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Die Kategorie „nicht auswertbar“ weist von allen Kategorien die höchste Ausprägung auf. Das ist darauf zurückzuführen, dass es zum Einen unmöglich ist eine klar abgegrenzte Zuordnung vorzunehmen, zum Anderen entfällt auch die Möglichkeit zur Rückfrage bei Unklarheiten.
Ein Kommentar, welcher lediglich in schriftlicher Form zu analysieren ist, kann auch nur durch den oberflächlichen Inhalt bewertet werden. Neben elementaren und zur Interpretation notwendigen Bestandteilen der zwischenmenschlichen Kommunikation, wie Sprachdynamik, fehlen zudem Gestik und Mimik. Abhängig davon mit welcher Körpersprache und welchem Gesichtsausdruck und -veränderung eine informative Botschaft an eine andere Person übermittelt wird, kann unter anderem Ironie und Emotionalität interpretiert werden. Diese Faktoren können in diesem Medium nicht genutzt werden, sodass die einzige interpretative Information aus den geschriebenen Wörtern entnommen werden können.
Hinzu kommt die Schwierigkeit der „Internet-Sprache“. Diese basiert zum Teil auf Symbolen, Abkürzungen und Smileys/Emojis, welche manchmal nur schwer konkret zu definieren sind.
„lol“
Kommentar unter Mikrophonie, Nr. 91
Nichtsdestotrotz könnten Emojis und Smileys ebenfalls in eine Betrachtung mit einbezogen werden. Das ist allerdings nur möglich, wenn diese im Kontext mit vorherigen Kommentaren untersucht werden. Insgesamt umfassen die Smileys und Emojis etwa 5-7% aller Kommentare innerhalb dieser Kategorie. In dieser Arbeit wurden eben diese nicht betrachtet, da diese vor dem Hintergrund der Sense-Making-Theorie zu wenig Informationen bieten würden. Es wäre also möglich in einer Folgestudie weitere Ergebnisse daraus zu ziehen.
Ein weiterer Einflussfaktor auf die Auswertung kann die geschriebene Sprache haben. Einige der Kommentare konnten selbst unter Zuhilfenahme von Übersetzungstools nicht klar verstanden werden und eine inhaltlich sinnvolle Auswertung war unmöglich. So waren etwa 10-15% aller Kommentare in dieser Kategorie durch Sprachbarrieren nicht auswertbar.
Da sich diese Arbeit ausschließlich mit der Wirkung der Musik und ihrer Performance auf die Rezipient*innen beschränkt, wurden auch Kommentare als „nicht auswertbar“ kodiert, die sich mit anderen Inhalten befasst haben. Als Beispiel dient folgender Kommentar:
„1:05 hey Vsauce Michael here“
Kommentare unter Pendulum Music, Nr. 248
Grundsätzlich bringt diese Kategorie, welche knapp 32% aller Kommentare beinhaltet, keine direkten Ergebnisse für die Sense-Making-Theorie. YouTube als Untersuchungsgegenstand ist vom Informationsgehalt stark eingegrenzt, sodass die Kategorie „nicht auswertbar“ alle Kommentare umfasst, welche für die Theorie keinen informativen Mehrwert bietet. An dieser Stelle ist es wichtig zu sagen, dass lediglich die genutzte Methode und ihre Kriterien zum Ausschluss der Kommentare geführt hat. Andere Forschungen mit anderen Schwerpunkten können allerdings von den inhaltlichen Informationen profitieren.
Beispielsweise könnten mit dem Zugang zu besseren Übersetzungsmöglichkeiten einige Sprachbarrieren umgangen werden, sodass auch hieraus nützliche Informationen gezogen werden könnten.
Ebenfalls ist eine kontextuelle Betrachtung der Emojis eine Basis, die möglicherweise neue Erkenntnisse bringen kann. Emojis umgehen sprachliche Differenzen, können Emotionen bildlich leicht darstellen und können Aussagen eine ansonsten fehlende Emotion mitgeben.
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Es kann festgestellt werden, dass eine Vielzahl der auswertbaren Kommentare die für den Kommentarbereich von YouTube gewöhnliche Knappheit aufweisen. Es handelt sich bei dieser Annahme jedoch eher um eine oberflächliche Beobachtung, als eine durch Mittelwerte und Vergleiche belegte Aussage.
