Statuskonsum ist nicht alles
Relativer Konsum ist ein Begriff, der inzwischen Eingang in die mehr-oder-weniger standardökonomische Analyse gefunden hat. Doch wird relativer Konsum immer implizit durch die Veblen‘sche Brille betrachtet, d. h. als Statuskonsum (bekannt u. a. als Duesenberry-Effekt): ich konsumiere immer mehr, weil ich mehr haben möchte als mein Nachbar. Dass die Realität jedoch viel komplexer ist, hat Fred Hirsch in seinem 1976er Buch Social Limits to Growth mithilfe des Begriffs des Postionswettbewerbs eindrucksvoll gezeigt.
Entgegen der Diagnose von Thorstein Veblen, der sich auf Statuskonsum fokussierte, d. h. die Tendenz von Menschen, Konsumgüter zu erwerben, um zu „protzen“, unterschied Hirsch zwischen drei Typen von Knappheit, die zu Positionswettbewerb führen (von denen nur eine mit Statuskonsum assoziiert werden kann). Zum einen gibt es (Positions-)Güter, die physisch knapp sind und daher zu Positionswettbewerb führen – sie sind begehrenswert, können aber nur von einer begrenzten Zahl von Menschen konsumiert werden. Ein Extrembeispiel sind Kunstwerke, insbesondere Bilder großer Maler wie Picasso oder van Gogh, die es eben nur einmal gibt. Nur eine Person kann sie haben – um sie zu erwerben, muss man in einen Positionswettbewerb treten, in dem nur eine Person „siegen“ kann, diejenige, die die höchste Zahlungsfähigkeit aufweist. Ein weniger extremes Beispiel wäre eine besonders schöne Landschaft – wenn sie von zu vielen Menschen besucht wird, verliert sie an Qualität (Attraktivität). Bspw. gilt die Sächsische Schweiz als sehr schön, aber gleichzeitig oft so überlaufen durch Touristen, dass man sie nicht mehr richtig genießen kann. Man muss auf weniger zugängliche Alternativen ausweichen, und dafür tritt man erneut in eine Tretmühle zwecks Steigerung der eigenen Zahlungsfähigkeit.
Neben physisch knappen Positionsgütern unterscheidet Hirsch zwei Typen von sozialer Knappheit. Bei direkt sozial knappen Gütern handelt es sich um die klassischen Statusgüter, also solche, die nur dann Nutzen stiften, wenn Andere sie nicht haben – ihre Knappheit ist also direkte Quelle von Nutzen. Doch gibt es auch viele indirekt sozial knappe Güter, bei denen der Nutzen zwar aus ihren intrinsischen Eigenschaften gewonnen wird (d. h., unabhängig davon, ob Andere sie ebenfalls konsumieren oder nicht), die jedoch degradieren, wenn eine gewisse Knappheit nicht gegeben ist. Das klassische Beispiel hierfür sind Vorstadtgrundstücke. Das schöne an Vorstädten ist, idealiter, dass man seine Ruhe und vergleichsweise viel Platz hat. Doch das funktioniert nur so lange, wie nicht allzu viele Menschen in der betreffenden Vorstadt leben. Sonst verliert sie sehr schnell an Attraktivität, durch hohes Verkehrsaufkommen, Lärm etc. Ein anderes Beispiel ist höhere Bildung als Mittel zur Erlangung gut bezahlter und sonst begehrenswerter Jobs – je mehr Menschen höhere Bildung genießen, desto mehr Zeit und Ressourcen muss man investieren, um sich in Hinsicht auf die Arbeitsmarktchancen „abzusetzen“.
Im Grunde sind auch indirekt sozial knappe Güter den Mainstream-Ökonomen konzeptionell nicht völlig unbekannt – sie würden den Positionswettbewerb um sie als „soziales Dilemma“ bezeichnen, eine Situation, in der die Tatsache, dass jeder Einzelne versucht, seine relative Position zu verbessern, zur Enttäuschung für alle führt. Doch argumentierte Hirsch, dass dieses Phänomen in Wirklichkeit viel verbreiteter ist als von Mainstream-Ökonomen angenommen. Auch stellen Positionsgüter nach Hirsch eine Gefahr für wohlhabende Gesellschaften dar, deren Wirtschaften auf Wachstum basieren. Denn je reicher Menschen werden, desto mehr verschiebt sich ihr Fokus auf Positionsgüter (um Nahrungsmittel gibt es üblicherweise keine Positionswettbewerbe); je mehr sich der Fokus verschiebt, desto enttäuschter sind jedoch die, die in Positionswettbewerben leer ausgehen (also die meisten); daher der Titel von Hirschs Buch, die sozialen Grenzen des Wachstums.