Kommt Ihnen das bekannt vor?
Es fängt als Unterhaltung an, in der zunächst beide reden, beide auch mal zuhören oder sogar nachfragen. Aber irgendwann ufert es in einen langen, oft lauten Monolog aus, bei dem eine Seite sich intensiv auslässt und die andere Seite weder zu Wort kommt noch wichtig zu sein scheint – man könnte auch mit einer Wand reden. Aber anscheinend wird ein Gesicht gebraucht, ein Gegenüber, ein Publikum.
In den letzten Jahren habe ich oft gehört, dass man „das ja wohl noch sagen darf“ und dass Meinungsfreiheit so wichtig sei und dass alle gehört werden müssen. Stimmt alles.
Man darf sehr viel sagen, man darf Leute beleidigen, schimpfen, sich aufregen, sogar Dinge sagen, die verfassungsfeindlich sind – man darf das. Eventuell bekommt man Widerspruch, eine Anzeige, hat unangenehme Konsequenzen. Aber man darf es, in dem Sinne, dass man nicht von der Seite des Staates aus um sein Leben fürchten muss. Man darf laut seine Meinung sagen, widersprechen, immer wieder zum Ausdruck bringen, dass man unzufrieden ist. Das ist sehr viel Freiheit. Wenn viele Menschen laut sind und unzufrieden und irgendwie ähnlich ticken, wird daraus vielleicht eine Bewegung, der zugehört wird. Dann kann man daraus etwas machen. Man sollte aber nicht damit rechnen, dass man automatisch Zustimmung bekommt oder dass das Gesagte unwidersprochen bleibt oder auch nur, dass überhaupt jemand zuhören möchte.
Es gibt kein Recht auf Publikum, und Meinungsfreiheit heißt nicht Widerspruchsfreiheit.
Zu einem Gespräch gehören zwei, mindestens. Wer keine Lust auf ein Gespräch hat, sollte also nicht mit „Können wir uns mal unterhalten?“ anfangen, um dann zu predigen. Ich habe es so satt, die Wand zu sein, gegen die gesprochen wird. Ich habe es satt, einer gesellschaftlichen Konvention zu folgen, die ich so verstehe, dass man ein Gespräch nicht einfach durch Weggehen beendet. Dass man den lauten Kollegen nicht einfach per Handgreiflichkeit aus dem Büro schiebt. Und wenn dieses „Predigen“ in meinem Büro oder in einer entsprechend geregelten sozialen Situation passiert, kann ich nicht mal weglaufen. Dabei möchte ich genau das machen. Ich möchte sagen „Das Leben ist zu kurz!“ und einfach weggehen. Oder „Stop!“ rufen, so wie Kinder in der Kita, wenn es ihnen beim Spielen zu viel wird. Wenn es weh tut, zu laut ist, zu wild, wie auch immer unangenehm.
Kennen Sie das?
Haben Sie Ideen, wie man da sozial akzeptabel rauskommt?
Ich werde damit experimentieren, wie ich solchen Situationen entkommen kann, und falls Sie das auch machen, dann bin ich gespannt auf Ihre Erfahrungen. Und falls Sie sich jetzt ertappt gefühlt haben, weil Sie manchmal predigen: gut.