Einleitung
Dieses Forschungsprojekt entstand als Gruppenarbeit im Rahmen des Seminars Aktuelle experimentelle Musikpraktiken des Wintersemesters 2020/21 im IMMS der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Während dieses Seminars fiel der Gruppe auf, dass experimentelle Musik für viele Menschen einen schwierigen Zugang bietet oder sie einen anderen Ansatz benötigen als bei bisher ”gewohnter” Musik. Ein Aspekt davon ist wohl, dass die zugrundeliegende Konzepte meist nicht dem gewohnten Verständnis von Musik entsprechen. Somit wirkt diese Art der Musik fremd und erhält wenig bis keinen Platz in der musikalischen Allgemeinbildung der breiten Gesellschaft.
YouTube als Medium der multimedialen Unterhaltung hingegen hat seinen Stellenwert in der breiten Gesellschaft etabliert. Die erfolgreichsten Videos dieser Plattform sind Musikvideos, was Grund genug ist als ernstzunehmende Quelle der Musikwissenschaft zu dienen. Die Funktion von YouTube kann als eine Art Musikarchiv betrachtet werden. Auch wenn sie bei Weitem nicht so erfolgreich sind wie aktuelle Chart-Titel, lassen sich dort unter anderem auch viele Beispiele der experimentellen Musik finden. Diese Videos wurden im Laufe der Zeit zahlreich geklickt und kommentiert.
Der erschwerte Zugang zu experimenteller Musik einerseits und ihre Öffentlichkeit auf YouTube andererseits bieten ein interessantes Spannungsfeld, welches folgende Fragen aufwirft:
Wie wird ein Zugang zu dieser Musik geschaffen oder wie wird der ungewohnten Musik ein Sinn gegeben und sie erklärt? Und inwiefern können YouTube-Kommentare konservative, übliche und etablierte Forschungsmethoden (der Musikwissenschaft) wie Interviews ersetzen bzw. mit ihnen gleichgesetzt werden?
Es sollen also YouTube-Kommentare betrachtet werden, um anhand dieser zu ermitteln, wie und ob ihre Verfasser*innen dem Videoinhalt (also die experimentelle Musik) gemäß der von Brenda Derwin entwickelten Sense-Making-Theorie Sinn geben.
Aus diesen Überlegungen resultiert das vorliegende Forschungsprojekt, in welchem anhand vier prominenter Beispiele von experimenteller Musik versucht werden soll, diese Fragen zu beantworten.
Nach jetzigem Kenntnisstand wurde ein solches Forschungsvorhaben noch nicht realisiert, weshalb sich hier selbstständig ein theoretisches Grundgerüst zusammengestellt wurde. Dabei erfordert die Forschungsfrage interdisziplinäre Denkweisen und so flossen vor allem Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Musikwissenschaft und Kognitionswissenschaft in die Arbeit ein.
Die Musikwissenschaft setzt sich schon seit vielen Jahren mit experimenteller Musik auseinander, eine einheitliche theoretische Definition konnte dabei (noch?) nicht entstehen. In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, der Leserschaft eine kurze Einführung zu experimenteller Musik zu geben, deren Ziel ist, die Neuheiten und Herausforderungen gegenüber konventioneller Musik und damit ihren für manche schwer zugänglichen Charakter kenntlich zu machen.
Die Sense-Making-Theorie wurde durch die Beiträge von Brenda Dervin und ihrem Umfeld umfassend dargelegt. In der vorliegende Studie musste von der üblichen Anwendung jener Theorie, die mit Tiefeninterviews arbeitet, abgewichen werden (s. Anwendbarkeit auf den Gegenstand).
Die Relevanz von YouTube ist längst unumstritten und die Plattform als Phänomen des modernen Medienkonsums in der Medien-und Kommunikationswissenschaft etabliert. Es erscheinen stetig neue, teilweise sehr umfangreiche Forschungsbeiträge, welche versuchen diese Plattform abzubilden. Die Musikwissenschaft hingegen hat noch Schwierigkeiten mit der Analyse von und um YouTube.
