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Experimentelle Musik

Versuch einer Definition1

Den Startpunkt der Entwicklung der experimentellen Musik festzulegen, scheint eine unmögliche Aufgabe. Sicher ist jedoch, dass die Strömung sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausbildete. Merkmale dieser Strömung können ganz unterschiedliche sein. Manche sagen, dass experimentelle Musik probiere zu definieren, was Musik sein könne oder sie die Grenzen und Fesseln der (bisher bekannten) Musik ablege. Braucht sie Melodie, Rhythmus, Harmonie und Struktur? Sind Instrumente oder ausgebildete Musiker*innen nötig, sie aufzuführen?2

Es gibt mehrere Aspekte, die das Experimentelle in die Musik bringen. Im Laufe der Auseinandersetzung mit experimenteller Musik innerhalb eines Seminars im WS 2020/2021, dass die Autor*innen besuchten, wurden folgende Kernpunkte erarbeitet:

  1. Ergebnisoffenheit und/oder Unvorhersehbarkeit und/oder kontingente Prozesse.
  2. Aufbrechen musikalischer Gewohnheiten und Traditionen (auch bei Werkschaffenden, -aufführenden und Publikum) zugunsten gänzlich Neuem.
  3. protowissenschaftliches Vorgehen beim Experimentieren. 

Einerseits verschiebt sich etwas von der Macht bzw. Deutungshoheit der Komponist*innen auf die aufführenden Personen. Andererseits werden in die Kompositionen Aspekte des Unvorhersehbaren eingebunden, so dass Dinge passieren und erklingen können, die zuvor nicht planbar waren – wie bei einem Experiment. Durch wiederholtes Durchführen des “Experiments” sind seine Ergebnisse immer unterschiedlich. (1)

Das kann hervorgerufen sein durch eine neue Art der Notation bzw. Spiel- und Handlungsanweisungen für die Performer*innen, die sich auf ein Ereignis oder deren Stimmung während der Spielsituation beziehen (z.B. Cornelius Cardews Schooltime Special (1968)). Andere Mittel des Experimentellen sind z.B. die Nutzung des Zufalls für das Komponieren,3 der Verwendung von unkonventionellen Klangerzeugern oder das unkonventionelle Verwenden von bekannten und etablierten Instrumenten.4 Es werden also neue Klänge “erforscht”. Eine große Rolle spielt dabei auch, wie die von den Komponist*innen festgelegten “Regeln” des Werkes und das daraus resultierende Konzept von den Aufführenden interpretiert und durchgeführt werden (Machtverschiebung s.o.).5 (2)

Um den Vergleich zwischen einem Werk und einem Experiment herzustellen: die Werkschaffenden überlegen sich ein Experiment, legen die benötigten Materialien, den Raum und Handlungsanweisungen, also Regeln, fest. Weiterhin kann man an dieser Stelle die zentrale Charakteristik eines wissenschaftlichen Experimentes – die Wiederholbarkeit, welche sich durch einen gleichen Versuchsaufbau auszeichnet – vermuten. Die Werkaufführenden machen sich mit den Regeln vertraut und führen das Experiment nach ihrem Verständnis durch, während das Publikum das Experiment beobachtet, analysiert und auswertet. (3)

Doch nicht nur für Komponist*innen und Aufführende brachte diese Strömung Neuerungen mit sich; auch das Publikum wurde vor neue Herausforderungen gestellt.6 Experimentelle Musik bricht mit den Hörgewohnheiten des Publikums und fordert eine Reflexion des bisherigen klanglichen und konzeptionellen Verständnisses von Musik. Jeder Mensch ist anders sozialisiert, gebildet und hat daher andere Vorlieben, die bei der Rezeption und der Interpretation einfließen. Dies macht den Zugang zu experimenteller Musik unterschiedlich leicht oder schwer. Daher ist es spannend, die Reaktionen von Hörer*innen/Zuschauer*innen ausgewählter Werk-Beispiele anhand von YouTube-Kommentaren zu untersuchen.

Einzelnachweise und Anmerkungen:

[1] Zu dem Thema wurden ganze Bücher verfasst, hier eine kurze Definition von experimenteller Musik zu verfassen, soll nur eine groben Orientierung dienen und stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine interessante Dokumentation zu dem Thema läasst sich auf YouTube finden: The Rise of Experimental Music in the 1960s documentary (2005), URL: https://www.youtube.com/watch?v=nKPFggCNt_o“, letzter Zugriff: 05.11.2021.

[2] Vgl. Nyman, Michael, Experimental Music: Cage and Beyond, in: Music in the Twentieth Century, Cambridge 1999, S. XII.

[3] Vgl. ebd. S. 6.

[4] Vgl. ebd. S. 20f.

[5] Vgl. ebd. S. 18f.

[6] Vgl. ebd. S. 22ff.