Positionspapier der Pluralen Ökonomik Halle zur Lehre im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich

Legitimationskrise, Wettbewerb und Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften – Ein Beitrag über eine nicht geführte Debatte an der MLU Halle.

„Weltweit rebellieren Studierende gegen die theoretische Einfältigkeit im Studium der Wirtschaftswissenschaften.“

Mit diesem Satz wird das Selbstverständnis der Initiative neue Plurale Ökonomik Halle eingeleitet. Doch nur mit dem Befund einer allgemeinen Unzufriedenheit über die Lehre in der VWL ist es nicht getan. In der folgenden Ausführung wollen wir unsere Kritik ausführlich und auf die Uni Halle bezogen darstellen und dabei auch auf etwaige Konsequenzen und Lösungsvorschläge der beschriebenen Problematiken eingehen.

Das Kernproblem/ Der Ursprung

Seit der Finanzkrise 2008 wird auf breiter Basis und in öffentlichen Medien über eine Legitimationskrise in der VWL diskutiert. Dies basierte auf dem scheinbar offensichtlichen Befund, dass die Finanzkrise mit ihren verheerenden Folgen durch die ÖkonomInnen kaum oder gar nicht vorhergesehen wurde und auch die empfohlenen Maßnahmen zur Bewältigung höchst umstritten in ihrer Ausführung, sowie Auswirkungen sind. Daraus abzuleiten ist nach wie vor ein notwendiger Wechsel in der Forschung und Lehre der Ökonomik, welche sich in Forschung und Lehre oft nur auf eine Theorieschule, die Neoklassik, beschränkte. Diese ist kein monolithischer Block, doch sie zeichnet sich durch besondere Konzepte und Annahmen aus, wie zum Beispiel die der rationalen Erwartungen (homo oeconomicus), makroökonomischer Gleichgewichtsmodelle und eine damit einhergehende Mathematikfixierung sowie die Fokussierung auf Nutzenmaximierung durch Wachstum und materiellen Reichtum. Trotz des offensichtlichen Versagens dieser Theoriefragmente, wird weiterhin an ihnen festgehalten.

„[A] plurality of paradigms in economics and in social sciences in general is not only an obvious fact but also a neccessary and desirable phenomen in a very complex and continually changing subject“ – K. Rothschild

Die Forderung nach Pluralität ist nicht nur anhand der immer komplexer werdenden Zusammenhänge in der Wirtschaft zu begründen, sondern ergibt sich auch logisch aus einem offenen Wissenschaftsverständnis. Dieses lässt ein Nebeneinander verschiedenster Erklärungsansätze zu, um möglichst wenige Erkenntnisse auszulassen.[1] Dabei liegt der Fokus nicht auf einem „Anything Goes“, sondern auf einem „Daring to Diversify“.

Machtverhältnisse und Reproduktionsmechanismen der Wirtschaftswissenschaften

„The competition between paradigms is not the sort of battle that can be resolved by proofs.“ – T. S. Kuhn

Dass ein „Daring to Diversify“ bei den meisten ÖkonomInnen zwar auf offene Ohren trifft, in der Praxis aber bisher kaum angekommen ist (Einstellung-Praxis-Lücke), liegt an den Macht- und Reproduktionsstrukturen, in denen sich WirtschaftswissenschaftlerInnen wiederfinden.[2] So scheint eine in naher Zukunft sich entwickelnde heterodoxe Forschung dadurch gehemmt, dass sich die Forschung in einem Kreislauf der Reproduktion befindet.