Die meisten Kommentare umspannen einen Umfang von mindestens wenigen Worten bis hin zu zwei bis drei Sätzen. Durch die eng gezogenen Grenzen bleibt den eigentlichen Aussagen und der Argumentation nur wenig Platz. Folglich sprechen die kommentierenden Personen üblicherweise nur einen Punkt an und erläutern diesen (wenn überhaupt) mit einer sehr überschaubaren Argumentation.
Versucht man, eine Erklärung für die Kürze zu finden, so muss man zunächst feststellen, dass im Kommentarbereich von YouTube keine „technische Hürden“ ausfindig gemacht werden können. Das sieht bei anderen Plattformen, wie beispielsweise bei der Mikroblog-Plattform Twitter, anders aus. Dort ist die Anzahl der möglichen Zeichen auf 280 Zeichen/ Tweet limitiert.1
Damit rückt die Vermutung in den Vordergrund, dass die Praxis des Schreibens von kurzen, sich meist auf einen Satz beschränkenden Kommentaren „üblich“ für den Kommentarbereich unter YouTube-Videos seien.2
Ungeachtet der Suche nach einer Begründung für die Kommentarlänge, muss zunächst festgehalten werden, dass die bedeutende Mehrheit der auswertbaren Kommentare als unspezifisch und oberflächlich bezeichnet werden können.3
Selbst die unternommene Unterteilung einiger Kategorien in „spezifisch“ und „unspezifisch“, erscheint angesichts der Zusammensetzung der sortierten Kommentare als sehr optimistisch.
Wie bereits vorher problematisiert, lassen die Kriterien der Einordnung einen großen Spielraum zu, was sie sehr sensibel werden lässt. Beispielsweise war das Vorhandensein eines Argumentationsindizes innerhalb eines Kommentars bereits ausreichend, um eine Meinungsäußerung als „spezifisch“ charakterisieren zu können. Es galt folglich die Prämisse erkennen oder vermuten zu können, worauf sich die kommentierende Person bezieht.
Hätte man jedoch den Anspruch einer lückenlos nachvollziehbaren Argumentation an den Datensatz gestellt, so wäre ein Vielfaches der Kommentare als “unspezifisch” zu charakterisieren gewesen.4 Jedoch wäre ein solcher Anspruch nicht zielführend für diese Art Untersuchung gewesen.
Wie bereits festgestellt, ist aufgrund der Kürze der Kommentare anzunehmen, dass die große Mehrheit der zu analysierenden Beiträge nicht sehr ausführlich und demzufolge stark oberflächlich ausfallen. Dies konnte unter anderem dadurch beobachtet werden, dass vor allem meinungsbezogene Kategorien, wie „Zustimmung“ und „Ablehnung“ nur sehr selten eine tiefer gehende Argumentation aufweisen.5 Zwischen „unspezifisch“ und „spezifisch“ liegen zumeist nur wenige Indizien, wie beispielsweise die Begründung, dass man das Stück wegen des „Klanges“ mag oder nicht. Manchmal finden sich aber auch mehr Inhalt, um der eigenen Meinung eine Grundlage zu geben. So kritisiert ein Kommentar beispielsweise den „Kunstgehalt“ der Idee, Mikrofone von der Decke hängen zu lassen, um dann „lästige Geräusche zu machen“, wozu die „eigene Waschmaschine“ auch fähig wäre (Kommentar unter Pendulum Music Nr. 152).
Bei der großen Mehrheit der Kommentare verbleiben die Autor*innen bei dieser einfachen Struktur (Aussage mit max. 1-2 Argumenten) ohne in eine tiefere Argumentation(-skette) einzusteigen.
In den meisten Kommentaren der Kategorie „Ablehnung“ wird, wie oben zu sehen, lediglich dem eigenen Unmut Platz gegeben, ohne den „Spieß umzudrehen“ und das eigene Verständnis von Musik abzustecken.
In seltenen Ausnahmen finden sich aber auch Kommentare, welchen genau das entnommen werden kann. Beispielsweise wird im Kommentar 051-13 unter dem Video Water Walk die Abgrenzung von „Musik“ zu „Sound“ in Abhängigkeit zu einem zugrunde liegenden „Beat“ und damit dem Metrum gesetzt.
