Über Respekt und Toleranz

Zeitzeug*innen gewähren uns sensible Einblicke in ihre Leben. Das ist keinesfalls selbstverständlich und sollte unbedingt als Privileg angesehen werden.

Was macht ein gutes Zeitzeug*innengespräch aus? Diese Frage stellte Jochen Voit während des Onlineworkshops mit der Andreasstraße in den Raum, bevor sich der Historiker und Zeitzeuge Holm Kirsten zuschaltete.

Nachdem ich in den Beiträgen „War nun Glas im Essen oder nicht“ und „Vom Wahrnehmen, Erinnern und Vergessen“ die Erinnerungen von Zeitzeug*innen als unzuverlässige Quellen bezeichnet habe, halte ich es für nötig, noch etwas über die Beantwortung dieser Frage zu bloggen. Denn auch wenn Zeitzeug*innen keine unfehlbaren Quellen sind, haben sie doch eine sehr große Bedeutung für die Geschichtswissenschaft und die Public History. Ihre Berichte machen viele Geschehnisse erst nahbar und helfen außerdem dabei, Vorgänge und Ereignisse zu rekonstruieren. In der Zuverlässigkeit unterscheidet sie wenig von vielen anderen Quellen der Geschichtswissenschaft, kritisch hinterfragt und so gut wie möglich überprüft werden muss sowieso immer alles.

Jochen legte uns nahe, wir sollten es als Privileg sehen, dass uns Zeitzeug*innen Einblicke in ihre Leben gewähren, denn das sei alles andere als selbstverständlich. Dem stimme ich absolut zu! Es bedarf zweifellos einiges an Überwindung, quasi Fremden so sensiblen Zutritt zur eigenen Vergangenheit zu gewähren und dann eventuell noch kritische Fragen sowie nachträgliche Interpretationen über sich ergehen zu lassen. Interessante Ergänzungen und Denkanstöße zu diesem Konflikt liefert ein Aufsatz der Historikerin Almut Leh, die Expertin im Gebiet der Oral History ist. In ihrem Text „Forschungsethische Probleme der Zeitzeugenforschung“ beschäftigt sie sich auch mit der Frage, ob sie selbst dazu bereit wäre, ein lebensgeschichtliches Interview zu geben.

Eine Zeichnung von Holm Kirsten, die ich im Workshop unter Anleitung der Zeichnerin Sandruschka anfertigte.

Ein respektvoller Umgang ist also die erste Grundvoraussetzung für die Auseinandersetzung mit Zeitzeug*innen. Dazu gehört auch, im Vorfeld ganz klar zu kommunizieren, was mit dem Material passieren soll. Im Workshop hatte das Zeitzeugengespräch die Intention, uns Inspiration für unsere Comics zu liefern. Wäre Holm Kirsten nicht damit einverstanden gewesen, dass wir möglicherweise seine Geschichten zeichnerisch umsetzen und unsere Entwürfe veröffentlicht werden, hätte das Gespräch nicht in dieser Form stattgefunden. Unsere Ergebnisse findet ihr übrigens im Beitrag: „6 Panels“.

Eine weitere Grundvoraussetzung ist, dass die Zeitzeug*innen so wenig wie möglich von den Geschichtswissenschaftler*innen beeinflusst werden, welche die Interviews führen. Beispielsweise das Erwähnen der eigenen politischen Einstellung könnte dazu führen, dass die Zeitzeug*innen in ihren Erzählungen auf politische Korrektheit achten. Es ist also von großer Wichtigkeit, sich selbst in den Gesprächen zurückzunehmen. Leh stellt dazu sehr passend fest: „Wer nicht über ein gehöriges Maß an interessierter Toleranz verfügt – und das heißt, fremde Lebensgeschichten und -auffassungen zulassen kann –, der sollte kein biographisches Interview führen.“ (Leh 2000, S. 68)

Weitere Tipps zum Durchführen von Zeitzeug*inneninterviews liefert zum Beispiel dieses Merkblatt des Hauses der Bayerischen Geschichte: „Zeitzeugeninterviews – Ein Merkblatt“. Die genauen Methoden für das Gespräch, deren Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung hängen jedoch auch von der Art des Interviews ab. Die Historikerin Dorothee Wierling unterscheidet dabei zwischen Expert*inneninterviews, thematischen Interviews und biografischen Interviews. Ihre Grundlagenliteratur über Oral History empfiehlt sich absolut für die weitere Beschäftigung mit dieser Thematik.

Was sind eure Erfahrungen mit Zeitzeug*inneneninterviews und könntet ihr euch vorstellen, selbst einmal eines zu geben?

Literatur

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2 Gedanken zu “Über Respekt und Toleranz”