Die Komposition Mikrophonie I für Tamtam, 2 Mikrofone, 2 Filter und Regler entstand 1964. Sie folgte unmittelbar der „Komposition KONTAKTE für Elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, in der auf Tonband gespeicherte Elektronische Musik zum Spiel von 2 Instrumentalisten synchron über Lautsprecher wiedergegeben wird”.1 Stockhausen suchte nun „nach engeren Verbindungen von Elektronischer und instrumentaler Musik.”2
Zwei Performende versetzen das Tamtam mittels verschiedener Materialien in Schwingung, zwei bewegen Mikrofone mit ihrer Hand über die Fläche des Tamtams und eine dritte Gruppe transformiert3 die mit den Mikrofonen verstärkten Klänge mit elektrischen Filtern und Reglern, welche wiederum simultan (zu den Originalklängen des Tamtams) abgespielt werden.4 Beim Höreindruck der Rezipierenden verschmelzen also Instrumental- und elektronische Musik. Der Titel des Werkes sei ein Hinweis darauf, dass „normalerweise unhörbare Schwingungen (eines Tamtams) durch einen aktiven Prozeß des Abhorchens hörbar gemacht werden […]; das Mikrophon wird, entgegen seiner bisherigen passiven Funktion […] aktiv als Musikinstrument verwendet. Die Vorgänge der Klangverarbeitung und Tonband-Montage […] werden […] gleichzeitig mit der Klangerzeugung durchgeführt und das Resultat sofort hörbar gemacht.”5
Die Uraufführung des Werkes fand am 9. Dezember 1964 beim Brüsseler Musikfest Reconnaissances des musiques modernes statt.6
Die von Stockhausen geschaffene Partitur besteht aus 33 eigenständigen musikalischen Strukturen, die nach einem vorgeschriebenen Schema kombiniert werden. Dabei solle eine Struktur in Bezug auf die vorangegangene entweder ähnlich, verschieden oder gegensätzlich sein; eine Beziehung soll konstant bleiben, zu- oder abnehmen; folgende Struktur soll unterstützend, neutral oder zerstörend wirken.7 Zusätzlich in der Partitur vermerkt sind der Abstand zwischen Mikrofon(en) und Tamtam (auch der Abstand zum Erregungspunkt der Schwingung), der Rhythmus der Mikrofon-Bewegung und Bemerkungen zu den Filtern, die sich sowohl auf Klangfarbe, Tonhöhe, Dynamik, die räumliche Wirkung8 und den Rhythmus all dieser Strukturen auswirken. Aus der Notation für die Mikrofone deduzieren sich ebenfalls Dynamik, Klangfarbe, Tonhöhe und der räumliche Eindruck.9
Interessant ist auch, dass die gewünschten Klänge in ihrer Notation als ihr Effekt auf die Zuhörenden beschrieben werden.10 Robin Maconie beschreibt außerdem in seinem Aufsatz zu Mikrophonie I wie „Each sound and gesture in the work is audibly related to every other, and all contribute to a resonant image of the whole, the tam-tam itself”.11 Er findet es außerdem genial, wie das Stück ausschließlich aus abgeleiten Klängen konstruiert ist.12
Charakteristika für Mikrophonie I sind:
- die Aufhebung von Dualismus zwischen Instrumentalmusik und elektronischer Musik.
- die Verbindung von drei selbstständigen musikalischen Prozessen: Schallerzeugung, Schallaufnahme und dessen Transformation.
- eine Notation die sich u.a. auf die Hörwahrnehmung des Publikums bezieht.
- das Hörbarmachen von Schwingungen eines Tamtams, die ohne Mikrofon ungehört blieben.
- die Nutzung eines Mikrofons als Instrument und nicht als bloße Verstärkung von Klang.
Die Punkte 2, 3, 4 und 5 sind einerseits Teilaspekte, die dazu beitragen den Dualismus (1) aufzuheben, aber ebenso für sich stehen und eine Neuerung darstellen.
Einzelnachweise und Anmerkungen
[1] Vgl. Stockhausen, Karlheinz, Texte zur Musik, hrsg. von Dieter Schnebel, Bd. 3, Köln 1971, S. 57.
[2] Ebd.
[3] Dabei ist in der Literatur nicht eindeutig, aus wie vielen Personen die dritte Gruppe besteht. Es waren mindestens zwei Personen, doch bei Aufführungen auch mal drei, um genauer arbeiten zu können.
[4] Vgl. Stockhausen, Karlheinz, Texte zur Musik, hrsg. von Dieter Schnebel, Bd. 3, Köln 1971, S. 57.
[5] Ebd., S. 57 f.
[6] Ebd., S. 58. Etwas widersprüchlich dazu ist die Angabe der Fertigstellung des Werkes in Maconie, Robin, Stockhausen’s Mikrophonie I: Perception in Action , in: Perspectives of New Music, Bd. 3, Nr. 2, 1972, S. 92-101, auch online einsehbar unter URL: www.jstor.org/stable/832334, letzter Zugriff: 20.10.2021. Maconie behauptet, dass das Stück 1965 fertig gestellt worden sei (S. 101). Stockhausens Aussage als wahr zu interpretieren, liegt nahe.
[7] Bspw. „Ähnliches soll konstant unterstützen“ oder „Gegensätzliches soll zunehmend zerstören“, vgl. ebd., S. 61 und Chang, Ed, Mikrophonie I, in: Stockhausen: Sounds in Space, URL: http://stockhausenspace.blogspot.com/2014/05/opus-15-mikrophonie-i.html , letzter Zugriff: 20.10.2021.
[8] Wie nah, verhallt, weit entfernt etc.
[9] ] Vgl. Stockhausen, Karlheinz, Texte zur Musik, hrsg. von Dieter Schnebel, Bd. 3, Köln 1971, S. 61.
[10] Wie quakend, schnarrend, wispernd, etc., vgl Maconie, Robin, Stockhausen’s Mikrophonie I: Perception in Action , in: Perspectives of New Music, Bd. 3, Nr. 2, 1972, S. 101, auch online einsehbar unter URL: www.jstor.org/stable/832334, letzter Zugriff: 20.10.2021 und Chang, Ed, Mikrophonie I, in: Stockhausen: Sounds in Space, URL: http://stockhausenspace.blogspot.com/2014/05/opus-15-mikrophonie-i.html , letzter Zugriff: 20.10.2021.
[11] Maconie, Robin, Stockhausen’s Mikrophonie I: Perception in Action , in: Perspectives of New Music, Bd. 3, Nr. 2, 1972, S. 101, auch online einsehbar unter URL: www.jstor.org/stable/832334, letzter Zugriff: 20.10.2021.
[12] Ebd.