Welches Problem?!

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Schimpfwörter sind zwischenmenschliche Handlungsweisen, in denen Dimensionen sozialer Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zwischen den Beteiligten keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Jede Person kann ungeachtet ihrer jeweiligen sozialen Position gegen jede andere Person Schimpfwörter anwenden oder von ihnen „getroffen“ werden. Erst der konkrete Äußerungskontext entscheidet, ob es sich bei einer sprachlichen Handlung um eine Beschimpfung handelt oder nicht. Eine Beschimpfung liegt dann vor, wenn sich die beschimpfte Person in Bezug auf die sprachlich vollzogene Handlung gekränkt fühlt – also eine individuelle Empfindung.

   

Die folgenden Beispiele sollen zeigen, warum manche Formulierungen als problematisch eingestuft werden können – sie können allesamt als diskriminierende sprachliche Handlungen verstanden werden. Strukturell diskriminierte Personengruppen werden in diesen sprachlichen Äußerungen ignoriert.

„Sei doch kein Mädchen“

Der Ausdruck „Sei doch kein Mädchen“ stellt eine sexistische Pejorisierung der Weiblichkeit dar, indem das „Mädchen-Sein“ mit den dazu zugeschriebenen Charakteristika konventionalisert und negativ gewertet wird. Dabei spezifiziert der/ die Sprechende Weiblichkeit verallgemeinernd mit Schwäche und attributiert jene abwertend.

„Wohin fährst du in den Urlaub?“

Mit der Frage „Wohin fährst du in den Urlaub?“ wird eine Mittelschichtnormalvorstellung artikuliert, bei der das Vorhandensein eines festen finanziellen Budgets für das Reisen durch den Fragenden als Standard vorausgesetzt wird. Das ist jedoch pejorisierend gegenüber Personengruppen, denen diese finanziellen Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen.

Das sieht ja sogar ein Blinder mit Krückstock“

„Mir geht ein Licht auf“

Formulierungen wie „Das sieht ja sogar ein Blinder mit Krückstock“ oder „Mir geht ein Licht auf“ konventionalisieren ein fehlendes Verständnis von Personengruppen und richten sich damit gegen sie. Behinderungen werden in diesem Zusammenhang als gesellschaftliche Normabweichung angesehen. Sehfähigkeit wird in diesen Aussagen mit Prozessen intellektuellen Verstehens gleichgesetzt. Diese Normalvorstellung der Nicht-Behinderung eines Individuums trägt zur Diskriminierung von Menschen mit Entfähigungen auf subtile Weise bei.


                                                     

Potenziell kann jede Äußerung als Diskriminierung verstanden werden, weshalb der/ die Rezipierende individuell daraufhin befragt werden muss. Den Sprecher*innen kommt eine hohe Verantwortung für ihr kommunikatives Tun zu, womit die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Reflexion potentiell diskriminierender Handlungen einhergeht. Vor allem der Reflexion hegemonialer Normalvorstellungen kommt dabei eine immense Bedeutung zu. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Sprache grundsätzlich als Handlung und zentrales Moment in der Analyse von strukturellen Diskriminierungen zu interpretieren ist. Damit avanciert das gesprochene Wort zu einer zentralen Handlungsdimension, um Ein- oder Ausschlüsse von Individuen oder Personengruppen zu reproduzieren.


ERKLÄRUNGEN

  • Konventionen = in der Gesellschaft gängige Umgangs- und Verhaltenweisen, die von den Menschen gewöhnlicherweise erwartet sowie eingehalten werden
  • individuell = speziell nur eine Person betreffend
  • Pejorisierung = sprachlich direkt oder indirekt abwertende Handlung, die strukturelle Diskriminierungen von Personengruppen reproduziert; geht über individuell zugefügte und/ oder empfundene Kränkung hinaus
  • Diskriminierung = Benachteiligung oder Ungleichbehandlung von einzelnen Personen oder Personengruppen
  • Rezipierende = der Empfänger/ die Empfängerin einer sprachlichen Botschaft im Kommunikationsprozess
  • hegemoniale Normalvorstellungen = vorherrschende/ dominierende Ansichten darüber, was in der Gesellschaft als „normal“ gilt

LITERATURQUELLE

  • Hornscheidt, Lann (2011): Pejorisierung – ein kontruktivistisches Konzept zur Analyse von Beschimpfungspraktiken, in: Lann Hornscheidt Antje; Ines Jana; Hanna Acke (Hg.): Schimpfwörter – Beschimpfungen – Pejorisierungen. Wie in Sprache Macht und Identitäten verhandelt werden, Frankfurt am Main.

Tori Wagner, 2022