“It’s just as easy to define the difference between music and sound as it is to define the difference between speech and sound.
Music is the purposeful creation and corralling of sound, in meter.
Of those 5 criteria only the last is required for music to occur: meter. Without a beat we have to be told that „music is occurring“ which, if you have to be told that a form of communication is being used, then that attempt to use that form has failed.
You can use any sound in the production of music but it won’t be recognized as music unless there’s a defined beat that can be discerned by the listener.
This is why people can tell the difference between speech and rap.
John Cage didn’t understand music.”
Kommentar unter Water Walk 051-13
Dies wird auch argumentativ mit dem Bezug zum „Rap“ unterlegt, welcher sich demnach nur durch einen Beat vom „Sprechen“ unterscheidet.
Die im Kommentar getroffene Schlussfolgerung, dass Cage die Musik „nicht verstanden“ hätte, scheint insbesondere angesichts der detaillierten Notation und der zeitlichen Abstimmungen hinter den tonerzeugenden Handlungen bei Water Walk eher problematisch, jedoch soll an dieser Stelle keine Bewertung der Richtigkeit getroffen werden.
Viel wichtiger ist zunächst der Einblick in die Vorstellung die entsprechende Person von „Musik“ und ihrer Definition, was mit Blick zur Sense-Making-Theorie Rückschlüsse auf den metaphorischen Rucksack („Kontext“) der Person zulässt.
Die Bezugnahme zu Rap, eröffnet eine weitere zentrale Ebene für mögliche Rückschlüsse, um den Prozess des Sense-Making als Bauen einer Brücke nachvollziehen zu können. Die meisten Kommentare nehmen Bezug zum „Alltäglichen“ und „Bekannten“, also aus dem öffentlichen Leben. Das ist auch sehr gut an dem oben genannten Vergleich zum Rap zu sehen, welcher in fachlich-wissenschaftlichen Auseinandersetzungen wahrscheinlich eher weniger Fürsprache bekäme. Solche Bezüge lassen sich aber insbesondere in der dafür ausgelegten Kategorie „Vergleiche“ erkennen, in welcher Parallelen zu popkulturellen Beispielen aus Musik, Film und Fernsehen auffallend häufig zu finden sind.
Dazu lassen sich auch stellenweise Vergleiche zu diversen Internetphänomenen finden, welche jedoch stärker in der Kategorie „Ironie/ Humor“ auftreten. In Anbetracht der Umgebung (YouTube-Kommentarbereich) erscheint dies erwart- und nachvollziehbar.
Der überwiegende Teil der Bezugnahmen ist in der Subkategorie „Musik“ zu finden. Neben den Versuchen den Videoinhalten eine Genrebezeichnung zu geben, finden sich auch direkte Beispiele zu „ähnlich klingenden“ oder „gut hinein passenden“ Musikbeispielen aus der (vermutlich) eigenen Hörerfahrung.
Andere Kommentare beinhalten einen eher humoristischen Vergleich zur Musik, wie beispielsweise der Verweis bei 4‘33‘‘ auf den von Simon & Garfunkel 1964 erstmals erschienenen Song „Sounds of Silence“ (Kommentar 027) oder auch die Bezüge zu Swing bei Pendulum Music, welche primär auf dem Wortwitz beruhen dürften, als auf die musikalische Gattungszuordnung (Kommentar 077).
Ein ins Auge stechendes Beispiel ist die Bezugnahme in Pendulum Music zu Vince Staples: „Norf Norf“. Grundlage dafür bietet der Höreindruck, dass sich das zugrunde liegende Sample des Hip Hop-Tracks durchaus dem besonderen Klang von Pendulum Music ähnelt. Aufgrund dieser Besonderheit, welche in einigen Kommentaren auch direkt benannt wird (Bsp: 071-08/ -09), finden sich im Kommentarbereich sehr viele Referenzen zu „Norf Norf“. Dabei wird in den meisten Fällen entweder der Song, bzw. der Interpret direkt benannt (071) oder Teile des Songtextes zitiert (254, 254-1). Bei Letzterem handelt es sich um eine Antwort auf einen vorangegangenen Kommentar, in der ein weiterer Vers des Songtextes als Fortsetzung zitiert wird.
