Eine Lösung für §218 von Jenny Brünn
Eine Radikallösung für die ganze Abtreibungsfrage ist gegeben in der Anwendung der Suggestionsmethode von Coué auf die Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsunterbrechung.
Asien kennt dieses Machtmittel der Frau, den Sieg ihres Geistes über ihren Körper seit jeher. In den Kegelschnitten Gottes‘ von Sir Galahad — Pseudonym einer europäischen Frau — wird geschildert, wie eine schwarze Frau ganzen Mädchengenerationen Asiens diese Kunst lehrt.
Unter allen Tropenstämmen verstehen die Suaheli-Weiber sich am besten auf die glühende Kunst: frei sein. Auf das Frauenrecht: Mutter aus Wahl — nicht Zwang, Herrin, nicht Sklavin der Generation. Und das durch Überhöhung, nicht Hemmung der Hingabe.
Und als diese Menschen Asiens nach Europa kommen und das sexuelle Elend der europäischen Frauen sehen, fragen sie entsetzt:
Woher die furchtbare Abhängigkeit der „weißen Frauen“, der Herrinnen der Erde, von Gynäkologen, also Männern, in ihrer eigensten Frage, ja der Frauenfrage überhaupt, selbst von Suaheli-Negerinnen längst gelöst?
Eine Frage, die heute gegenüber unsern Ärzten und Juristen sehr aktuell erscheint.
Auch die zünftige medizinische Wissenschaft Europas hat etwas von dieser naturgegebenen Möglichkeit der Geburtenregulierung gemerkt und sie bereits registriert. In Heft 2 des I. Jahrgangs (1924) der Vierteljahrsschrift des Bundes Deutscher Ärztinnen schreibt Dr. med. Margarete Stegmann:
Eine Tatsache muß neu ins Bewußtsein der Ärzte und der Gesetzgeber gehoben werden: bei sensitiven Frauen gibt es natürliche Aborte aus seelischen Gründen. Hier denkt Niemand an ein Verbrechen gegen das keimende Leben; kein Gesetzgeber kann hier eingreifen. Nun wohl: alle mit künstlichen Mitteln herbeigeführten Aborte können angesehen werden als nicht qualitativ, sondern nur gradweise von diesen natürlichen verschiedene; der unterschiedliche Grad von Bewußtheit bei den Frauen zwingt die einen, den innern Willen durch äußere Mittel zu realisieren, während die andern ihn allein durch unbewußte Umwandlung seelischer Vorgänge in körperliche zu verwirklichen vermögen.
Bei „sensitiven Frauen“, das heißt: bei denjenigen, denen von der Natur gegeben ist, durch ihr Unterbewußtsein auf ihren Körper einzuwirken — Methode Coué. Mit dem Wert oder Unwert dieser Methode an sich hat das — so seltsam es klingen mag — wenig zu tun. Unabhängig davon, wie weit diese als Heilmittel bei funktionellen oder organischen Störungen des menschlichen Organismus bereits erprobt oder noch zweifelhaft ist, besteht die Tatsache der großen Empfindlichkeit der Mutterschaftsorgane gegenüber Gehirneinwirkungen.
Sie ist erwiesen durch die Veränderungen am Embryo infolge von Angst- oder Schreckvorstellungen der Mutter während der Schwangerschaft, beim sogenannten „Versehen“ schwangerer Frauen und dergleichen. Charles Baudouin, der bekannte
Schüler Coués, schildert als Maximalleistung der Autosuggestion eine Geburt während eines leichten Schlummers der Gebärenden, die durch eine Suggestion auf die Stunde vorher festgesetzt worden war und sich exakt vollzog. Diese Einwirkung des Gehirns auf die sexuellen Organe als Maximalleistung der Suggestionslehre Coués ist kein Zufall. Die Voraussetzungen dieser Methode selbst schaffen hier die größte Wirksamkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit. Bei der Autosuggestion wird an die Einbildungskraft appelliert. „Nicht der Wille ist die Triebfeder unsres Handelns, sondern die Einbildungskraft“, sagt Coué. Und: wenn Wille und Einbildungskraft gegen einander stehen, das heißt: wenn ich mir einbilde, irgendetwas nicht tun oder erreichen zu können, und meine Willensanstrengung verdopple, um es doch durchzusetzen, so siegt immer die Einbildungskraft, das heißt: ich erreiche unfehlbar das Gegenteil dessen, worum ich mich bemühe.
Es handelt sich also um die Ausschaltung des kritischen, analysierenden Bewußtseins zugunsten des Unterbewußtseins, der Intuition. Und hier sind die intuitivern Naturen der Frauen, der Kinder, der Künstler von vorn herein im Vorteil vor dem Durchschnitt der Männer und den reinwissenschaftlichen Denkern. Die drei Grundgesetze, wonach sich die Autosuggestion von der intuitiven Einstellung her abrollt, sind:
1) die vertiefte Konzentration (die gegeben sein muß),
2) die das Gegenteil bewirkende Anstrengung (die vermieden werden muß),
3) die unschätzbare Hilfskraft der Erregung, die den Erfolg jeder Autosuggestion in jedem Falle sicherer und umfassender gestaltet.
