ANLAGEGOLD (Thema: Gold)
08.04.2020
Als sich in einem dieser ungebetenen Gruppenchats, der unerwartet ins Leben gerufen wurde, Ratschläge über die „Krise, die immer eine Gelegenheit“ für den Kauf von Goldbarren bietet, zu verbreiten begannen, überlegte ich wenigstens nicht lange: Sofort ging ich die Inventur meiner Goldsammlung an.
Im Frühjahr 2009 las ich akribisch Schulbücher im Bemühen, die zwei übersprungenen Jahre Kunst am mathematischen Gymnasium nachzuholen. Als ich die modernistische Ethik zusammenfasste, schrieb ich: Die Plastikschüssel, die Kristall nachahmt = Lüge. Kurz stellte ich mir so eine Schüssel aus Hartplastik im Küchenschrank vor. Lügnerin? Arme Schüssel, sie ist überhaupt nicht (so?) schlecht, es besteht keine Gefahr jemanden zu täuschen, flüsterte mein Gewissen. Ein paar Tage später, während ich aus einer herzförmigen Silberschachtel Pralinen aß, konnte ich nicht aufhören, den purpurfarbenen Samt zu streicheln. Die Schachtel ist nicht aus Silber, der Samt synthetisch und nicht aus Seide, aber diese Imitationen sind gut genug für meinen
billigen Geschmack. Meinen ganzen „echten“, rostfreien Schmuck, den ich von der Verwandtschaft zu Geburtstagen und anlässlich der Sakramente bekommen habe, brachte ich in ihr unter, die „lügenden“ Ketten und Ohrringe aus Fimo-Masse befanden sich irgendwo anders in einer vergessenen Schachtel.
Als Teenager verbrachte die feministische Autorin Margarete Stokowski Stunden damit, Schminktechniken im Badezimmer zu lernen, nur um sich das Angemalte und Schattierte vor dem Verlassen des Hauses wieder abzuwischen. Was für eine peinlich genaue Beschreibung meines Verhältnisses zu Kosmetik und Schmuck: Ich liebe ihn theoretisch, ich analysiere die Harmonie und Wirkung der Farben, aber sobald ich ihn anlege, fühle ich mich erstickt und belastet. Gefährlich und potenziell lächerlich ist es so auszusehen, als ob es euch interessiert, als ob ihr euch um euer Äußeres bemüht und am schlimmsten, wenn es euch nicht gelingt, gut auszusehen, sondern nur, als ob ihr es verzweifelt versucht, sagte mir die von Selbsthass verdrehte Logik. Abgesehen von der obsessiven, seriellen Monogamie mit einem mehr oder weniger verborgenen Stück – einer Uhr, einer Kette, einem Ring -, so lange, bis es vor Abnutzung verschwindet oder auf den Meeresboden fällt, ist meine intensivste Beziehung zu Schmuck jene mit der Schachtel. Ab und zu nehme ich alles vorsichtig heraus, wische den Staub ab und entwirre Verwickeltes (Wieso passiert das überhaupt, wenn ich es nie trage oder herausnehme?), mit den Ohrringen überprüfe ich, ob meine Ohren weiterhin für die ungetragenen Ohrringe durchlöchert sind.
Die gängigsten Farben von Goldlegierungen im Einzelhandel sind Weiß, Gelb und Rosé (Rot). Falls ihr es noch nicht getan habt, dies ist der Moment, um zu entscheiden, was euch am liebsten ist, und zu bedenken, was das über euch aussagt.
Gelbgold: Klassische Personen, die an zeitlose Schönheit glauben, Personen, die nicht lächerlich aussehen, wenn sie Bronzer tragen oder gebräunt sind, selbstbewusste Personen, die vielleicht vom Sternzeichen Löw:in sind, die kriminelle Unterwelt, die sich nach vergangenen besseren Zeiten sehnt.
Roségold: Handys und andere Gegenstände, die kein Schmuck sind, Millennials, Dekadenz aus dem Russischen Zarenreich.
Weißgold (mein Favorit): Ein Fünkchen alternativ, aber nicht zu viel, 1 sieht aus wie Silber, aber man muss es nicht polieren, glänzt durch seinen zurückhaltenden Glanz. Zugleich schmeichelt es meinem Wintertyp (Falls ihr nicht wisst, was eure Jahreszeit ist, taucht tiefer ein in diesen süßen Zeitvertreib und schaut hier nach).
Die „Echtheit“ (nicht nur) meines Goldschmucks ist etwas fragwürdig. Die Steinchen sind keine Diamanten, sondern Zirkonia, keine Smaragde, sondern grünes geschliffenes Irgendetwas (Glas? Plastik?). Das perfekte 24-karätige Gold ist zu weich und biegt sich unter seiner Perfektion, es ist nur geeignet für Anlagebarren und nicht für die Schmuckherstellung.
Die wichtigsten der Stücke, die ich manchmal trage, sind ein Ring mit einem roten Stein, der vorgibt, ein Rubin zu sein, und ein eiförmiger, blau-weißgoldener Anhänger, der vorgibt, das Erbe adliger Vorfahren aus der Republik Ragusa zu sein. Die Stücke, die ich niemals getragen habe, sind jene mit eingravierter Botschaft: Ein Armband in Kindergröße mit meinem Vornamen und Geburtsdatum – wie das Armband aus einer Entbindungsstation eingefroren in Gelbgold. Ein rechteckiger flacher Anhänger mit den schöngeschriebenen Buchstaben: „Für Lea zu ihrem 10. Geburtstag. Oma und Opa“. Untragbar und absurd, dachte ich lange. Heute scheint mir, dass gerade sie etwas Wertvolles in sich tragen. Gold verschenken bedeutete, einen bescheidenen materiellen Wert für, falls es so kommen wird, unsichere Zeiten anzuhäufen – für den Ankauf von Gold über Inserate mit einem grafischen Design, das bei niemandem Vertrauen hervorruft. Außerdem wird auf diskrete Weise ein Affekt bewahrt. Oma und Opa gibt es längst nicht mehr, aber ihr Minibrief auf dem Täfelchen ist noch hier. Er ist weder die Tafel von Baška, noch der Stein von Rosette, aber er erinnert deutlich an die Tatsache und die Umstände der Entstehung meiner selbst. Er spricht über das Jahr 2000, welches wir ohne Weltuntergang, auch nach der totalen Sonnenfinsternis am 11. August 1999, erfolgreich überlebt haben. Das waren reale Bedrohungen im Bewusstsein einer Zehnjährigen.
Meine bescheidene Sammlung betrachtend, sehe ich keine verbrecherische Lüge, Kitsch oder Spießbürgertum. Ich lehne es ab, geschmackvolle Stücke auszuwählen, die nicht lügen, weil ich entdeckt habe, dass alle seit der Entdeckung der Zentralperspektive (dreidimensionale Lügnerin!) ein bisschen lügen, nur dass die Lügen der Reichen geistreiche Witze sind, die Lügen der Armen jedoch vulgäre Unwahrheiten. Ich sehe die güldene Zeitreise-Maschine – ein zuverlässiger Ausdruck von Zärtlichkeit und Fürsorge – den wertvollsten fast wertlosen Barren.
1 Unzuverlässigen Angaben zum Verkauf von Trauringen zufolge scheint dies mein Irrtum zu sein: Weißgold war in den letzten Jahren so beliebt wie Gelbgold.
Übersetzt von Rebecca Braune
Original: „Investicijsko zlato“ von „Dekameron na Krilu“