Warum insbesondere dieser Bezug so erfolgreich unter dem Video ist, lässt sich an dieser Stelle nur vermuten und könnte mit der Dynamik von Echokammern vergleichbar sein, in welcher die kommentierenden Personen sich durch das wiederholte Schreiben des Vergleiches bestätigen und darüber ein Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen (insbesondere bei dem Fortführen der Lyrics kann man diesen Effekt vermuten). Gleichsam können die Personen aus einer bereits existierenden Community auf das Video gestoßen sein, was innerhalb dieser Community dann viral ging. Daraus kann das Schreiben eines entsprechenden Kommentars als Aufzeigen der Präsenz vermutet werden.
Einen ähnlichen viralen Effekt kann man auch unter 4‘33‘‘ erkennen, wenn man einen Blick auf die Kategorie „Ironie/ Humor“ wirft. Dort ist insbesondere die Annahme, dass „nichts gespielt“ würde ein zentrales Motiv, welches immer wieder und auf unterschiedlichste Weise aufgegriffen wird. Entgegen des obigen Beispiels ist weniger davon auszugehen, dass eine Community existiert, welche sich der Kritik am „Nichts Spielen“ verschrieben habe. Aber man kann durchaus die These in den Raum werfen, dass eine kanaleigene Community und Fangemeinschaft existiert, welche 4‘33‘‘ vielleicht auf dieser Ebene kritisiert. Jedoch muss diese Annahme als sehr strittig gesehen werden.
Dazu kommt, dass 4’33’’ vergleichsweise regelmäßig in musikjournalistischen und populärwissenschaftlichen Beiträgen vertreten ist und es unter anderem dadurch eine gewisse Bekanntheit in der öffentlichen Wahrnehmung erlangt hat.
Einerseits bedeutet das, dass mehr Menschen über das Konzept informiert werden und somit der Kritikpunkt abgeschwächt wird, andererseits kann durch die zunehmende Bekanntheit auch die Anzahl der Kommentare zunehmen, welche diese Form von Kritik äußern.6
Außerdem ist die Annahme, dass „nichts gespielt“ würde zumeist der Aufhänger bei der Berichterstattung über das Stück. Durch diese große – wohl sensationsgesteuerte – Präsenz dieses Cage’schen Konzepts nicht entsprechenden Annahme könnte auch vermutet werden, dass das “Nichts Spielen” also eher im Gedächtnis der Rezipierenden bleibt, als die Erläuterung zum eigentlichen Konzept.7
Wie genau die Dynamiken hinter den erhöhten Aufkommen bestimmter Bezugspunkte/ Annahmen sind, kann an dieser Stelle nicht final festgestellt werden, weil nötige Hintergründe nicht bekannt sind. Eine Vermutung kann sein, dass der Faktor der Suche nach Bestätigung und das Phänomen des „Auf-den-Zug“-Aufspringens durchaus einen Einfluss darauf haben können.
Andere Inhalte, welche auf „fachliches“ Wissen zurückgreifen, wurden in die Kategorie „Information“ eingeordnet. Hierbei wird in den meisten Fällen jedoch auf tiefergehende Erläuterungen verzichtet und eher eine Art „Fact-Dropping“ betrieben – eine ähnliche Struktur/ Dynamik, wie weiter oben bereits beschrieben.8 Die Kommentare stellen dabei jedoch meistens eine Mischung aus „Fakt“ und der subjektiven Bewertung dessen ein, was vermutlich mit der Eigenart von Kommentaren zusammenhängen wird.
Interessanterweise ist die Subkategorie „Konzept“ am ausgeprägtesten in der Gesamtdarstellung des Datensatzes. Dort wird in vielen Fällen auf die recht offene und zum Teil philosophisch klingende Frage: „Ist das eigentlich Musik?“ eingegangen. Dabei wird auch Cages getroffene Aussage „Everything we do is music“ auf unterschiedlichste Weise zitiert (Water Walk 111-2).
