Im wissenschaftlichen Kontext löst dieses Wort häufig zwei Assoziationen aus: Einerseits das Thema Berufungsverfahren und die Berufung auf eine Professur, andererseits aber auch, sich berufen zu fühlen. Für ein Thema, für gewisse Projekte, für Leitungspositionen, dafür, die nächsten Generationen von Wissenschaftler*innen ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten. Wörter wie „Berufung“ oder „Vocation“ wecken Bilder davon, wie etwas oder jemand ruft.
Oder? Woran denken Sie?
Auch die Formulierung, dass man sich zu etwas berufen fühlt, legt nahe, dass da etwas ruft, dass man sich zu einem Thema oder einer Tätigkeit hingezogen fühlt. Kennen Sie das von sich selbst? Oder denken Sie an jemanden, eine Person, die ganz klar ihre Berufung gefunden hat und der vielleicht sogar gefolgt ist?
Ich denke da zum Beispiel an Personen, die gern mit Kindern arbeiten und das früh merken. Da ist vielleicht ein junger Mann, der kleinere Geschwister hat oder in der Schule gern jüngeren Kindern Nachhilfe gegeben hat. Irgendwann wird klar, in welcher Altersgruppe ihm die Arbeit mit Kindern besonders viel Spaß macht, und dann geht es nur noch um die Frage: Kindergärtner oder Grundschullehrer? Oder da ist ein Mädchen, das von den Eltern ermutigt wird, ein Instrument zu lernen, und sie entdeckt Streichinstrumente für sich. Am Ende wird es das Cello, und sie entdeckt mit den Jahren so viel Liebe zu diesem Instrument, seinem Klang und der Musik, dass sie sich voll und ganz diesem Instrument widmen möchte. Kann daraus ein Beruf werden? Strebt sie eine Laufbahn als Solistin an, als Orchestermitglied, als Komponistin, als Lehrerin, als Cellobauerin? Oder bleibt es ein intensives Hobby?
Was für Beispiele fallen Ihnen ein?
Worin unterscheiden sie sich?
Man kann sich zu so unterschiedlichen Tätigkeiten berufen fühlen, dass gar nicht klar ist, ob es ein Berufsbild gibt, das dazu passt. Umgekehrt gibt es berufliche Tätigkeiten, bei denen schwer vorstellbar ist, dass jemand das als Hobby macht. Beratungsangebote dazu wiedersprechen sich fundamental: Die einen sagen, man soll unbedingt etwas finden, was man leidenschaftlich gern tut und wozu man sich berufen fühlt, und soll dann ein dazu passendes Berufsbild finden, und am anderen Ende des Spektrum gibt es die, die dringend davon abraten, die Berufswahl emotional aufzuladen. Bloß nicht einer Leidenschaft folgen oder einem großen Interesse. Was man stattdessen tun sollte, da gibt es unterschiedliche Vorschläge, aber da steht eventuell eine Grundsatzentscheidung an. Einer Leidenschaft oder gefühlten Berufung folgen oder nicht?
Falls Sie berufstätig sind:
Wie haben Sie entscheiden, wohin die Reise geht?
Was war beabsichtigt, was war zufällig, was für Ratschläge haben Sie bekommen?
Hatte die Berufswahl etwas mit Berufung zu tun?
Man kann das Wort Berufung auch anders interpretieren, und mich faszinieren die Fragen, die sich daraus ableiten. Wir verändern gar nicht viel – aber jetzt werde nicht mehr ich als ganze Person irgendwohin gerufen, sondern etwas in mir wird gerufen, dass es rauskommen und sich zeigen soll! Es geht dann nicht um das Umfeld oder die Tätigkeit, die mich anziehen, sondern es geht um etwas in mir, das sich angesprochen fühlt und sichtbar wird. Wie könnte das konkret aussehen?
Wenn es mir Spaß macht, Dinge zu erklären und Menschen dabei zu helfen, etwas zu verstehen, dann fühle ich mich vielleicht berufen, als Lehrerin zu arbeiten. Die Tätigkeit in dem Umfeld passt dazu.
Was liefert die andere Interpretation?
Was in mir wird da angerufen und soll rauskommen?
Geht es um das gute Gefühl, hilfreich zu sein?
Ist es die Kommunikation mit anderen Menschen, und das Erklären steht gar nicht im Vordergrund?
Oder geht es vielleicht um das Spüren der eigenen Kompetenz, weil man anderen etwas erklärt und sich dann automatisch klug fühlt?
Geht es um das befriedigende Gefühl, etwas richtig tief verstanden zu haben, während man mit anderen detailliert darüber ins Gespräch kommt?
An der Bandbreite merken Sie vielleicht schon, dass hier mehr Fragen auftauchen und dass aus „Mir macht es Spaß, Leuten Sachen zu erklären.“ ein differenziertes Bild entsteht, das bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich aussehen kann, auch wenn sie sich alle berufen fühlen, in einem Lehrberuf tätig zu sein. Je genauer wir verstehen, was uns da motiviert, was in uns angerufen wird, desto eher sehen wir eine Bandbreite an möglichen Berufen (oder einfach Tätigkeiten) und desto eher wird aus der Frage, was uns Spaß macht, die Frage, was wir beitragen können.
Wie passt das, was da in mir angerufen wird, in die Welt?
Wohin passt es besonders gut, wo ist es wertvoll?
In welchen Situationen ist der Ruf besonders laut oder klar?
Was für Fragen kommen bei Ihnen auf, wenn Sie das lesen? Kennen Sie das Gefühl, dass da in Ihnen etwas an- oder wachgerufen wird und sich da plötzlich etwas sehr richtig anfühlt?
Mir passiert das manchmal ganz überraschend, und ich übe, genau zuzuhören. Denn jedes Mal, wenn sich dieses typische zufriedene Gefühl ausbreitet, dass ich gerade etwas beigetragen habe, dann sind das wertvolle Informationen. Bei welchen mathematischen Themen leuchten meine Augen, wenn ich darüber spreche? In welchen Lehrsituationen klickt es, und ich fühle mich genau richtig am Platz?
Nicht zuletzt geht es dabei auch um Menschen. Manche Menschen bewirken bei mir, dass ich das Rufen besonders stark spüre. Dann kann ich fast – aber nur fast – in Worte fassen, was das ist, was da in mir angerufen wird. Und ich erkenne, was das mit meinem Beruf und seinen vielen verschiedenen Facetten zu tun hat. Daher möchte ich Sie einladen, sich auch auf solche Fragen und auf die Suche einzulassen.
Was wird in Ihnen angerufen, wenn Sie mit einer beruflichen (oder anderen) Situation so richtig zufrieden sind?
Wo spüren Sie, dass Ihre Beiträge wertvoll sind?
Gibt es da ein Muster?
Welche Menschen oder Situationen bringen das Beste in Ihnen hervor?
Was spüren Sie da, was wird gerufen?
Haben Sie Worte dafür?
Wie viel Raum bekommt das derzeit in Ihrem Leben?
Wünschten Sie, dass es mehr wäre?
Was müsste passieren?