Auch wenn verschiedene Forscher*innen diverse Beiträge zu YouTube veröffentlichten, sind auf diesem Gebiet zahlreiche Bereiche nicht oder nur spärlich betrachtet worden. Darunter fällt auch die Analyse von Kommentaren auf YouTube. Bisherige Studien beschäftigten sich beispielweise mit Hate-Speech1 oder auch Moral unter Let’s-Play-Videos.2
Somit bildet die vorliegende Arbeit einen vielversprechenden Versuch, birgt aber auch allerlei Herausforderungen. Sie unternimmt den Versuch die Sense-Making-Theorie auf YouTube-Kommentare anzuwenden, was eine gänzlich neue Methode darstellt, konstituiert einen Beitrag zur Forschung zu YouTube-Kommentaren und betrachtet YouTube und die dort getätigten Kommentare aus einer musikwissenschaftlichen Perspektive. Letzteres könnte auch relevant oder sogar ein Blick in die Zukunft für die Rezeptionsforschung sein.
Um dem Forschungsvorhaben entsprechend zu begegnen, sollen zunächst einige theoretische Vorüberlegungen angestellt und der für diese Studie verwendete Methodenmix vorgestellt werden. Im Anschluss wird ein Überblick über die hier analysierten Stücke gegeben und jeweilige Charakteristika ausgearbeitet, die im weiteren Verlauf zu Vergleichen mit den YouTube-Kommentaren herangezogen werden. An diese Überlegungen schließt sich die Durchführung an, in welcher die gewählten Beispiele und der Prozess der Kodierung erläutert werden. Dem folgen die Auswertung mit einer entsprechenden Thesenbildung und das Fazit.
Die gegebene Möglichkeit, die Forschungsarbeit als eine Website zu präsentieren, bietet in diesem Kontext mehrere Vorteile. Einerseits gibt es das Reitermenü, welches sich an der Gliederung der Arbeit orientiert und gleichzeitig das Inhaltsverzeichnis darstellt, und gemeinsam mit möglichen Verlinkungen in den Textabschnitten eine intuitive, leichte Navigation ermöglichen. Andererseits bietet diese Darstellungsform die Möglichkeit multimediale Inhalte zu implementieren, was bei der Betrachtung von multimedialen Inhalten vorteilhaft ist. Zudem ist durch Pop-up-Fenster, Tab-Strukturen und andere gestalterische Möglichkeiten eine Übersichtlichkeit gegeben, die in einer Papierform nicht möglich wäre.
Im Fußbereich der Website findet sich ein Link zum vollständigen Literatur- und Quellenverzeichnis und ein Downloadbereich, in welchem der bei der Arbeit erstellte Datensatz heruntergeladen werden kann. Leider konnte die MAXQDA-Datei aufgrund des Dateiformates nicht hochgeladen werden, sodass die Kodierung nicht nachvollzogen werden kann. In den Excel-Tabellen (auch als PDF) befinden sich alle analysierten Kommentare.
Anmerkungen und Einzelnachweise
[1] Beispielsweise der Aufsatz von Amarasekara, Inoka; Grant , Will J, Exploring the YouTube science communication gender gab: A sentiment analysis , URL: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0963662518786654#_i5, letzter Zugriff: 04.07.2022. Dieser Aufsatz wurde vom Spiegel (Puttfarcken, Lena, “Ich starrte nur auf ihre … Augen” , URL: https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/youtube-frauen-bekommen-haeufiger-feindliche-kommentare-a-1219124.html, letzter Zugriff: 04.07.2022) und der Zeit (Kienzl, Philipp, Warum YouTube ein feindliches Umfeld für Wissenschaftlerinnen ist , URL: https://www.zeit.de/zett/politik/2018-07/warum-youtube-ein-frauenfeindliches-umfeld-fuer-wissenschaftlerinnen-ist, letzter Zugriff: 04.07.2022) rezipiert.
[2] Vgl. Fischer, Sebastian, Moralische Spiele auf YouTube, in: Digitale Kultur und Kommunikation, hrsg. von Kai-Uwe Hugger, u.a., Bd. 10, URL: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-34995-0, letzter Zugriff: 04.07.2022)