Es sind die gleichen Studierenden, welche später in Medien, Think Tanks und anderen Institutionen mit den neoklassischen Methoden arbeiten werden und diese bei der Beschäftigung der nächsten Studierendengeneration voraussetzten. Es ist der gleiche wissenschaftliche Nachwuchs, der weiterhin die neoklassische Politikempfehlung ausspricht, die auf realitätsfernen Modellen beruhen und bereits offensichtlich gescheitert sind. Schlussendlich tun Ökonomisierung und Verschulung der universitären Lehre ihr übriges, um alternative Inhalte und Raum für kritische Nachfrage zu verhindern. Auch der neoliberal gesinnte Überbau aus einflussreichen PolitikerInnen und Wirtschafts-Akteuren unterstützt die Neoklassik, welche die theoretische Grundlage für viele ihrer Forderungen liefert.[3]

Von einem fairen Wettbewerb mit gleichen Chancen, wie ihn viele liberale ProfessorenInnen fordern, kann also ausgerechnet in den Wirtschaftswissenschaften nicht geredet werden. Eher scheint es ein Monopol der Neoklassik auf die Meinungsbildung zu geben, innerhalb dessen sich wie bei jedem gutem Monopol durch Partizipation daran hohe Gewinne in Form von Posten und Publikationen ergeben.

Konkrete Auswirkungen

„The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they are wrong, are more powerful than is commonly understood. Indeed the world is ruled by little else“ – J. M. Keynes

Man könnte meinen, es handelt sich hier um eine abgehobene Diskussion im Elfenbeinturm. Eine solche scheint es aber nur auf den ersten Blick zu sein. Denn die aus den neoklassischen Modellen abgeleiteten Politikempfehlungen sind die Grundlage für die neoliberale Austeritätspolitik der letzten Jahre. Privatisierung von öffentlichen Diensten, Ökonomisierung der Bildung und Prekarisierung der Arbeitnehmer sind indirekte Folgen einseitiger neoklassischer Forschung und Lehre. Durch Publikationen in Wirtschaftszeitungen und wirtschaftspolitische Beratungstätigkeiten bestimmen sie den öffentlichen Diskurs und damit auch letztendlich die politischen Entscheidungen.

Am stärksten sichtbar wurde dies im Zuge der Schuldenkrise in Griechenland, als man bewusst nachfrageorientierte Politiken ignorierte und ohne demokratische Legitimierung eine Austeritätspolitik durchsetzte, die im Falle Griechenlands zu einer Verschlimmerung der wirtschaftlichen Lage führte.[4] Die Proklamation von „There is no Alternative“ und das damit eingehende Abwürgen alternativer politischer Ideen führt zudem zu Politikverdruss und öffnet PopulistInnen den Weg, wie man am aktuellen Beispiel der USA und vielen europäischen Ländern sehen kann.[5]

Ein offener und differenzierter Ansatz ist unverzichtbar, um sich solcher latent wirkenden Folgen von Wirtschaftspolitik bewusst zu werden. Dafür müssen in der ökonomischen Lehre auch reflexive Kompetenzen vermittelt werden. Die Studierenden müssen lernen, über die Ökonomik als Wissenschaft, aber auch über politische wie ethische Implikationen und Resultate der vermittelten Modelle kritisch nachzudenken.

Die Situation an der MLU-Halle                                         

„Die Martin-Luther-Universität und ihre Wirtschaftswissenschaften  blicken auf eine lange Tradition zurück, die eng mit dem Fortschritt in  Wissenschaft und Gesellschaft verbunden ist. […] Der  Wirtschaftswissenschaftliche Bereich knüpft […] an diese Traditionen an. Er bietet [..] eine moderne wirtschaftswissenschaftliche und international orientierte Ausbildung.“