Es finden sich jedoch auch detaillierte Aussagen zu dem Konzept und der zugrunde liegenden Idee des jeweiligen Komponisten. Kommentar 134 zitiert beispielsweise einen Lexikoneintrag zu 4‘33‘‘ und im Kommentar 018-2 unter Mikrophonie I wird der technische Ablauf erklärt. Unter Pendulum Music setzt der Kommentar 014-02 das Konzept in den Geist des Dadaismus. Weiterhin finden sich unter Pendulum Music auch verschiedene Versuche einer physikalischen Erklärung (Bezug auf Feedback, Dopplereffekt, etc.). Interessant ist die Tatsache, dass viele unterschiedliche Informationen im Kommentarbereichen vorgefunden werden können. Echokammerdynamiken, wie beispielsweise oben behandelt, können nicht wirklich vermutet werden, schon gar nicht in der Ausprägung der oberen Beispiele. Da die Subkategorien noch recht allgemein gehalten sind und folglich viel Spielraum zulassen, erscheint diese Vielfalt auf den ersten Blick etwas eingetrübt.
Interessanterweise handelt es sich bei den meisten Kommentaren, welche auf das Konzept zu sprechen kommen, um Antworten, die dann dazu dienen sollen zu hinterfragen, einzuordnen oder schlicht die eigene Meinung fundierter wiederzugeben. Damit bilden sich immer wieder kleinere Diskurse, welche im Rahmen weiterer Untersuchungen durchaus vielversprechende Gegenstände bieten. Für die Sense-Making-Theorie kann man an diesen Stellen auch Rückschlüsse auf Situation und Quelle ziehen, indem man beispielsweise das Lesen eines Kommentars bevor man darauf antwortet voraussetzt.
Einen besonderen Fall bildet in diesem Zusammenhang die als nicht auswertbar eingeordnete Kategorie „Diskussion“, welche allein für Mikrophonie I erstellt wurde. Hier findet eine Diskussion zwischen hauptsächlich zwei Akteuren statt. Ohne an dieser Stelle inhaltlich darauf einzugehen, ist hier eine Auseinandersetzung zu finden, welche im Kontext der analysierten Kommentare in Bezug auf den Inhalt und der Ausführlichkeit einzigartig ist und damit eine Ausnahme bildet.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die überwiegende Mehrheit der Bezugnahmen in den analysierten Kommentaren „aus dem Leben gegriffen“ sind, was angesichts der Öffentlichkeit der Videos in der damit verbundenen Reichweite durchaus plausibel erscheint.
Neben der für Kommentare typischen und zu erwartenden Präsenz der eigenen, subjektiven Meinung finden sich Argumente, welche einer breiten Öffentlichkeit als gut nachvollziehbar erscheinen könnten.
Ob der Inhalt dieser Kommentare nun deswegen so gestaltet ist, weil die kommentierende Person nur diese Bezugnahmen bekannt und möglich sind, oder sie bewusst aus Gründen der Aufmerksamkeit gegenüber den potenziellen Leser*innen gewählt wurde, lässt sich an dieser Stelle nicht final klären.
Interessant sind auch die viralen Dynamiken bestimmter Kommentare, welche den gleichen Inhalt teilen und vermutlich am ehesten mit Echokammern verglichen werden können. Der Wille des Dazugehörens, das Aufspringen auf den Zug oder auch das Bilden/ Repräsentieren einer Community zeigen mögliche Eckpunkte für Rückschlüsse in Bezug auf die Sense-Making-Theorie. Beispielsweise wenn man nach der Situation, der Quelle oder auch der Relevanz fragt.
Viralität lässt sich auch bei Topkommentaren erkennen, jedoch soll das an dieser Stelle nur erwähnt bleiben und möglicherweise die Grundlage einer tiefer gehenden Forschung bilden.
Ungeachtet des tatsächlichen Motives kann aber festgehalten werden, dass ein wichtiger Baustein der Kommentare die öffentliche Zugänglichkeit ist, welche sich in diesem Medium (YouTube) vor allem an popkulturellen Vergleichen und typischen Humormustern, welche der “Internetkultur” entstammen, manifestiert.
