Kehren wir zu den Kriminalromanen zurück!

Kehren wir zu den Kriminalromanen zurück! von Bert Brecht

Zweierlei Dramen.

In meinen Augen ist es ein Vorteil der nordischen Literatur, daß man einfach schon durch Lektüre herausbringen kann, ob ein Buch von einem Mann oder einer Frau geschrieben ist. Ist es nicht angenehm, daß man, wenn man nach der Lektüre von „Jerusalem“ und „Buddenbrooks“ feststellt, diese Bücher seien von Frauen geschrieben, bei „Jerusalem“ recht behält und bei den „Buddenbrooks“ nicht? Selbst dort, wo man bei deutschen Büchern der letzten Jahrzehnte auf männliche Erzähler schließt, passiert es einem, daß man dann auch absolut ähnlich geschriebene Bücher für von Männern geschrieben hält, nehmen wir an den „Kopf“ und „die Kegelschnitte Gottes“. Die Geschlechtsbestimmung des Verfassers ist in Deutschland nur durch Beilegen einer Photographie möglich. Wenden wir uns den Kriminalromanen zu.

Übelwollender Vorschlag.

Ich fürchte, es ist eine unfreundliche Regung von mir, den Lesern zu empfehlen, die Haltung zu studieren, in der einer ein Buch schreibt. Nehmen wir ein Beispiel, das die Tragweite dieses Gedankens durchaus nicht erkennen läßt: mit keinem Detail und mit keinem sonstigen Dreh wird mir Thomas Mann vortäuschen können, daß er z.B. in seinem „Zauberberg“ (als Stoff betrachtet) zu Hause ist. Darum ist mir diese billige Ironie so verdächtigt. Da erfindet einer im Schweiße unseres Angesichts lauter Dinge, über die er ironisch lächeln kann. Vor irgend etwas anderes auf dem Papier steht, ist dieser Herr schon für alle Fälle einmal ironisch. Ich habe einen Sinn für Methoden. Ich würde mit Vergnügen betrachten, wie einer von unsern Leuten, um z.B. eine Sterbeszene herzustellen, um ein Sterbebett einige klein Apparate aufstellte, einen phonetischen, eine optischen usw. und dann seine Aufnahmen ironisch zusammenstellt, aber ich sehe es mit aufsteigendem Unwillen, wenn einer für seine Apparate etwas Ironisches braucht und dann glaubt, seine Kühnheit, dafür eine Sterbeszene zu benutzen, verschaffe ihm allein schon einen Platz in der Literaturgeschichte (wo seine Apparate übrigens unbedingt hingehören). Kehren wir ruhig zu den Kriminalromanen zurück!

Ovation für alle übrigen.

Fast immer, wenn einige Männer beisammensitzen, entsteht, durch Alkohol und Tabak übrigens sehr begünstigt, Literatur. So auch, wenn z.B. Elvestad und Heller zusammensitzen. Ich denke mir da übrigens nichts Schlimmes dabei. Vor allem deswegen, weil sehr gute Literatur dabei herauskommt. Es ist Literatur für Erwachsene. Als Autor habe ich erschüttert die außerordentlichen Ehrungen und die noch außerordentlicheren Vorsichtsmaßregeln beobachtet, die die Hauptstadt eines 60-Millionen-Volkes für gegeben erachtete, als sie einen sehr alten Mann für die höchste Würde des Reiches heranholte, dessen Behauptung, er habe seit seiner Schulzeit kein Buch mehr gelesen, jedermann glauben durfte. Ich schließe mich der Ehrung dieses Greises durchaus an: es dürfte weniger Bücher bei uns geben, die man nicht bis zum Ende seiner Schulzeit lesen könnte. Vom zwanzigsten bis zum achtzigsten Lebensjahr ist ein Mann in unseren Breitegraden auf jene Literatur angewiesen, die, wenn zwei Männer zusammensitzen, durch Alkohol und Tabak übrigens sehr begünstigt, entsteht. Wenden wir uns also endlich den Kriminalromanen zu!

Was ist ein Schriftsteller?

Ist es pervers, wenn man bei Büchern den Geruch von Leim und Druckerschwärze liebt? Wer diesen Geruch herstellen kann, der ist ein Schriftsteller. Und was die Haltung beim Schrieben betrifft: ist es nicht bewunderungswürdig, wenn ein Mann soviel Alkohol vertragen kann, daß  so Nüchternes und Nachprüfbares aus ihm herauskommt, wenn er betrunken ist? Kehren wir ganz einfach zu den Kriminalromanen zurück.

Man muß Glück haben.

Literatur in einem anderen Sinne kann einer eben nur machen, wenn er Glück hat. Stendhal zum Beispiel. Er fand ein Sprachschema vor, das haltbarer war als mach anderes. Es war die Sprache Napoleons. Es dauerte nur zehn Jahre. Die Steine, mit der er seine Straße pflasterte, und die unzerstörbar sind, waren nur zehn Jahre lang  zu haben. Die großen Zeiten, in der Literaten herrschten (und vom Schlage Napoleons!) sind ziemlich selten. Kehren wir zu den Kriminalromanen zurück!

Gynäkologie.

Es ist ein Beweis von schlechtem sprachlichem Material, wenn ein Bau, je mehr Schliff er hat, desto schlechter wird. Es ist ein Beweis von gutem Material, wenn ein Bau desto lebendiger wird, he mehr Schliff er hat. Jeder Gedanke, den man in dieser durch hundert Jahre Charakterschwäche und Lakaientum verpfuschten deutschen Sprache niederschreibt. Es ist im Sprachlichen bei uns so wie in der Gynäkologie (Landpraxis). Wenn man mit der Zange das Kind nicht gleich beim ersten Ansetzen bringt, dann bohrt man ihm besser gleich den Kopf durch. Und es ist eben doch besser, einen Gedanken zu gestalten als alle Gedankenarbeit in Gestalten zu investieren. Kehren wir zu den Kriminalromanen zurück!

Ewige Lektüre.

Kriminalromane sind die einzige Gelegenheit, bei der ich gegen Literatur ausfällig werde. Kehren wir zu ihnen zurück!

Die Literarische Welt, Heft 14, S. 4, 02.04.1926

Kommentar:

Frank Heller (1886-1947) war der erste erfolgreiche Krimiautor Schwedens. Ihm gleichgesetzt wird Sven Elvestad (1884-1934), welcher als der Begründer des norwegischen Kriminalromans gilt. Interessant ist, dass beide Autoren in jungen Jahren wegen finanziellem Betrug strafrechtlich verfolgt wurden und daraufhin ihren Namen änderten. Diese Erfahrung machte sie zu Krimiautoren.