So stellt sich der wirtschaftswissenschaftliche Bereich der MLU Halle auf ihrer Website vor. Dass zwischen Anspruch und Realität Welten liegen, kann jeder Studierende der Wirtschaftswissenschaften täglich erfahren. Wie ernst es die Universität zum Beispiel mit dem Wort „modern“, verstanden als zeitgemäß/aktuell, nimmt, kann man daran sehen, dass von den im Modulhandbuch erwähnten „Aktuellen Fragen der VWL“ seit mehreren Semester kaum etwas angeboten wird. Seit Jahren installierte Lehrstühle scheinen sich nicht mehr um aktuelle Fragen der Studierenden zu kümmern und bieten kaum Plattformen, bei denen man sich als interessierte/r Student/in engagieren könnte. Noch nicht mal gängige Adaptionen der Neoklassik, wie zum Beispiel im Bereich der Verhaltensökonomik, werden angeboten. Von wirklichen heterodoxen Angeboten muss man gar nicht erst anfangen. Es gibt wenige Module, in denen Inhalte nicht verkürzt und unkritisch den Studierenden zum Auswendiglernen vorgesetzt werden. Auch wenn immer wieder von den ProfessorInnen betont wird, dass kritisches Nachfragen erwünscht ist, wird es meistens durch den Verweis auf den Zeitdruck und falschen Rahmen abgewürgt. Dass der Unterschied zwischen Keynes und Smith in einer Makroökonomik-1-Vorlesung auf zwei Folien dargestellt wird und Smith lediglich auf die Unsichtbare Hand reduziert wird, scheint niemanden großartig zu stören.

All diese individuellen Erfahrungen lassen sich, trotz der großen Bedeutung für die Studierenden selber, kaum generalisieren. Eine von der Uni Kassel durchgeführte Untersuchung stellt der ökonomischen Lehre in Halle ein schlechtes Zeugnis aus und deckt sich damit mit unseren Erfahrungen.[6] Lediglich der Lehrstuhl für Wirtschaftsethik bessert demnach das Lehrangebot im Grundstudium auf. Dieser setzt, wenn schon nicht methodisch, zumindest thematisch andere Akzente. Dieser Befund stimmt mit unseren Erfahrungen überein: Abgesehen von wenigen erfreulichen Ausnahmen lässt die Lehre an der MLU deutlich zu wünschen übrig. Weder werden heterodoxe Theorien oder Methoden gelehrt, noch Raum für kritische Reflexionen geboten.

Ziele/ Forderungen.

Angesichts unserer dargelegten Kritik an der ökonomischen Lehre in Halle fordern wir:

  1. Einen offenen und selbstkritischen Dialog mit und unter den VWL-ProfessorInnen
  2. Berücksichtigung von interdisziplinär und heterodox orientierten BewerberInnen bei der Neubesetzung von VWL-Lehrstühlen
  3. Eine klar kommunizierte Beschreibung der vorhandenen Module als Neoklassisch
  4. Die Vermittlung von heterodoxen Theorien und Methoden
  5. Eine Verbesserung der Lehrsituation bezüglich der allgemeinen Herangehensweise an die Wissensvermittlung. Weg vom Auswendig lernen, hin zum kritischen Diskurs.

Die beschriebenen Probleme sind mitnichten in Blei gegossen und vieles ist auch schon im Umbruch. Dennoch wird sich von alleine nichts bewegen. Wir sind Teil einer großen Bewegung die an immer mehr Universitäts-Standorten für eine Verbesserung der Lage kämpft. Unterstützung kommt aus verschiedensten Richtungen, seien sie politisch, zivil, oder wissenschaftlich. Informiert euch, hinterfragt und kritisiert!

 

 

[1] Vgl. Kapeller  J., Grimm C., Springholz F.: Führt Pluralismus in der ökonomischen Theorie zu mehr Wahrheit?, in Hitze, Katrin, Thieme, Sebastian, Ötsch, Walter (Eds.): Wissen! Welches Wissen? S. 147-163, Metropolis 2014

[2] Vgl. Grimm, C. (2016): Postdemokratie, Machtverhältnisse und Ökonomik

[3] Vgl. Dobusch L. und Kapeller J. (2009): Why is Economics not an Evolutionary Science? New Answers to Veblen’s old Question, in Journal of Economic Issues, 43(4), S. 867-898

[4] Vgl. http://www.boeckler.de/impuls_2015_06_3.pdf

[5] Vgl. https://www.politik-kommunikation.de/ressorts/artikel/das-gefaehrliche-mantra-der-alternativlosigkeit-865552143

[6] Vgl. http://plurale-oekonomik.de/econplus/Kurzversion_EconPLUS_de.pdf