Warnhinweis: Das wird persönlich.
Wenn Sie gerade nichts über Schicksalsschläge oder Trauer lesen möchten, dann hören Sie hier lieber auf und lesen Sie einen meiner anderen Beiträge. Ich habe auch lange gezögert, ob ich das überhaupt hier teilen möchte. Aber dann hatte ich heute ein langes, tiefes Gespräch mit einer ganz besonderen Person, und dann habe ich entschieden: Heute mache ich es.
Anlass dieses Textes ist, dass mein Mann vor einem guten halben Jahr überraschend gestorben ist. Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten. Hätte mich jemand vorher gefragt, was ich machen oder wie ich mich fühlen würde, wenn meinem Mann etwas zustoßen würde, dann hätte ich gesagt, dass ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen kann. Allein schon der Gedanke daran hat mich so traurig gemacht, dass sich mein ganzer Brustkorb verkrampft hat und ich kaum noch atmen konnte.
Jetzt ist es so. Ich bin noch da. Ohne ihn.
Und ich schreibe jetzt etwas auf über meine Trauer.
Das ist schmerzhaft, und ich mache es trotzdem.
Mir hat es geholfen, Beiträge zu lesen oder anzugucken von anderen Menschen, die recht jung jemanden verloren haben. Wenn ich also mit diesem Text dazu beitragen kann, dass irgend jemand sich getröstet, ermutigt oder verstanden fühlt, dann ist das schon genug.
Phase 1. Schock und Kümmern.
„Sie stehen offensichtlich unter Schock.“
Das sagte mir der zuständige Arzt auf der Intensivstation, mit dem ich telefoniert habe. Im Zug, auf dem Weg zu meinem Mann, auf eben dieser Intensivstation. Ja, ich war sehr ruhig, sehr gefasst, habe Fragen gestellt und genau überlegt, was nun zu tun ist. Da war ein Schmerz, den ich nicht in Worte fassen kann, aber eben auch die Gewissheit, dass es jetzt Dinge zu regeln gibt. Die Familie informieren, Fragen klären, seine Wünsche für sein Lebensende erfüllen. Mehrmals habe ich gedacht, dass ich großes Glück hatte, zu wissen, was er am Ende seines Lebens wollte. Zum Beispiel Organe spenden. Diese erste Phase, in der ich mich von ihm verabschiedet habe, seine letzten Wünsche erfüllt habe und gemeinsam mit meiner und seiner Familie geregelt habe, was eben zu regeln war, dauerte mehrer Wochen. Bis zur Bestattung. In der Zeit habe ich viel geweint, war aber dabei meistens sehr ruhig, sehr klar, vielleicht dauerhaft ein wenig unter Schock. Von Anfang an habe ich mich psychologisch begleiten lassen und habe alles ganz offen besprochen.
Phase 2. Papierkram.
Ich habe sehr viele Beileidsbekundungen bekommen – per Anruf oder SMS, per E-Mail, und auch ganz viel über Trauerpost. Das ist schön, tröstend und sehr schmerzhaft zugleich. Auf Anrufe, Mails etc. habe ich oft sofort reagiert, oder sobald ich die Kraft hatte. Bei den vielen Briefen war es anders. Da habe ich zwar alles sofort gelesen, aber es war klar, dass es Wochen dauern würde, das nach und nach zu beantworten. In Phase 2 habe ich viel Zeit mit Trauerpost und ähnlichen Nachrichten verbracht, und auch mit organisatorischen Aufgaben. Erbschein beantragen, Konten auflösen, Verträge prüfen und ggf. umschreiben. Über Wochen. Immer wieder Briefe, Telefonate, Formulare, Termine. Sehr viel davon hat mich sehr zum Weinen gebracht. Auch die ersten Familienbesuche und Dienstreisen waren schwierig, also habe ich mir mit allem viel Zeit gelassen und engen Kontakt zu lieben Menschen gehalten, mit denen ich reden konnte. Ich habe es nur selten gebraucht, aber es war gut, von einigen Leuten zu wissen, dass ich sie auch spät abends anrufen kann, wenn ich weinend auf meiner Yogamatte liege und einfach nur eine Person am anderen Ende der Leitung brauche, die mich tröstet. In Phase 2 etablierten sich langsam neue Rituale in meinem Tagesablauf. Was ganz tief verankert ist, hat mich am Laufen und halbwegs stabil gehalten (Essen, Trinken, Schlafen, Yoga), aber der Rest muss sich immer noch finden.
Phase 3. So fühlt sich Alleinsein an.
In dieser Phase bin ich jetzt.
Ich habe mich an die leere Wohnung gewöhnt, so gut es geht.
An die Post, die ab und zu noch für ihn kommt.
Manchmal gibt es eben doch noch etwas zu regeln.
Je nachdem, was da so kommt, sind das auch Anlässe, die mich immer noch zum Weinen bringen. Allein einschlafen und aufwachen. Niemand wartet zuhause auf mich. Das ist eigentlich ok, ich habe oft und lange allein gelebt, zuletzt mehr als sechs Jahre lang in unserer Fernbeziehung. Es ist ein vertrautes Programm, das da läuft, aber mit einem kleinen Störgeräusch. Denn bei der Fernbeziehung gab es immer irgendwo am Horizont das nächste Wiedersehen, und wir haben zwischendurch ständig miteinander kommuniziert. Das ist jetzt anders.
Es gab einen Plan, einen gemeinsamen, endlich, nach der langen Zeit der Fernbeziehung. Und der ist jetzt nicht mehr umsetzbar. Ein Teil meiner Trauer ist auch Trauer um diesen Plan, diese gemeinsame Zukunft, die jetzt unmöglich ist. Ich brauche einen neuen Plan, und vielleicht ist ja die aktuelle Phase die, in der so ein neuer Plan langsam wachsen kann. Oder ich lerne, dass es auch ohne Plan geht.
Ein halbes Jahr.
Ohne Zeitgefühl, alles fühlt sich falsch an.
Die wichtigste Entscheidung war wohl, gleich nach psychologischem Beistand zu fragen.
Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung.
Viele Menschen haben dazu beigetragen, dass ich dieses halbe Jahr überstanden habe und irgendwie weitermachen kann.
Familie, Kolleg*innen, Studis, Freund*innen, Bekannte.
Danke.