 15D, S. 17-21.
Wagner, Simone (2009): Lokale Tauschnetze. Untersuchungen zu einem alternativen Wirtschaftssystem. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Ebenfalls sehr lesenswert:
Thiel, Christian (2011): Das „bessere“ Geld. Eine ethnographische Studie über Regionalwährungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
– Ein sehr umfangreiches Werk zu dem Phänomen „Regionalgelder“ aus soziologischer Perspektive. Die beste mir bekannte Ausarbeitung zu dem Thema.
[1] Die Zeitarbeitsbörse von Owen zeichnete sich dadurch aus, dass Arbeitsleistungen mit Arbeitsscheinen entlohnt wurden, wobei die Höhe der Entlohnung fest an die Arbeitszeit gekoppelt war. Aufgrund des knappen Angebotes von stark nachgefragten Gütern erodierte dieses System bereits nach zwei Jahren. Proudhons Idee konnte hingegen gar nicht erst umgesetzt werden, da er aufgrund kritischer Äußerungen ins Gefängnis kam (Wagner 2009 28f.; Offe/Heinze 1990: 114-117).
[2] Ein Überblick findet sich bei Hubert (2004: 118-127).
[3] Hierbei gilt das Prinzip, dass eine Arbeitsstunde mit einem festen Betrag der Alternativwährung vergütet wird. Dieser Ansatz findet sich bereits bei den erwähnten Arbeitszeitbörsen Robert Owens.
Interessanter Text. Eine „praktische“ Frage kam mir beim Lesen auf: wie verhält es sich in Regionalgeldsystemen ohne Kopplung an die Zentralbank-Währung mit Unternehmenssteuern (einschließlich Mehrwertsteuer) bzw. generell mit der Buchführung durch die beteiligten Unternehmen? Wie werden die in der Regionalwährung getätigten Geschäfte dem Finanzamt gemeldet?
Interessante Frage, mit der ich mich leider nur am Rande befasst habe. Im Rahmen meiner Arbeit habe ich eine Fallstudie zum Lindentaler aus Leipzig durchgeführt, welcher tatsächlich nicht an den Euro gekoppelt, als „leistungsgedeckt“ ist. Für dieses Projekt gilt: Sofern eine Relation zum Euro herstellbar ist (beim Lindentaler darf auch der Euro genutzt werden, da Gewerbetreibende hier ansonsten ihre Kosten nicht decken können), etwa wenn ein Brot zuvor für 3 Euro angeboten wurde und nun für 6 Lindentaler zum Verkauf steht, dann werden darauf auch reguläre Steuern fällig. Dies gilt aber nur für regelmäßige, nicht für einmalige oder sehr kurzzeitige Transaktionen (da der Lindentlaer eher ein Tauschring ist, ist im Prinzip jeder sowohl Käufer als auch Verkäufer zugleich). Wie es sich mit der Buchführung verhält, kann ich dir leider nicht sagen, damit habe ich mich schlichtweg nicht befasst. Beim Lindentaler gilt, dass jede Person selber dafür verantwortlich ist, die Einkünfte in der Alternativwährung dem Finanzamt zu melden und zu klären, ob Steuern entrichtet werden müssen. Die Gesetzeslage scheint mir hier recht unklar zu sein, was wohl auch daran liegen mag, dass Regionalwährungen (zumindestens jene in Scheinform) potenziell mit §35 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank in Konflikt stehen, da dieser die Ausgabe eigenen Geldes verbietet. Bisher werden Regionalwährungen wegen ihrer geringen Größe lediglich toleriert. Ich hoffe, dass die Antwort einigermaßen nachvollziehbar ist. Ich hab ohnehin noch vor, einen Beitrag zu meiner Fallstudie zu veröffentlichen. Dann dürfte das Bild hoffentlich etwas klarer werden.