Kurzimpuls auf der Tagung „Wirtschaftswissenschaften und sozial-ökologische Transformation“ in Berlin am 06.11.2017
Im Zuge der Veröffentlichung eines Sammelbandes „Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung“ veranstaltete das IÖW (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung), die Cusanus Hochschule, das Netzwerk Plurale Ökonomik und das Wuppertal Institut eine Tagung am 06.11.2017 in Berlin auf der die vielfältigen theoretischen, methodischen und inhaltlichen Ansätze der Wirtschaftswissenschaften und ihre Wirkungen auf die gesellschaftliche Praxis zu diskutiert wurden. Dafür kamen Ökonom/innen verschiedener Strömungen, Sozial- und Nachhaltigkeitswissenschaftler/innen sowie Expert/innen aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammen.
Wir hatten die Ehre einen Kurzimpuls zum Thema „Transformative Lehre aus studentischer Perspektive“ auf dieser Tagung zu halten. Im folgenden findet ihr die Rede:
Guten Tag sehr geehrte Damen und Herren,
ich wurde im Zuge dieser Tagung angefragt einen Kurzimpuls zum Thema Transformative Lehre aus studentischer Perspektive zu halten. Dafür möchte ich Ihnen ein grobes Bild meines Lehrumfeldes geben und die Situation an der Universität Halle umschreiben aus der ich Ihnen berichten möchte:
In den Veranstaltungen sitzen meist mehr als 200 Menschen. Die Einführungsveranstaltungen in die Wirtschaftswissenschaften mit knapp 800 Teilnehmenden müssen daher jährlich in das Konzerthaus in Halle verlegt werden. In der Lehre der Ökonomie wird die Neoklassik nicht als dominierende Theorieschule in den Wirtschaftswissenschaften hinterfragt, nicht mal als solche dargestellt, sondern als gegebene Tatsache den Studierenden zum Auswendiglernen vorgesetzt. Dies ist kein spezifischer Zustand an meiner Universität. Ich kann nur aus der Vielzahl anderer Lokalgruppen des bundesweiten Netzwerks für Plurale Ökonomik ableiten, dass ein ähnlicher Zustand auch an anderen Universitäten vorzufinden ist.
Ich studiere Volkswirtschaftslehre im Bachelor und habe vor 2 Jahren mit Mitstudierenden die Initiative Neue Plurale Ökonomik gegründet, um eine Möglichkeit zu schaffen, sich mit anderen Studierenden der Universität kritisch über Lehrinhalte im Ökonomiestudium auszutauschen.
Was ist nun unsere Rolle als Studierendeninitiative für eine Transformation der Wirtschaftswissenschaften an der Universität? Zunächst sind es unsere Bildungsangebote, welche in Formen von selbstorganisierten Ringvorlesungen vorzufinden sind. Diese sollen die Studieninhalte ergänzen, neue Betrachtungsweisen aufzeigen und Zuhörenden zum ersten kritischen Nachdenken über die monistisch dargestellten Inhalte in der Universität anregen.
Ein weitaus größeres Potenzial für eine Transformation der Lehre und des Lernens findet sich jedoch in der internen Arbeit der Lokalgruppe: Eine Gruppe von bis zu 10 Menschen, die aus verschiedenen Disziplinen kommen und ausgestattet sind mit unterschiedlichen Wissensständen. Diese treffen zusammen und lesen Klassiker oder aktuelle Paper aus dem Wissenschaftsbereich der Ökonomie und diskutieren diese im Kontext der aktuellen Ereignisse aus Wirtschaft und Politik.
Damit schaffen sie sich einen Raum zum freien Austausch. Dieser Austausch ist von Aspekten geprägt, die meiner Meinung nach grundlegend sind für eine kritische und auch selbstkritische Betrachtung der Erkenntnisschöpfung einer Gruppe: Durch den Raum, welcher frei von der Deutungshoheit einer Person ist, in dem nicht Wissen von Lehrenden zu Lernenden nur weitergegeben wird, schwindet die Interpretationsmacht von Erkenntnissen, welche durch einen höheren „Bildungsstatus“ vorgetäuscht werden kann. In diesem Raum ist jeder dazu angeregt, das eigene Wissen und die eigenen Ansichten zu hinterfragen und sich mit den anderen über Erkenntnisse auszutauschen.
Eine feste Ontologie lässt sich in diesem Erkenntnisprozess nur schwer etablieren. Das Bewusstsein und Bewusstwerden über die Subjektivität in Anschauungen und Annahmen bei der Generierung von Wissen ist notwendig, um reflexiv Wissen betrachten zu können. Dieser Aspekt wird oft durch eine präsente Definitionsmacht an der Universität untergraben und wirkt sich destruktiv aus auf eine kritische Eigeninitiative von Studierenden im Hörsaal.
Ein herrschaftsfreier und selbstkritischer Weg des Lernens und der Erkenntnisfindung stellt für mich einen bedeutenden Schritt dar, um festgefahrene Strukturen verlassen zu können und den Blick für neue Räume zu öffnen. Eine banale Sache wie das autodidaktische Lernen einer Gruppe birgt für mich das Potenzial einer transformativen Lehre.
Um einen ersten Schritt einer Transformation der Lehre an der Universität zu ermöglichen, wurde, mit zwei weiteren Studierendeninitiativen aus den Disziplinen der Agrarwissenschaft und der Ökologie, das Bündnis für transformative Lehre gegründet. Dieses hat im letzten Semester ein Positionspapier veröffentlicht und an die Hochschulleitung herangetragen, in dem die notwendigen Schritte der Institutionalisierung von studentisch-organisierten Lehrangeboten und studentischen Lernräumen beschrieben werden, welche notwendig für eine Etablierung von transformativen Wissen an der Universität. Dazu zählt nicht nur die Institutionalisierung, sondern auch die Akkreditierung, also die Anerkennung, der Denkräume, in welchen transformatives Wissen entstehen kann. Eine Begegnung von Lehrenden und Lernenden auf Augenhöhe, in der der Austausch und die gemeinsame Generierung von Wissen mehr im Vordergrund stehen als ihre repetitive Weitergabe sehe ich daher als notwendig an, um einen Transformationsprozess in der Lehre an Universitäten zu ermöglichen. Das Eingreifen einer Studierendeninitiative in die Lehre an der Universität ist wird nicht ausreichen, um einen Wandel hervorzurufen. Dennoch hoffe ich Ihnen die wichtige Rolle der Studierendenschaft als Agierende im Transformationsprozess der Wirtschaftswissenschaften verdeutlicht zu haben.
Tagung: https://www.ioew.de/veranstaltung/wirtschaftswissenschaften_und_sozial_oekologische_transformation/
Positionspapier Bündnis Transformative Lehre: PoPaPi-Transformative-Lehre
Gelungener kritischer Einblick!
Denken ist frei und Freiräume sowie kritische Reflexionen an der Universität sind im Interesse des Gemeinwohls, wie ich meinen möchte 🙂
Plurale Grüße