Beitrag zur Summer School 2023 der Teilnehmerin Maria Whitten

Maria Whitten, eine Teilnehmerin der diesjährigen Summer School, hat einen Text über ihre Erfahrung geschrieben, den wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Er wurde ebenfalls auf der Website der Universität Regensburg veröffentlicht. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Graduate Summer School „Von Messing und Stein. Zur Forschung an Grabplatten des Mittelalters“ am Europäischen Romanikzentrum

In der zweiten Septemberhälfte dieses Jahres traf sich auf Einladung des Europäischen Romanikzentrums unter Federführung von Professor Dr. Klaus Krüger eine kleine, aber feine Gruppe Sepulkralkunstbegeisterter im Südflügel des Merseburger Domkreuzgangs im Rahmen der Summer School „Von Messing und Stein“. Veranstaltet wurde die Summer School von dem An-Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) Europäisches Romanik Zentrum (ERZ), dessen 2. Vorsitzender Professor Dr. Klaus Krüger ist. Er ist nicht nur Leiter der Abteilung für Historische Hilfswissenschaften am Institut für Geschichte der MLU sondern auch Kustos der prestigereichen Sammlungen des Zentrums für Manuelle Reproduktionstechniken der Sepulkralskulptur (ZeReSe) der MLU.

Etwa die Hälfte der Teilnehmer waren Angehörige der MLU, die übrigen kamen aus dem näheren und ferneren In- und Ausland. Die Teilnehmer setzten sich aus Promovend:innen und fortgeschrittenen Masterstudent:innen zusammen. Nach einer gemütlichen Kennenlernrunde gab Professor Krüger eine ausführliche Einführung in „Tod, Begräbnis, Memorialkultur im Mittelalter“, der einen Einstieg in das Thema Sepulkralkultur bot, aber auch dazu diente die Begrifflichkeiten für alle Teilnehmer:innen zu klären. Dabei ging er neben der Prozesshaftigkeit eines Grabmals auch auf verschiedene alte Reproduktionstechniken ein. Anschließend hielt der Leiter des Domstiftsarchiv und der Domstiftsbibliothek Merseburg, Markus Cottin, in den Räumen des ERZ im Domkreuzgang einen exklusiven Vortrag zu einem Manuskript des Merseburger Bischofs Thietmar († 1080) unter dem Titel „Das Thietmar-Fragment aus Corvey. Bedeutung, Kontext, Provenienz“. Herr Cottin entwarf dabei auch für die auswärtigen Teilnehmer ein Bild Merseburgs im Mittelalter und stellte ihnen die für Merseburg wichtigsten Persönlichkeiten aus dieser Epoche vor.

Die Summer School zu mediävistischer Sepulkralkunst war als Workshop konzipiert und Professor Krüger hatte nationale und internationale Spezialisten gewonnen für die Leitung der verschiedenen Workshops zu Reproduktionstechniken von Sepulkralkunst. Einer dieser Spezialisten war Michel Schadeck aus der Bretagne, der sich seit vielen Jahren der Technik der Frottage verschrieben hat (https://www.empreintes-medievales.fr/home). Dabei handelt es sich um eine spezielle Form der manuellen Reproduktion: In mehreren Schritten wird zunächst mit Paraffin direkt am Objekt gearbeitet, bevor die ungewachsten Stellen des Papiers mit Tusche bedeckt und nach dem Trocknen der Tusche schließlich das Wachs wieder abgenommen wird. Am Ende bleiben dabei die gehöhten Stellen weiß, während Vertiefungen durch die Tusche geschwärzt sind. Heraus kommt schließlich ein Positivbild des Originals, das insbesondere die Inschriften und Details des Reliefs deutlich macht und dadurch nicht nur der Konservierung solcher Kunstwerke dient, sondern auch die Forschung daran erleichtert. Nach einer Einführung in die Technik durch Herrn Schadeck im Seminarraum begab sich die Gruppe in den Dom, wo sich jede:r Teilnehmer:in ein geeignetes Objekt suchte und die Technik unmittelbar selbst ausprobieren konnte. Das Atelier de Frottage erstreckte sich aufgrund der Komplexität der Technik über mehreren Sitzungen. Es stellte sich heraus, dass Bronze sich am besten dafür eignet, auch mit Kalkstein lassen sich gute Ergebnisse erzielen. Lediglich grobkörniger Sandstein erwies sich als ungünstig für die Frottage.