Jedoch bildet sich auch das etwas gegenteilige Bild von informierten/ informationsinteressierten Personen ab. Auch wenn die betreffenden Inhalte nicht ansatzweise mit wissenschaftlich geführten Auseinandersetzungen verglichen werden können, so finden sich dennoch kurze Erläuterungen, Einordnungen und gelegentlich auch kurzen Diskussionen. Diese sich durch eine große inhaltliche Vielfalt auszeichnenden Kommentare beinhalten teilweise auch Zitate und in seltenen Fällen Literaturhinweise, alles wichtige Elemente, um Rückschlüsse im Sinne der Sense-Making-Theorie zu ziehen.
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Eine der Fragen, die dieser Arbeit zu Grunde liegen ist, welche direkten Hinweise und Aussagen sich in den Kommentaren über ihre Verfasser*innen finden lassen, also welchen Kontext, welche Quellen, Ausgangssituationen und Relevanzen sie bezüglich der bereits erläuterten Sense-Making-Theorie preisgeben.
Die in der vorangegangenen These getroffenen Aussagen basieren auf einem als „indirekt“ charakterisierbaren Kommentarinhalt. Das bedeutet, dass die Aussagen erst durch eine entsprechende interpretatorische Leistung in den entsprechenden Bezug gesetzt werden können. Dort lässt sich die große Mehrheit der analysierten Kommentare verorten. Eine Minderheit (Kategorie „Sonstiges“ mit insgesamt 8,72%) beinhaltet jedoch „direkte“ Aussagen, welche in den Kontext der Sense-Making-Theorie gesetzt werden können.
Bei bisherigen Studien zur Sense-Making-Theorie bildeten Tiefeninterviews die übliche methodische Herangehensweise. Diese konnten hier zum einen aufgrund der gewählten Methoden und zum anderen wegen des besonderen Forschungsgegenstandes nicht durchgeführt werden. Dennoch sind Rückschlüsse mithilfe der freiwilligen Angaben in den Kommentaren möglich. Diese ersetzen natürlich keine standardisierten Tiefeninterviews, lassen aber eine erste grobe Einordnung zu.
In diesem Versuch zeigt sich nur bedingt eine Anwendbarkeit.
Eine Zuordnung ließ sich am besten tätigen, wenn die kommentierende Person Angaben darüber machte, wie sie auf das Stück oder Video gestoßen sei, sich selbst charakterisierte
“[…] i’m a huge fan of reich.”
Kommentar unter Pendulum Music Nr. 032
oder mit Zitaten und Quellenverweisen arbeitete.
“…according to Wikipedia – ‚Music is an art form and cultural activity whose medium is sound organized in time.‘ – so, yes it is…”
Kommentar unter Waterwalk 011-03
Dabei stellt sich auch die Frage weshalb die kommentierende Person diese Angaben macht? Dieser Frage kann in diesem Zusammenhang nur mit Vermutungen begegnet werden, da lediglich auf die Kommentare an sich geschaut werden kann. Eine mögliche Motivation wäre der Versuch, den Inhalt des Kommentars auf diese Weise zu unterlegen und seine Aussage damit als Expertise zu legitimieren. Dies passiert durch das Heranziehen von Zitaten, dem Beifügen von Literaturverweisen oder auch durch die persönliche Charakterisierung als eine Person, welche sich viel mit dem jeweiligen Kontext auseinandergesetzt haben könnte.
Ob man nun durch diese Form des öffentlichen Auftretens herausstechen (eigennützig) oder schlichtweg weiteren Input an die Lesenden generieren möchte (uneigennützig), kann an dieser Stelle nicht unterschieden werden.
Wie bereits erwähnt, haben die hier verwertbaren Angaben die geringste Ausprägung. Dennoch lassen sich zwei Ausnahmen unter den Videos von Mikrophonie I und Waterwalk finden Bei ersterem beziehen sich gut 14% der Kommentare auf den Kontext des Stückes oder auf Quellen dazu. Bei dem Video Waterwalk ist die Besonderheit dessen Subkategorie Situation – Quora. Hierbei handelt es sich um die Angabe, dass die Kommentierenden durch einen Beitrag auf der Internetseite Quora9 zu diesem Video geführt wurden, was sie sich gegenseitig in den Kommentaren bestätigen. Eine naheliegende Vermutung bezüglich der Motivation der Kommentierenden ist die Generierung eines Zusammengehörigkeitsgefühls, was beispielsweise die Frage
„who’s from quora“
Kommentar unter Waterwalk Nr. 022
impliziert, und das „Sich-Zeigen-Wollen“.
