Rückblickend, was waren persönliche Herausforderungen einer wissenschaftlichen Karriere in Deutschland bzw. an der MLU?
Warten auf die erste Dauerstelle
Ein kritischer Punkt für alle, die in Deutschland eine Karriere in der Wissenschaft machen möchten, ist sicher der Übergang von einer befristeten Stelle zu einer Dauerstelle, egal ob Professur, im akademischen Mittelbau oder als Funktionswissenschaftler*in z.B. in einem außeruniversitären Forschungsinstitut. Dieser Übergang war bei mir sicher auch kritisch: meine „12-Jahres Wand“ war noch etwa ein Jahr weg, als ich dann doch zwei sehr gute Angebote für eine Professur erhielt.
Diese Unsicherheit war für viele meiner Kolleg*innen ein großes Problem. Und obwohl es schon immer Initiativen gab, auch schon zu meiner Zeit als Nachwuchswissenschaftler, die auf diese Unsicherheit aufmerksam machten, hat es mich persönlich, zum Glück, nicht so beeinflusst. Ich hatte immer das Vertrauen in meine Forschung und Lehre und konnte so das Risiko eingehen, auf das Glück zu bauen, dass die „richtige“ Stelle frei wird; auch wenn es materiell/ökonomisch wirklich risikoreich war (das ist wirklich eine Typfrage, denke ich). Ich möchte aber niemanden animieren, seine/ihre Karriere nur auf Zufall und Glück aufzubauen, auch wenn man sich das Glück bis zu einem gewissen Punkt hart erarbeiten kann. Das heißt nicht, dass die Kolleg*innen, die vielleicht keine Professur erhalten, weniger hart gearbeitet hätten, auf keinen Fall – man muss sich aber einfach dieser Zufallskomponente bewusst sein. Inzwischen – ich habe 2010/2011 habilitiert – hat sich aber einiges getan, wenn es um die bessere Planbarkeit von Wissenschaftskarrieren geht, so ist die Ausweitung der Juniorprofessuren mit tenure track, wie wir sie auch an der MLU forcieren sicher ein großer Schritt, die „Planbarkeit“ zu verbessern.
Vorzüge der akademischen Wissenschaft erkennen und nutzen
Mit der Unsicherheit klarzukommen, ist für die meisten die größte, institutionalisierte Herausforderung der akademischen Wissenschaftskarriere. Wenn ich ganz persönlich nochmal zurückblicke, so war es für mich eher etwas Anderes – nämlich die Forschungsfreiheit während meiner Zeit als Arbeitsgruppenleiter und Habilitand wirklich als solche zu erkennen und auch zu nutzen. Es hat ungefähr ein Jahr oder so gedauert, bis ich mich tatsächlich getraut habe, neue Forschungsprojekte zu starten, von denen ich am Anfang nur literaturbedingte Ahnung hatte. Als Wissenschaftler*innen erlernen wir Methoden, lernen Neues zu ergründen und sich dann zu trauen. „Einfach zu machen“ das kostet einem, zumindest mich, am Anfang wirklich Überwindung. Zum Glück habe ich das sehr schnell sehr schätzen und sogar genießen können, einfach Neues, von dem ich vorher nichts wusste, zu explorieren.
Wenn Sie noch mal von vorne anfangen könnten, was würden Sie anders machen?
Diese Frage grenzt ja schon an ein Zwischenfazit, da ich nicht so sicher weiß, was ich die nächsten 20-25 Jahre Weiteres in der Forschung und Lehre machen werde. Rückblickend kann ich sagen, dass ich vielleicht noch mehr, noch früher angefangen hätte, Forschung auszuprobieren, die für mich neu ist. Das ist jetzt sehr spekulativ, aber ich war wirklich an einigen Fächern interessiert, vielleicht hätte ich doch nicht Chemie studiert, ich schwankte nämlich ziemlich stark bis ich mich dann wirklich eingeschrieben hatte.
Drei Empfehlungen an junge Wissenschaftler*innen – was sollten sie unbedingt tun?
1. Habt ihr in Halle promoviert, und vielleicht sogar studiert und/oder kommt aus der Gegend? Dann geht bitte raus in die Welt, mindestens zwei Jahre, selbst mit dem Vorhaben, wieder in die Gegend zurückzukommen. Geht raus, schmort nicht im eigenen Saft! Schaut euch an, wo ihr gerne (auch geographisch) hingehen würdet. In der PostDoc-Zeit kann man auch noch an Institutionen und in andere Arbeitsgruppen/zu anderen Wissenschaftler*innen gehen, die eventuell ganz neue Blickwinkel, Methoden usw. vermitteln können. Wissenschaft ist ein in sich kosmopolitisches Abenteuer, das sollte man zu einem gewissen Grad auch zelebrieren, gerade in Zeiten, in denen Isolationismus und Provinzialität auch politisch wieder salonfähig geworden sind.
2. Zum Aufbau der eigenen Forschung und (zumindest in Naturwissenschaften) der eigenen Forschungsgruppe: Geht nicht zu viele Kompromisse bei Forschungsprojekten ein, auch wenn es nötig ist bis zu einem gewissen Grad. Das heißt, sucht euch wirklich auch Fragestellungen, die euch gefallen, interessieren und schaut nicht nur auf die Verwertbarkeit für die Karriere, weil das Thema z.B. gerade en vogue ist.
3. Seid ehrlich zu euch selbst. Fragt euch, ob ihr die Verantwortung und die Unsicherheit wirklich als Konsequenz der Freiheit aushalten könnt, wenn ihr es in eine akademische Führungsposition schaffen solltet. Fragt euch, ob ihr die Freiheit eigentlich auch nutzen wollt oder ob euch ein Beruf, in dem ihr vielleicht intellektuell anspruchsvolle Aufgaben habt, aber nicht die ganze Verantwortung für die Ideen, nicht glücklicher machen würde.