Bildbeschreibung: Michel Schadeck zeigt an einem Beispiel wie die Tusche auf dem mit Paraffin behandelten Zeichenpapier verwendet werden kann um unterschiedliche Effekte zu erzielen.
Foto: Maria Whitten

Den Mittwoch verbrachten die Mitglieder der Summer School in Halle, im Archiv der Universität, wo sich auch das ZeReSe befindet. Aufgrund eines Wasserschadens war ein Besuch der Sammlung leider nicht möglich, jedoch stand mit Dr. Antje Fehrmann eine Koryphäe für englische Königsgrabmäler bereit, die der Gruppe unter dem Titel „Royals Under Ground: Autorität des Materials in englischen Königs- und Königinnengrabmälern“ einen kultur- und materialwissenschaftlich hochspannenden Überblick über die Grabstätten der englischen Königsfamilien von 1066 bis 1509 und die posthume Selbstdarstellung der Lancaster nahegebracht hat. Der Schwerpunkt lag dabei auf den zugrunde liegenden Repräsentationsstrategien, aber die Referentin weitete den Blick durch formale und ikonographische Analysen der Grabmäler sowie räumliche Bezüge, die liturgische und die zeremonielle Einbindung derselben in Westminster Abbey. Am Nachmittag leitete dann Annika Sieber vom ZeReSe eine Abrieb-Werkstatt, bei dem die Teilnehmer:innen wiederum selbst aktiv werden durften und Abriebe von verschiedenen kleinformatigen Messingplatten vornahmen, was mit großem Eifer und einem gewissen Ehrgeiz ausprobiert wurde.

Bildbeschreibung: Work in Progress: Brass Rubbing mit Margarethe Paris. Die Ehefrau von Heinrich Paris ist einem langärmligen Kleid dargestellt, darüber ein umgeschlagener Mantel. Das Original der Platte befindet sich in Hildersham, Cambridgeshire.
Foto: Maria Whitten

Ein weiterer Experte, der den Anwesenden eine andere, hochmoderne Reproduktionsart nahebrachte, war der Informatiker vom Landesamt für Denkmalpflege Erfurt Ilya Claus. Die von ihm vorgestellte Technik ist „structure through motion“, also der 3-D-Scan von Monumenten. Zunächst erklärte Herr Claus das Vorgehen beim Erstellen eines Scans und zeigte verschiedene Beispiele (https://360grad-denkmale.de/). Anschließend beantwortete er sehr geduldig die vielen interessierten Fragen, bevor die Beteiligten schließlich in der Vorhalle des Domes selbst Hand anlegen durften und abwechselnd Scans von verschiedenen Epitaphien erstellen – mit beeindruckendem Ergebnis. Die Begeisterung unter den Anwesenden war dementsprechend groß.

Bildbeschreibung: Ilya Claus präsentiert Rohdaten von 3-D-Scans.
Foto: Maria Whitten

Eine Führung durch den Kaiserdom Merseburg und ein Besuch des Domschatzes rundeten die Summer School ab. Bei der Führung durfte die Gruppe in die fast 1.000 Jahre alte Krypta hinabsteigen, bewunderte die Bischofskapelle mit der Platte für Thietmar von Merseburg und dem feuervergoldeten Epitaph für Bischof Thilo von Trotha († 1514) und hatte ein besonderes Augenmerk auf das Königsgrab Rudolfs von Rheinfelden. Die halbfigürliche Bronzeplatte für den 1080 verstorbenen Gegenkönig von Heinrich IV. im Chor unter der Vierung ist einzigartig und als politisches Zeichen nach wie vor sehr aussagekräftig. Der Domschatz ist in den wunderbar restaurierten Räumen des Kapitelhauses (darunter der nach historischen Vorlagen rekonstruierte Wappensaal) und der Südklausur des Domes untergebracht, die auf das 12. Jahrhundert datiert werden. Dort finden sich einzigartige Exponate von besonderer kultur- und kunstgeschichtlicher Bedeutung wie beispielsweise ein Faksimile der Merseburger Zaubersprüche. Auch illuminierte Handschriften, Siegel und Paramente sind dort ausgestellt, sowie Plastiken und Altarretabeln. Die Teilnehmenden der Summer School waren einhellig der Meinung, dass „Von Messing und Stein“ eine phantastische Erfahrung und eine hervorragende Gelegenheit zum Netzwerken war.

©Maria Whitten