Durch das Fehlen von Informationen und auch demographischen Daten der Kommentierenden können hier also nur Vermutungen bezüglich der Sense-Making-Theorie getroffen werden (s. These 1).
Im Kontext des hiesigen Forschungsgegenstandes wäre auch die Verwendung von Metadaten und Browserverläufen interessant, was jedoch ganz neue und vor allem datenschutzrechtliche Herausforderungen induziert.
Dennoch können bei diesen Kategorien (Situation, Quelle, Kontext) die schärfsten Vermutungen angestellt werden, da die Kommentierenden Informationen preisgeben, die in die Sense-Making-Theorie eingeordnet werden können. Dem muss jedoch entgegengehalten werden, dass die hier angewandte Methode zwar einige Einblicke ermöglichen und Trends abbilden kann, jedoch keine Möglichkeit besteht, valide Aussagen und fundierte Erkenntnisse zur Sense-Making-Theorie zu treffen.
Trotz des interessanten Potenzials für zukünftige Forschungsbeiträge, muss diesen eine Entwicklung einer geeigneten Methode vorhergehen.
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Anmerkungen und Einzelnachweise
[1] Golitschek, Nadja: So viel Platz! Twitter erhöht Zeichen-Anzahl auf 280, URL: https://medienkompass.de/twitter-zeichenbegrenzung-erhoehung-auf-280/ , letzter Zugriff: 05.07.2022.
[2] Die möglichen Einflussfaktoren dafür sollen an dieser Stelle nur erwähnt bleiben.
Eine zentrale Vermutung ist die über allem stehende Schnelllebigkeit des Mediums und die damit zusammenhängende Aufmerksamkeitsspanne der Personen, welche den Kommentar rezipieren. Inwieweit es sich möglicherweise um ein erlerntes Verhalten handelt, kann an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden
Auch braucht es möglicherweise nicht so viel Platz, um die persönliche Meinung zu einem Video darzustellen, beschränken sich die Kommentierenden doch meist auf eine sehr kurze Argumentation, was auch in dieser Studie gesehen werden kann. Wie sich diese Umstände (der zu vermittelnde Inhalt und die Kürze des Kommentars) gegenseitig bedingen, gleicht der Frage nach der Henne und dem Ei und soll und kann an dieser Stelle nicht final geklärt werden.
[3]. Bei dieser Aussage kann man durchaus die Frage nach dem Bezug stellen. Ein Vergleich zu anderen Beispielen auf YouTube oder Social Media im Allgemeinen würde sicherlich zu einem anderen Ergebnis kommen, als der Vergleich den Standards wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Die Suche nach einem Mittelweg, wie er hier unternommen wurde, kann durchaus als problematisch gesehen werden, bietet aber den gangbarsten Weg.
[4] Es wäre folglich denkbar ungeeignet für dieses Vorhaben solch einen Maßstab anzulegen.
[5] Da sich die Struktur der Argumentation gleicht, wird sich hier nur auf die Kategorie Ablehnung bezogen. Bei Zustimmung sieht es aber ähnlich aus, auch wenn es sich inhaltlich/ thematisch unterscheidet.
[6] Ein aktuelles Beispiel, welches zunächst auch etwas absurd erscheint, ist der Vergleich eines französischen Arte-Beitrages zwischen 4‘33‘‘ und dem Anfang April 2022 stattgefundenen Reddit-Events „r/place“; vgl. Stingy: r/place mentionné ce soir sur 28 minutes (sur Arte), URL: https://www.youtube.com/watch?v=KwrpXhZL1FU , letzter Zugriff: 05.07.2022.
[7] Diese Idee soll hier nur erwähnt bleiben, würde sie sonst zu tief in die Kognitionswissenschaft gehen.
[8] Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Faktes steht hierbei nicht im Zentrum.
[9] “Quora ist ein amerikanisches Unternehmen mit der Zielsetzung, im Internet Antworten auf konkrete Fragen zu geben.”, vgl. Quora Eintrag auf Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Quora , letzter Zugriff: 05.07.2022.