„Erregung erhitzt eine Vorstellung sofort bis zum Siedepunkte, von welchem Punkte an sie eine wirksame Kraft wird.“ Die Anstrengung zu vermeiden, um nicht das Gegenteil dessen, was man wünscht, zu bewirken, läßt sich erlernen — ebenso eine Vertiefung der Konzentration, die schon von selbst eintritt, wo ein starkes Interesse an dem Gegenstand der Autosuggestion vorliegt. Eine Erregung dagegen kann nicht willkürlich hervorgerufen werden, und man muß auf sie bei den absichtlichen Autosuggestion verzichten. Umso wertvoller, wo sie sich von selbst einstellt! Das ist der Fall bei der suggestiven Einwirkung der Frau auf ihre Mutterschaftsorgane, Bei dem Abort der sensitiven Frauen ergibt sich diese Hilfskraft der Erregung durch den Widerwillen, ja Haß gegen das zu gebärende Kind (oder dessen Vater).
Noch bestimmter aber, weil aus dem Vorgang selbst sich ergebend, kann diese erfolgsichernde Erregung bei der Konzeption berechnet und angewendet werden zur Verhütung dieser Konzeption, Warum sind Nachtgeburten so viel häufiger als Taggeburten?, fragt Coué, Und er antwortet: weil die meisten Frauen sich vor der unbequemen Nachtgeburt fürchten und sie durch diese Furcht (Gesetz der das Gegenteil bewirkenden Anstrengung) erst herbeiführen. Nach demselben Gesetz kann man behaupten, daß ein großer Teil der unehelichen und der ehelich unerwünschten Kinder grade aus der Furcht vor der Empfängnis konzipiert werden.
Die Gesetze der Autosuggestion wirken blind: nach der negativen Seite bei den Vielen, nach der positiven Seite bei Wenigen. Es gilt, sie zu erkennen, ihre Anwendung zu erlernen, um sie nur positiv zu gebrauchen.
Der Maximalerfolg ist gesichert in der größern intuitiven Begabung der Frau, er ist gesichert in der starken Konzentration aus der Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf sein starkes vitales Interesse, wie es die Empfängnisverhütung ist; er wird unerschütterlich durch die Erregung, die sich aus der Situation ergibt. Um zu dieser positiven Einstellung, zu dieser letzten Beherrschung des Körpers zu gelangen, müssen die Gehirne der Frauen greinigt werden von den verbrauchten, abgespielten Grammophonplatten Jahrtausende alter Geschlechtsknechtschaft und verkalkter Wissenschaft. Die Frauen müssen, nach einem Wort der Aufklärungszeit, „den Mut finden, ihren Verstand zu gebrauchen“, das heißt in diesem Falle: ihre Vernunft, ihre Intuition.
Damit hätte die Frau nicht nur die geheiligte „Naturgebundenheit des Weibes“ aufgehoben, die Herrschaft des Geistes bis zu einem Punkt ausgedehnt, wo bisher die Natur am schrankenlosesten und willkürlichsten herrschte: sie brächte auch in das erotische Zusammensein der Geschlechter eine Feinheit und Unbeschwertheit, die weder in dem Schlafzimmer der schrankenlosen Kindererzeugung möglich ist noch in dem Schlafzimmer der konzeptionsverhütenden Mittel, — das, wie Jemand treffend gesagt hat, „auch nur ein Stall ist, in dem kein Heiland geboren wird“. Nicht einmal „Irreligiosität“ könnten die kirchlich denkenden Kreise den Frauen bei dieser Lösung der Geburtenfrage vorwerfen. Denn sie besiegen die von „Gott“ gesetzten Schranken durch den von Gott geschaffenen Geist. Hat sich die Einbildungskraft einmal von dem Ammenmärchen der unbeeinflußbaren Konzeption abgewandt und das furchtlose „richtige Denken“ erlernt, so genügt es, an diese empfängnisverhütende Autosuggestion zu glauben, um sie zu verwirklichen. Und dies ist viel leichter und einfacher, als manche von Geburten und Aborten geschwächte und verzweifelte Frau denkt.
Weltbühne, Heft 23, S. 934-936, 15.06.1926.
Kommentar:
Meint die Autorin das ernst? Der*die Leser*in muss für sich selbst entscheiden, ob er*sie die Autorin beim Wort nimmt, oder Hinweise auf Ironie findet. Der Artikel selbst nimmt Bezug auf die Autosuggestion nach Coué, die im Frühjahr 1926 vielfach diskutiert wurde und viel Zuspruch, aber auch viel Spott erntete. Er steht aber vor einem sehr ernsten Hintergrund: Der Paragraf 218 bestrafte eine Abtreibung mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus. Doch jedes weitere Kind bedeutete größeres wirtschaftliches Elend für die verzweifelten Arbeiterfrauen, was viele von ihnen zu den sogenannten „Engelmachern“ trieb und unter Umständen sogar das Leben kostete. Gegen Ende des Jahrzehnts wurden etwa 1 Million Abtreibungen pro Jahr durchgeführt. Die Debatte um den Paragrafen 218 führte dazu, dass 1926 die Strafe verringert wurde und eine geahndete Abtreibung eine Gefängnisstrafe nach sich zog, deren Länge im Ermessen des jeweiligen Richters lag.